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Kapitel 3

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„Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich gänzlich anders als zuvor.

Ich hatte erstaunlicherweise nicht die geringsten Schmerzen. Es war, als sei meinem Körper nie etwas zugestoßen; im Gegenteil, ich fühlte mich lebendiger denn je.

Ich setzte mich auf und tastete instinktiv nach meiner rechten Schläfe, doch die Wunde war wie durch ein Wunder spurlos verschwunden. Ich überlegte schon, ob all das nicht bloß ein böser Traum gewesen war. Aber dann musste ich peinlich berührt feststellen, dass der unmittelbare Beweis meiner qualvollen Eskapade auf meine Bekleidung niedergegangen war, die damit vollständig besudelt und widerwärtig stinkend an meiner Haut klebte. Nur zu gern hätte ich mich ihrer rasch entledigt, doch mir fehlte zugegebener Maßen eine annehmbare Alternative.

Dieses Unbehagen beschäftigte mich allerdings nur kurz, denn ein eigenartiger, süßlicher Geschmack an meinem Gaumen lenkte meine Aufmerksamkeit recht bald in eine andere Richtung. Mit der Zunge strich ich mir vorsichtig über meine Zähne. Bis dahin war ich fest davon überzeugt gewesen, dass dieser letzte grausame Prozess in meinem Kiefer bloß das Gespinst meines gemarterten Hirns gewesen war. Aber nun wurde ich von meiner Zunge eines Besseren belehrt. Denn anstelle meiner zuvor völlig normal geformten, stumpfen Eckzähne, die sich bisher unauffällig in die Zahnreihe eingeordnet hatten, befanden sich dort nun zwei spitze Fangzähne, welche die übrigen Zähne um ein deutliches Stück überragten.

Ich war fassungslos.

Was war bloß mit mir geschehen?

Besorgt blickte ich an mir herunter und dabei wurde ich mir plötzlich gewahr, dass ich nun bestens in der Dunkelheit sehen konnte, und zwar jedes Detail...

Verwundert schaute ich mich um und tatsächlich, es war, als sei irgendwo ein Licht entzündet worden, dessen Quelle sich zwar nicht unmittelbar erschließen ließ, welches aber die Höhle mit seinem Schein gleichmäßig erhellte. Auch erschienen die Farben auf einmal intensiver. Der felsige Untergrund sowie die steinernen Wände zeigten plötzlich eine Vielfalt an Grauschattierungen, die mir bis dahin noch nie an einem Stein aufgefallen waren. Selbst in dem strahlendsten Sonnenlicht nicht.

Darüber hinaus war es mir nun auch möglich, zu erkennen, was mich da anfangs so beharrlich gebissen hatte: Vor mir hockten hunderte kleine, fledermausartige Wesen geduckt auf dem Boden und starrten mich mit übergroßen schwarzen Augen an. Sie waren ebenso hässlich wie der Dämon, der mich angegriffen hatte - und von dem merkwürdigerweise jede Spur fehlte - jedoch sehr viel kleiner. Neugierig stand ich auf und ging einen Schritt auf sie zu. Doch zu meiner Überraschung wichen sie ängstlich vor mir zurück. Für einen kurzen Moment blieb ich stehen. Dann aber musste ich plötzlich grinsen und ob es einfach die Erleichterung darüber war, endlich wieder ein Bild vor Augen zu haben oder ob es aus einem gewissen Galgenhumor heraus entsprang, machte ich mir auf einmal einen Spaß daraus, diese zusammengekauerten Kreaturen zu erschrecken. Wie aus heiterem Himmel stieß ich dazu einen lauten Schrei aus und stürmte dabei wenige Schritte auf sie zu, worauf sie hastig aufflatternd die Flucht vor mir ergriffen, und zwar alle auf einmal. Den Anblick, den sie dabei boten, fand ich eigenartiger Weise in diesem Moment so unglaublich komisch, dass ich nicht umhin konnte, als laut aufzulachen. Ich lachte und lachte und konnte plötzlich gar nicht mehr damit aufhören. Ich krümmte mich vor Lachen und musste mir sogar den Bauch dabei halten. Und dennoch liefen mir dabei die Tränen des Schmerzes und des Schreckens über die Wangen...

