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1.1 Humes Kritik am KausalprinzipKausalprinzip und Kants kopernikanische Wendekopernikanische Wende
ОглавлениеDen Anlass zu einer neuen und spezifisch kritischen Grundlegung der Erkenntnismöglichkeiten des menschlichen Geistes gab die Kritik David HumesHumeDavid (1711–1776) an der Verknüpfung der UrsacheUrsache-WirkungWirkung-Relation. Entgegen der Annahme der bisherigen MetaphysikMetaphysik (μετά τά φύσικα – philosophische Disziplin, die das Hinter-der-Grenze-Liegende behandelt), die mit ihrem KausalprinzipKausalprinzip immer angenommen hatte, dass eine NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive der Verknüpfung einzusehen sei, vertrat HumeHumeDavid die Auffassung, a prioria priori, d.h. rein aus dem BegriffBegriff einer bestimmten Ursache, könne die zugehörige Wirkung nicht abgeleitet werden, weil die Dinge grundsätzlich zusammenhanglos nebeneinander lägen.1 Die Beziehungen, die man zwischen einzelnen Seienden auszumachen vermeine, seien blosse AssoziationenAssoziationen.2
Wenn sich uns ein Gegenstand oder Ereignis in der NaturNatur darbietet, so ist es uns ohne Erfahrung unmöglich, mit noch so eindringlichem Scharfsinn zu entdecken, ja auch nur zu erdenken, was für ein Ereignis aus ihm folgen wird, oder mit unserer Voraussicht über den Gegenstand hinauszugelangen, der unmittelbar dem GedächtnisGedächtnis oder den Sinnen vorliegt. Selbst wenn ein Beispiel oder eine Erfahrungstatsache uns beobachten liess, dass ein bestimmtes Ereignis einem anderen folgte, so sind wir nicht berechtigt, eine allgemeine Regel zu bilden oder vorauszusagen, was in gleichen Fällen eintreten wird; denn mit Recht gilt es als unverzeihlicher Vorwitz, aus einer einzelnen, auch noch so genauen und gewissen Erfahrungstatsache, ein UrteilUrteil über den gesamten Naturverlauf abzugeben.3
Diese Infragestellung des Kausalprinzips hatte die Potenz, Kants „dogmatischen Schlummer“ zu unterbrechen.4 Ist das Band an den Dingen selbst zu sehen, in der unmittelbaren Wahrnehmung, oder kann die Verknüpfung deduziert werden? Wenn nicht, woher stammt die Verknüpfung? KantKantImmanuel ging mit HumeHumeDavid insoweit einig, als die Erfahrung keine NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive habe, doch an der NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive des Kausalsatzes hielt er unabrückbar fest. Wenn der Kausalsatz aber notwendig ist und dabei nicht aus der Erfahrung stammen kann, dann muss für ihn wie auch für die anderen Erfahrungssätze nach einem NotwendigkeitsgrundNotwendigkeitsgrund gesucht werden. Bei dieser Suche – bei der er sich auch an Francis BaconBaconFrancis orientierte5 – nimmt er Mass an Nikolaus KopernikusKopernikusNikolaus (1473–1543), „der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe liess“6. Auch in der MetaphysikMetaphysik könne es auf dieselbe Weise versucht werden:
Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müsste, so sehe ich nicht ein, wie man a prioria priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen.7
Auf diese Weise sucht KantKantImmanuel nachzuweisen, dass die Gegenstände der ErkenntnisErkenntnis sich nach den Menschen richten, und nicht umgekehrt. Folglich ist bei der „Entdeckung“ einer NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive in der Erfahrung davon auszugehen, dass der VerstandVerstand diese in das Objekt hinein gelegt hat. Doch da das philosophische ErkennenErkennen ein Erkennen a prioria priori sein muss – „denn sie soll nicht physische, sondern metaphysische, d.i. jenseits der Erfahrung liegende Erkenntnis sein“8 – bleibt die Frage: „wie kann Anschauung des Gegenstandes vor dem Gegenstande selbst vorhergehen?“9 Das ist nur auf eine einzige Art möglich, „wenn sie nämlich nichts anderes enthält, als die FormForm der Sinnlichkeit, die in meinem SubjektSubjekt vor allen wirklichen Eindrücken vorhergeht, dadurch ich von den Gegenständen affiziert werde“10. Für KantKantImmanuel ist es allein die Form der sinnlichen Anschauung, wodurch Dinge a priori angeschaut werden können. Woraus aber notwendigerweise folgt, dass die MaterieMaterie der Erkenntnis nur so erkannt wird, wie sie den Sinnen erscheint, jedoch nicht, wie sie an sich ist.
