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I. Verteilung der Aufgaben zwischen der Polizei und der Ordnungsverwaltung
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Da sowohl die Polizei als auch die Ordnungsverwaltung Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnehmen, bedarf es der Klärung, wie die Aufgaben der Gefahrenabwehr zwischen der Polizei und der Ordnungsverwaltung verteilt sind.
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Lesen Sie § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 3 PolG NRW und § 1 Abs. 1 OBG!
Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW und § 1 Abs. 1 OBG haben sowohl die Polizei als auch die Ordnungsverwaltung die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Grundlegende Vorschrift für die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Polizei und der Ordnungsverwaltung im Bereich der Gefahrenabwehr ist § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW. Im Bereich der Gefahrenabwehr hat die Polizei danach in eigener Zuständigkeit tätig zu werden, „soweit ein Handeln der anderen Behörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint“. Im Verhältnis zur Ordnungsverwaltung wird damit festgelegt, dass die Polizei grundsätzlich nur subsidiär zuständig ist. Diese grundsätzlich nur subsidiäre Zuständigkeit der Polizei wird als „Eilkompetenz“ oder „Recht zum ersten Zugriff“ bezeichnet.[1] Die Eilkompetenz wird in der Praxis regelmäßig vor allem dann relevant, wenn Einsätze außerhalb der Dienstzeiten der (bürokratisch organisierten) Ordnungsverwaltung erforderlich sind oder wenn die Behörden möglichst schnell vor Ort sein müssen.[2]
Beispiel
Der geistig verwirrte A wird an einem Wochenende in der Innenstadt von K aufgefunden. – Da die Ordnungsbehörden zu dieser Zeit keine Dienstzeit haben, muss sich die Polizei um A kümmern.
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Die subsidiäre Zuständigkeit der Polizei nach § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW greift nach dessen Wortlaut (vgl. „außer in den Fällen des Satzes 2“) nicht, wenn die Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr Straftaten verhütet oder bekämpft und die erforderlichen Vorbereitungen für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen trifft.
Beispiel
In der Fußgängerzone der Stadt B randaliert der alkoholisierte W und muss gebändigt werden. – Die Bändigung des W gehört zum Aufgabenbereich der Verhütung von Straftaten und unterfällt daher nicht dem Subsidiaritätsgrundsatz des § 1 Abs. 1 S. 3 PolG NRW.
Hinweis
Die in § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW genannten Aufgaben dienen der präventiven Bekämpfung künftiger Straftaten und fallen daher in den Bereich der Gefahrenabwehr. Somit sind sie streng abzugrenzen von der repressiven Verfolgung bereits begangener Straftaten, die sich allein nach den Vorschriften der Strafprozessordnung und des Ordnungswidrigkeitengesetzes richtet (s.a. Rn. 11)[3]
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Typische polizeiliche Maßnahmen wie z.B. die Beschlagnahme einer Sache oder die Durchsuchung von Personen, Sachen oder Wohnungen können als präventive Bekämpfung künftiger Straftaten oder aber als repressive Verfolgung bereits begangener Straftaten zu qualifizieren sein.
Beispiel 1
Bei einer nächtlichen Streifenfahrt durch ein Wohnviertel wird die Polizei auf G aufmerksam, der – mit einem Rucksack bepackt – durch ein Wohnviertel läuft und sich dabei auffällig für die dort stehenden Einfamilienhäuser interessiert. Die Polizei spricht G an und durchsucht seinen Rucksack. Es stellt sich heraus, dass G Werkzeug im Rucksack mit sich führt, mit dem er Türen und Fenster aufhebeln könnte.
Beispiel 2
Anders als in Beispiel 1 sieht die Polizei den mit einem gut gefüllten Rucksack bepackten G aus einem Einfamilienhaus in Richtung Hauptstraße eilen. Als G merkt, dass er von der Polizei beobachtet wird, versucht er zu flüchten, wird aber von der Polizei nach einer kurzen Verfolgung gestellt. In dem Rucksack entdeckt die Polizei – neben dem Werkzeug – Diebesgut, das G bei dem gerade verübten Einbruch erbeutet hat.
