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Kapitel 8

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Jetzt, wo ich meine Vergeltung geübt und meinen Durst gelöscht hatte, spürte ich die bereits vertraute, bleierne Müdigkeit an mir herauf kriechen, welche sich stets zur nahenden Morgendämmerung einstellte. Rasch griff ich mir die Schreibutensilien von dem Arbeitstisch des Nachtwächters, mit samt dem Schreiben, das er gerade verfasst hatte, und verschwand damit nach draußen, wo sich bereits der Himmel bedrohlich aufzuhellen begann. So schnell ich konnte, floh ich vor dem aufsteigenden Sonnenlicht, bis ich gerade noch im letzten Moment die schützende Dunkelheit meiner Gruft erreichte. Mit letzter träger Kraft schob ich den Stein vor den Eingang und legte mich dann sterbensmüde in den Sarkophag. Noch bevor ich den Deckel schließen konnte, fiel ich in tiefsten Schlaf.

Erst als ich am folgenden Abend wieder erwachte, hatte ich die Muße, die vergangene Nacht noch einmal zu reflektieren.

Ich sah die Gesichter der `unschuldigen´ Menschen vor mir, wie sie mich in dem Laden angestarrt hatten: anfangs misstrauisch, dann entsetzt und furchtsam, und zuletzt zufrieden, als dieser Folterknecht mich davon schleppte, damit ich bald Gottes Gerechtigkeit zugeführt werden sollte – wie auch immer diese ausgesehen hätte... Niemand von ihnen hatte sich auch nur im Geringsten dafür interessiert, warum ich war, wie ich war. Niemand hatte gegen das Verhalten des Nachtwächters protestiert, gleich wie brutal er mit mir umgegangen war. Dabei hatten sie ja nicht einmal wissen können, dass ich eine Gefahr für sie darstellte, denn bis dahin hatte ich noch niemandem etwas zu Leide getan. Sie wussten lediglich durch das, was sie gesehen hatten, dass mein Körper etwas Übernatürliches an sich hatte. Und das war ihnen schon Grund genug, nach meiner Vernichtung zu schreien...

Was zog ich daraus nun für Schlüsse?

Zunächst einmal war ich enttäuscht, denn wie oft habe ich darüber nachgedacht, wie ich mein neues Leben meiner menschlichen Moral unterordnen könnte und hatte mir dabei viel Disziplin bis hin zur Selbstverleugnung abverlangt (denn natürlich war es weit schmackhafter und lustvoller, in den wohlriechenden Hals einer jungen, hübschen Frau zu beißen, als in den eines nach ranzigem Schweiß stinkenden Banditen...).

Und wozu? Waren diese Menschen es tatsächlich wert, Achtung vor ihrem Leben zu haben, während sie selbst alles, was andersartig und nicht direkt zu erklären war, sofort aus der Welt schaffen wollten, ohne es erst einmal genauer betrachtet zu haben?

Meine Antwort lautete trotzdem `Ja´. Nicht für die Menschen selbst, aber für mein eigenes Gewissen, das sich immer noch als das eines Menschen fühlte, der Seinesgleichen nicht töten durfte.

Doch obgleich ich gewillt war, mich weiterhin möglichst an meine selbst auferlegten Regeln zu halten, beschloss ich, nicht mehr so streng zu mir zu sein, denn wenn auch mein Gewissen noch menschlich war, so war ich es selbst eben nicht mehr. Das Töten war seit meiner Verwandlung für mich nun nicht mehr allein ein Akt der Grausamkeit, nein, er beinhaltete, neben der Erhaltung meiner Existenz, ebensosehr auch etwas durchaus Lustvolles - so befremdend es vielleicht klingen mag, und so schwer es mir anfangs fiel, mir dies einzugestehen. Ich war nun etwas Anderes - auch wenn ich noch immer keinen Namen dafür hatte - und gehorchte damit anderen Gesetzen. Mein Überleben war jetzt daran geknüpft, Blut von Menschen zu trinken. Das war meine Nahrung, meine Natur, und für mich galt ihr Gesetz, wie für jede andere Lebensart dieser Erde: das oberste Ziel ist die Selbsterhaltung!

Dies bedeutete aber auch, dass ich mich so, wie ich war - untot, übernatürlich, von einem blutgierigen Dämon besessen - niemals einem Menschen offenbaren können würde, ohne dabei um mein Leben fürchten zu müssen; selbst wenn ich mich noch so gut unter Kontrolle haben würde.

