Читать книгу Vom blauen Dunst zum frischen Wind - Cornelie C Schweizer - Страница 24
2.7.2Physiologische Aspekte der Nikotinsucht und des Nikotinentzugs
ОглавлениеIn diesem Abschnitt sollen die physiologischen Aspekte im Zusammenhang mit Nikotinsucht und -entzug kurz umrissen werden.
Über die physiologischen Mechanismen im Zusammenhang mit der Nikotinabhängigkeit ist bekannt, dass Nikotin an den AcetylcholinRezeptoren andockt. Es erregt dabei wie ACh Rezeptoren des Parasympatikus, wobei zwischen nikotinergen und muskarinergen Rezeptoren (N- bzw. M-Rezeptoren) und deren Wirkungen unterschieden wird. Das Nikotin ist jedoch »wirksamer als das ACh, weil die Verbindung mit dem Rezeptor stärker ist und länger anhält« (Ashton a. Stepney 1983).
Über die nikotinergen Rezeptoren führt Nikotin in geringen Dosen durch Stimulation sympathischer Ganglien zur Steigerung der Herzfrequenz und leichter Blutdruckerhöhung, Emotionen werden gedämpft und das Konzentrationsvermögen gesteigert. Umgekehrt kann Nikotin – höher dosiert – durch eine Blockade der sympathischen Ganglien bzw. durch Erregung der parasympathischen Ganglien die Herzfrequenz verlangsamen.
Die Wirkung des Nikotins ist mehrfach in Selbstmedikamentationsversuchen an Affen und Ratten untersucht worden. Aus diesen Tierversuchen könnte abgeleitet werden, dass es die Gedächtnisleistung fördert und aggressives Verhalten vermindert (Jaffe 1985). Außerdem zeigte sich, dass geringe Dosen motorisch stimulierend wirken, sodass Nikotin als Psychostimulans einzuordnen ist. Diese lokomotorisch erregenden Effekte kommen über eine verstärkte Dopaminfreisetzung aus dem Nucleus accumbens im hinteren Teil des mesolimbischen Systems zustande. Dieselben Reaktionen im Zusammenhang mit Dopamin sind bei der Gabe von Amphetamin und Kokain zu beobachten, vermutlich ist der zugrunde liegende Mechanismus identisch. Zusätzlich stimuliert Nikotin die Freisetzung von Noradrenalin aus Anteilen des ventralen Hippocampus.
In den zerebralen Strukturen von Rauchern findet sich eine höhere Dichte von Nikotinrezeptoren als bei Nichtrauchern, wobei die zusätzlichen Rezeptoren vorwiegend im Hippocampus, Gyrus rectus und im zerebellären Kortex gebildet werden. Besonders angereichert sind diese Rezeptoren im (bereits im Zusammenhang mit den lokomotorischen Effekten erwähnten) Nucleus accumbens. Dort ist auch das vom Dopamin regulierte Belohnungssystem lokalisiert.
Da im Tierversuch Dopamin durch Nikotingaben freigesetzt wird, kann angenommen werden, dass dieser Kern für die Entwicklung der Abhängigkeit bedeutsam ist. Er bewirkt das bekannte Glücks- und Entspannungsgefühl beim Genuss, wobei die Gefühlsqualität vom anfänglichen »Lieben« der Zigarette schnell ins unbedingte Verlangen danach umschlägt. Bei stark abhängigen Rauchern sind jedoch noch zahlreiche weitere Gehirnregionen (Hippocampus, Neokortex, Gyrus rectus, Kleinhirnrinde, mittlere Raphe) involviert. »Chronische Nikotininfusionen führen zur verstärkten Bildung von Nikotinrezeptoren, doch vermutlich auch zu einer Abnahme der Gesamtzahl der Rezeptoren, die tatsächlich arbeiten« (Krogh 1993, S. 101 f). Die Rezeptoren werden also durch die lang anhaltende Nikotinwirkung desensibilisiert.
Die Stärke der Nikotinabhängigkeit steht unter Umständen im Zusammenhang mit den vermehrt gebildeten Nikotinrezeptoren, wahrscheinlich wird das überschüssige Nikotin an desensibilisierte oder inaktivierte Sensoren gebunden.
Als weitere Wirkung des Nikotins ist aus postmortalen Studien an menschlichen Gehirnen bekannt, dass starkes Rauchen zu einer Abnahme der 5-HT-Konzentration im Hippocampus führt. Da Angstreize beim Menschen zu einer vermehrten 5-HT-Freisetzung führen und Anxiolytika diese unterdrücken, könnte dies die anxiolytische Wirkung von Nikotin erklären.
