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Vorwort
ОглавлениеDas Werk Person und Religion. Eine Darstellung der Religionsphilosophie Dietrich von Hildebrands von Dr. Dr. Ciril Rütsche ist meines Wissens das erste über dieses Thema. In der Einleitung wird der Forschungsgegenstand nicht rein historisch als Darstellung der Religionsphilosophie Hildebrands und deren Hintergründe aus anderen Gebieten der Philosophie, sondern im Sinne eines echten „symphilosopheins,“ eines Mit-Philosophierens mit Hildebrand, bestimmt. So etwa schreibt der Autor gleich zu Beginn der Einleitung:
Da die absolute Wahrheit in von Hildebrands Weltanschauung einen archimedischen Punkt einnahm und er ihre Erkennbarkeit auch zu begründen wusste, wird in dieser Arbeit zugesehen, ob und wenn ja, inwiefern die Religion Gegenstand philosophischen Erkennens ist und damit als vernünftig erwiesen werden kann.“ Oder, etwas später in der Einleitung; „Bietet die Relation zwischen Mensch und Gott die epistemologische Möglichkeit, gewisse Züge mit absoluter Gewissheit erkennen zu können? Das muss sich erweisen … Wobei dies freilich, wie bereits an dieser Stelle festgehalten werden kann, in erster Linie davon abhängt, ob der Mensch die objektive Wahrheit erkennen und sich und seine Welt transzendieren kann, wie auch, ob Gottes objektive Existenz sich überhaupt begründen lässt.
Und wiederum, noch deutlicher:
Das Forschungsziel besteht in diesem Rahmen schliesslich im Aufweis der Religion als einem Dialog zwischen Mensch und Gott. Kann von diesem Dialog erwartet werden, dass er die entscheidenden Fragen des Menschen zu beantworten, sein Bedürfnis nach Transzendenz zu befriedigen und sein Leben sinnvoll zu gestalten vermag? Um diese Frage beantworten zu können, ist es angezeigt, dass in einem ersten Schritt die Möglichkeit der Erlangung transzendenter Erkenntnisse begründet wird. Eine Aufgabe, die in wesentlichen Stücken in der Überwindung des Immanentismus und Subjektivismus Kantscher Prägung besteht, wobei auch der Erfahrung Rechnung zu tragen sein wird (vgl. Abschnitt I). Im Anschluss sei geprüft, wie es um die Erkenntnis Gottes und die dagegen erhobenen Einwände bestellt ist (vgl. Abschnitt II), um sodann das Wesen und die Gottfähigkeit des Menschen zu besprechen (Abschnitt III), sie daraufhin als mit Leben gefüllte Realität zu untersuchen und schliesslich die religiösen Aussagen und Überzeugungen betreffend den Zustand nach dem irdischen Tod kognitiv zu deuten und auf ihre Vernünftigkeit hin zu erörtern (Abschnitt IV). Was alles, wie gesagt, auf der Grundlage der philosophischen Einsichten Dietrich von Hildebrands unternommen wird. In die Diskussion werden dabei solch namhafte Denker einbezogen wie Thomas von Aquin, Immanuel Kant, Ludwig Feuerbach, Friedrich Nietzsche oder Max Scheler, um hier nur einige zu nennen.
Nach einer Darstellung der Grundzüge der „realistischen Phänomenologie“ und ihrer Loslösung von Husserls 1913 vollzogenen transzendentalen Wende und der Absichtserklärung des Autors, auf dem methodologischen Fundament der realistischen Phänomenologie im Sinne Hildebrands die systematischen, von ihm aufgeworfenen Fragen zu behandeln, bestimmt Rütsche den näheren Gegenstand seiner Arbeit noch einmal in einem doppelten, historischen und systematischen Sinn:
1 Er will die Forschungslücke schließen, die auf dem Gebiet der Erforschung der Religionsphilosophie Hildebrands besteht. Diese wurde von Hildebrand selber nie in der Religionsphilosophie gewidmeten systematischen Publikationen, sondern nur in verschiedenen handgeschriebenen Vorlesungsmanuskripten aus dem Nachlass relativ systematisch dargestellt.
