Читать книгу Person und Religion - Ciril Rütsche - Страница 18
7.2 Die Differenzierung der Seienden in drei grundsätzlich verschiedene Arten als Wegbahnung zum apriorischen ErkennenErkennen
ОглавлениеAus welchen Gründen aber sind gewisse Erkenntnisse notwendig, unvergleichlich intelligibelintelligibel und absolut gewiss? Das hängt ganz davon ab, von welcher Art von EinheitEinheit ein gegebenes Seiendes ist, über dessen Verhalten ein WissenWissen erworben werden soll. Von HildebrandHildebrandDietrich von unterscheidet die Soseinseinheiten in drei verschiedene Grundtypen, von denen die ersten beiden Arten Gegenstände der empirischen ErkenntnisErkenntnis sind. Nur eine ganz spezifische Art von SoseinSosein ist apriorischer Erkenntnis zugänglich. Gegenstände der empirischen Erkenntnis sind die chaotischen und zufälligen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische und die morphischen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische, Gegenstände apriorischen Erkennens dagegen sind die wesensnotwendigen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische.1 Beispiele für die chaotischen und zufälligen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische sind solche EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische wie ein Steinhaufen, eine Tonfolge, die keine Melodie ist, ein Haufen Gerümpel und dergleichen mehr. Von diesen zufälligen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische unterscheiden sich die Gegenstände wie Gold, SteinSteinEdith, Wasser, Pferd etc. Diese Gegenstände sind nicht zufällig so wie sie sind, sie haben eine Washeit.
Innerhalb solcher Seiender müssen zwei Schichten unterschieden werden: die Erscheinungseinheit und die konstitutive EinheitEinheit. Erstere ist das „Gesicht“, die äussere ErscheinungErscheinung, letztere das SoseinSosein des Materietyps, der dieses Gesicht trägt. Jede Schicht verlangt eine andere Erkenntnisart. Um das WissenWissen bezüglich der Erscheinungseinheit zu bereichern, muss beschreibend vorgegangen werden: um den Gegenstand herumgehen und alle ihn betreffenden BeobachtungenBeobachtungen sammeln. Die innere konstitutive Einheit dagegen kann nur durch komplizierte Experimente, wie die der Chemie, und durch die Verwendung von Instrumenten, etwa des Mikroskops, erreicht werden.2
Befassen wir uns jedoch mit Gegenständen wie einem Dreieck, einer PersonPerson, dem WillenWillen, der LiebeLiebe usw., so stehen wir vor einem völlig neuen und anderen Typ von EinheitEinheit. Diese Gegenstände führen uns zu der Stufe der notwendigen Einheit. […] Mit ihr ist der Höhepunkt innerer Konsistenz, das polare Gegenstück zu einer bloss von aussen zusammengehaltenen Einheit erreicht. […] Sie ist nicht das SoseinSosein der ErscheinungErscheinung, die blosse äussere Erscheinungseinheit, sondern das konstitutive WesenWesen dieses Gegenstandes selbst. […] Sehen wir ein, dass die geistige Person kein räumlich ausgedehntes Sein besitzt oder dass sie allein Träger sittlicher WerteWerte sein kann, dann haben wir das konstitutive Sosein der Person selbst vor uns, das uns als notwendige Einheit unmittelbar anschaulich zugänglich ist.3
Nur Gegenstände dieser Art von EinheitEinheit sind apriorischer ErkenntnisErkenntnis zugänglich. Nur bei den wesensnotwendigen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische, bei denen man, wie Adolf ReinachReinachAdolf es nannte, ein „So-Sein-Müssen und dem WesenWesen nach Nicht-Anders-Sein-Können“4 vorfindet, ist es möglich, zu absolut gewissen Erkenntnissen zu gelangen. Dabei bezieht sich die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, auf die sich auch HusserlHusserlEdmund mit seinem WortWort des „Nicht-anders-sein-könnens“5 bezog, auf den Gegenstand selbst und sein Verhalten zu sich selbst oder zu anderem. Dieses Verhalten der Sache (des Sachverhalts) selbst ist es, das in gewissen Fällen so sein muss und nicht anders sein kann. Das Merkmal der IntelligibilitätIntelligibilität (Verstehbarkeit), das eng mit der inneren NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive des Sachverhalts verbunden ist, bezieht sich sodann auf das Verhältnis zwischen dem SachverhaltSachverhalt und der Erkenntnis von ihm. Doch ist dieses Merkmal nicht mehr alleine auf den Sachverhalt beschränkt, wie die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, sondern dieses Merkmal besteht im VerstehenVerstehen: Man versteht nicht nur, dass etwas so ist, wie es ist, sondern man versteht auch, warum es so ist. Nur bei den notwendigen Sachverhalten kann von einer EinsichtEinsicht im Vollsinn des Wortes gesprochen werden. Mit einem Beispiel: Moralische WerteWerte – z.B. der Verzicht oder das VerzeihenVerzeihen – setzen eine PersonPerson voraus. Dieser Sachverhalt wird nicht von aussen her verstanden, wie im Falle eines Naturgesetzes, sondern der Sachverhalt wird „von innen her“6 verstanden. Auch das dritte und letzte Merkmal des apriorischen Erkennens, nämlich die absolute GewissheitGewissheit, ist verständlicherweise kein Merkmal des Sachverhalts selbst, sondern eines der Beziehung zwischen dem Sachverhalt und seiner Erkenntnis. Jedenfalls kann auf der Basis der Epistemologie von Hildebrands verstanden werden, warum Husserls Einklammerungsthese nicht zielführend war: Weil er den Blick auf das SoseinSosein mit Einklammerung der ExistenzExistenz bei allen Seienden versuchte, absolut gewisse Erkenntnisse aber nur bei jenen Sachverhalten erlangt werden können, die in notwendigen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische gründen.7
Von HildebrandHildebrandDietrich von, so viel kann im Anschluss an die Unterscheidungen attestiert werden, die hier ihren evidentesten Wesenszügen nach kurz umrissen wurden, hat einen originellen Beitrag zur philosophischen Erkenntnislehre geleistet. Sein ZielZiel, wie weiter oben bereits erwähnt, war die Herausarbeitung des wahren Wesens philosophischer ErkenntnisErkenntnis, ihrer existentiellen Lebendigkeit und des wahren Gegenstands der Philosophie. Dies gelang ihm in erster Linie mit der Herausarbeitung der Merkmale synthetischsynthetisch-apriorischen Erkennens, welche sind: NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, IntelligibilitätIntelligibilität und absolute GewissheitGewissheit. Dann aber auch mit der expliziten Bezeichnung des Möglichkeitsgrundes der Erlangung solcher Erkenntnisse durch die Unterscheidung zwischen drei grundsätzlich verschiedenen Arten der EinheitEinheit, welche entweder zufällig oder morphisch oder wesensnotwendig sind. Das objektive Korrelat des philosophischen Erkennens ist dabei immer ein SachverhaltSachverhalt, der in einer wesensnotwendigen Einheit gründet.