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URALTES ÜBERLEBENS-PROGRAMM

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Ich schwimme auf der Stelle, bereit, jeden Moment in Höchstgeschwindigkeit loszukraulen. Der vertraute Chlorgeruch steigt mir in die Nase, auf den Rängen jubeln die Fans, aber ich nehme beides kaum wahr. Gleich wird es losgehen, das erste Spiel der Wasserball-Europameisterschaft in Spanien, auf das unser Team der U20-Nationalmannschaft seit Monaten hintrainiert hat. Meine ganze Konzentration ist auf den Schiedsrichter fokussiert, der jeden Moment den Ball ins Wasser werfen und das Spiel anpfeifen wird. Mein Herz klopft, alle Muskeln sind angespannt.

Ich habe Stress.

Anders ausgedrückt: Mein Körper hat in diesem Moment im August 2008 sein eingebautes Alarmsystem aktiviert. Es ist ein Programm, das wir seit einer frühen Stufe der Evolution in uns tragen und mit anderen Tieren gemeinsam haben. Zentrale Kommandostelle dafür ist das Gehirn. Es ist ständig damit beschäftigt, unsere Umwelt zu scannen und sämtliche Wahrnehmungen blitzschnell zu überprüfen: Gefahr oder nicht?

Weil das im Ernstfall natürlich nicht lange dauern darf, greift es dafür auf relativ grobe, aber für die meisten Situationen recht effektive Bewertungsmuster zurück. Grund zum Alarm sieht es beispielsweise dann, wenn eine Situation, ein Mensch, ein Tier fremd wirkt, etwas völlig anders ist als erwartet oder wenn wir andersherum das Schlimmste erwarten, weil wir in einer ähnlichen Situation schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben. Laute Geräusche oder unerwartete Bewegungen sind ebenfalls Warnsignale. Deshalb erschreckt es uns, wenn über uns ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht, und wir bekommen Angst, wenn ein Hund laut bellend und mit gebleckten Zähnen auf uns zuläuft.

Entscheidet das Gehirn, dass Gefahr im Verzug ist, sendet es eine Eilbotschaft an das Nebennierenmark: »Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol freisetzen!« Schlagartig werden diese sogenannten Stresshormone ins Blut ausgeschüttet und machen den Körper bereit, auf die wahrgenommene Gefahr zu reagieren. Wie genau diese Reaktion aussieht, das unterscheidet sich je nach Situation.

Die urzeitliche Überlebensformel lautet »fight, flight or freeze« – Kampf, Flucht oder Erstarrung.

Was davon tatsächlich zum Zuge kommt, entscheidet das Gehirn nach Überprüfung der konkreten Gefahrenlage und der eigenen Ressourcen. Traf einer unserer Vorfahren beispielsweise auf einen Rivalen, der ihm die schöne Höhle streitig machen wollte, dann entschied er sich nach kurzem Abgleich der Muskelmasse möglicherweise für Kampf. Ein Höhlenmensch, der sich dagegen einem wütenden Mammut gegenübersah, hatte wohl beim Kräftemessen kaum Chancen und versuchte es besser mit Wegrennen. Und hatte ein Urahn den Speer zu Hause vergessen und sah plötzlich im Gebüsch die Streifen eines Säbelzahntigers aufblitzen, dann half wohl nur Totstellen – in der Hoffnung, von der furchteinflößenden Großkatze übersehen zu werden. Was die richtige Strategie ist, darüber trifft unser Gehirn bis heute in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung.

Aber egal ob Kampf, Flucht oder der Wunsch, für die eigene Mannschaft den Ball zu erobern und ins gegnerische Tor zu werfen: Für all das brauchen wir vor allem die Muskeln. Adrenalin sorgt dafür, dass ihnen reichlich Energie zur Verfügung steht, denn es bringt das Herz dazu, schneller zu schlagen. Gleichzeitig verengt Noradrenalin die Blutgefäße, sodass der Blutdruck steigt.

So gelangt schnell viel Blut zu den Muskeln. Durch Cortisol wird der Fettabbau angekurbelt und vermehrt Glukose (Traubenzucker) neu gebildet, der Brennstoff unserer Zellen. Der Blutzuckerspiegel steigt, und die Muskeln bekommen jede Menge Energie. Damit die Lunge genügend Sauerstoff zur Verbrennung des Zuckers nachliefern kann, erweitert das Adrenalin die Bronchien und beschleunigt den Atem.

Für dieses Zusammenspiel ist sogar ein eigenes Nervensystem verantwortlich: der Sympathikus oder das sympathische Nervensystem. Es trägt seinen Namen nicht deshalb, weil es so nett ist – auch wenn es uns dankenswerterweise vor Gefahren schützt. Das griechische Wort συμπάθεια oder sympátheia bedeutet so viel wie »Mitfühlen« und bezieht sich darauf, dass unsere Organe über dieses und andere Nervensysteme miteinander verbunden sind, sodass beispielsweise in einem Notfall alle Reaktionen unseres Körpers ineinandergreifen – weil sie eben vom Sympathikus koordiniert werden.

Die Angst verleiht Flügel, heißt es – auf jeden Fall sorgt sie neben Herzklopfen und Schweißausbrüchen für einen Energieschub. Dieses Kampf-Flucht-oder-Erstarren-Programm ist ziemlich effektiv. Schließlich kennt es unser Körper nur, weil unsere tierischen Vorfahren mit seiner Hilfe tatsächlich Rivalen besiegen, Fressfeinden entkommen und den in den Genen verankerten Mechanismus an ihre Nachkommen weitergeben konnten. So funktioniert Evolution.

Entspannt macht schlank

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