2 Zugleich will er jedoch Hildebrands sich vom Autor selber weitgehend zu eigen gemachte Philosophie auf eine Kritik der Religionskritik anwenden: „Ausstehend ist auch eine unterscheidende Inblicknahme der gegenwärtig gleichsam in der Luft liegenden Kritiken an der Religion im Lichte der philosophischen Beiträge von Hildebrands. Zur Behebung dieser und weiterer Mängel will die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten.“
Der erste Abschnitt, „Das Wissen um das Transzendente“, behandelt den allgemeinen phänomenologischen Realismus Hildebrands, der dessen Erkenntnistheorie kennzeichnet, die von Dietrich von Hildebrand selber in seinen Schriften Der Sinn philosophischen Fragens und Erkennens, What is Philosophy?, aber auch in den Prolegomena zu Ethik, zu Das Wesen der Liebe, sowie in „Das Cogito und die Erkenntnis der realen Welt“ und anderen Werken ausführlich dargelegt wurde.
Rütsche faßt die Hauptinhalte der Erkenntnistheorie Hildebrands nicht nur sehr treffend zusammen, sondern stellt ihren Grundriß, wiederum im Sinne eines Mit-Philosophierens, synthetisch, aber sehr präzise dar. Im Mittelpunkt von Rütsches sehr gründlicher Darstellung der Kritik Hildebrands am Erfahrungsbegriff Humes und Kants und seiner Begründung eines philosophischen Realismus steht die Frage, wie – auf Grund der Hildebrand’schen Unterscheidung dreier verschiedener Arten von Wesenheiten – eine Einsicht in das transzendente Fundament synthetischer Urteile a priori möglich ist. Rütsche teilt die der Kantischen konträre Position Hildebrands, daß die sogenannte „Erkenntnis a priori“ in dem Geist transzendenten notwendigen Wesenheiten, die dem erkennenden Subjekt zugänglich sind, den Grund ihrer Möglichkeit besitzt, nicht in subjektiven Strukturen oder Denknotwendigkeiten des Subjekts. Damit ereignet sich bei Hildebrand eine radikale und scharsinnig rational durchdachte Abkehr von dem Subjektivismus der Kantischen, Hume’schen, sowie dem Großteil nachfolgender Philosophien.
Auch die an Hildebrands Darlegung des realistisch verstandenen Cogito-Arguments1 anschließenden Darlegungen des Autors zu einer dem erkennenden Subjekt transzendent existierenden realen Welt – der eigenen Person, der „Außenwelt“ und anderer Personen – nehmen in diesem Abschnitt der Arbeit Rütsches eine wichtige Rolle ein.
Der zweite Abschnitt, „Die Erkenntnis Gottes“, faßt die von Hildebrand nirgends gesamtheitlich dargelegten Beiträge zusammen, die in verschiedensten Werken verstreut vorliegen, nun aber von Rütsche in ihrer systematischen Einheit dargestellt und in einen Dialog mit verschiedenen Formen des Atheismus und der Religionskritik im 19. Und 20. Jahrhundert von Feuerbach bis Richard Dawkins gebracht werden.
