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Sie fragte sich, woher die Reporter ihre Adresse hatten. Schon seit dem frühen Morgen klingelte ein besonders aggressiver Schmierfink. Da sie nicht öffnete, versuchte er es bei den Nachbarn. Frau Kasulke schien nicht da zu sein, die anderen waren bei der Arbeit. Dennoch war es dem Kerl gelungen, bis zu Lenas Wohnungstür vorzudringen. Sie hatte den Fehler begangen, die Tür zu öffnen, um ihn mit klaren Worten zusammenzufalten. Doch gleich merkte sie, dass das dumm gewesen war. Er hob eine Kamera, bereit loszuknipsen. Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Sie hätte wie eine Furie ausgesehen auf den Bildern. Passend zu dem, was man über sie schrieb.

Sie hatte durch die geschlossene Tür hindurch mit der Polizei gedroht und die Klingel ausgestellt. Seither herrschte Ruhe.

»Reden Sie mit niemandem!«, hatte der Leiter des Rechtsamtes ihr kurz darauf am Telefon gesagt, bevor sie auch das ausgestellt hatte. Vorsichtshalber. »Die ganze Angelegenheit betrifft, falls überhaupt, zunächst die Kreisverwaltung, nicht Sie als Mitarbeiterin.« Er redete denselben Stuss wie Sieglinde, der Leiß oder die Maibaum. Wenn es jemanden betraf, dann doch sie! Oder wie war das zu verstehen, dass immer mehr Details über sie an die Öffentlichkeit gelangten? Ein Foto! Der Hinweis, dass sie lesbisch war, gezielt als Wortwaffe eingesetzt. Wie die Reporter überhaupt ihren Namen erfahren hatten, war dem obersten Juristen der Kreisverwaltung genauso ein Rätsel wie ihr.

»Wir prüfen das«, versicherte er ihr. Sie fragte sich, wie lange das wohl dauern würde. Als gälten für eine Behörde die Gesetze viraler Beiträge im Internet nicht. Irgendwann wäre die Lawine aus Unwahrheiten, Unterstellungen und Vermutungen so groß, dass sie überhaupt nicht mehr zu stoppen war.

Nun stand sie am Fenster und blickte zur Straße hinunter. Vor dem Haus war niemand mehr zu sehen. Es war bereits Nachmittag, sie hatte noch keinen Fuß nach draußen gesetzt. Die ganze Angelegenheit drohte, ihr über den Kopf zu wachsen. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, klappte den Laptop auf und loggte sich ein. Seit gestern versuchte sie, das, was sie bei dem Telefonat gehört und von den Buckpeschs erfahren hatte, in irgendeinen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Erneut gab sie die Worte »Azul« und »Mallorca« ein, was zu einer atemberaubenden Menge an Einträgen führte, die sie alle nicht weiterbrachten. Doch wenn sie gar nichts tat, würde sie verrückt werden. Nachdem sie sich zum x-ten Mal durch die Suchergebnisse geklickt hatte, versuchte sie es mit dem Stichwort »Menorca«. Auch hier war alles Mögliche dabei. Was konnte Angelika Kiewitz gemeint haben?

Ein Piepton verkündete, dass jemand sie anskypte. Tamae war es, ihre ehemalige Geliebte. In Neuseeland hatten sie beide beschlossen, ihre Beziehung, die im Grunde ein jahrelanges lockeres Verhältnis gewesen war, zu beenden. Als Freundinnen verstanden sie sich nun womöglich besser als jemals zuvor.

Die Japanerin hatte heute ihre übliche, fast schon kühl zu nennende, pragmatische Art abgelegt, sie schien völlig von der Rolle. Auch sie hatte die Schlagzeilen gelesen.

»Was ist da los? Wie kommen die dazu, dir derartig nahe zu treten?«, wollte sie wissen. Lena schilderte ihr, was gerade ablief. Die Japanerin schüttelte dabei mehrmals unwillig den Kopf. »Du brauchst einen Rechtsanwalt, der der Presse Einhalt gebietet!«, fand sie.

Vermutlich hatte sie recht. Doch inzwischen hatte die ganze Geschichte das Internet erreicht, was noch viel schlimmer war.

»Gib mir mal die Informationen aus dem Gespräch«, forderte Tamae Lena nun auf. »Vielleicht finde ich etwas heraus.«

Lena gab ihr, was sie wollte. Tamae war wesentlich besser als Lena darin, Informationen aus den Tiefen des www hervorzuholen.

»Ich melde mich«, verabschiedete sie sich knapp.

Seufzend klappte Lena ihren Laptop zu. Ob sie es wagen konnte, ein paar Schritte an die frische Luft zu gehen? Sie schlüpfte in Sportschuhe, warf sich eine Jacke über. Als sie ihren Wagen gestartet hatte, änderte sie ihre Meinung. Statt zum nahe gelegenen Maunzenweiher, wie ursprünglich geplant, fuhr sie nach Dietzenbach.

Man hatte ihr untersagt, Kollegen und Kolleginnen anzusprechen. Man hatte denen untersagt, mit ihr zu sprechen. Aber eine Person kannte sie, die sie als integer kennengelernt hatte. Der sie zutraute, Marianne Maibaums Verbot zu umgehen. Die würde sie fragen. Mehr als Nein sagen konnte diejenige nicht.

Leise Wut

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