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Toby. Endlich wusste sie, mit wem sie gesprochen hatte. Es war vier Uhr früh, Sonntag. Sie hatte den restlichen Samstag komplett verschlafen.

Jetzt fühlte sie sich ausgeruht. Einen Moment lang blieb sie dennoch liegen. Ihr war kühl und das lag nicht an der frischen Morgenluft, die zum gekippten Fenster hereindrang.

Er hat sich nicht gemeldet.

Sie schüttelte den Gedanken ab, kehrte zu dem zurück, was ihr im Halbschlaf eingefallen war.

Toby. Tobias Kiewitz. Vier Jahre. Seine Mutter musste die Frau am Telefon gewesen sein. Angelika Kiewitz, alleinerziehend. Bezog seit Jahren Hartz IV. Lena hatte die kleine Familie betreut, als sie noch beim Jugendamt war. Seit ihrem Wechsel in eine Querschnittsabteilung war sie nicht mehr für sie zuständig. Trotzdem hatte die Frau sie angerufen.

Lena stand auf, duschte ausgiebig, kochte Kaffee und checkte ihr Handy. Frau Kiewitz hatte sich nicht mehr gemeldet. Sie würde frühestens morgen früh, wenn sie im Amt war, die Akte mit der Telefonnummer raussuchen können. Einen Moment überlegte sie. Vielleicht gab es ja noch einen Festnetzanschluss? Sie rief online das Dietzenbacher Telefonbuch auf und sah nach. Kein Eintrag. Verärgert warf sie ihr Handy auf den Tisch.

Etwas in der Stimme der Frau hatte sie alarmiert.

Es war inzwischen halb sechs. Viel zu früh, um jemandem einen Besuch abzustatten. Lena hockte sich mit ihrer Kaffeetasse in der Hand auf die Couch und kramte in ihrem Gedächtnis. Was wusste sie sonst noch über die Kiewitz? Tobys Vater war offiziell unbekannt. Angelikas Beziehungen hielten meist nicht lange. Gelegentlich stürzte sie total ab, jedes Mal spielte Alkohol dabei eine Rolle. Bei Lenas letzten Besuchen war jedoch deutlich geworden, dass die noch recht junge Frau versuchte, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Sie war trocken, hielt die Wohnung in Ordnung und Toby hatte keinerlei Anzeichen von Verwahrlosung gezeigt. Lena dachte nach. Welche Kollegin war jetzt zuständig? Sieglinde Brohm, die Abteilungsleiterin, hatte die Fälle nach Lenas Versetzung neu verteilt, aber auch sie würde Lena erst am Montag fragen können.

Unruhig stand sie auf, lief durch die Wohnung. Ihr Blick blieb an dem Stapel Post hängen, den die Kasulke ihr gebracht hatte. Inmitten von Rechnungen und Werbung fand sie eine Ansichtskarte, die das Foto eines Feuersalamanders zeigte. Auf der Rückseite hatte jemand in ungelenken Großbuchstaben die Worte »Lena« und »Samantha« geschrieben, dazwischen war ein Herz gemalt. In der Erwachsenenschrift, mit der die Karte auch adressiert worden war, war hinzugefügt: »Liebe Frau Borowski. Uns allen geht es gut, Samantha fragt oft nach Ihnen. Kommen Sie uns mal wieder besuchen? Herzliche Grüße, B. Treutle.« Tatsächlich war es eine Weile her, seit Lena die kleine Samantha in ihrer neuen schwäbischen Heimat besucht hatte. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, wie verwahrlost das Mädchen bei ihrer ersten Begegnung gewesen war, zog sich ihr Herz zusammen. Inzwischen hatten sich Samanthas Lebensumstände radikal verbessert. Jetzt ging es dem Mädchen bei ihren Adoptiveltern, einem liebevollen Ehepaar, gut. Sie lebte mit den Treutles und Max, einem anderen Adoptivkind der Familie, in einem Einfamilienhaus mit großem Garten in einer ruhigen Kleinstadt. Ein Umstand, den sie einem Deal verdankte, den Lena damals eingefädelt hatte. Gegen etliche Widerstände. Aber das war egal. Das Ergebnis zählte.

Sie nahm die Karte mit ins Wohnzimmer, um sie ins Bücherregal zu stellen. Der Feuersalamander gab ein gutes Bild ab.

Noch immer war es zu früh, um nach Dietzenbach zu fahren. Wo hatte Frau Kiewitz gewohnt? In einem der Hochhäuser, aber die genaue Anschrift wusste Lena aus dem Gedächtnis nicht. Zu viele Klienten, es war unmöglich, sich alles zu merken. Sie würde vor Ort nachsehen. Zuständigkeit hin oder her.

Leise Wut

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