Dabei erörtert Rütsche im Kontext der in Hildebrands Philosophie steckenden Schlüssel zu Widerlegung des dem „neuen Atheismus“ zugrundeliegenden radikalen Materialismus auch wesentliche Analysen Hildebrands zur philosophischen Anthropologie und entwickelt insbesondere seine Einsichten in die Geistigkeit der Person und der menschlichen Seele, sowie seine Kritik des Materialismus, noch weiter als sie von Hildebrand selber formuliert wurden. Er betont die besondere Rolle der Werte und ihrer „Frohen Botschaft“, die Hildebrand mehr als Hinweise auf Gottes Existenz, denn als Beweise auffaßt. Rütsche versucht nachzuweisen, wie auf dem Boden der auf Anselm und Duns Scotus entwickelten Lehre der „reinen Vollkommenheiten“ Hildebrands philosophische Theologie echte Gottesbeweise hätte bieten können und auch dem ontologischen Gottesbeweis hätte zustimmen müssen, und wie dieser sich gleichsam logisch aus Hildebrands Position ergibt, obwohl Hildebrand selber ihn in seinen Schriften abgelehnt hat.2
Im dritten Abschnitt, „Der Mensch und sein Angelegtsein auf die Religion in Denken, Fühlen und Wollen“ behandelt Rütsche zunächst den metaphysischen Personalismus Hildebrands, der auf der „unübersteigbaren Vollkommenheit des Personseins“ beruht. Dabei ergänzt Rütsche Hildebrand durch die von Anselm und Scotus entwickelte Lehre der reinen Vollkommenheiten und deren Weiterentwicklung in der nachhildebrand’schen realistischen und metaphysischen Phänomenologie und überwindet einige Einwände gegen den Charakter des Personseins als unübertreffliche Vollkommenheit. Diese erkennen zu können stellt die Bedingung für die Wahrheit der These Hildebrands über Gott als absolute Person und für die christliche trinitarische Gotteslehre dar.
Um die Beziehung der menschlichen Person zu Gott, um die es in diesem Abschnitt geht, darzustellen, geht Rütsche ausführlich auf Hildebrands ethische Grundthese der „Wertantwort“ als Rückgrat des moralischen Lebens der Person ein. Deren Anwendung auf die Religionsphilosophie führt dazu, in erster Linie nicht von einem menschlichen Religionsbedürfnis zu sprechen, wie dies viele immanentistische Religionspsychologien und Religionsphilosophien tun, sondern den tiefsten religiösen Akt der Gottesliebe, der Anbetung und des Lobpreises Gottes als Antwort des Menschen auf Gott um seiner selbst willen zu sehen, weil Gott Liebe und Lobpreis gebühren.3 Nur in der Hingabe an das in sich Wertvolle und an Gott als dessen Inbegriff um seiner selbst willen kann es auch zum wahren Glück und der höchsten Selbstverwirklichung der menschlichen Person kommen.
In seiner Analyse des Wesens der Person stützt Rütsche sich im Sinne einer echten Aneignung der philosophischen Einsichten Hildebrands insbesondere auf dessen ethische Untersuchungen und seine sehr originellen und wesentlichen, wenn nicht revolutionären, Beiträge zum „Herzen“ als Sitz menschlicher Affektivität und als drittes, dem Intellekt und Willen nicht unterlegenes, geistiges Zentrum der Person.
Der vierte Abschnitt, „Die lebendige Verbindung des Menschen mit Gott“, erörtert ein weites Spektrum der Beiträge Hildebrands zur Religionsphilosophie und zur Erkenntnis des Wesens verschiedener religiöser Akte und Haltungen wie der Demut, der Reue, der Gottes- und Nächstenliebe, und insbesondere der Hildebrand’schen These, daß wir in der Caritas und anderen christlichen Tugenden eine zutiefst neue moralische Vollkommenheit finden, welche die Tugenden, die nicht auf die von der Christlichen Offenbarung offenbarte Schau Gottes und des Menschen antworten, überragen. Diese Haltungen und Tugenden werden zwar vom Glauben an die Mysterien der christlichen Religion motiviert, besitzen jedoch echte, philosophischer Einsicht zugängliche Wesenheiten, welche es auch einem Nichtchristen, wie Bergson, erlaubten, eine überlegene moralische Qualität und Sublimität der christlichen Mystiker und Heiligen anzuerkennen.4 Diese sich an einige Analysen Schelers anlehnenden, aber nach Umfang und Qualität weit über dieselben hinausgehenden Untersuchungen Hildebrands ermöglichen es dem Christen, eine innige Verbindung zwischen seiner Vernunft und seinem Glauben wahrzunehmen.