Ich brauchte noch eine ganze Weile, bis ich mich endlich wieder beruhigt hatte, und schließlich stand ich einfach nur da, inmitten der Höhle, bar jeglicher Empfindungen, als sei ich auf einmal von einer kalten, mitleidslosen Hand unsanft in ein neues, fremdes Leben gestoßen worden.

Noch heute wundere ich mich darüber, wie präzise meine Intuition die damalige Situation bereits erfasste, ohne dass ich mit meinem Verstand auch nur irgendetwas davon begriffen hätte.

Nach einer gewissen Zeit - ob es Stunden oder bloß Minuten waren, kann ich heute gar nicht mehr sagen - kam mir der Wolf wieder in den Sinn. Das letzte, was ich von ihm gehört hatte, war ein furchterregendes Knurren und Kläffen, fast als sei er in einen Kampf verwickelt gewesen. Doch nun war er still. Suchend blickte ich mich um, und obgleich ich ihn eigentlich jetzt ohne Mühe hätte sehen müssen, so war er doch nirgends zu finden.

Damals war ich ratlos und fürchtete schon, der Dämon hätte ihn mit in seine Hölle genommen, aus der er gestiegen war. Ich konnte ja nicht wissen, wie es sich wirklich zugetragen hatte.“

Armon bedachte Ambriel mit einem dankbaren Blick.

„Auch wenn ich es nun weiß und mir klar ist, was das für mich letztendlich bedeutet hat, so bin ich doch heute froh, dass Ambriel mein Leben dadurch gerettet hat...

Freiheit!

Nach dieser ganzen Eskapade aus Schrecken, Qual und Ungewissheit sehnte mich nun so sehr nach Freiheit! Jetzt, wo ich endlich wieder etwas um mich herum erkennen konnte, jetzt, wo ich mich wieder kräftig und ausgeruht fühlte, jetzt, wo mich nichts mehr hier zu halten vermochte.

Also machte ich mich daran, so schnell wie möglich dieser Falle zu entfliehen. Ich brauchte nicht einmal mehr lange zu suchen, bis ich die besagte Böschung und damit den Weg zurück in die Außenwelt entdeckt hatte. Allerdings erwies sich diese tatsächlich als äußerst steil, ja anfangs nahezu senkrecht, sodass ich zunächst zweifelte, sie überhaupt hinauf klettern zu können. Doch ich wollte es in Anbetracht dieser einzigen Möglichkeit keinesfalls unversucht lassen und stellte dabei überrascht fest, dass mir das Erklimmen nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitete.

Im Gegenteil. Meine Füße und Finger fanden mit erstaunlicher Sicherheit in den kleinsten Lücken des Gesteins festen Halt, und so hatte ich mit spinnenartiger Geschwindigkeit schon bald das obere Ende erreicht.

Von hier aus warf ich noch einmal einen letzten ungläubigen Blick zurück in die Grube, in deren Tiefe ich sogar die verfluchten kleinen Monster erkennen konnte. Sie waren derweil wieder hervor gekrochen und schauten mir nun furchtsam hinterher. Voller Abscheu wandte ich mich schließlich von ihnen ab und eilte dem Ausgang entgegen.

Als ich allerdings kurz darauf an der Felsspalte angekommen war, stellte ich erschrocken fest, dass es draußen inzwischen dunkel geworden war. Ich dachte kurz daran, in welcher Sorge meine Familie um mich sein musste. Doch der Anblick des weiten, klaren Himmels, der sich auf einmal in einem nie gekannten, strahlend dunklem Blau über mir wölbte und an dessen Dach sich Milliarden Funken sprühende Sterne tummelten, ließ mich die Sorgen für eine Weile vergessen. Stattdessen erfüllte mich eine unendliche Erleichterung sowie ein sprachloses Erstaunen.

Von dieser unfassbar schönen Aussicht schier überwältigt, schaute ich mich um, als sei ich plötzlich über eine geheime Tür in eine mir bis dahin vollkommen fremde Welt geraten. Auf einmal stellte ich fest, dass ich selbst in der tiefsten Dunkelheit so facettenreiche Farbnuancen zu sehen vermochte, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Es war einfach grandios, nach dieser undurchdringlichen Dunkelheit jener Höhle nun wieder Formen und Farben – und noch dazu von solcher Intensität - zu erblicken!