Es wäre jedoch ein Missverständnis, anzunehmen, KantKantImmanuel sei einzig darum bemüht gewesen, den EmpirismusEmpirismus zu überwinden. Um sein Motiv zu verstehen, muss man sich klar machen, in welcher Situation sich die Philosophie zu seiner Zeit befand. „In der Gigantomachie der Frühphase der Neueren Philosophie scheiden sich die Geister über der Frage, wie das Besondere der philosophischen ErkenntnisErkenntnis […] zu begründen sei.“11 Nicht nur die Position des Empirismus stand damals zur Debatte, es gab auch einen Kontrahenten, den RationalismusRationalismus. Dessen Anfang sieht man gemeinhin mit DescartesDescartesRené gegeben, dem es einzig um das lobenswerte ZielZiel der Klarheit und Deutlichkeit als Selbstausweis der Philosophie ging. Nichtsdestotrotz fanden sich bei ihm drei Unzulänglichkeiten, die als Grundlegung einer rationalistischen Position verstanden wurden: „Seine Rede von den ‚eingeborenen IdeenIdeen‘, sein damit zusammenhängendes Verkennen der Rolle der Erfahrung […] und sein AxiomAxiom von der Unmöglichkeit der WechselwirkungWechselwirkung zwischen Ausgedehntem und Geistigem, bzw. Personalem.“12
So entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert ein Streit zwischen Empiristen und Rationalisten, in dessen Endstadium „die Rationalisten nichts anderes zu tun [wissen], als ihre zu Begriffen gewordenen IdeenIdeen aufeinander zu beziehen, auseinander zu entwickeln, durcheinander zu begründen“, währenddem die Empiristen „mit ihrer TheseThese, dass wir nichts eigentlich wirklich ‚haben‘ als unsere Sinneseindrücke“, in einen ähnlichen ImmanentismusImmanentismus fielen.13 Für beide Parteien wird die TranszendenzTranszendenz im Sinne der Beziehung zur wirklichen Welt zu einem blossen, unbeweisbaren Postulat.
Diesem Gegensatz von RationalismusRationalismus und EmpirismusEmpirismus stand KantKantImmanuel gegenüber. Es war seine Absicht, sowohl das inhaltliche AprioriApriori zu retten als auch Humes Prinzip zu akzeptieren, demzufolge nur die Erfahrung Erkenntnissen Gültigkeit verschaffen kann. So steht KantKantImmanuel am Ausgangspunkt, an dem er überlegt, wie es angegangen werden soll, gegenüber dem Rationalismus den Erfahrungserkenntnissen ins Recht zu verhelfen und gleichzeitig den Empirismus mit apodiktischen, jenseits der sinnlichen Erfahrung liegenden Erkenntnissen zu harmonisieren. KantKantImmanuel vermeint das „Bindeglied“ entdeckt zu haben, anhand dessen die polaren Auffassungen vereinbart werden können. Worin diese kantische Lösung genauerhin besteht, wird sich zeigen, wenn im Folgenden seine erkenntnistheoretischen und logischen Prinzipien in der hier relevanten Hinsicht analysiert werden.