Читать книгу Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen - Daniela Schroeder - Страница 26
Оглавление2. Teil Grundlagen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts › C. Historische Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts
C. Historische Entwicklung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts
13
Das heute geltende allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht ist das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung. Deren Kenntnis ist unerlässlich für das Verständnis des Systems des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts und wird daher im Folgenden in der gebotenen Kürze nachgezeichnet.[1]
Hinweis
Kenntnisse über die historische Entwicklung des allgemeine Polizei- und Ordnungsrechts erleichtern Ihnen nicht nur das Verständnis der Materie, sondern geben Ihnen auch die notwendigen Informationen an die Hand, um in einer mündlichen Prüfung auf eine historische Frage vorbereitet zu sein. Denn in mündlichen Prüfungen werden historische Aspekte des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts durchaus gerne zur Sprache gebracht.
14
Das heute als allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht bezeichnete Rechtsgebiet hieß bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges schlicht „Polizeirecht“. Die historische Entwicklung des früheren Polizeirechts bzw. des heutigen allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts wird herkömmlich an den Wandlungen des Polizeibegriffs festgemacht.[2]
15
Der Ursprung des Terminus „Polizei“ wird nach nicht unbestrittener Ansicht im griechischen Wort „politeia“ gesehen. „Politeia“ bezeichnete die Verfassung des städtischen Gemeinwesens und den bürgerschaftlichen Status der dort lebenden Menschen,[3] d.h. die gesamte Verwaltung des Staates.[4] Die Römer übernahmen diesen Begriff ins Lateinische („politia“).[5] Politia beschrieb das städtische Gemeinwesen und die Bürgerschaft.[6] Das hierfür geltende Recht wurde als „ius politiae“ bezeichnet.
16
Die im Lateinischen verwendeten Begriffe „politia“ und „ius politiae“ blieben in der Folgezeit im germanischen Sprachraum nahezu identisch erhalten.[7] In Deutschland wurde der Terminus „Polizey“ erstmals in einer bischöflichen Verordnung von 1476 für die Stadt Würzburg verwendet.[8] Im 15. bis 17. Jahrhundert bezeichnete Polizey den gesamten Bereich einer „guten Ordnung des Gemeinwesens und der allgemeinen Wohlfahrt“, d.h. einer „guten Polizey“.[9] Mit diesem umfassenden Verständnis war der Begriff der Polizey in den Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 und in mehreren Landespolizeiordnungen enthalten. Diese Reichs- und Landespolizeiordnungen regelten dementsprechend nahezu alle Bereiche des Lebens. Neben der Aufrechterhaltung einer heute sog. „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ enthielten die Reichs- und Landesordnungen viele Verhaltensanweisungen für die Bürger.[10] Dazu gehörten z.B. Vorschriften über das Vertragswesen, das Liegenschafts- und Erbrecht, die Berufsausübung, den Wirtschaftsverkehr (Monopole, Zölle, Maße und Gewichte, Preise, Lebensmittelrecht), die Religionsausübung, die allgemeine Sittlichkeit etc.[11]
17
Später wandelte sich das Begriffsverständnis: Im absolutistischen Fürstenstaat stand der Terminus „Polizey“ nicht mehr für die gute Ordnung des Gemeinwesens, sondern wurde nunmehr zum Inbegriff der absoluten Staatsgewalt des Fürsten über seine Untertanen. Mit Hilfe der Polizeigewalt konnte der Fürst alle Lebensbereiche (einschließlich des Bereichs der Wohlfahrt) verbindlich regeln und Vorschriften – ggf. auch zwangsweise – durchsetzen. Es wurde nicht mehr nur der Zweck (nämlich die gute Ordnung), sondern es wurden auch die zur Erreichung dieses Zwecks erforderlichen Mittel vorgegeben. Das Polizeisystem wurde – kritisch – als Polizeistaat bezeichnet.[12] Mit diesem inhaltlichen Wandel des Polizeibegriffs ging einher, dass der Polizeibegriff nun auf bestimmte Behörden beschränkt wurde (Begründung des sog. formellen oder institutionellen Polizeibegriffs, s.u. Rn. 27 ff.).
