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Limbergen, 2010

Die Arbeiten in der Diele schritten schneller voran als gedacht. Während Frank die Wand zum Nebenzimmer einriss, kratzte ich in mühevoller Kleinarbeit ganze drei Schichten Tapete von den Mauern. An der Wand zu Kathis Kinderzimmer förderte ich Erstaunliches zu Tage. Unter der dritten Schicht verbargen sich leicht verblasste grüne Ranken, die mit feinen Pinselstrichen auf weißen Kalkputz aufgetragen worden waren. Sie wanden sich über die ganze Wand, verzweigten sich schwungvoll und mündeten in winzige, lindgrüne Blätter. Unzählige blassblaue Blüten füllten die Zwischenräume.

„Frank!“ Ein weiterer Mauerstein krachte auf das Vlies, das den Boden schützte.

„Frank!“

„Ja?“

„Sieh dir das an.“

Er trat neben mich, immer noch den schweren Abrisshammer in der Hand.

Ich wies auf die Schmuckwand und lächelte ihn an.

„Schön.“

„Schön? Mehr fällt dir dazu nicht ein?“ Ich verdrehte die Augen.

„Doch, sieht gut aus. Da hatte wohl jemand kein Geld für eine Tapete.“ Er grinste und ich sah den Schalk in seinen Augen blitzen.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder der Wand zu und fuhr eine Ranke mit dem Finger nach. „Erinnerst du dich noch an Kreta? Da gab es doch diese Wandfresken. Im Prinzip ist das hier nichts anderes. Nicht so aufwendig, aber ähnlich. Die Farbe zieht in den Kalk und färbt ihn an der Stelle durch. Es fehlt nur eine Versiegelung. Das muss jedenfalls eine Heidenarbeit gewesen sein.“ Er drehte sich um und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. „Vielleicht können wir den Rest der Diele farblich ein wenig darauf abstimmen?“

Ich nickte zufrieden. Auch ich wollte diese feine Arbeit erhalten, selbst wenn sie an manchen Stellen schadhaft war, aber das unterstrich die alte Seite dieses Hofs, die es nun mit der Neuen zu kombinieren galt.

Frank wechselte das Thema und wies auf die polierten Sandsteinplatten, die als Bodenbelag dienten. Da die Diele nun um gut vier Meter länger geworden war, würden diese nicht mehr für den ganzen Raum reichen. Wir entschieden uns, die historischen Platten zu verteilen und die Zwischenräume mit einem modernen Material zu füllen.

Am Ende der Woche war es dann so weit. Unsere neue Diele hatte sich zu einer imposanten Halle gewandelt, die gekonnt Altes mit Neuem verband.

Der Schreiner war am Zuge und baute eine Holztreppe zum Dachgeschoss ein, die sich bald in einem sanften Bogen emporwand. Ich entschied, dass ich sie später dunkel beizen würde, da sie zu der Sitzgruppe vor dem Kamin passen sollte, die ich in der Upkammer gefunden hatte. Die schadhaften Bezüge hatte ich durch blassblauen Samt ersetzt, farblich passend zu dem Blütenfresko. Die Sandsteinplatten hatten wir inselförmig über die gesamte Halle verteilt und die Zwischenräume mit einer versiegelten Kieselschüttung gefüllt. Auch die eisenbeschlagene Truhe hatte einen Platz an der Längsseite gegenüber der Fensterreihe gefunden und wurde von zwei schmiedeeisernen Kerzenleuchtern flankiert.

Frank trat in die Halle, bewaffnet mit einem Schreibblock, wechselte einige Worte mit dem Schreiner und kam dann auf mich zu. „Hast du Lust zu planen?“

„Was hast du denn als Nächstes vor?“, fragte ich.

„Ich würde sagen, da die neue Küche erst in vier Wochen geliefert wird, könnten wir mal rauf gehen.“ Er deutete mit den Daumen zur Decke.

„Oh nein, ich klettere nicht die Leiter hoch“, sagte ich und schüttelte entschieden den Kopf.

Frank lachte. „Brauchst du auch nicht. Herr Holta sagt, wir können die Treppe schon benutzen. Er baut jetzt das Geländer.“

Ich musterte die Stufen argwöhnisch, entschied jedoch, dass ich dem Schreiner glauben schenken konnte, als dieser mich anlächelte und mir aufmunternd zunickte. Vorsichtig setzte ich meinen Fuß auf die unterste Stufe und testete, ob sie womöglich schwanken würde, doch sie tat nichts dergleichen, also stiegen wir hinauf.

Ich war noch nie auf dem Dachboden gewesen, daher beeindruckten mich die gigantischen Dimensionen zutiefst. Man hätte ohne Probleme zwei weitere Stockwerke einziehen können. Das Dach spannte sich wie eine gewaltige Kuppel kreuzförmig über Wohntrakt und Stallungen. Vereinzelte Sonnenstrahlen stahlen sich durch schadhafte Stellen der Dacheindeckung und durchschnitten das Dämmerlicht. Der Geruch von altem Staub und trockenem Moder hing in der Luft.

