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Münzprägung und Staatsausgaben

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Es sind einige Zweifel sowohl an der Annahme, daß eine automatische Verbindung zwischen Münzprägung und Staatsausgaben besteht, als auch an dem Grad der Genauigkeit, der bei der Einschätzung bestimmter Prägungen zu erreichen ist, vorgebracht worden. Ein weiteres grundsätzliches Problem besteht darin, daß Staaten ihre Zahlungen nicht nur in neuer Münze leisten konnten, sondern auch in alter, die durch eine Mischung von Tribut, Steuern, Pachten, Konfiskationen, Beute, Erbschaften und ähnlichem in ihren Schatz zurückfloß. Fremde Münzen, Edelmetall [vgl. 183–184] und sogar Kredite konnten in bestimmten Zusammenhängen auch eine Rolle spielen. Die uns unbekannte Mischung der einzelnen Elemente bei Staatszahlungen macht das Verhältnis zwischen der Gestaltung der Produktion neuer Münzen und der Gestaltung von Ausgaben noch weiter ungewiß (Howgego 1990: 11–5). Beispielsweise hat eine detaillierte Untersuchung zur römischen Münzprägung unter der Herrschaft des Domitian gezeigt, daß frischgeprägtes Geld wahrscheinlich nicht mehr als ein Zehntel der Staatsausgaben in einem bestimmten Jahr ausgemacht hat (Burnett 1987: 95; auf Carradice 1983 aufbauend). Andere versuchsweise unternommenen Schätzungen der Münzproduktion von Nero bis Mark Aurel legen nahe, daß die Menge an frischgeprägtem Geld in der Regel – aber vielleicht nicht immer – deutlich unter dem Niveau der Staatsausgaben lag (Duncan-Jones 1994: 45–6, 111–2, 167).

Trotz der Probleme, die mit dieser Fragestellung verbunden sind, bleibt es richtig, daß die Interpretation von Münzproduktion im Licht der Staatsfinanzen einer der ergiebigsten Ansätze der letzten Jahrzehnte war. Ebenso gilt, daß der Versuch unsinnig ist, den Zweck einer Prägung zu interpretieren, ohne zu versuchen, eine Vorstellung von ihrem Umfang zu gewinnen. Daher rührt die große Bedeutung von Crawfords Arbeit über die Römische Republik (RRC 633–707). Die verwandte Fragestellung, was mit dem Münzgeld in Zeiten einer Krise der Staatsfinanzen geschah, war ebenfalls ein fruchtbares Feld für Forschung und Diskussion (siehe Kapitel 6).

Selbst wo numismatische Ansätze den vorhandenen Kenntnisstand nur wenig ergänzen, dürften sie dazu beitragen, allgemeinen Einsichten einen Rückhalt in der materiellen Überlieferung zu verschaffen. So kann die Information hilfreich sein, daß der Bau der athenischen Flotte zur Bekämpfung der Perser in der Zeit vor 480 v. Chr. wahrscheinlich mit einer der intensivsten Prägeperioden in der Geschichte der ‚griechischen Münze‘ (siehe S. 28) [20] zusammenfiel oder daß es zu einem bedeutenden Anstieg der Münzmenge in vielen Gebieten des Alexanderreiches kam, als seit etwa 324 v. Chr. ein erheblicher Teil des Heeres ausbezahlt und nach Hause geschickt wurde (siehe S. 57–8), oder daß Roms massive Münzprägung im Jahre 90 v. Chr. zu Zeiten des Bundesgenossenkrieges umfangreicher war als in jedem anderen Jahr der Republik (RRC 340; Burnett 1987: 92) [95].

In allen diesen Zusammenhängen dürften wir bereits mit einer stattlichen Produktion von Münzgeld gerechnet haben. Es kann ebenfalls aufschlußreich sein, auf unerwartet große Prägungen einzugehen, da wir so gezwungen werden, die Frage nach ihren Hintergründen zu stellen. So können zahlreiche städtische oder lokale Prägungen, die innerhalb oder im Dunstkreis der Reiche der Perser, Attaliden oder Römer realisiert wurden, überzeugend als Vehikel für finanzielle Belange der imperialen Macht gedeutet werden (siehe Kapitel 3). Diese Einsicht stellt für uns einen Erkenntnisfortschritt dar: So sahen z. B. nicht alle Münzen, die römisch waren, wie römische Münzen aus.

Militärausgaben spielen in numismatischen Untersuchungen eine große Rolle. Bis zu einem gewissen Grad steckt dahinter nicht mehr als die Überlegung, daß im Haushalt der namhaftesten antiken Staatswesen der militärische Sektor das Übergewicht hatte. Allerdings sollte man sich vielleicht gelegentlich ins Gedächtnis rufen, daß nicht alle Ausgaben militärischer Natur waren. Neben anderen Dingen haben wir an kostenlose oder subventionierte Lebensmittelverteilungen zu denken, an Spiele, an Geldverteilungen an das Volk und die Soldaten, an öffentliche Bauten, an Staatsbedienstete, an Ansiedlungen (von Kolonien oder Privatleuten) und an externe Zahlungen (Bestechungen, Lösegelder, Subsidien und Entschädigungen). Bestimmte Prägungen können zumindest mit einigen dieser Kategorien in Verbindung gebracht werden (Howgego 1990: 9–11). So kann z. B. die Kategorie „Lebensmittel“ schön mit den Denaren aus der Zeit um 100 v. Chr. illustriert werden. Diese trugen nämlich eine bestimmte Legende, um deutlich zu machen, daß sie zum Kauf von Getreide geprägt worden waren: ad fru(mentum) emu(ndum) (RRC 330; Garnsey 1988: 198–9) [94].