Erfrischend wie das reinste Quellwasser spürte ich die kühle Nachtluft in meinem Gesicht. Ich tat gleich mehrere tiefe Atemzüge, um so viel wie möglich davon in mich aufzunehmen, fast als wollte ich meine Lungen dadurch von der grausigen Erinnerung an die erdrückend stickige Höhle befreien. Dabei jedoch fiel mir zu meiner Verblüffung auf, dass sich nicht nur meine Sehfähigkeit verbessert hatte, sondern auch die anderen Sinne deutlich an Schärfe und Empfindlichkeit gewonnen hatten.

Neben dem erdigen Duft feuchten Laubes und moosüberzogener Baumstämme, hatte ich plötzlich den überraschenden Eindruck, der muffige Geruch eines Kaninchens würde mir in die Nase steigen, so als befände es sich unmittelbar vor mir. Ja, er war sogar derart durchdringend, dass ich beinahe glaubte, es auf meiner Zunge schmecken zu können. Bloß, es war gar kein Kaninchen zu sehen... Erst als ich mich suchend danach umblickte, konnte ich unter einer aus dem Boden ragenden Wurzel den Eingang seines Baus entdecken, in dem es sich wohl zum Schlafe zurückgezogen hatte.

Ebenso erging es mir mit dem Geruch eines Fuchses, dem einer Eule, dem einer kleinen Maus oder was sonst noch durch den Wald kreuchte und fleuchte. All diese Lebewesen vermochte ich nun an ihrem charakteristischen Duft zu erkennen, zu unterscheiden und zu orten. Ja, ich hätte – gleich einem Jagdhund – sogar ihre Spuren mühelos verfolgen können.

Doch es waren nicht nur die Gerüche, die mich plötzlich mit ihrer beinahe penetranten Präsenz beeindruckten. Nein, auch die Geräusche hatten sich verändert. Beispielsweise vernahm ich das Quietschen einer Maus; allerdings hatte dieses eine Lautstärke gewonnen, die mir regelrecht das Trommelfell vibrieren ließ, fast als säße diese kleine Kreatur inmitten meiner Ohrmuschel. Es kostete mich wirklich Mühe, mich dabei auch noch auf etwas anderes konzentrieren zu können. Aber bald gelang es mir dennoch, auf dass sich nun auch das Rascheln der Blätter, das Flattern eines Nachtfalters, das Kreischen eines Käuzchens, das Rauschen des Windes und noch hunderte weitere Geräusche zu einer großartigen Komposition zusammenfügten, die mich vor Ehrfurcht bis tief unter die Haut erschauern ließ.

Überwältigt und fasziniert von diesen vielen neuen Eindrücken trat ich schließlich aus der Höhle hinaus und spazierte staunend wie ein kleines Kind durch den Wald. Dabei vermochte mich jede Erscheinung, jedes Geräusch und jeder Geruch ganz und gar gefangen zu nehmen, bis mich das Nächste schon wieder davon ablenkte. Und so wanderte ich, berauscht von einem Potpourri aus Bildern, Düften und Klängen ziellos durch die Landschaft, vollkommen erfüllt von einem ungekannt tiefen Glücksgefühl, bestehend aus einem Körper, der – vorhin noch so von Schmerz und Pein geplagt – sich nun unerschöpflich kräftig und ausdauernd, ja schier unsterblich fühlte.

Dabei tauchte zwar immer wieder der ermahnende Gedanke an meine Familie in meinem Hinterkopf auf, um mich daran zu erinnern, mich so schnell wie möglich auf den Heimweg zu begeben. Aber jedes Mal schob ich ihn reumütig wieder in den Hintergrund, um diesen wunderbaren, euphorischen Zustand noch etwas länger genießen zu können.