Und es bedeutete, dass ich alleine war. Es gab niemanden, mit dem ich mein Dasein teilen konnte. Niemand, der meine widerstreitenden Gefühle verstehen können würde. Niemand, der jemals Interesse an meinem Überleben haben würde, außer mir selbst... Dies in letzter Konsequenz zu begreifen fiel mir nicht leicht und diese Erkenntnis lag wie ein drückender Stein auf meiner Brust, sodass ich das Gefühl hatte, stetig dagegen anatmen zu müssen.

Ich betrachtete mein Leben: die Vergangenheit und die Zukunft, und dabei reifte in mir der Entschluss, dass ich so, wie bisher nicht weiterleben wollte. Ich wollte nicht länger ausgestoßen sein und bloß von Weitem an dem Leben der Menschen teilhaben. Ich wollte nicht jede Nacht von der Sehnsucht nach meiner Familie zerrissen werden. Ich ertrug diesen Zustand nicht mehr länger und ich musste einsehen, dass ich hier nicht mehr hingehörte. Also beschloss ich, meinen derzeitigen Aufenthaltsort, die Gruft nahe meinem Elternhaus, zu verlassen und nie wieder dorthin zurückzukehren.

So nahm ich mir das Papier, Feder und Tinte und begann, meiner Mutter zu schreiben. Ich verfasste den Brief mit der linken Hand, damit sie meine Schrift nicht erkennen konnte und schrieb ihr, dass ihr Sohn von einer Räuberbande schwer verletzt im Wald gefunden und mitgenommen worden war. Aufgrund seiner Kleidung, die ihn als Edelmann verriet, hatte man gehofft, ein hohes Lösegeld für ihn erpressen zu können. Doch nach einer langen Zeit im Delirium, hatte er erst jetzt, kurz vor seinem Versterben, noch einmal den Verstand wiedererlangt und seine Identität endlich preisgegeben.

Ich schrieb ihr als jemand, der lieber unbekannt bleiben, aber aus Mitgefühl mit einer besorgten Mutter, diese wenigstens von dem Tod ihres Sohnes in Kenntnis setzen wollte. Ihr Sohn sei im Wald beerdigt worden, mehr könne der Verfasser des Briefes jedoch leider nicht verraten.

Dann faltete ich das Papier, fügte als Zeichen für den Wahrheitsgehalt des Schreibens noch eine Haarsträhne von mir hinzu und schlich mich zur tiefsten Nachtzeit an das Haus meiner Eltern heran, um ihn, beschwert mit einem Stein, vor der Eingangstür abzulegen.

Ich verharrte noch einen Moment vor der Tür und überlegte, ob ich hiermit die richtige Entscheidung getroffen hatte. Doch was hätte ich noch anderes für sie tun können? Ich würde ihnen nie wieder unter die Augen treten können. Also sollten sie sich lieber endgültig mit meinem Tod abfinden, anstatt ewig in Ungewissheit zu bleiben und vergebens darauf zu hoffen, dass ich irgendwann vielleicht doch wieder zurückkehren würde.

Schließlich wandte ich mich ab und verschwand, ohne mich noch einmal umzusehen. Aber ich ging nicht zurück zu der Gruft, um dort auf den Sonnenaufgang zu warten und zu schlafen. Nein, davon hatte ich genug! Ich hatte genug von diesem steinernen Totenbett, genug von den zerrissenen Lumpen an meinem übernatürlichen Leib, genug davon, wie ein Raubtier durch die Wälder oder die dunklen Gassen zu schleichen, stets darauf bedacht, von niemandem gesehen zu werden. Ich hatte genug von meinem einsamen Schattendasein! Ich wollte wieder unter den Menschen leben und mich in ihrer Gesellschaft befinden!

Das mag paradox klingen, hatte ich doch gerade erst erlebt, was es für mich bedeuten konnte, wenn ich von ihnen erkannt wurde. Doch vielleicht war es genau das, was mich dazu bewog, mich als Ihresgleichen auszugeben und auf diese Weise unerkannt von ihnen akzeptiert zu werden.

Daher suchte ich mir in dieser Nacht ein ganz besonderes Opfer, wohl wissend und trotzdem in Kauf nehmend, dass ich diesmal meinen Grundsätzen nicht treu bleiben würde.

Es war zu solch später Stunde zwar nicht einfach, den Richtigen zu finden, aber ausnahmsweise schien mir das Schicksal diesmal wohlgesonnen zu sein.

