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2 Dietrich von Hildebrands Kritik an Kants transzendentalem ImmanentismusImmanentismus und seine BegründungBegründung der TranszendenzTranszendenz in der ErkenntnisErkenntnis
ОглавлениеWie zentral das WissenWissen um das Transzendente den Menschen betrifft, hat nicht erst MaslowMaslowAbraham zur Sprache gebracht, der das TranszendierenTranszendieren zum höchsten BedürfnisBedürfnis des Menschen erklärte. Vor ihm hatte bereits Heinrich von KleistKleistHeinrich von sich in einem Brief – den Friedrich NietzscheNietzscheFriedrich zitiert – zu den existentiellen Folgen der Kantschen Skepsis geäussert.
Verzweiflung an der WahrheitWahrheit. Diese Gefahr begleitet jeden Denker, welcher von der Kantischen Philosophie aus seinen Weg nimmt, vorausgesetzt, daß er ein kräftiger und ganzer MenschMensch in Leiden und Begehren sei und nicht nur eine klappernde Denk- und Rechenmaschine. Nun wissen wir aber alle recht wohl, was es gerade mit dieser Voraussetzung für eine beschämende Bewandtnis hat, ja es scheint mir, als ob überhaupt nur bei den wenigsten Menschen KantKantImmanuel lebendig eingegriffen und Blut und Säfte umgestaltet habe. Zwar soll, wie man überall lesen kann, seit der Tat dieses stillen Gelehrten auf allen geistigen Gebieten eine Revolution ausgebrochen sein; aber ich kann es nicht glauben. Denn ich sehe es den Menschen nicht deutlich an, als welche vor allem selbst revolutioniert sein müssten, bevor irgendwelche ganze Gebiete es sein könnten. Sobald aber KantKantImmanuel anfangen sollte, eine populäre WirkungWirkung auszuüben, so werden wir diese in der FormForm eines zernagenden und zerbröckelnden SkeptizismusSkeptizismus und RelativismusRelativismus gewahr werden; und nur bei den tätigsten und edelsten Geistern, die es niemals im ZweifelZweifel ausgehalten haben, würde an seiner Stelle jene Erschütterung und Verzweiflung an aller Wahrheit eintreten, wie sie z.B. Heinrich von KleistKleistHeinrich von als Wirkung der Kantischen Philosophie erlebte. ‚Vor kurzem‘, schreibt er einmal in seiner ergreifenden Art, ‚wurde ich mit der Kantischen Philosophie bekannt – und dir muß ich jetzt daraus einen Gedanken mitteilen, indem ich nicht fürchten darf, dass er dich so tief, so schmerzhaft erschüttern wird als mich. – Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint. Ist’s das Letztere, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nichts mehr, und alles Bestreben ein Eigentum zu erwerben, das uns auch noch in das Grab folgt, ist vergeblich. – Wenn die Spitze dieses Gedankens dein Herz nicht trifft, so lächle nicht über einen andern, der sich tief in seinem heiligsten Innern davon verwundet fühlt. Mein einziges, mein höchstes ZielZiel ist gesunken, und ich habe keines mehr.‘ Ja, wann werden die Menschen wieder dergestalt Kleistisch-natürlich empfinden, wann lernen sie den SinnSinn einer Philosophie erst wieder an ihrem ‚heiligsten Innern‘ messen?1
NietzscheNietzscheFriedrich bezieht sich hier auf die populären Auswirkungen der Kantschen Philosophie: den zernagenden und zerbröckelnden SkeptizismusSkeptizismus und RelativismusRelativismus. Ihre Fortführung fanden sie in dem eingangs erwähnten BedürfnisBedürfnis nach TranszendenzTranszendenz sowie dem daraus resultierenden GefühlGefühl der SinnlosigkeitSinnlosigkeit.2 Auch von HildebrandHildebrandDietrich von spricht in einem Artikel aus den Jahren 1934/35 – Die Stellung der Wahrheitserkenntnis im Leben der Menschen – von den „tiefgehendsten Zersetzungserscheinungen“, die „die völlige Ignorierung der erhabenen grundlegenden Bedeutung der ErkenntnisErkenntnis der WahrheitWahrheit in sich und für den Menschen“ gezeigt habe.3 Um die folgenden Ausführungen, ja von Hildebrands Philosophie insgesamt im rechten Lichte sehen und verstehen zu können, sei gleich an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass von HildebrandHildebrandDietrich von ein Vertreter der sogenannten Korrespondenztheorie der WahrheitKorrespondenztheorie der Wahrheit ist, wie sie im WortWort von der adaequatio intellectus ad rem, der „Angleichung der VernunftVernunft an den Gegenstand“, klar zum Ausdruck kommt.4 Von da her lässt sich auch „der erhabene Eigenwert der Wahrheit“ verstehen, der darin liegt, „dass ein Seiendes so erfasst wird, wie es tatsächlich ist“.5 Zudem „stellt das ErkennenErkennen des Seienden die unersetzliche Voraussetzung für die wahre VollkommenheitVollkommenheit des Menschen dar“6.
