Читать книгу Person und Religion - Ciril Rütsche - Страница 41
3.2 Die WertfamilienWertfamilien
ОглавлениеWährend der ontische Wert1 – wie ihn etwa eine Pflanze oder ein Tier besitzen – dem Seienden immanent ist, „ist zur Verwirklichung qualitativer WerteWerte unsere Mitarbeit erforderlich“2. Der Unterschied zwischen den ontischen und den qualitativen Werten lässt sich auch am komplexen WesenWesen der menschlichen PersonPerson verdeutlichen. Während der ontische Wert der menschlichen Person „diesem Seienden als solchem eigen“ ist und er ihn besitzt, sobald er existiert, können die sittlichen Werte beispielsweise „in einer Person oder in einem Willensakt verkörpert oder nicht verkörpert sein“.3 Die ontischen Werte unterscheiden sich von den qualitativen Werten vor allem dadurch, dass ihnen kein antithetischer Unwertantithetischer Unwert gegenübersteht, sie also keinen konträren, sondern nur einen kontradiktorischen Gegensatzkontradiktorischer Gegensatz haben. Die qualitativen Werte besitzen dagegen einen konträren Gegensatzkonträrer Gegensatz, so steht z.B. dem Wert der LiebeLiebe der konträre UnwertUnwert des Hasses gegenüber. Überdies gibt es innerhalb eines spezifisch ontologischen Wertes – wiederum im Unterschied zu den qualitativen Werten – keinerlei Abstufungen, kein Mehr-oder-Weniger.
Bei den qualitativen Werten handelt es sich nicht um einen einzelnen WerttypWerttyp, sondern um einen ganzen aus verschiedenen WertfamilienWertfamilien bestehenden WertbereichWertbereich. Die qualitativen WerteWerte unterteilen sich in sittliche, intellektuelle und ästhetische Wertfamilien. „Diese einzelnen Wertfamilien sind in erster Linie durch die NaturNatur ihres Themas voneinander abgegrenzt. Sie alle sind echte, qualitative Werte, aber sie unterscheiden sich durch ihr Thema, durch ihre qualitative Grundnote.“4 Um sittliche Wertesittliche Werte handelt es sich bei der GerechtigkeitGerechtigkeit, der WahrhaftigkeitWahrhaftigkeit, der Reinheit, der DemutDemut und dergleichen mehr. Sie stellen nach von HildebrandHildebrandDietrich von die „Achse der Welt“5 dar. Ihr WesenWesen weist verschiedene Merkmale auf, die sie eindeutig von den anderen qualitativen Werten abheben. „Das erste Hauptmerkmal der sittlichen Werte ist, dass sie notwendig eine PersonPerson voraussetzen. Ein apersonales Seiendes könnte niemals Träger sittlicher Werte sein.“6 Träger sittlicher Werte ist die Person durch ihre AntwortenAntworten auf gewisse Güter und ihren Wert.7 Da aber nicht nur sittliche Werte notwendig eine Person voraussetzen, ist ihr Wesen damit noch nicht genügend bestimmt. Es gibt verschiedene Werttypen, die ausschliesslich an Personen gebunden sind, z.B. die intellektuellen Werte. Was sie hingegen eindeutig von allen anderen personalen Werten abhebt, ist die VerantwortlichkeitVerantwortlichkeit. „Wir tadeln einen Menschen, der geizig, unrein oder ungerecht ist, aber wir legen ihm nicht zur Last, dass er etwa unbegabt und unvital ist.“8 Aus der Verantwortlichkeit erhellt, dass sittliche Werte die FreiheitFreiheit voraussetzen.
Des Weiteren eignet den sittlichen Werten eine Beziehung zum GewissenGewissen. Hierin leuchtet der Ernst der sittlichen WerteWerte besonders auf. Denn: „Nichts kann der DisharmonieDisharmonie verglichen werden, die durch das beunruhigte Gewissen ausgelöst wird.“9 Eng damit verbunden sind die Merkmale der Unerlässlichkeit10 und der „Beziehung zu Lohn und StrafeLohn und Strafe“11. Sie zu besitzen ist schliesslich „ein grösseres GutGutdas für die PersonPerson als irgendwelche andere Werte“12. Aus diesen Merkmalen der sittlichen Werte lässt sich entnehmen, weswegen von HildebrandHildebrandDietrich von sagen kann: „Sie sind die wichtigsten, die zentralsten, in ihnen gipfelt die Herrlichkeit aller Werte.“13
Nebstdem gibt es gewisse WerteWerte, die von HildebrandHildebrandDietrich von in seiner frühen Phase als intellektuelle bezeichnete. Wenn er später davon abging, dann nicht, weil die frühere Verwendung falsch war, sondern weil sich nach jahrelanger harter Unterscheidungsarbeit abgezeichnet hat, dass der BegriffBegriff „intellektuelle Werte“ einfach zu weit gefasst war, zerfallen sie doch eigentlich in mehrere personale WertfamilienWertfamilien.14 Auf diese Feingliederung braucht hier aber nicht eingegangen zu werden. Die intellektuellen Werte seien allgemein wie folgt umgrenzt: Die intellektuellen Werte sind Werte des Verstandes (des Intellekts) sowie der ErkenntnisErkenntnis und des Denkens (Schliessens, Urteilens, begrifflicher Klarheit im Denken usw.). Als Exemplare dieser Wertfamilie mögen Tüchtigkeit, Witz, scharfer VerstandVerstand, geistige TiefeTiefe und Brillanz genügen, um offenbar werden zu lassen, dass eben nicht nur die sittlichen, sondern auch die intellektuellen Werte notwendig eine PersonPerson voraussetzen.