Zum Glück, muss ich im Nachhinein sagen, denn wer weiß, was ich sonst angerichtet hätte... Denn schon bald wurde ich durch ein, sich wie ein wütendes Feuer durch meine Gedärme wühlendes Hunger- und Durstgefühl aus meiner unschuldigen Glückseligkeit herauskatapultiert. Meine Sinne, die mich bis dahin mit so vielerlei wunderbaren Eindrücken unterhalten hatten, begannen sich nun zunehmend auf potentielle Nahrung zu fokussieren. Allerdings galt mein Sehnen dabei nicht etwa frischem Wasser und ein paar Beeren, ebenso wenig wie einem schön knusprig gebratenen Wild mit einem Kelch Wein dazu... Nein, es war seltsam, aber mich verlangte es erschreckender, aber ganz zielgerichteter Weise nach Blut! Und dies mit einer Intensität, die mich schlicht ratlos machte und mich zuletzt vor mir selbst erzittern ließ.

Aber was auch immer ich davon halten mochte, allein der Gedanke an Blut erfüllte mich schon mit wilder Ekstase und blendete jegliche denkende oder mitfühlende Instanz in mir aus. Es war mir, als ergriffe plötzlich ein fremdes Wesen von mir, oder besser meinem Körper Besitz und zwinge ihm seine verstörende Gier auf, während ich selbst bloß wie ein willenloser Hund gehorsam diesem Befehl folgte.

Ich witterte die Beute – in diesem Moment eine Ratte, im nächsten einen Marder – erblickte sie, jagte hinter ihnen her, packte blitzschnell zu und legte sie instinktiv, als hätte ich nie etwas anderes getan, an meine Lippen. Es blieb mir nicht einmal genug Zeit, mich über mein absonderliches Verhalten zu wundern, da hatte ich bereits meine Fangzähne in die Kehle des Tieres geschlagen, um diese bis zu der pulsierenden Quelle des ach so ersehnten Blutes aufzureißen und den nährenden Saft gierig zu verschlingen.

Anfangs brauchte ich dabei nur herunterschlucken, was sich in rhythmischen Stößen in meinen Mund ergoss. Kurze Zeit später aber ließ der Pulsschlag bereits nach und ich sog zunächst sanft, dann aber immer energischer das Blut aus dem kleinen Tier heraus, wobei sich meine Hände in seinem Fell festkrallten, als wollte ich es ausquetschen, wie eine Orange. Schließlich aber war es tot und so sehr ich auch daran sog, es kam kein Blut mehr, sodass ich den toten Körper voller Bedauern zu Boden fallen ließ.

Die Befriedigung aber, die ich mir erhofft hatte, blieb leider aus; ja mich verlangte es stattdessen sogar nach noch mehr. Daher verfuhr ich noch mit Dutzenden von Tieren auf ganz ähnliche Weise, doch meinen Durst konnte ich einfach nicht löschen. Nein, er schien sich vielmehr noch zu steigern, fast als hätte ich soeben einen Krug voll Salzwasser geleert. Meine Kehle fühlte sich verdorrt an, wie eine Wüste und machte mich schier wahnsinnig. Von der nackten Furcht übermannt, diesen Zustand womöglich nie wieder loszuwerden, verfiel ich zuletzt in wütende Raserei, packte laut fluchend die toten Tiere, zerriss sie in der Luft und schleuderte sie zornig ins Dickicht, bis ich schließlich - der völligen Verzweiflung nah - floh. Ich rannte blindlings davon; vor mir, vor diesem unbarmherzigen Durst und vor diesem abartigen Gemetzel, das ich da angerichtet hatte und das so gar nicht zu mir passen wollte.

Nach geraumer Zeit gelangte ich schließlich in die Nähe eines kleinen Bauernhofs, der sich, umgeben von bereits abgeernteten Feldern, einsam in eine seichte Böschung schmiegte. Eines seiner wenigen Fenster war noch erleuchtet und das flackernde Licht zog mich unweigerlich an, wie eine Motte.

Ich schlich mich - und das konnte ich jetzt nahezu lautlos - so nah an das Fenster heran, dass ich den Raum dahinter eingehend betrachten konnte. Dank meiner neu gewonnenen Sehkraft war ich dabei in der Lage, noch eine ausreichende Distanz zu wahren, um von innen nicht bemerkt zu werden.

