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3.4 Die WerteWerte als Hinweis auf den Inbegriff aller WerteInbegriff aller Werte
ОглавлениеWas sodann die zweite Frage betrifft, die eingangs des letzten Kapitels gestellt wurde, nämlich, inwiefern die WerteWerte „ein Fingerzeig, ein Hinweis auf GottGott“1 seien, so ist der BegriffBegriff des Wertes an sich bereits „in unserer Gottesvorstellung enthalten“, denn eine „Gottesidee, die das unendlich vollkommene WesenWesen als absolut neutral auffassen würde, wäre so sinnlossinnlos und fürchterlich wie die Idee eines bösen Gottes“.2 Ein Hinweis auf Gott, in dem alle Werte eins sind,3 sind die Werte auf verschiedene Weise, je nach der Eigenart der jeweiligen Werte. Der Hauptunterschied besteht zwischen den ontischen und den qualitativen Werten. Bei den ontischen Werten spricht von HildebrandHildebrandDietrich von von einem AbbildenAbbilden, während er das Verhältnis zwischen Gott und den Werten im Falle der qualitativen Werte als eine BotschaftBotschaft bezeichnet, „die direkter ist und Tieferes verkündet als die von den ontischen Werten vermittelte“4. Das zeigt sich beispielsweise an der berühmten Neunten Symphonie von BeethovenBeethovenLudwig van. Ihre SchönheitSchönheit kündet von einer Welt über uns, „sie trägt unseren GeistGeist empor und erfüllt unser Herz mit der Sehnsucht nach einer höheren Welt“5.
Seine Aufnahmefähigkeit für das wahrhaft Schöne beweist von HildebrandHildebrandDietrich von auch mit seiner Abgrenzung der sublimen FormenschönheitFormenschönheit, die sich eindeutig über die Welt des Sinnenfälligen erhebt. Damit spricht er „ein Zentralproblem der ganzen Ästhetik“ an, „das Mysterium, das dem Sichtbaren und Hörbaren anvertraut ist, nämlich, nicht nur Träger der Sinnenschönheit, sondern einer sublimen geistigen SchönheitSchönheit sein zu können“.6 „So z.B. im Angesicht einer erhabenen Gebirgskette, gebadet in strahlendes Sonnenlicht: es ist nicht das, was wir unmittelbar sehen, an dem die Schönheit haftet, sondern der Gedanke an Gottes Schöpferkraft.“7 Der eigentliche Träger der Schönheit ist nicht das Sicht- und/oder Hörbare, die eigentliche Schönheit ist ein Geistiges. Zwar haftet die Schönheit unmittelbar am Sicht- und Hörbaren, doch ist sie nicht Ausdruck des Soseins der sicht- und hörbaren Gegenstände. Obwohl die körperlichen Dinge eine ontologische Schönheit besitzen, kann diese Schönheit die Formenschönheit nicht erklären. „Diese höhere Formenschönheit transzendiert in ihrer Qualität bei weitem die Sphäre dieser Gegenstände“8. Sie ist „der AbglanzAbglanz von etwas unvergleichlich Höherem“, die „kündet von GottGott“.9
Desgleichen versteht von HildebrandHildebrandDietrich von auch das Verhältnis zwischen GottGott und den sittlichen Werten nicht als ein blosses AbbildenAbbilden. Die sittlichen WerteWerte „strahlen Gott in unvergleichlicher Weise wider, sie sind wahrhaft sein direktester AbglanzAbglanz, seine unmittelbarste BotschaftBotschaft im natürlichen Bereich“10. Als Abglanz bezeichnet von HildebrandHildebrandDietrich von die Ausstrahlung, den Duft oder die Glorie der Werte.11 Allerdings nicht aller Werte, sondern nur der Werte qua geistiger Gebilde.12 Von den ontologischen Werten geht in diesem Sinne keine Ausstrahlung aus. Das Phänomen selbst bezeichnet von HildebrandHildebrandDietrich von als metaphysische SchönheitSchönheit,13 welche umso grösser ist, je höher der Wert, dessen Abglanz sie ist.
