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1 Der kosmologische GottesbeweisGottesbeweis und das apriorische ErkennenErkennen
ОглавлениеWährend Kants skeptisch-agnostische Erkenntnismethode den Zugang zur GotteserkenntnisGotteserkenntnis versperrt, begründet das apriorische ErkennenErkennen den Zutritt zur Welt der ObjektivitätObjektivität, bis hin zur „ErkenntnisErkenntnis der ExistenzExistenz Gottes“1. Die „höchste Stufe“ des philosophischen Erkennens „ist die EinsichtEinsicht in die Existenz des absoluten personalen Wesens, von dem alles Seiende geschaffen ist, das von allem Seienden abgebildet wird, auf das alles Seiende hingeordnet ist“.2 Wie von HildebrandHildebrandDietrich von wiederholt zum Ausdruck bringt, könne man GottGott „schon auf natürlicher Ebene mit absoluter GewissheitGewissheit erkennen“3, und zwar „auf Grund der GottesbeweiseGottesbeweise“4. Doch aufgrund welcher Gottesbeweise soll das zentralmetaphysische Problem der Existenz Gottes gelöst werden? In Anbetracht der Erkenntnismethode, die von HildebrandHildebrandDietrich von herausgearbeitet hat, ist man zu der Annahme gedrängt, er beziehe sich auf den sogenannten ontologischen Gottesbeweisontologischer Gottesbeweis. Denn nach diesem Gedankengang soll Gottes Existenz aus seinem SoseinSosein erkannt werden. Diese Annahme ist allerdings irrig, wie den folgenden Sätzen zu entnehmen ist: „Eine notwendige reale Existenz gibt es nur bei dem absolut Seienden, bei Gott. Und selbst da können wir sie nicht aus der Wesenheit Gottes allein erkennen.“5 Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wird sich jedoch erweisen, dass von HildebrandHildebrandDietrich von allen Grund gehabt hätte, das ontologische ArgumentArgument ausdrücklich als gültig zu betrachten. Nichtsdestotrotz vertritt er die Auffassung, dass „die höchste Frage jeglichen realen Existierens“ durch philosophische Erkenntnis beantwortet werden könne.6
Wie aber GottGott erkennen, da er „in unserer natürlichen Erfahrung nicht gegeben“7 ist? Die Möglichkeit, Gott auf philosophische Weise zu erkennen, sieht von HildebrandHildebrandDietrich von mit den traditionellen und klassischen Gottesbeweisen gegeben, vor allem den kosmologischen.8 „Kosmologisch“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine Gruppe von Argumenten, die nicht wie im Falle des ontologischen Arguments apriorisch vorgehen, sondern aposteriorisch, d.h. ihren Ausgang von Erfahrungen der KontingenzKontingenz nehmen. Traditionell und klassisch wiederum sind die bekannten fünf Wege (quinque viae) des Thomas von AquinThomas von Aquin zu nennen, mit denen er in punkto GottesbeweiseGottesbeweise die Antike und das Mittelalter zusammenfasste und einen Höhepunkt markierte.9 Um von Hildebrands Prinzipien zu verdeutlichen, sei in der Folge der dritte Weg (tertia via) erörtert, der sich alleine schon wegen den im letzten Abschnitt thematisierten Soseinseinheiten nahe legt.