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Die Unterscheidung zwischen präventiven und repressiven polizeilichen Maßnahmen ist für folgende Fragen von Bedeutung: für die Frage des Rechtsschutzes (bei präventiven polizeilichen Maßnahmen: Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 VwGO; bei repressiven polizeilichen Maßnahmen: Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäß § 23 EGGVG), für die Frage des Verfahrensrechts (bei präventiven polizeilichen Maßnahmen: Verwaltungsverfahrensgesetz NRW; bei repressiven polizeilichen Maßnahmen: Verwaltungsverfahrensgesetz NRW gilt gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW nicht, statt dessen u.a. StPO) und für die Frage der Rechtmäßigkeit der konkreten polizeilichen Maßnahme (abhängig von den Vorgaben der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage).
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Ob eine polizeiliche Maßnahme als präventive Bekämpfung einer künftigen Straftat und damit dem Bereich der Gefahrenabwehr oder als repressive Verfolgung einer bereits begangenen Straftat dem Bereich der Strafverfolgung zuzuordnen ist, bestimmt sich nach dem Zweck der betreffenden Maßnahme.[4] In unserem Beispiel 1 oben (Rn. 51) verfolgt die Polizei bei ihrer Durchsuchung den Zweck festzustellen, ob G in seinem Rucksack Utensilien bei sich führt, die geeignet sind, um einen Einbruch zu begehen. Diese Feststellung dient dem Zweck, ggf. einen geplanten Einbruch und somit mögliche Rechtsverletzungen zu verhindern. Die Durchsuchung der Polizei ist daher als präventive Maßnahme zur Bekämpfung einer künftigen Straftat zu qualifizieren und richtet sich als Maßnahme der Gefahrenabwehr nach den einschlägigen Vorschriften des Polizeigesetzes NRW. In unserem Beispiel 2 oben (Rn. 51) dient die polizeiliche Durchsuchung demgegenüber dem Zweck festzustellen, was G in seinem Rucksack bei sich führt und ihn ggf. als auf frischer Tat ertappten Einbrecher zu überführen. Die Durchsuchung der Polizei ist daher als Maßnahme zur Verfolgung einer bereits begangenen Straftat zu qualifizieren und richtet sich als Maßnahme der Strafverfolgung nach den einschlägigen Vorschriften der Strafprozessordnung, gegen die gemäß § 23 EGGVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist.
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In der Fallbearbeitung lässt sich der Zweck der betreffenden Maßnahme anhand der Begründung ermitteln, die die Polizei dem Betroffenen gegenüber abgibt.[5] Sollte sie keine oder keine eindeutige Begründung abgeben, bestimmen Sie den Zweck der betreffenden Maßnahme dadurch, dass Sie den objektiven Zweck nach dem Gesamteindruck der Maßnahme ermitteln.[6] Beachten Sie: Besteht ein Polizeieinsatz aus mehreren Maßnahmen, die voneinander abgrenzbar sind und zeitlich versetzt erfolgen, muss jede einzelne Maßnahme als präventiv oder repressiv qualifiziert werden!
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In der Regel bereitet die Qualifikation einer polizeilichen Maßnahme als präventiv oder repressiv keine Schwierigkeiten. Ausnahmsweise können sich jedoch Probleme bei sog. „doppelfunktionalen Maßnahmen“ ergeben.[7] Eine doppelfunktionale Maßnahme ist eine Maßnahme, die sowohl präventive als auch repressive Elemente enthält.