Die in der ästhetischen Familie vereinten WerteWerte sodann lassen sich entgegen dem gemeinen Verständnis des Wortes ästhetisch nicht samt und sonders als Unterarten der SchönheitSchönheit fassen. „Solange es sich um lieblich, erhaben, anmutig, sublim, poetisch handelt, ist es klar, dass sie besondere Arten der Schönheit sind.“15 Doch schon das Elegante ist keine typische Unterart des Schönen mehr, während ganz offenbar „Qualitäten wie gut gemacht, gelungen, brillant keine Unterarten der Schönheit“16 sind. Doch auch wenn es ästhetische Werte gibt, die nicht Unterarten der Schönheit sind, so ist es nichtsdestotrotz angemessen, „von der Schönheit als der ‚Königin‘ im Reich des Ästhetischen, als dem höchsten, dem ästhetischen Wert par excellence“17 zu sprechen. Die ästhetischen Werte, im Sinne der Schönheit, scheidet von HildebrandHildebrandDietrich von in die Bereiche der metaphysischen Schönheit und der Schönheit des Sicht- und Hörbaren. Letzteren Bereich unterteilt er wiederum in die Sinnenschönheit – die „Schönheit erster Potenz“ – und die geistige Schönheit – die „Schönheit zweiter Potenz“.18 Als metaphysische Schönheit gilt ihm schliesslich jene „Schönheit ausserhalb des Sichtbaren und Hörbaren […], die an geistigen Gebilden haftet, aber nicht direkt, sondern die eine Ausstrahlung anderer, diesen Gebilden primär zukommender Werte ist“19. Die ausgestrahlte Schönheit haftet also nicht an der PersonPerson als solcher, sondern die Person wird gleichsam transparent für die metaphysische Schönheit der sittlichen Werte.
Als technische oder Vollkommenheitswerte bezeichnet HildebrandHildebrandDietrich von des Weiteren einen starken WillenWillen, einen scharfen VerstandVerstand oder ein gutes GedächtnisGedächtnis. „Der Wille hat einen hohen ontologischen Wert, der gute Wille trägt einen qualitativen Wert – aber der energische, starke Wille ist Träger eines Vollkommenheitswertes.“20 Die WerteWerte dieser Familie beziehen sich auf das Ausmass der Perfektion eines ontologischen Wertes.
Von den Werten der drei genannten Familien, den ontologischen, den qualitativen und den Vollkommenheits- oder Perfektionswerten, sind die Gesamtwerte und die metaphysischen oder Sachverhaltswerte zu unterscheiden. Um Gesamtwerte handelt es sich da, wo verschiedene qualitative WerteWerte sich zu einem individuellen Gesamtwert zusammenschliessen.21 In der Familie der metaphysischen oder Sachverhaltswerte sind endlich jene beheimatet, die sich auf die reale ExistenzExistenz werttragender Güter beziehen. Wie ein Akt der GottesliebeGottesliebe „Träger des höchsten sittlichen Wertessittlicher Wert“ ist, so ist der SachverhaltSachverhalt, „dass von einem bestimmten Menschen ein Akt der Gottesliebe vollzogen wird, seinerseits Träger eines Wertes, der sich qualitativ von dem unterscheidet, der an der Gottesliebe selbst haftet. Dieser Sachverhaltswert ist kein sittlicher, sondern ein metaphysischer Wert.“22
Unbesehen der Anführung und der begrenzten Auseinanderlegung der verschiedenen WertfamilienWertfamilien bleibt zu beachten, dass es mehr Wertqualitäten gibt, „als wir Wertbegriffe haben und erst recht mehr Arten von Werten, als wir Namen dafür haben“23. Nur eine Familie oder Sphäre sei letztlich noch benannt, die für den weiteren Verlauf der Untersuchung von Bedeutung ist: die Sphäre der religiösen Wertereligiöse Werte. „Sie ist nicht nur die höchste Sphäre, sie ist auch die alles umfassende Sphäre.“24 Inwiefern es in der ReligionReligion um in sich Bedeutsames geht, erklärt sich alleine schon von da her, dass die Religion für das lebendige „Verhältnis des Menschen zu GottGott“25 steht, und Gott „der höchste Wert, der Inbegriff aller WerteInbegriff aller Werte“26 ist.27