Einsam auf einer leeren Straße in der schlafenden Stadt, spazierte ein junger Mann, der genug Ähnlichkeit mit mir hatte, als dass er für meinen Zweck taugte. Er hatte ungefähr mein Alter, meine Körperstatur und –größe, und der Kleidung nach zu urteilen, schien er eher gehobenen Kreisen anzugehören. Wahrscheinlich befand er sich gerade auf dem Heimweg nach einem geselligen Abend in irgendeinem Wirtshaus, aber das sollte mich jetzt nicht weiter interessieren.

Unbemerkt verfolgte ich ihn ein Stück seines Weges und passte ihn schließlich an einer dunklen Brücke, die über einen kleinen schwarzen Fluss führte, ab.

Der junge Kerl gehörte sicher nicht zu der Gruppe Menschen, die ich gewöhnlich zu töten pflegte, aber hier musste der Zweck einmal das Mittel heiligen, denn leider war dieses Opfer für die Umsetzung meines Vorhabens notwendig, denn vorrangig hatte ich es auf seine Kleidung abgesehen.

Der gestrige Einbruch und seine unseligen Folgen saßen mir noch zu tief in den Knochen, als dass ich nun bereit war, auch nur das geringste Risiko einzugehen, noch einmal in die Finger irgendeines Ladenbesitzers oder Nachtwächters zu geraten. Die Kleidung also einfach aus einem Geschäft zu stehlen, kam für mich heute Nacht nicht in Frage.

Den jungen Mann bloß bewusstlos zu schlagen und ihn dann zu berauben, erschien mir ebenfalls zu gefährlich. Was war denn, wenn er mich doch noch irgendwie zu Gesicht bekam oder wenn seine Ohnmacht bloß von kurzer Dauer war? Ich würde unweigerlich Gefahr laufen, erkannt zu werden. Nein, mir blieb keine sicherere Idee, als das zu tun, was ich mittlerweile gut und unbemerkt konnte: Töten.

Dabei machte ich mir nur zu gern das Wissen zu nutze, mein Herz gegen die Schelte meines empörten Gewissens zu verschließen. Das wenigstens hatte ich inzwischen nach so vielen Opfern gelernt.

Unbemerkt schlich ich mich von hinten an den jungen Mann heran und nahm ihm sein Leben kurz und schmerzlos. Ich würde sagen, er bekam nicht einmal viel davon mit.

Dann wuchtete ich ihn mir über die Schulter, verließ die Straße und ging mit ihm den kleinen Wall hinab zum Ufer des Flusses. Dort suchte ich mir ein finsteres Eckchen unterhalb der Brücke, wo ich ihn in Ruhe entkleiden konnte. Die gut gefüllte Geldbörse, die ich dabei in seiner Westentasche fand, war natürlich ein glücklicher Zugewinn und würde mir sicherlich in Kürze noch von großem Nutzen sein.

Rasch entledigte ich mich meiner Lumpen, wusch mich in dem kalten Wasser des Flusses, strich mir mit den Fingern mein zerzaustes Haar glatt und zog meine neuen Kleider an. Dabei lobte ich mich für meine gute Wahl, denn sie passten mir, die Stiefel eingeschlossen, wie angegossen.

Es war ein wunderbares Gefühl, wieder gepflegte Kleidung und insbesondere Schuhe zu tragen! Begeistert sah ich an mir herunter und war mit meinem neuen Erscheinungsbild äußerst zufrieden. Als Eintrittskarte in mein neues Leben würde es allemal ausreichen.

Bevor ich jedoch ging, um Dieses noch heute Nacht zu beginnen, musste ich den Leichnam des entkleideten Edelmanns entsorgen. Ich hätte ihn gerne in dem Fluss versenkt, doch ich hatte nichts zur Hand, um seinen Körper damit zu beschweren. Also schob ich ihn einfach ins Wasser und ließ ihn die Strömung hinab treiben. Irgendwo würde man ihn zwar morgen finden, doch bis er identifiziert und seinem Wohnort zugeordnet worden war, wäre ich entweder schon aus der Stadt verschwunden oder hätte mir neue Kleidung besorgt, sodass ich nicht durch einen dummen Zufall als Mörder entlarvt werden konnte. Das genügte mir.

Beschwingten Schrittes kehrte ich – endlich wieder in einen Menschen verwandelt - zur Straße zurück und pfiff sogar ein Lied dabei. Es war ein gutes Gefühl, sich nicht verstecken zu müssen und ich genoss es, einfach ganz unbedacht durch die Straßen zu schlendern. Zu dieser späten Stunde begegnete ich zwar nur noch einem einzigen Menschen, aber ich freute mich wie ein Kind, dass ich von ihm bemerkt, aber nicht weiter beachtet wurde, obwohl er noch nicht einmal betrunken war...