Hinweis
Erschwerend kam hinzu, dass eine sog. Kammerjustiz eingeführt wurde. Die Kammerjustiz war eine Behörde innerhalb der Verwaltung, die keine den Gerichten vergleichbare Funktion hatte. Eine wirksame gerichtliche Kontrolle gegen polizeiliche Maßnahmen gab es daher nicht.[13]
18
Im Zeitalter der Aufklärung wurde der Polizeibegriff verengt: Es wurde die Auffassung vertreten, dass der Polizeistaat eingegrenzt werden müsse. So forderte z.B. der Göttinger Staatsrechtslehrer J. St. Pütter im Jahre 1770, dass die Aufgabe der Polizey in der Sorge für die Abwendung bevorstehender Gefahren bestehe; die Förderung der Wohlfahrt sei dagegen nicht die eigentliche Aufgabe der Polizey. Diese Forderung fand in § 10 II 17 pr.ALR[14] 1794 positiv-rechtlichen Niederschlag: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amte der Polizey.“ Diese Generalklausel wies der Polizey im Grunde lediglich nur noch die Aufgabe der Gefahrenabwehr zu. In der Praxis blieb diese Regelung allerdings noch längere Zeit ohne Wirkung, weil die Befürworter des Polizeistaates und der Wohlfahrtspolizei zu jener Zeit eine noch zu starke Stellung innehatten.[15]
19
Zu einer tatsächlichen Verengung des Polizeibegriffs kam es erst im liberal-bürgerlichen Rechtsstaat. Den eigentlichen Durchbruch für das enge Verständnis des § 10 II 17 pr.ALR 1794 brachte sodann das sog. Kreuzberg-Urteil des Pr.OVG vom 14.6.1882,[16] in dem es um die Gültigkeit einer Polizeiverordnung des Polizeipräsidenten ging, die dieser aus ästhetischen Gründen zum Schutz des auf dem Kreuzberg zur Erinnerung an die Freiheitskriege errichteten Denkmals erlassen hatte. Unter Berufung auf § 10 II 17 pr.ALR 1794 stellte das Pr.OVG fest, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, nicht jedoch die Förderung der allgemeinen Wohlfahrt die Aufgabe der Polizei sei. Bei der allgemeinen Wohlfahrtspflege sei vielmehr eine spezielle gesetzliche Grundlage für Eingriffe in Freiheit und Eigentum bei der Wahrnehmung solcher Aufgaben zu fordern. Da die Polizeiverordnung eine Maßnahme der Wohlfahrtspflege darstelle und als solche nicht der Gefahrenabwehr diene, sei sie wegen Verstoßes gegen § 10 II 17 pr.ALR 1794 unwirksam. Mit diesem Urteil wurden die polizeilichen Befugnisse auf den Bereich der Gefahrenabwehr beschränkt.
20
Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Pr.OVG in seinem Kreuzberg-Urteil und nachfolgender Entscheidungen wurde später die Generalklausel des § 14 pr.PVG[17] von 1931 formuliert: „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder den einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“
Hinweis
Diese Formulierung wirkt in den heute geltenden Generalklauseln des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts fort.
21
Während der Herrschaft der Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert herrschte erneut ein totalitärer Polizeistaat. Zwar galt die Generalklausel des § 14 Abs. 1 pr.PVG fort, wurde aber dahingehend ausgelegt, dass alles, was den politisch-ideologischen Zielen der NS-Diktatur widersprach, als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung aufgefasst wurde. Die Generalklausel zur Gefahrenabwehr diente fortan als „Generalklausel zur Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Ordnung in ihrer Totalität“.[18]
22
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945 wurden in den amerikanischen und britischen Besatzungszonen zahlreiche Verwaltungsaufgaben „entpolizeilicht“. Die „Entpolizeilichung“ bestand darin, dass der Aufgabenbereich der Polizei reduziert (z.B. Ausgliederung der Bau-, Gewerbe-, Wegepolizei etc.), die bei der Polizei ausgegliederten Aufgabenbereiche einer organisatorisch eigenständigen Ordnungsverwaltung übertragen und außerdem die Polizei entkommunalisiert wurde (vgl. § 1 POG NRW[19]: „Angelegenheit des Landes“).[20] Durch die Ausgliederung der Ordnungsverwaltung aus der Polizeiverwaltung erfolgte in Nordrhein-Westfalen eine strikte Trennung der Behörden der inneren Verwaltung von den Behörden der Vollzugspolizei (sog. Trennsystem).[21]
Hinweis
Als Folge des Trennsystems entstanden aus dem ursprünglichen umfassenden Polizeirecht die beiden Teilrechtsgebiete Polizeirecht und Ordnungsrecht.