Читать книгу Der kleine Herr Carl - Cristina Zehrfeld - Страница 9
Kurze Beine
ОглавлениеSelbstverständlich wollte der kleine Herr Carl umgehend seine Orgelkarriere beginnen. Er ist sofort nach der Christvesper auf die Orgelempore gestürmt und hat die Orgelbank erklommen. Doch er wurde völlig überraschend in seinem Eifer gestoppt. Nicht von der Mutter, auch nicht vom Vater, ja nicht einmal vom Kantor. Doch wie er so auf der Orgelbank saß, musste der kleine Herr Carl mit Entsetzen feststellen, dass er mit ausgestreckten Armen nur beinahe an die Tastatur heranreichte. Und wie sehr er sich auch reckte und streckte: Seine Füße kamen nicht ans Pedal, sie baumelten hilflos in der Luft. Der kleine Herr Carl konnte seinem Instrument nicht den leisesten Ton entlocken. Er war den Tränen nahe, als Papa Carl ihn von der Orgelbank hob, doch weil sich die Eltern das schöne Weihnachtsfest nicht verderben lassen wollten, versprachen sie ihrem Sohn, dass er schon bald eine echte Klavierausbildung bekommen würde. Das war unklug, denn wichtige Dinge hat Maestro Carl noch nie vergessen, auch nicht, als er noch der kleine Herr Carl war. Deshalb hat er seine Eltern ab der Christvesper jeden Tag gefragt, ob es heute mit dem Klavierunterricht losgeht. Insgesamt hat er sie vierhundertundsiebenunddreißig Mal gefragt. An jedem dieser vierhundertundsiebenunddreißig Tage hat er sich am Klavier seiner Tante auf den versprochenen Unterricht vorbereitet. Dann endlich war es so weit: Ein paar Tage nach seinem fünften Geburtstag hat die Mutter den kleinen Herrn Carl zu seiner ersten Klavierlehrerin gebracht. Frau Herta war eine Grundschullehrerin, deren musikalisches Können auf der Tatsache beruhte, dass ihr längst verstorbener Gatte einst als Kantor gearbeitet hatte. Der kleine Herr Carl hatte ein kleines Ledermäppchen mit einem Liederbuch, einem Notenheft und mehreren Stiften dabei. Außerdem hatte er eine große Portion Eifer im Gepäck und den festen Willen, die Klavierlehrerin Herta mit seinem Genius zu beeindrucken.