Beispiel
Die Polizei erhält den anonymen Hinweis, dass G im Keller seines Hauses das bei seinen Einbruchstouren erbeutete Diebesgut lagert, das er im Internet gewinnbringend verkaufen will. Die Polizei fährt daraufhin zum Haus des G, durchsucht den Keller und findet dort tatsächlich größere Mengen Diebesgut. Sie beschlagnahmt das Diebesgut und nimmt G vorläufig fest. – Soweit die Polizei gegenüber G einschreitet, um zu verhindern, dass G das Diebesgut gewinnbringend im Internet weiterverkauft, wird sie präventiv zur Vermeidung künftiger Straftaten tätig und somit im Bereich der Gefahrenabwehr. Soweit die Polizei das Diebesgut beschlagnahmt und G vorläufig festnimmt, wird die Polizei dagegen repressiv im Bereich der Strafverfolgung tätig.
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Um zu verhindern, dass die Polizei bei den doppelfunktionalen Maßnahmen verschiedenen Regelungssystemen und unterschiedlichen Weisungshierarchien unterworfen ist, wird nach verbreiteter Ansicht der Schwerpunkt der Maßnahme anhand ihres objektiven Zwecks nach dem Gesamteindruck der Maßnahme ermittelt und die Maßnahme sodann dem dafür einschlägigen Regelungssystem unterworfen.[8] In unserem Beispiel oben (Rn. 53) wäre der Schwerpunkt also anhand des objektiven Zwecks nach dem Gesamteindruck der polizeilichen Maßnahmen zu ermitteln. Der objektive Zweck der polizeilichen Maßnahmen bestand nach dem Gesamteindruck darin, G als Straftäter zu überführen. Der Schwerpunkt der polizeilichen Maßnahmen bestand daher in der Verfolgung bereits begangener Straftaten. Die Polizei handelt damit auf der Grundlage der Bestimmungen der Strafprozessordnung.
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Diese Auffassung ist jedoch nicht unbestritten.[9] So steht z.B. Götz auf dem Standpunkt, dass die Qualifizierung einer polizeilichen Maßnahme anhand ihrer objektiven Zwecksetzung nicht auf eine Feststellung des Schwerpunkts der Gesamtmaßnahme hinauslaufe. Auf diesem Wege werde lediglich festgestellt, ob eine Maßnahme der Strafverfolgung vorliege. Sei dies der Fall, bleibe es dabei, dass Strafverfolgung vorliege und der Präventionszweck in der Strafverfolgung aufgehe. In unserem Beispiel oben (Rn. 53) ergreift die Polizei mit der Beschlagnahme des Diebesguts und der vorläufigen Festnahme des G mehrere Maßnahmen der Strafverfolgung. Sie haben den Nebeneffekt, G daran zu hindern, weitere Straftaten zu begehen. Es liegt somit ein Fall der sog. „Prävention durch Repression“ vor, in dem die polizeilichen Maßnahmen im Zweifel ausschließlich als strafprozessuale Maßnahmen zu qualifizieren sind.[10]
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In der Fallbearbeitung werden Sie sehen, dass beide Ansichten regelmäßig zu demselben Ergebnis kommen, so dass Sie die Problematik zwar kennen und ansprechen, aber nicht überbewerten sollten.
Denken Sie daran: Die Problematik der doppelfunktionalen Maßnahme kann allein bei Maßnahmen der Polizei relevant werden, weil nur sie repressive Befugnisse im Rahmen der Strafverfolgung besitzt. In einer Fallbearbeitung, in der die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs zu prüfen sind, müssen Sie die Problematik der doppelfunktionalen Maßnahme bei der Frage der Eröffnung des Rechtswegs nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO erörtern; als abdrängende Sonderzuweisung kommt unter Umständen § 23 EGGVG – ggf. i.V.m. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO (u.U. analog) – in Betracht.[11] Bei einer Fallbearbeitung im Öffentlichen Recht werden Sie aber – allein schon aus klausurtaktischen Gründen – das Eingreifen einer abdrängenden Sonderzuweisung verneinen können.
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