Mit dem Höher ist unweigerlich die Frage nach der Rangordnung der WerteWerte angesprochen, auf die von HildebrandHildebrandDietrich von wiederholt aufmerksam gemacht hat. Er spricht von der „in Gottes WesenWesen fundierten Rangordnung der WerteRangordnung der Werte“14, wonach es zum Wesen der echten Werte gehört, „dass es ein objektives Höher und Niedriger gibt“15. Er spricht auch davon, dass ein volles Verständnis eines gegebenen Wertes unmöglich ist, „ohne ein Erfassen seiner objektiven WerthöheWerthöhe“16. Die HierarchieHierarchie ist allerdings zu differenzieren. Zu unterscheiden ist einmal die Hierarchie, die innerhalb einer einzelnen Wertfamilie – z.B. der sittlichen oder der intellektuellen – besteht, eine Hierarchie, die die Urteile ermöglicht: „DemutDemut steht höher als Zuverlässigkeit, und geistige TiefeTiefe höher als Schärfe des Verstandes.“17 „Eine analoge Hierarchie der Werte besteht innerhalb der ontologischen Werte“18, so steht das personale Sein des Menschen höher als das apersonale Sein der Tiere, dieses wiederum höher als das Sein der Pflanzen, welches selbst wiederum der unbelebten MaterieMaterie übergeordnet ist.19 Nach einer anderen Gliederung thront über allem „GottGott und das Reich des Übernatürlichen“, während innerhalb des Natürlichen die Sphäre des Geistes und der geistigen PersonPerson an erster Stelle steht; untergeordnet erscheint das Reich des Vitalen und schliesslich das der reinen Materie.20
Von der HierarchieHierarchie innerhalb einer einzelnen Wertfamilie ist die Hierarchie der WertfamilienWertfamilien zu unterscheiden. „Diese letzte haben wir im Auge, wenn wir sagen, die sittlichen WerteWerte stehen höher als die intellektuellen. Dann vergleichen wir die einzelnen Bereiche und die Rangstufe ihrer jeweiligen Themen.“21 Was aber ist unter der „Rangstufe ihrer jeweiligen Themen“ zu verstehen? Um sich in der Beantwortung dieser Frage der Beispiele der Familien der sittlichen und der ästhetischen Werte zu bedienen, so ist das Thema der sittlichen Werte die sittliche Gutheit, währenddem dasjenige der ästhetischen Werte die SchönheitSchönheit ist, wobei die sittlichen den ästhetischen Werten deswegen übergeordnet sind, weil das Thema der sittlichen Gutheit demjenigen der Schönheit übergeordnet ist. Doch übergeordnet ist das Thema der sittlichen Werte nicht alleine dem der ästhetischen, sondern den Themen sämtlicher Wertfamilien und -gattungen, denn die sittlichen sind „die höchsten Werte […], in ihnen gipfelt die Herrlichkeit aller Werte“22.