Tatsächlich fühlte ich mich so menschlich, dass ich erst zur Morgendämmerung daran dachte, mir für den Tag einen sicheren und dunklen Unterschlupf zu suchen.

Ich überlegte, wo ich einen solchen auf die Schnelle finden könnte, denn auf gar keinen Fall wollte ich noch einmal zurück in die Gruft und mich wie ein diabolischer Unhold in diesen widerwärtigen Sarkophag legen! Mir stand der Sinn eher nach einem Zimmer mit einem weichen, warmen Bett.

Also klopfte ich kurz entschlossen bei dem nächsten Gasthaus an die Tür. Es dauerte eine Weile und ich musste mehrmals kräftig klopfen, bis mir von einem älteren, hageren Herrn geöffnet wurde. Er hatte sich sichtbar eilig einen Morgenrock übergeworfen, und seine nackten, wenig behaarten Beine steckten barfuß in grauen Filzpantoffeln. Mit verschlafenen Augen musterte er mich skeptisch von Kopf bis Fuß.

Plötzlich hatte ich die Sorge, dass ihm irgendetwas an mir auffallen würde, was mich in Gefahr hätte bringen können. Seit meiner Verwandlung hatte ich mich nicht mehr in einem Spiegel gesehen. Wer weiß, vielleicht trug ich ja jetzt ein Mal auf der Stirn oder meine Augen waren zu Katzenaugen geworden... Wenn es so gewesen wäre, ich hätte es nicht gewusst.

Meine Muskeln spannten sich an und ich war bereit, sofort die Flucht zu ergreifen. Doch im gleichen Augenblick hellte sich der Blick des Gastwirts auf. Er hatte scheinbar aus meiner Erscheinung geschlossen, dass ein wohlhabender Mann vor ihm stand und witterte das Geschäft.

`Ich nehme an, Sie suchen ein Zimmer, der Herr?´, fragte er bemüht freundlich und blickte erwartungsvoll zu mir herauf, denn er war ein Stück kleiner als ich.

`In der Tat, das suche ich´, antwortete ich, wobei ich darauf achtete, mir meine ungeheure Erleichterung nicht anmerken zu lassen. `Allerdings brauche ich ein ruhiges und insbesondere absolut dunkles Zimmer, wo ich ungestört zur Ruhe finden kann, da ich sehr lichtempfindlich bin... Können Sie mir ein solches vermieten?´

Der Wirt überlegte.

`Ich werde gut dafür bezahlen´, setzte ich nach, worauf der Wirt sich verlegen am Kopf kratzte.

`Hmm... Das einzige, dafür in Betracht kommende Zimmer ist leider noch bis zum Morgen belegt...´

Ich unterbrach ihn bei seinen Überlegungen: `Ich weiß nicht, ob Sie mich verstanden haben: Ich werde gut bezahlen! Sie müssen das Zimmer bloß räumen, und zwar jetzt! Ich kann nicht viel länger warten...´ Um meinen Worten noch zusätzlich Nachdruck zu verleihen, zog ich die schwere Geldbörse hervor. Der Wirt starrte auf die Börse in meiner Hand und seine Augen begannen unmittelbar zu leuchten.

`Selbstverständlich werden Sie das Zimmer in wenigen Minuten beziehen können. Warten Sie hier!´ Und bei diesen Worten hastete er davon.

Ich stand wartend am Eingang und konzentrierte mich darauf, zu hören, was drinnen vor sich ging, nicht zuletzt auch deshalb, weil ich der ganzen Angelegenheit noch immer nicht recht traute und auf diese Weise rechtzeitig hätte verschwinden können.

Tatsächlich aber weckte der Wirt den besagten Gast unsanft aus seinem Schlaf und scheuchte ihn, zu dessen Empörung, mit der Begründung, es handle sich um einen Notfall, aus dem Zimmer. Amüsiert und zufrieden musste ich grinsen.

Nur kurze Zeit später stand der Wirt wieder vor mir und drückte mir den Zimmerschlüssel in die Hand.

`Bitte sehr, das Zimmer ist gerichtet. Ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht gestört werden, bis...?´ Fragend sah er mich an.

`Bis zum kommenden Abend´, antwortete ich bestimmt.

`Bis zum Abend. Sehr wohl!´ Er nickte verständig. `Kommen Sie, ich führe Sie nach oben!´

Freundlich lächelnd signalisierte er mir mit einer Geste, voran zu gehen, und wies mir den Weg eine knarrende Treppe hinauf in die erste Etage, wo sich das Zimmer am Ende eines schmalen Flures befand.