Ein Schlußteil faßt die wesentlichsten Ergebnisse der Arbeit zusammen.
Dem Autor gelingt eine sehr gute und umfassende Darstellung verschiedener Grundinhalte der Philosophie Hildebrands und deren Anwendung auf die Religionsphilosophie, sowohl auf die philosophische Gotteserkenntnis als auch auf die Erforschung der Beziehung des Menschen zu Gott. Das Werk Rütsches holt so weit aus, und behandelt so viele erkenntnistheoretische, ethische, anthropologische, ästhetische und andere Aspekte der Philosophie Hildebrands, daß man es geradezu als eine Summa Philosophiae Hildebrandianae bezeichnen darf.
Als besonderes Verdienst des Buches erweist sich der Nachweis der inneren notwendigen Zusammengehörigkeit der erkenntnistheoretischen, anthropologischen und ethischen Beiträge Hildebrands, die erst die Personhaftigkeit Gottes, und damit das Fundament der göttlichen Akte gegenüber dem Menschen (aus christlicher Sicht Inkarnation, Erlösung, Auferstehung, Gericht) und der Antwort des Menschen auf Gott aufklären können. Zugleich ist eine so weit ausholende Studie Rütsches notwendig, um Hildebrands transzendente Interpretation der religiösen Akte des Menschen als Antwort auf Gott um seiner selbst willen verständlich zu machen.
Das ganze Werk zeichnet sich insbesondere durch seinen echt philosophischen Gehalt aus und ist weit entfernt von einer bloßen Wiedergabe der Gedanken eines anderen Autors. Damit bricht die Arbeit die in modernen akademischen Kreisen herrschende Unsitte, die Philosophie weitgehend bloß historisch abzuhandeln oder sie als wenig mehr als eine Analyse der Sprache zu betreiben, ohne die Sachen selbst, um die es geht, zu erforschen.
Die außerordentlich gründliche und sachlich korrekte Darstellung der Religionsphilosophie Hildebrands und deren erkenntnistheoretischer, ethischer und anthropologischer Fundamente besticht insbesondere dadurch, daß sie, unter Berücksichtigung des gesamten umfangreichen und einschlägigen publizierten Werkes Hildebrands auf vier Gebieten der Philosophie, die ethischen Hintergründe von Hildebrands Religionsphilosophie einbezieht.
Die gründliche Berücksichtigung und sorgfältige Zitierung verschiedener Texte aus den 503 Mappen unveröffentlichter und (nicht leicht lesbarer) überwiegend handgeschriebener deutscher und englischer Schriften, die sich im Nachlaß Hildebrands befinden, erhöht den Wert des vorliegenden Werkes ebenso wie die gründliche Berücksichtigung einschlägiger Teile der Sekundärliteratur über Hildebrand.
So schließt Rütsche eine wesentliche Forschungslücke durch synthetische und systematische Darstellung eines Teiles der Philosophie Hildebrands, der hauptsächlich nur in Nachlaßschriften (insbesondere Vorlesungen über Religionsphilosophie) vorliegt und der hier zum ersten Mal zusammenhängend dargelegt wird.
Weitere Vorzüge des Werkes sind eine gelungene Verbindung historischer und systematischer Analysen im geschilderten symphilosophein mit Hildebrand selbst, sowie ihr in der angegebenen freundlich-kritischen Weise über Hildebrands Beiträge Hinausweisen.
Ihre gute Gliederung und ausgezeichnete, hilfreiche Zusammenfassungen jedes Abschnittes machen das Werk auch als Lehrbuch höchst geeignet.
Prof. Dr. Dr. h.c. Josef Seifert