Der Raum, der sich mir offenbarte, war klein und karg eingerichtet. Eine Kerze stand auf dem einzigen, einfach gezimmerten Tisch und erzeugte das notwendige Licht, in dem eine junge Frau mit angestrengten Augen versuchte, zerschlissene Kleidung notdürftig zu flicken. Obgleich sie sicherlich die Mitte zwanzig gerade erst überschritten hatte, zeigte ihr Gesicht schon erste Falten um Mundwinkel und Augen, sodass sie deutlich älter wirkte.

Noch während ich die Frau bei ihrer Arbeit beobachtete, betrat ein Mann, ungefähr gleichen Alters, die Stube und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Die Frau schaute dabei nur für einen flüchtigen Augenblick zu ihm auf, legte dann Nähzeug und Kleidung beiseite und griff nach einer hölzernen Schale, welche schon an seinem Platz bereit stand. Mit steifen Gliedern erhob sie sich und ging müde zu der Kochstelle hinüber. Diese bestand lediglich aus einem kleinen Ofen mit einer einzigen Kochmulde, darauf ein verbeulter Topf, dem zaghaft kräuselnder Dampf entstieg. Die Frau umfasste den daraus hervorlugenden Griff einer Kelle, rührte ein paar Mal behäbig den Inhalt des Topfes um und hob sie schließlich heraus, um eine dünnflüssige Suppe in die Schale zu gießen. Diese brachte sie ihrem Mann, stellte sie vor dessen Nase ab und kehrte an ihren Platz zurück, um dort weiter ihrer Arbeit nachzugehen. Ohne ein Wort des Dankes hob der Mann die Schale an seine Lippen und begann, seine Suppe zu schlürfen.

Wäre mein Durst nicht so unerträglich gewesen, hätte ich, der ich stets Achtung und Respekt vor dem Leben besessen hatte, diese Menschen einfach in Ruhe gelassen und wäre weiter meiner Wege gegangen. Niemals hätte ich ihnen absichtlich etwas Böses zugefügt! So ein Mensch war ich nie gewesen! Das möchte ich hier wirklich mit Nachdruck betonen, einfach deshalb, weil jetzt plötzlich alles anders war.

Denn jetzt hatte ich Durst, schrecklich brennenden, beinahe vernichtenden Durst. Ja, ich war ganz und gar beherrscht von ihm und bei dem Anblick jener Menschen machte mein Herz einen Satz freudiger Erwartung. Ich kann nicht sagen, woher, doch ich wusste plötzlich mit absoluter Gewissheit, dass dies hier etwas anderes sein würde, als die jämmerlichen Tiere! In diesem Moment konnte ich die Gestalten jenseits der Fensterscheibe nicht mehr als Menschen betrachten, sondern bloß als Beute, die mir endlich bald Abhilfe gegen diesen quälenden Durst schaffen würde. Selbst durch das geschlossene Fenster hindurch konnte ich ihr Blut riechen, ihre rosig leuchtende Hautfarbe sehen und ihre Wärme spüren.

Wärme...

Bis jetzt hatte ich es gar nicht bemerkt, aber nun fiel mir auf, wie unnatürlich kalt meine eigene Haut geworden war, ohne dass ich dabei jedoch fror. Und plötzlich sehnte ich mich nach der Nähe dieser Menschen, nach ihrer Wärme an, nein, in meinem Körper.

Oh Gott, wie verzehrte ich mich nach ihrem Blut!

Getrieben von dieser glühenden Begierde ging ich um das Haus herum, dorthin wo sich der Eingang befand. Mit einem kurzen Tritt öffnete ich mühelos die behelfsmäßige Tür und fand mich unmittelbar in der besagten Kammer wieder, wo Mann und Frau erschrocken inmitten ihrer Bewegung innehielten und mich für einen kurzen Augenblick entgeistert anstarrten. Dann aber besann sich der Mann. Er stellte hastig seine Schale ab, sprang auf und griff nach einem Schürhaken, der in seiner Nähe an der Wand lehnte. Zornig funkelte er mich an.