Ich wusste, dass die Freundlichkeit des Wirtes eher der Aussicht auf einen guten Verdienst galt, als meiner Person, aber dennoch war ich gerührt. Es tat einfach gut, nach langer Zeit der Einsamkeit sowie der letzten, äußerst schlechten Erfahrung mit den Menschen, von einem Solchen ausnahmsweise auch einmal freundlich behandelt zu werden.

Das Zimmer war zwar eng, aber zu meiner vollsten Zufriedenheit. Es besaß bloß ein kleines Fenster mit außen angebrachten Fensterläden, die ich am Tage schließen konnte. Zusätzlich bestand die Möglichkeit, von innen Vorhänge aus dichtem Stoff davor zu ziehen. Und sollte sich trotzdem noch ein Sonnenstrahl hier her verirren, so konnte ich mich zuletzt dadurch vor ihm schützen, dass ich die Vorhänge des Himmelbettes, welches den Raum weitestgehend ausfüllte, herunterließ.

An der Zimmertüre befand sich praktischer Weise, zusätzlich zu dem gewöhnlichen Schloss, noch ein Riegel, den man nur von innen zuschieben konnte, sodass ich mir sicher sein konnte, am Tage nicht von ungewolltem Besuch überrascht zu werden.

Kurz: es war einfach perfekt!

`Vielen Dank´, wandte ich mich daraufhin an den Wirt. `Das Zimmer entspricht genau meinen Vorstellungen! Ich werde Ihnen eine Anzahlung geben und den Rest gibt es dann am kommenden Abend.´ Bei diesen Worten nahm ich die Hand des Wirtes, drehte sie mit der Handfläche nach oben und ließ ein paar Taler aus meiner Börse hinein plumpsen, wovon ich wusste, dass es mehr waren, als der Wirt für dieses Zimmer verlangt hätte. Die Augen des Wirtes weiteten sich bei diesem Anblick erfreut und er schloss schnell die Faust um die Taler, als fürchtete er, ich könne sie ihm sonst wieder fortnehmen.

`Ganz zu Ihren Diensten´, sagte er beflissen, verbeugte sich dabei kurz und verschwand dann rückwärts aus dem Zimmer.

Während ich die Tür hinter ihm schloss, konnte ich noch hören, wie er sich mit eiligen Schritten entfernte und war mir sicher, dass er mich gewiss am Tage nicht stören würde. Dennoch legte ich den Riegel vor, schob den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um und ließ ihn dort stecken. Dann drehte und rüttelte ich noch einmal an dem Knauf, um mich davon zu überzeugen, dass die Türe auch wirklich verschlossen war.

Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment wirklich Sorge hatte, am Tage unverhofft entdeckt zu werden. Ja, die Furcht war sogar so groß, dass ich kurz überlegte, mich doch wieder in meiner Gruft zu verkriechen. Aber ein Blick auf das Himmelbett, das da stand, wie ein wahr gewordenes Versprechen, und die Aussicht, in diesem wunderbaren Bett auch noch schlafen zu dürfen, reichte schließlich aus, diesen Gedanken sofort wieder zu verwerfen.

Also ging ich zu dem Fenster und öffnete es, um die Läden zu schließen. Dabei schaute ich noch einmal in den bereits verblassenden Sternenhimmel hinauf. Angenehm kühl strömte mir die Luft von draußen entgegen und erfüllte den Raum mit dem feuchten Geruch eines herannahenden Frühlingsmorgens. Mit geschlossenen Augen sog ich den Duft tief in mich ein und stellte mir dabei vor, wie sich gleich die Nebelschleier langsam, vom Licht der Morgensonne erwärmt, von den taunassen Wiesen erheben und sich schließlich in ihrem rosafarbenen Zwielicht auflösen würden. Mit diesem Bild vor Augen wollte ich schlafen gehen.

Ich schloss die Fensterläden und zog die Vorhänge zu. Es wurde höchste Zeit, denn die Dämmerung begann sich schon in blassem Grau am wolkenlosen Horizont abzuzeichnen. Es würde sicher ein sonniger Tag werden...

Ein sonniger Tag, den ich nicht miterleben würde. Ein sonniger Tag, wie ich ihn niemals mehr erleben würde.

Seltsamerweise hatte ich bis jetzt noch gar nicht richtig über diese Tatsache nachgedacht. Aber jetzt, wo ich wieder unter Menschen weilte, fiel es mir umso schmerzhafter auf. Dennoch, morgen Abend würde ich erwachen und wieder Mensch sein. Irgendwie. Dazu war ich fest entschlossen.


Daimonion

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