Auswärtige Zahlungen stellen eine besonders tückische Kategorie dar: Warum bestand eine Notwendigkeit, Zahlungen, die für auswärts bestimmt waren, die Form von Münzgeld zu geben, anstatt Edelmetall, altes Geld oder was auch immer bereitstand zu schicken? Die Frage ist nur schwer zu beantworten, doch gibt es tatsächlich Prägungen, die in der einen oder anderen Form für den Export produziert wurden, so z. B. die Stammesprägungen Nordgriechenlands in der späten archaischen oder frühen klassischen Zeit (siehe S. 110) oder die Prägungen nach attischem Münzfuß im Attalidenreich oder seiner Umgebung (siehe S. 62–4). Vielleicht haben solche Prägungen damit zu tun, daß einige der Empfänger Münzgeld in einer erkennbaren und standardmäßigen Form vorzogen. Jedoch führten nicht alle auswärtigen Zahlungen zu Prägungen. Es wurde treffend herausgestellt, daß die größte Kriegsentschädigung, die von den Römern je eingefordert wurde – von Antiochos III. –, den Umfang der seleukidischen Münzproduktion nicht berührt hat (Le Rider 1993b; Sherwin-White und Kuhrt 1993: 215 zu den Problemen, die durch die Kriegsentschädigung entstanden).

Wenn wir davon ausgehen, daß Münzprägung auch mit nichtmilitärischen Ausgaben in Verbindung gebracht werden kann und daß sie nicht einmal mit Ausgaben überhaupt zu tun haben muß, benötigen wir eine gewisse Methodik, um militärische Prägungen ausfindig zu machen. Fünf mögliche Indizien wurden bereits anderswo herausgefiltert und jeweils mit Beispielen illustriert (Howgego 1990: 8–9). Bei ihnen handelt es sich um militärische Legenden auf Münzen, eine ausgesprochen militärische Typologie, ein zweifelsfreier militärischer Zusammenhang, ein monetäres Phänomen, das augenscheinlich nicht anders erklärt werden kann, und schließlich ein klares literarisches Zeugnis dafür, daß eine bestimmte Prägung für militärische Zwecke realisiert wurde. Keines dieser Indizien ist in allen Fällen zwingend, doch liefern sie wenigstens eine Grundlage, von der aus man überzeugend argumentieren kann. Es liegt auf der Hand, daß viele Militärprägungen keines dieser Indizien aufweisen, aber es ist unklar, wie wir sie erkennen können.

In Fällen, wo die zeitliche Einordnung von Prägungen ungenau ist und Feldzüge häufig waren, sind Gelehrte manchmal nur zu leicht versucht, beides zu verbinden. Die Gefahr von Zirkelschlüssen liegt auf der Hand. Wo wir über eine präzise zeitliche Einordnung verfügen, läßt sich viel erreichen. Die Prägungen Mithridates’ VI. von Pontos wurden mit Jahres- und Monatsangaben versehen (de Callataÿ 1987) [57]. Jahre intensiver Geldproduktion – man könnte auch argumentieren, jedes Jahr, in dem geprägt wurde – spiegeln Zeiten der Kriegsführung wider. Die einzige auffällige Ausnahme – der intensive Münzausstoß in den beiden Jahren vor dem Einfall des Mithridates nach Bithynien im Jahre 73 v. Chr. – kann überzeugend als ein Reflex jener Zeit erklärt werden, in der der Feldzug vorbereitet wurde. Dazu paßt es auch, daß in jedem Prägejahr die Produktion zwischen April und Juni ihren Höhepunkt erreichte, d. h. in der Zeit der Vorbereitungen und des Beginns der Feldzüge.

Ebenso ermöglichen uns die Jahreszahlen auf einigen römischen Prägungen genaue Interpretationen. Walker konnte schlüssig vorführen, wie Prägungen im Osten unter Nero die Feldzüge Corbulos von Kleinasien bis nach Syrien begleiteten [155] und wie die Münzprägung in Syrien die Zeit des 1. Jüdischen Aufstandes widerspiegelte (Walker 1976–8, III: 112–7). Wie im Falle der Mithridates-Münzen ist nicht nur die Intensität solcher Prägungen von Interesse. Man kann an ihnen im Prinzip auch die Vorbereitungen vor dem Ausbruch der tatsächlichen Kriegsführung, die sich in Art und Weise der Prägung spiegelt, ablesen.

So hat sowohl die Beschäftigung mit dem Umfang der Prägungen als auch die Interpretation der Münzen im Zusammenhang mit Staatsfinanzen dem Historiker vieles zu bieten. Dabei ist allerdings vorauszusetzen, daß die beiden Forschungsansätze mit Verständnis sowohl für die methodischen Probleme, die in ihnen begründet liegen, als auch für die Grenzen jener Verfahrensweisen, die uns zur Verfügung stehen, zur Anwendung kommen.

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