Читать книгу Gebrochene Flügel - Daniela Hochstein - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеSarah schrieb:
„Hi Zero,
wie soll ich beginnen, damit Du mir glaubst? Es ist kompliziert... Ach, selbst das klingt schon wieder so abgedroschen. Aber diesmal ist es tatsächlich kompliziert.
Vorab: ich wollte kommen. Wirklich!
Wie Du gemerkt haben wirst, war ich dennoch nicht da. Es tut mir so leid, aber bevor Du jetzt denkst, ich suche bloß nach Ausreden, so lies, was der Grund dafür war.
Ich war zu spät, was nicht einmal meine Schuld war. Mein Bruder hatte das Auto und er hatte mir versprochen, es mir pünktlich zu übergeben. Natürlich hat er das nicht. Er bestand darauf, mich zum „Knülle“ zu fahren und er war verdammt schnell. Zu schnell. Ich will es nicht länger machen, als es ist. Kurz: er war zu schnell und hat einen Radfahrer übersehen. Er hat ihn angefahren.
Zum Glück hat der Mann überlebt, aber er war bewusstlos und ich glaube, auch schwer verletzt. Ich habe den Krankenwagen gerufen, der ihn dann gleich in die Klinik gebracht hat. Marco heißt er. Marco Wingert. Sein Portemonnaie hatte auf der Straße gelegen und ich habe es aufgehoben und hinein gesehen. Da war sein Ausweis... Zero, stell Dir vor, er war... nein, ist erst dreiundzwanzig. Und auf dem Foto sah er nett aus. Irgendwie unbeschwert...
Das hat mich völlig fertig gemacht. Kannst Du das nachvollziehen? Ich weiß nicht, was mit ihm genau geschehen ist. Aber es muss etwas Schlimmeres gewesen sein, denn als ich ihn am nächsten Tag im Krankenhaus besuchen wollte, um mich zu entschuldigen, erfuhr ich, dass er direkt verlegt worden ist, in die Unfallklinik. Ich bin dann sogar dorthin gefahren, aber er lag auf der Intensivstation und ich durfte nicht rein. Nur Angehörigen ist das erlaubt.
Zero, es ist so schrecklich, aber über dem Gebäudeabschnitt, in dem er lag, hing ein Schild. Abteilung für Rückenmarksverletzungen und Wirbelsäulenchirurgie.
Ich habe Angst. Angst, dass wir diesem Marco das Leben zerstört haben. Ich habe Angst, weil wir Schuld sind und ich damit niemals leben kann, wenn er einen dauerhaften Schaden erlitten hat. Ich würde es so gerne wieder gut machen oder ihm wenigstens etwas geben, ihm helfen oder irgendetwas. Aber ich fühle mich so hilflos!
Es tut mir leid, dass ich Dich damit jetzt so überfalle, aber ich musste es loswerden, mit jemandem teilen. Und Du warst der erste, der mir einfiel, obwohl wir uns doch kaum kennen. Vielleicht ja auch genau deshalb.
Meinem Bruder geht es noch viel schlechter als mir. Meine Mutter hat ihn schon zum Psychologen geschleppt. Mit ihm kann ich zur Zeit überhaupt nicht darüber reden.
Zero, sag mir, was soll ich tun? Soll ich noch einmal versuchen, diesen Marco zu besuchen? Oder ist das total verkehrt? Er wird mich hassen! Aber ich kann nicht anders, ich möchte einmal mit ihm sprechen, ihm wenigstens sagen, dass es mir leid tut. Ach, Zero, ich bin wirklich verzweifelt!
Ich hoffe auf eine Antwort von Dir!
Die Blaue Rose“
Sarah saß noch lange vor dem Bildschirm, bevor sie den Curser schließlich auf „Senden“ schob und die Mousetaste drückte. Was auch immer Zero nun über sie denken mochte, sie konnte es nicht mehr zurücknehmen. Aber es war ihr lieber so, denn die Schuldgefühle plagten sie Tag und Nacht und sie musste sie einfach jemandem anvertrauen. Bei Zero, so dachte sie, war sie da wirklich am Besten aufgehoben. Das sagte ihr ein Gefühl.
Doch es kam keine Antwort. Nicht am ersten Tag und auch nicht am zweiten. Nach einer Woche war sie es leid, wie eine Getriebene ständig ihren E-Mail-Account zu prüfen. Hatte Zero sie tatsächlich fallen gelassen? Hatte sie sich so in ihm getäuscht? Oder hatte er ihre Mail gar nicht mehr gelesen, weil er ihr Nicht-Erscheinen als Desinteresse gedeutet und innerlich mit ihr abgeschlossen hatte?
Zu Sarahs Schuldgefühlen gesellte sich nun auch noch eine Unruhe, die sie nur schwer auszuhalten vermochte. Sie wollte endlich eine Entscheidung treffen. Sollte sie gehen und Marco besuchen? Sollte sie ihm vor die Augen treten und sich entschuldigen, so platt und nutzlos es ihr auch vorkam?
Sie fragte schließlich eine Freundin um Rat, sogar mehrere. Doch alle gaben ihr die gleiche Antwort. Sie sollte es sein lassen. Und je öfter Sarah diese Antwort erhielt, desto entschlossener wurde sie. Sie würde ihn besuchen!