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Krankheiten und Zivilisation

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Die Interaktionen zwischen Mensch und Natur waren im Zeitalter der Agrarstaaten nicht einseitiger als vorher oder nachher. Veränderungen der Umwelt berührten nicht nur Menschen, sondern die Entstehung des städtischen Lebens, ausgedehnte Imperien und weite Reisen machten Menschen auch anfälliger gegenüber Naturphänomenen. Zwei Naturphänomene – Krankheiten und Wetter – hatten besonders ernste Konsequenzen.

Wie alle Lebewesen sind Menschen stets anfällig für Krankheiten gewesen, obwohl schwer zu sagen ist, welche Krankheiten welche Menschen zu welchem Zeitpunkt plagten. Antike Autoren beschrieben die Symptome, die sie beobachteten (oder an denen sie litten), nur selten detailliert genug, damit Forscher die beschriebene Krankheit präzis bestimmen konnten. Außerdem mutieren Krankheitserreger im Lauf der Zeit, genau wie das Immunsystem der Menschen, die sie befallen, sodass derselbe Krankheitserreger in unterschiedlichen Epochen unterschiedliche Symptome hervorrufen kann. Dadurch ist unser Wissen über die Krankheiten der Antike schemenhaft. Man weiß nur wenig über die Krankheiten, die den antiken Mittelmeerraum trafen, weniger über die Krankheiten im alten China und noch weniger über die in Indien und in Afrika südlich der Sahara.

Viele Krankheiten, an denen Menschen litten, waren mutierte Formen von Tierkrankheiten, und die Menschen, die als Erste mit domestizierten Tieren zusammenlebten – die Bauern und Hirten der Jungsteinzeit –, holten sich mehr Krankheiten von ihren Tieren und lebten weniger gesund als ihre jagenden und sammelnden Nachbarn oder Vorfahren. Wenn die Krankheitserreger, die Tiere befielen, zu menschlichen Krankheiten mutierten, töteten oder immunisierten sie oft alle potenziellen Wirte und brannten dadurch aus. Solche Ausbrüche muss es sporadisch unter neolithischen Viehzüchtern und Bauern gegeben haben.

So wie Bauern und Hirten anfälliger für Krankheiten waren als Jäger und Sammler, so waren es auch die Bewohner zivilisierter Staaten und Reiche. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist das enge Zusammenleben in den Städten; je enger Menschen zusammenleben, desto leichter übertragen sie Krankheiten wie Typhus, Dysenterie (Ruhr), Cholera und Tuberkulose. In den Städten lebten Menschen wie zuvor in ihren Dörfern mit Ratten, Mäusen, Vögeln, Hunden, Katzen, Nutztieren und Insekten zusammen. Mit wenigen Ausnahmen war die Hygiene sehr schlecht, denn Abwasser wurde auf die Straße geschüttet und der Abfall von Metzgerläden und Gerbereien und andere schädliche Stoffe gleich hinter der Stadtgrenze verstreut. Das Wasser war durch menschliche und tierische Exkremente verschmutzt. Auch der Zugang zu Lebensmitteln war sehr ungleich. Während die Eliten sich ausreichend ernähren konnten, bekamen die einfachen Leute weniger Kalorien, vor allem aus Proteinen. Unter Säuglingen und Kindern war die Unterernährung besonders stark.59 Handel, Migration, Truppenbewegungen und Pilgerfahrten in ferne Länder berührten ländliche wie städtische Gebiete, und als die Bewegungen der Menschen zunahmen, galt dasselbe für die Krankheitserreger, die sie trugen.60

Rom ist ein Extremfall der städtischen Pathologie. Römer waren durchschnittlich 4 Zentimeter kleiner als ihre Vorfahren oder die Völker Mitteleuropas. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung betrug bei der Geburt nur 20–30 Jahre, weniger als die der altsteinzeitlichen Menschen. Die Säuglingssterblichkeit lag bei 22,5–29 Prozent und bei Kindern zwischen einem und drei Jahren bei 18–22 Prozent. Der erste Grund dieser schrecklichen Sterberaten war eine Ernährung, die arm an tierischem Eiweiß war, denn Tiere waren in Italien selten und ihr Futter teuer, daher gab es wenig Milch oder Fleisch. Obwohl die römische Welt Nahrungsmittelknappheiten erlebte, litt sie dank des Kornhandels nicht an Hungersnöten.61

Der zweite Grund war die desaströse Hygiene. Zu ihrer Ehre sei gesagt, dass römische Verwaltungsbeamte viele Maßnahmen durchführten, um ihre Stadt gesünder zu machen. Roms elf Aquädukte, die über einen Zeitraum von 500 Jahren gebaut wurden, lieferten am Tag eine Million Kubikmeter Frischwasser, die Hälfte davon für die öffentlichen Bäder. Die Cloaca Maxima spülte das Abwasser zum Meer. Nahrungsmittel wurden inspiziert und die Straßen gekehrt.62 Trotzdem erleichterten sich die Armen mangels öffentlicher Toiletten auf der Straße. Tiere wurden vor den Metzgerläden geschlachtet. Selbst die berühmten Bäder waren kontaminiert, denn das Wasser in den warmen Becken wurde nur selten ausgetauscht. Aus diesem Grund lag die jährliche Sterberate von Erwachsenen in Rom bei 5–6 Prozent, viel höher als in den ärmsten Ländern der heutigen Welt. Auch während der langen Pax Romana verbesserten sich die Bedingungen nicht. Wie in anderen großen Städten war die Sterberate in Rom viel höher als die Geburtenrate, es überlebte nur durch den ständigen Zuzug vom Land und durch Sklaven, die gewaltsam in die Stadt gebracht wurden.63

Vor dem Jahr Null beschränkte sich das Reisen in der östlichen Hemisphäre weitgehend auf vier Regionen – den Mittelmeerraum und Nahen Osten, Südasien, Ostasien und Afrika südlich der Sahara. Reisen zwischen ihnen waren so langwierig und schwierig, dass sie selten versucht wurden, und nur gesunde Reisende überlebten solche Expeditionen. In den ersten Jahrhunderten n. Chr. nahm jedoch der Handel zu, mehr Schiffe überquerten den Indischen Ozean, und Pilger nahmen die Mühe auf sich, Zentralasien oder den Himalaya zu durchqueren. Im 2. Jahrhundert erreichten einige Händler aus dem Römischen Reich China, andere siedelten sich in Indien an. Die Verbreitung von Krankheiten spiegelte diese neuen Kontakte wider.64

Macht euch die Erde untertan

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