`Was wollen Sie hier?´

Meine Gier hatte mich vorher nicht über mein Tun nachdenken lassen. Aber jetzt, wo diese Leute mir direkt gegenüberstanden und mir von Mensch zu Mensch in die Augen schauten, jetzt, wo ich ihre Wut und Feindseligkeit wie eine Welle auf mich einschlagen spürte, jetzt kehrte mein menschlicher Verstand für einen Moment lang zu mir zurück und ich fühlte mich regelrecht verloren vor ihnen. Hilflos stand ich bloß da und diesen Moment nutzte der Bauer, um mit seinem inzwischen bedrohlich erhobenen Schürhaken auf mich zuzugehen. Wer konnte es ihm auch verdenken, denn ich musste einfach befremdend auf ihn wirken, gewaltsam, wie ich eingedrungen war, in meiner verdreckten, stinkenden Kleidung, mit zerwühltem Haar und von Durst gehetzten Augen.

`Verschwinden Sie, wir haben nichts, was für Sie interessant wäre!´ Die wütende Drohung des Mannes riss mich schließlich aus meiner Erstarrung. Mein Körper begann plötzlich zu reagieren, während ich selbst die folgende Szene bloß miterlebte, als stünde ich gefesselt und geknebelt neben mir, unfähig in das Geschehen einzugreifen, obgleich ich es so gerne getan hätte.

Mit ungeheurer Geschwindigkeit sprang ich auf den Mann zu. Ich packte ihn mit der rechten Hand bei den Haaren, riss ihm den Kopf in den Nacken und drehte ihn dabei so zur Seite, dass seine Halsschlagader frei vor meinen Lippen lag und ich meine Fangzähne nur noch in seine Haut zu bohren brauchte, um sie zu eröffnen. Und dann geschah das, worauf ich die ganze Zeit so sehnsüchtig gewartet hatte: Sein Blut schoss hervor, fast schneller als ich schlucken konnte und es schmeckte anders als das der Tiere.

Ganz anders!

Es war angenehm warm, süß, lebendig und durchströmte meine Adern bis in ihre letzten Verzweigungen. Es fühlte sich an, wie das längst überfällige Wasser auf schon lang vertrocknetem Boden. Meine hungrigen Arterien füllten sich, dehnten sich aus und atmeten befreit auf, wie die verdorrten Wurzeln eines alten Baumes nach einem üppigen Regenguss. Ein aufregend prickelndes Wohlgefühl durchzog meinen gesamten Körper, auf dass ich endlich eine unvergleichlich tiefe Befriedigung empfand...

Frieden...

Doch während ich noch trank und sich mein Körper in seinem glückseligen Zustand zunehmend entspannte, tauchten plötzlich Bilder in meinem Kopf auf; ein ganz neuartiges Erlebnis, das ich von den Tieren so noch nicht kannte. Ich sah Kinder, die über eine Wiese rannten, vom Heuboden sprangen, auf Bäume kletterten; die Frau, die hier saß, bloß noch jünger; ein Säugling, dann noch einer; zwei weitere starben; Arbeit auf dem Feld, im Stall; Streit mit dem Landesherrn... Dann folgte Stille.

Keine Bilder, kein Puls, kein Blut. Das Herz des Mannes hatte aufgehört zu schlagen.

Er war tot.

Völlig selbstvergessen hatte ich beim Trinken meine Augen geschlossen und als ich jetzt langsam wieder ins Diesseits zurückkehrte und sie öffnete, blickte ich unmittelbar auf den toten Mann, der nun schlaff in meinen Armen hing. Ungläubig starrte ich ihn an und plötzlich kam es mir vor, als sei ich inmitten eines gruseligen Traums gefangen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich wirklich hier stand mit einem toten Menschen in meinen Armen, dem ich soeben das gesamte Blut ausgesaugt hatte. Das konnte doch unmöglich ich gewesen sein! Was war denn bloß in mich gefahren?

Fassungslos und zutiefst betroffen betrachtete ich den Mann und als ich mich schließlich von diesem grausamen Anblick losriss und verzagt den Kopf hob, begegnete ich geradewegs dem Blick seiner Frau. Mit dem blanken Entsetzen in ihren aufgerissenen Augen starrte sie mich an. Ja, ich konnte sogar ihre Angst riechen und ihren rasenden Herzschlag hören...