Auch die von Rauchern empfundene Stressreduktion durch das Rauchen sowie die Neuropathologie der Depression scheint mit der 5-HT-Freisetzung in Zusammenhang zu stehen. Depressive Patienten rauchen häufiger, was auf eine antidepressive Wirkung des Rauchens schließen lässt. Umgekehrt scheinen einige Antidepressiva in der Raucherentwöhnung brauchbar zu sein.
Die folgende Abbildung stellt diese Zusammenhänge schematisch dar:
Abb. 3: Darstellung der für die Ausbildung der Abhängigkeitsreaktionen verantwortlichen Hirnareale und der Angriffspunkte von Nikotin am mesolimbischen dopaminergen System (aus: Tabakabhängigkeit, Haustein, K.-O. u. Groneberg, D. [2008] Kap. 4, S. 93, Abb. 4.10, Springer Verlag Berlin Heidelberg. Orginalcopyright (2001) Deutscher Ärtzteverlag, Köln. Mit freundlicher Genehmigung von Springer Science and Business Media.)
Neuerdings werden auch genetische Aspekte im Zusammenhang mit der Nikotinsucht diskutiert. In einer Studie an 2.680 Zwillingspaaren sowie 543 einzelnen Zwillingen wurden Persönlichkeitsfaktoren und Rauchverhalten verglichen. Es zeigte sich, dass die Zusammenhänge bei monozygoten Zwillingen stärker ausgeprägt waren als bei dizygoten Paaren (Heath et al. 1995). Allerdings beziehen sich diese Ergebnisse nicht auf die Entwicklung des Rauchverhaltens, sondern vielmehr auf starkes Rauchen und die Unfähigkeit, es zu beenden.
Das Resultat der oben beschriebenen Vorgänge lautet für den Raucher, dass er sich beim Nikotinentzug – und dieser wird bei starken Rauchern spätestens 30 bis 40 Minuten nach dem Konsum der letzten Zigarette spürbar – missgelaunt, depressiv und reizbar fühlt. Die Dopaminausschüttung geht zurück beziehungsweise das vom Körper produzierte Dopamin wird nicht mehr zuverlässig erkannt. Beim Nikotinentzug sinkt jedoch nicht nur die Stimmung, auch die Konzentrationsfähigkeit leidet. Am in England bereits seit 1984 fest etablierten Nichtrauchertag (an dem auch starke Raucher auf die Zigarette verzichten) passieren der Statistik zufolge mehr Unfälle als an jedem anderen Tag im Jahr, teilweise 10 % mehr (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 23. 06. 2000).
Einen Faktor, der beim Nikotinentzug zumeist zunimmt, gibt es allerdings: das Körpergewicht. »Die durchschnittliche Gewichtszunahme liegt in den ersten Monaten bei 2,5 Kilogramm, nach 6 bis 12 Monaten beträgt sie etwa 4 Kilo« (Düsseldorfer Forschungsstelle für Nikotinabhängigkeit 2000). Der Grund dafür liegt zum einen in der sinkenden und damit Energie sparenden Pulsfrequenz nach dem Entzug; die durchschnittliche Pulsfrequenz eines Rauchers liegt bei 84 Schlägen, nach dem Aufhören sind es nur noch 72 Schläge in der Minute. Zum anderen senkt Nikotin die Insulinausschüttung und erhöht damit den Blutzuckerspiegel, nach dem Entzug sinkt dieser ab. Die Folge davon ist der bekannte Heißhunger auf Süßes, der viele ehemalige Raucher in der ersten Zeit immer wieder befällt. Verantwortlich für das geringere Gewicht von Rauchern ist außerdem die erhöhte Sekretion von Katecholaminen aus dem Nebennierenmark und von Steroidhormonen aus der Nebennierenrinde (Haustein 2001).
Die wichtigsten Nikotinentzugserscheinungen werden im folgenden Kasten nochmals zusammengefasst.
Nikotinentzugserscheinungen:
•Erregbarkeit, Ruhelosigkeit und depressive Verstimmungen
•Konzentrationsschwäche
•Angstgefühle
•Hunger und Gewichtszunahme
•Schläfrigkeit und Schlafstörungen
•heftiges Verlangen nach einer Zigarette (»craving«)
Die Ausprägung der einzelnen Symptome kann individuell stark schwanken, die durchschnittliche Dauer variiert von einigen Tagen oder Wochen bis hin zu Monaten.