Vorweg allerdings eine Bemerkung zur Begrifflichkeit. Unter welchen Voraussetzungen ist es angemessen, die Gedankenreihe bis zur ErkenntnisErkenntnis des Daseins Gottes einen BeweisBeweis zu nennen, und wann wird diese Gedankenreihe besser als ein ArgumentArgument bezeichnet? Nach der klassischen DefinitionDefinition des AristotelesAristoteles, ist ein Beweis eine SchlussfolgerungSchlussfolgerung aus notwendigen Prämissen (ἐξ ἀναγκαίων ἄρα συλλογισμός ἐστιν ἡ ἀπόδειξις10). Notwendig nennt er die Prämissen, weil man „erfassen [muss], aus welchen und wie beschaffenen Prämissen die Beweise hervorgehen“11. Denn da die WissenschaftWissenschaft sich darauf richtet, was „sich nicht anders verhalten kann, dürfte das aufgrund der beweisenden Wissenschaft Erkennbare notwendig sein“12. Eine Schlussfolgerung besteht dabei aus mehreren Urteilen und mindestens einem Folgerungsbegriff. Die Urteile, aus denen gefolgert wird, nennt man Prämissen, das UrteilUrteil, das aus den anderen gefolgert wird, KonklusionKonklusion. Und da die Urteile selbst wiederum aus Begriffen bestehen, enthält notwendig auch die Folgerung Begriffe. Nicht mehr und nicht weniger als drei Begriffe kommen darin vor: ein Ober-, ein Unter- und ein Mittelbegriff. Das Eigentliche der Folgerung ist der Mittelbegriff, der den Ober- und den Unterbegriff verbindet, so dass die Schlussfolgerung aus den Prämissen hervorgeht. Mit einem Beispiel: Alle Menschen sind sterblich (Oberbegriff), SokratesSokrates ist ein MenschMensch (Mittelbegriff), also ist Sokrates sterblich (Unterbegriff bzw. Konklusion). In einer gültigen deduktiven Schlussfolgerung (Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen) bewahrt die Konklusion die WahrheitWahrheit der Prämissen mit NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive auf.13 Von da her setzt der genuin philosophische Beweis voraus, dass die Prämissen in ihrer Wahrheit und die Gültigkeit der SchlussformGültigkeit der Schlussform erkannt werden.14 Auch ein Argument kann im Übrigen ein Beweis sein, es kann aber auch eine BegründungBegründung sein, die nicht auf evidenten Prämissen beruht und die Konklusion nicht mit GewissheitGewissheit erkennen lässt, sondern nur plausibel macht.15
Und weil dem BeweisBeweis nur wenige zustimmen, verliert er seinen Charakter echt objektiver ErkenntnisErkenntnis trotzdem nicht. Denn sobald die SchlussfolgerungSchlussfolgerung einen Bezug zum eigenen Leben hat, was in der ReligionReligion genauso der Fall ist wie in verschiedenen anderen Gegenstandsbereichen auch, die die eigene WeltanschauungWeltanschauung betreffen, setzt die Erlangung der EinsichtEinsicht eine sachlich angemessene Haltung voraus.16 Da diese Haltung aber frei eingenommen wird, kommt es verständlicherweise weder zu einer von jeder PersonPerson erlangten Erkenntnis noch zu einer allgemeinen ZustimmungZustimmung; OttoOttoRudolf MuckMuckOtto bezeichnete die so erlangte GewissheitGewissheit treffend als freie Gewissheit17.
Bei seinem Versuch, für das Dasein Gottes zu argumentieren, geht Thomas von AquinThomas von Aquin von dem Unterschied zwischen dem möglichen und dem notwendigen Sein aus. Seinen Ausgang nimmt er bei dem, „was dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist“, was ebenso gut sein wie nicht sein kann. Dazu gehören die oben genannten zufälligen und die morphischen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische. Nun kann aber nicht alles in den Bereich der Dinge fallen, die auch nicht sein können, „denn das, was möglicherweise nicht ist, ist irgendwann einmal auch tatsächlich nicht da oder nicht da gewesen“. Da das mögliche Sein aber eine offensichtliche und allgegenwärtige Realität ist, muss es einen Anfang genommen haben „durch etwas, was bereits ist“. Denn gab es überhaupt kein Sein, „dann war es auch unmöglich, dass etwas anfing zu sein, und so wäre auch heute noch nichts da“, was offenbar falsch ist. Also kann nicht alles dem Bereich der Dinge zugehören, die ebenso gut sein wie nicht sein können. Es muss etwas geben, das keine Möglichkeit hat, nicht zu sein, mit anderen Worten: das notwendig ist. „Alles notwendige Sein aber hat den Grund seiner NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive entweder in einem anderen oder nicht in einem anderen, sondern in sich selbst.