Langsam ließ ich den toten Bauern zu Boden gleiten und ging auf sie zu. Sie durfte nicht denken, dass ich so grausam war, wie es ihr nun erscheinen musste! Daher versuchte ich, sie mit sanfter Stimme und beschwichtigenden Gesten zu beruhigen, ihr zu versichern, dass ich das nicht gewollt hatte. Ich redete von einer eigentümlichen Krankheit, die mich heimgesucht hatte und die hoffentlich bald wieder abklingen würde... Aber was von meinen Worten noch in ihrem vor Schreck gelähmten Bewusstsein ankam, weiß ich nicht genau, denn gleich, was ich tat oder sprach, sie saß einfach bloß starr da, wie eine Puppe, bar jedweden Lebens.

Noch immer spürte ich den Durst in mir brennen, wenn auch nur noch auf kleiner Flamme. Aber mit jedem Schritt, den ich mich der Frau nun weiter näherte, wuchs diese Flamme wieder an, wurde mein Begehren fordernder. Und so trat ich unaufhaltsam wie der unbarmherzige Tod auf sie zu, während sie weiterhin bewegungslos auf ihrem Stuhl verharrte und einfach durch mich hindurch zu sehen schien.

Plötzlich begannen zwei Wesen in mir zu streiten: Ich selbst wollte die Frau nach wie vor von meiner eigentlich guten Gesinnung überzeugen, aber etwas anderes in mir wollte lediglich ihr Blut, ohne Kompromisse. Zudem musste ich mir eingestehen, dass die Frau, ließe ich sie am Leben, unweigerlich überall verkünden würde, was ich getan hatte und dies würde wahrscheinlich – selbst wenn das Wort eines Adeligen gegen das einer Bäuerin stand – genügen, mich in Schwierigkeiten zu bringen... Was hatte ich daher also für eine Wahl? Einmal dieses grausame Spiel begonnen, so musste ich es nun irgendwie zu Ende führen, auch wenn ich allein bei dem Gedanken daran bereits das Gefühl hatte, von meiner auf mich geladenen Schuld schier erdrückt zu werden.

Sanft umfasste ich mit meiner linken Hand ihr Kinn und drehte den Kopf etwas zur Seite, ohne dabei auch nur im Entferntesten auf Widerstand zu stoßen. Mein Herz schmerzte, so zerrissen fühlte es sich zwischen dem Begehren nach dem Blut dieser Frau und der Abscheu vor meiner kaltblütigen Tat...

Mit meiner rechten Hand strich ich ein paar herabhängende Haarsträhnen beiseite. Sie fühlten sich so unglaublich weich an, was wahrscheinlich daran lag, dass sich auch mein Tastsinn verfeinert hatte... Dann fuhr ich ihr mit meinen Fingern über die Wange, plötzlich ganz fasziniert von der Wärme und der rosigen Farbe ihrer Haut. Auf einmal hatte ich das unbändige Verlangen, die Frau zu küssen. Ja ich tat es sogar. Nicht auf den Mund, aber auf ihre Schläfe. Nur ein kurzer, unschuldiger, nun vielleicht auch entschuldigender Kuss, den ich ebenso einer Statue hätte geben können, denn die Frau ließ ihn einfach geschehen, reglos, emotionslos, ja wie versteinert.

Schließlich gelangte meine Hand zu ihrem Hals, wo ich ihren bebenden Pulsschlag unter meinen Fingern spüren konnte, und der Rhythmus ihres Herzens begann, wie ein hypnotisierendes Echo in meinen Lenden zu pochen. Wieder küsste ich sie, diesmal auf diesen bezaubernden Hals... Und wieder zeigte die Frau keinerlei Regung. Der Duft ihres Blutes, der scheinbar ungefiltert durch ihre Haut drang, umfing mich wie ein betörender Nebel und versetzte mich erneut in einen berauschten, seltsam erregten Zustand. Instinktiv öffnete ich meinen Mund und noch bevor ich mir recht gewahr wurde, was ich da eigentlich tat, biss ich zu. Schnell und hoffentlich schmerzlos.