Die Rangordnung der WerteWerte steht in dem SinnSinn in einem Wesenszusammenhang mit der EinfachheitEinfachheit, als ein Seiendes umso einfacher ist, je höher es steht.23 Dabei besagt „einfach“ jedoch alles andere als Sinnarmut oder Primitivität. Mit der Einfachheit – freilich in einem metaphysischen Sinne verstanden – verhält es sich vielmehr so, wie Maurice BlondelBlondelMaurice es einmal charakterisierte, dass nämlich das Sein umso mehr inneren Reichtum hat, je mehr es eins ist.24 Auch für von HildebrandHildebrandDietrich von bedeutet die Zunahme an Einfachheit insofern eine Zunahme, als „mit einem Einzigen ‚viel gesagt‘“25 ist. Beispielsweise ist die SeeleSeele so einfach, „dass bei ihr FormForm und MaterieMaterie nicht mehr unterschieden werden können“26. Auch bei den weiter oben besprochenen Erkenntnisarten – dem empirischen und dem apriorischen bzw. philosophischen ErkennenErkennen – hat sich etwas von dieser Einfachheit gezeigt. „So ist das philosophische Erkennen, das auf das Erfassen des Wesens des Seienden abzielt, – das ‚intima rei intus legere‘ – prinzipiell einfacher als das naturwissenschaftliche Erkennen, das ‚von aussen her‘ um das Seiende herumgeht, beobachtend und schliessend.“27 Während die NaturwissenschaftenNaturwissenschaften der Quantität bedürfen, indem sie von vielen BeobachtungenBeobachtungen auf das betreffende Arturteil schliessen, wobei sie im besten Fall den Gewissheitsgrad der HöchstwahrscheinlichkeitHöchstwahrscheinlichkeit erreichen, bedarf die Philosophie nicht des Vielerleis an Einzelbeobachtungen. Sie kann das SoseinSosein prinzipiell an einem einzigen Beispiel erfassen. Auch geht sie nicht wie die Naturwissenschaften in die Breite, ihre Dimension ist vielmehr die TiefeTiefe. Sie zielt „auf das Erfassen der EinheitEinheit des ganzen Kosmos“ und erreicht ihre Krönung im Vordringen „bis zu dem Urgrund des Seins, dem absolut einfachen, unendlichen Sein, in dem alle Fülle des Seins ‚per eminentiam‘ enthalten ist“.28 „Bei der absoluten Einfachheit Gottes gibt es nicht nur keinen Unterschied von Form und Materie mehr, sondern auch nicht mehr den von ExistenzExistenz und Essenz,29 Akt und Potenz – und doch ist GottGott die unendliche Fülle des Seins.“30
Schliesslich sind die WerteWerte auch noch in einer anderen Hinsicht „ein Fingerzeig, ein Hinweis auf GottGott“31. Nämlich insofern, als sie „eine in ihrer Wertnatur wesenhaft fundierte ‚virtus unitiva‘“32 besitzen. Zwar macht nicht die vereinigende Kraft den Wert zum Wert, doch gründet jede wirkliche Verbundenheit zwischen Personen letztlich auf einem Wert bzw. auf einem WertbereichWertbereich. Die vereinigende Kraft der Werte lässt sich allerdings weder beweisen noch formal ableiten. Auch die virtus unitiva der Wertevirtus unitiva der Werte lässt sich nicht von aussen her konstatieren oder an einem äusseren Aspekt ablesen. Der „Wesenszusammenhang von Wert und EinheitEinheit“ wird erst sichtbar bei der „Vertiefung in das WesenWesen des Wertes, in seine einzigartige in sich ruhende BedeutsamkeitBedeutsamkeit, in seine unreduzierbare materiale Wertnatur“.33 Die vereinigende Kraft der Werte wird auch an den Unwerten ersichtlich, die den Werten konträr gegenüberstehen. Wie beispielsweise dem Wert der LiebeLiebe eine vereinigende Kraft innewohnt, geht mit dem dem Wert der Liebe konträren UnwertUnwert des Hasses „eine trennende, entzweiende, isolierende Wirksamkeit“34 einher. Zweifelsohne liegen diesem UrteilUrteil Erfahrungen zugrunde, die zu machen möglich und von vielen Menschen wohl auch tatsächlich schon gemacht worden sind.
Nicht zuletzt zeigt sich auch hieran, inwiefern die WerteWerte ein Hinweis auf GottGott, auf den Inbegriff aller WerteInbegriff aller Werte sind. Die einzelnen Werte ebenso wie der Inbegriff aller Werte stehen offensichtlich in einem Verhältnis zum oben angesprochenen LebenssinnLebenssinn, welcher durch die Abwendung von den transzendenten Werten, die in vielen Fällen nach einer Realisierung verlangen, in eine SinnkriseSinnkrise umzuschlagen scheint. Bevor allerdings die Grundlage zu einer angemessenen Auseinandersetzung mit dem Lebenssinn des Menschen gelegt und die „für die Wesensbestimmung der Werte entscheidenden drei Bedeutsamkeitskategorien“35 dargelegt werden, wird erst die Frage erörtert, warum von HildebrandHildebrandDietrich von das ontologische ArgumentArgument eigentlich verworfen hat.