Das Aufstellen einer Behauptung ist das Eine, sie zu begründen, das Andere. So ist man unweigerlich zur Frage gedrängt, wie von HildebrandHildebrandDietrich von – über die genannten Behauptungen hinaus – die folgende TheseThese zu begründen sucht: „Die Fähigkeit, das Seiende zu erkennen und verstehend zu durchdringen, die Welt und sich selbst gleichsam im ErkennenErkennen ‚zu besitzen‘, ist einer der tiefsten Wesenszüge der geistigen PersonPerson und unlösbar mit ihrem WesenWesen als Person verknüpft.“7 In wissenschaftlicher Weise hat von HildebrandHildebrandDietrich von die Korrespondenztheorie der WahrheitWahrheit ebenso wie die TranszendenzTranszendenz des Menschen in der ErkenntnisErkenntnis und das verstehende Durchdringen des Seienden in seiner epistemologischen Hauptschrift Was ist Philosophie? begründet. Dabei charakterisiert er das Erkennen als „intentionale Teilnahme am Seienden“8, als „transzendierende geistige Berührung“9, „die nur eine Veränderung im SubjektSubjekt und nicht im erkannten Objekt bedeutet“10. Eng damit verbunden, das Merkmal des empfangenden Aufnehmens. „Zum SinnSinn des Erkennens gehört, dass ein Gegenstand, so wie er ist, von der Person erfasst, verstanden, aufgenommen wird, dass er sich erschliesst, sich in seinem Sein vor unserem geistigen Auge enthüllt.“11
Dieses Empfangen steht jedoch keineswegs für ein rein passives Verhalten. „Jedes ErkennenErkennen hat auch eine aktive Komponente, die wir als ‚geistiges Mitgehen‘ mit dem Gegenstand und seiner Eigenart bezeichnen können.“12 Dabei denkt von HildebrandHildebrandDietrich von nicht primär an die die ErkenntnisErkenntnis vorbereitenden Akte, wie die Aufmerksamkeit oder die Zuwendung zum Gegenstand. Er denkt vielmehr an ein Element im Prozess des Erkennens selbst, an ein KonspirierenKonspirieren mit dem Gegenstand, das umso mehr in den Vordergrund tritt, je komplizierter und sinnhaltiger der Gegenstand ist: „Es ist gleichsam ein intentionales Nachvollziehen des Seinsgestus des Gegenstandes, der Vollzug des Verstehens, das volle, ausdrückliche geistige Aufnehmen des jetzt real gegebenen Gegenstandes.“13
Diese Merkmale finden sich nun nicht alleine beim philosophischen ErkennenErkennen; sie finden sich vielmehr überall da, wo immer „sich uns ein Gegenstand unmittelbar oder mittelbar in seinem SoseinSosein oder Dasein erschliesst“14. Dennoch hat das spezifisch philosophische Erkennen einige Merkmale, die es von allen anderen Erkenntnistypen unterscheiden. Zu ihnen gehören die ausdrückliche Thematizität des Erkennens, die pragmatische Einstellung, der systematische und der kritische Charakter. Mit anderen Worten: Das philosophische Erkennen strebt „eine möglichst vollständige, möglichst gewisse und möglichst genaue ErkenntnisErkenntnis“15 an. Dabei ist es frei von jeder Einengung auf das, was für einen praktischen ZweckZweck wichtig ist. Überdies ist das philosophische Erkennen „ausdrücklich von dem methodischen Prinzip durchsetzt, nur von wohlfundierten, womöglich evidenten Prämissen auszugehen und nur stringente Schlüsse zuzulassen“16. Schliesslich wird dem „WissenWissen von dem jeweiligen SachverhaltSachverhalt […] nur die GewissheitGewissheit zugebilligt, die der Gegebenheitsstufe oder der Stringenz seiner indirekten Erschliessung durch Schlussfolgerungen entspricht“17.
Zum Aufweis des Spektrums des Erkenntnisphänomens ist an dieser Stelle auch der Hinweis auf den wichtigen Unterschied zwischen KennenKennen und WissenWissen am Platz. Erstens bezieht sich das Wissen – ebenso wie das ErkennenErkennen – ausschliesslich auf Sachverhalte. Es wird beispielsweise in Sätzen ausgedrückt wie: Ich weiss, dass 2 + 2 = 4. Oder: Im Jahre 49 v. Chr. hat Cäsar den Rubikon überschritten. Nur TatsachenTatsachen oder Sachverhalte sind Gegenstände des Wissens. Das Kennen dagegen bezieht sich „auf alles mit Ausnahme der Sachverhalte“18, wobei das Kennen eines Menschen, eines Buches etc. mehr oder weniger vollständig sein kann. Was sich etwa an dem SatzSatz zeigt: Ich kenne Peter, und ich weiss, dass er aus Italien stammt. Beim Kennen des Peter gibt es „Grade der Intimität wie des Verstehens“, so kann ihn der Eine besser kennen als der Andere; das Wissen dagegen hat „einen linearen Charakter, d.h., es ist direkter und schärfer umrissen“.19 Entweder stammt Peter aus Italien oder er stammt nicht aus Italien, tertium non datur. In seiner Dissertation hat von HildebrandHildebrandDietrich von den kognitiven Unterschied so gefasst, dass es beim Kennen ein „Näher oder Ferner“ gibt, währenddem das Wissen „eine konstante, nie variierende Ferne als solche“ hat.20 Beim Wissen, dessen Gegenstände ausschliesslich Sachverhalte sind, gibt es keine Grade des Verstehens, sondern Grade der GewissheitGewissheit. Was hier unterschieden wird, geht realiter jedoch ständig ineinander, denn „[m]it jeder Stufe des Kennens geht das Wissen bestimmter, dem Gegenstand geltender Sachverhalte Hand in Hand.“21