Diesmal allerdings trank ich nicht mehr so gierig, sondern konzentrierte mich stärker auf die begleitenden Phänomene wie dieses wunderbar beglückende und entspannende Gefühl in meinem Körper, das sich in kraftvollen Stößen fließend bis in meine entferntesten Gliedmaßen ausbreitete und sie mit einer wohltuenden, kitzelnden Wärme erfüllte. Ebenso neugierig verfolgte ich aber auch die Bilder, die den Blutstrom zum Ende hin begleiteten, und es schien mir, als erzählten sie in kurzen Sequenzen das Leben meines Opfers, während sein Hirn langsam erstarb. Und während ich noch zu begreifen versuchte, warum das alles auf diese Weise geschah, begann der Blutfluss der Frau bereits zu versiegen. Ihr Herz lag unweigerlich in seinen letzten Zügen, lief schließlich leer und stand dann still.

Nun war auch die Bäuerin bloß noch eine leblose Hülle in meinen Armen und ich ließ von ihr ab. Mein Durst war endlich überwunden. Das war das Erste, was ich fühlte.

Dann aber drang das Bild dieser beiden bedauernswerten und nun toten Bauersleute an meinen wiederkehrenden Verstand und als ich das ganze Ausmaß meiner Tat endgültig begriff, erfüllte mich bloß noch ein niederschmetterndes Gefühl des Grauens und der Selbstverachtung.

Mein verfluchter Körper hingegen fühlte sich gut; er hatte das, was er so sehr brauchte. Mein triebhaftes Verlangen war endlich befriedigt. Meine Haut fühlte sich wieder warm an und ich spürte, wie mein zufriedenes Herz das Blut eifrig und unermüdlich durch meine Gefäße pumpte.

Aber was war der Preis dafür?

Plötzlich, fast als wolle sich mein Geist vor dem drohenden Zusammenbruch schützen, kam mir die ganze Szene so unwirklich vor. Ich war auf einmal nur noch müde. So schrecklich müde!

Schlafen und Vergessen. Das war alles, was ich jetzt noch wollte.

Nein, genau genommen wollte ich aufwachen. Aufwachen in meinem eigenen Bett, zu Hause, in meinem alten Leben!

Zutiefst angewidert und gewillt, nichts davon als wahr anzuerkennen, wandte ich mich schließlich ab von dem furchtbaren Anblick dieser beiden leblosen, kalkweißen Körper, die mit ihren leeren Augen Richtung Himmel starrten, als könne dieser ihnen noch das ersehnte Heil bringen. Und trotz der unglaublichen Energie und Kraft, die mich nach mehreren Litern Blut nun bis ins Innerste erfüllte, schritt ich doch schwerfällig durch die Hütte, wie ein alter Mann, auf der Suche nach einer erlösenden Schlafgelegenheit.

Ich fand sie letztendlich in einem winzigen Nebenraum, in Form eines einfachen Bettes. Bevor ich mich jedoch darin zur Ruhe legte, ging ich zielstrebig auf den schmalen Schrank zu, der sich noch ein bescheidenes Plätzchen an der Wand erstritten hatte, und kramte mir dort eine halbwegs passende Hose und ein Hemd heraus. Diese tauschte ich hastig gegen meine verschmutzte, abscheulich stinkende Kleidung, als könne ich mich dadurch auch des Wissens um mein schreckliches Verbrechen entledigen, und ließ mich hiernach endlich, betäubt von bleierner Müdigkeit und zerfressender Schuld auf das Bett fallen.

Zwar bestand die Matratze bloß aus einem Leinensack, gefüllt mit Stroh, das mir mit seinen spitzen Halmen durch den Stoff hindurch in den Rücken stach, und als Decke diente lediglich ein verfilztes, vielleicht auch verlaustes Lammfell, aber das alles war mir in diesem Moment völlig gleichgültig. Ich fiel unmittelbar, nachdem ich mich darauf niedergelegt hatte, in einen tiefen, hoffnungsvollen Schlaf. Dabei galt der letzte Gedanke noch meinem zu Hause und dem sehnlichen Wunsch, dort morgen von den warmen Sonnenstrahlen geweckt zu werden, in dem sicheren Wissen, dass alles bloß ein schrecklicher Traum gewesen war.

Nur wenige Stunden später wurde ich in der Tat von den Sonnenstrahlen geweckt. Allerdings nicht zu Hause und auch nicht so erquickend, wie man es sich vielleicht vorstellen würde. Im Gegenteil.


Daimonion

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