“ Bei den oben behandelten notwendigen Soseinseinheiten oder Wesenheiten handelt es sich in diesem Sinne um Notwendigkeiten, die den Grund ihrer NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive in einem anderen haben. Aufgrund der Unmöglichkeit eines Regresses ins Unendliche, „müssen [wir] also ein Sein annehmen, das durch sich notwendig ist und das den Grund seiner NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive nicht in einem anderen Sein hat, das vielmehr selbst der Grund für die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive aller anderen notwendigen WesenWesen ist“. Dieses Sein aber, das den Grund seiner NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive in sich selbst hat, „wird von allen ‚GottGott‘ genannt“.18
Handelt es sich bei dieser ErkenntnisErkenntnis von Gottes realem Dasein nun um eine apriorische Erkenntnis? Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von differenziert: Zwar sei die ExistenzExistenz Gottes in sich absolut notwendig, doch sei ihre Erkenntnis nicht apriorisch, sie könne vielmehr „nur durch die Erkenntnis eines endlichen Seienden erkannt werden“19. Doch obwohl die Erkenntnis der Existenz Gottes quoad nos kontingentkontingent sei, sei die Erkenntnis trotzdem „nicht empirisch im gewöhnlichen SinnSinn des Wortes“20. Und zwar ist die Erkenntnis der Existenz Gottes darum nicht empirisch, weil sie nicht auf induktivem Weg erlangt wird. Den Ausgangspunkt bildet die RealkonstatierungRealkonstatierung irgendeines kontingenten Seienden. Der Rückschluss auf GottGott basiert sodann „auf dem Wesenszusammenhang, dass jedes endliche kontingent Seiende einer UrsacheUrsache für seine Existenz bedarf“21. Wie auch Thomas verstanden hat, „ist die Annahme einer unendlichen extramundanen Ursache unbedingt notwendig“22, denn jede Angabe einer endlichen Ursache würde das Problem nur verschieben und letztlich an der Unmöglichkeit eines regressus in infinitumregressus in infinitum scheitern.
In diesem SinnSinn ist der Schluss von einem kontingenten Seienden auf die ExistenzExistenz eines unendlichen Gottes eben gerade nicht induktiver NaturNatur, denn er geht nicht von möglichst vielen BeobachtungenBeobachtungen aus und erreicht auch nicht nur den Gewissheitsgrad höchster Wahrscheinlichkeit. „Er ist vielmehr lückenlos und stringent und steigt auf Grund eines apriorischen Wesenszusammenhanges zu der conclusio auf. So zeigt sich auch, inwiefern die ErkenntnisErkenntnis „nicht empirisch im gewöhnlichen Sinn des Wortes“23 ist. Empirisch ist nur die erste Prämisse der Realexistenz eines kontingenten Seienden. „Legt man in dieser Prämisse die Realexistenz des eigenen Selbst, das im cogito gegeben ist, zugrunde, so hat man sogar eine absolut gewisse RealkonstatierungRealkonstatierung, und die Erkenntnis des absolut Seienden erreicht dieselbe Erkenntnisdignität wie apriorische Sachverhalte“; diesen SatzSatz fasst er noch exakter, indem er beifügt: „wenigstens in Bezug auf die Gewissheitsstufe“.24
Bei den übrigen thomasischen Argumentationsgängen25 verhält es sich ebenso: nicht von aussen, sondern von innen her wird der SachverhaltSachverhalt der notwendigen ExistenzExistenz Gottes erkannt. Obzwar nicht apriorisch – im Sinne der absolut gewissen ErkenntnisErkenntnis des im WesenWesen Gottes gründenden Sachverhalts der notwendigen Existenz –, so dennoch aufgrund des apriorischen Wesenszusammenhangs, dass jedes endliche kontingentkontingent Seiende einer UrsacheUrsache für seine Existenz bedarf. Und damit von der Konstatierung eines endlich Seienden letztlich zu dessen unendlicher Ursache. Dabei, so von HildebrandHildebrandDietrich von, werde dieselbe Gewissheitsstufe erreicht wie bei der Erkenntnis apriorischer Sachverhalte.
Dass er sich des freien Beitrags der PersonPerson bewusst war, den die Erlangung dieser ErkenntnisErkenntnis bedingt, hat er in seinen Schriften wiederholt gezeigt. Was schliesslich das ArgumentArgument von der Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses betrifft, so reicht auch dieses nur in dem Masse hin, in dem die Person ihren freien Beitrag geleistet hat, denn im Sinne einer potentiellen UnendlichkeitUnendlichkeit ist der unendliche Regress ja keine Denkunmöglickeit.