So stellte ich mir den Duft vergangener Jahrhunderte vor, weit entfernter Zeitalter, jenseits meiner eigenen Existenz. In diesem Moment fragte ich mich, wie viele Generationen vor mir schon an genau dieser Stelle gestanden haben mochten. Menschen, die vielleicht genau dasselbe empfunden hatten, wie ich in diesem Augenblick.

Ich wandte mich nach rechts und sah die alte verwitterte Giebelmauer, die oberhalb des Tennentors lag. In ihrer Mitte befand sich ein glasloser Dreipass.

„Und? Was denkst du?“

„Es ist so wahnsinnig viel Platz hier oben“, sagte ich erstaunt.

„Das habe ich dir gesagt.“ Frank lachte. „Weißt du jetzt, warum ich es für besser halte, nur einen Teil auszubauen? Wir brauchen nicht den ganzen Boden.“ Er wies nach rechts. „Den Teil über dem Schweinestall würde ich als Abstellraum anlegen. Wir könnten ihn von dieser Seite hier erschließen, dann brauchen wir nicht über die Leiter hinauf.“

Ich war ein wenig verwirrt. „Irgendwie komme ich mit dem Grundriss noch nicht ganz klar. Der Schweinestall ist doch gleich hier vorne, oder?“

Frank hob die Brauen und sah mich ungläubig an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst.“ Er schnaubte amüsiert. „Frauen und räumliches Vorstellungsvermögen. Wo ist unsere Treppe?“

Da ich wusste, dass er von mir jetzt nicht die Worte ‚hinter uns‘ hören wollte, sagte ich: „In der Halle.“

„Aha, also sind unter uns°…?“

„Die Halle und die Küche.“

Er grinste. „Und wo ist dann der Schweinestall?“

„Rechts von uns?“

„Ist das eine Frage?“ Seine Brauen schnellten in die Höhe und sein Mund öffnete sich zu einem breiten Grinsen. Mit einem leisen Klicken ließ er die Mine des Kugelschreibers heraus, klappte den Schreibblock auf und sagte: „Also, pass auf.“ Der Kuli huschte über das Blatt, als er ein grobes T zeichnete. Mit gestrichelten Linien deutete er die Firstbalken an, die sich oberhalb des Tennentors kreuzten. Die neue Treppe skizzierte er im oberen Drittel des Stempels, den Schweinestall in der rechten Seite des Querbalkens und den Kuhstall in der linken. Mit groben Strichen hielt er die Lage der einzelnen Zimmer im Stempel des Buchstaben fest und fügte dann die lang gezogene Tenne hinzu. Zwei überlappende Striche zu jeder Seite deuteten die Schiebetore an, die in die Stallungen führten. Am Ende des Schweinestalls trennte er wiederum ein Drittel mit zwei kurz aufeinanderfolgenden Linien ab. „Hier kommt zuerst der Vorraum …“

„Das ist der dunkle Raum, der voll mit altem Gartengerümpel ist“, stellte ich fest.

„Genau. Und da durch kommst du ins Holzlager.“

Ich beobachtete, wie er noch zwei weitere Zimmer in den Stall zeichnete.

„Das Schlafzimmer und das kleine Bad sind wohl nachträglich eingebaut worden, denn sie liegen schon im Schweinestall.“ Er sah mich an und erklärte: „Deshalb ist die Tür dazu in der hinteren Ecke der Halle, sonst hättest du keinen Zugang gehabt.“

„Logisch“, kommentierte ich.

Er tippte mit der Kulispitze auf die letzte Trennwand im Schweinestall. „So, und im Holzlager ist an dieser Stelle die Leiter über die du auf die Schlafzimmerdecke klettern könntest.“ Er grinste und ich knuffte ihn spielerisch in die Seite.

„Das konntest du dir jetzt nicht verkneifen, oder?“

Er lachte, dann fuhr er fort: „Das heißt, du stehst also hier …“, er deutete auf meine Füße – „genau auf der Wand zwischen Halle und Küche. Da vorne um die Ecke ist das Schlafzimmer, parallel zum Schweinestall, und der Vorraum schließt zusammen mit dem kleinen Bad an dieser Wand hier ab.“ Wieder tippte er mit dem Kugelschreiber an die gleiche Stelle wie zuvor.

Ich ging Richtung Dreipass und dem darunter liegenden Tennentor, wandte mich dann nach rechts und stellte mir den Schweinestall und das Schlafzimmer vor, die unter meinen Füßen lagen. Wenige Schritte weiter befand sich ein Geländer. Ich trat heran und sah hinab ins Holzlager.

Frank war mir gefolgt, legte seine starken Hände auf das alte Holz und rüttelte kräftig daran. „Dürfte halten“, sagte er zufrieden.

Unter mir herrschte Zwielicht, doch ich konnte den großen Scheitelstapel erkennen, der auf einem festgestampften Lehmboden ruhte. Die kleine Pforte daneben war nur angelehnt und schwankte kaum merklich in der Zugluft. Ich drehte mich auf dem Absatz um und sah in die entgegengesetzte Richtung. „Und was ist hinter dieser Wand?“

Frank seufzte. „Der Kuhstall. Warst du noch nie da drin?“

Ich lachte verlegen. „Klar, der hat ja auch keine Decke, genau wie das Holzlager.“

„Richtig.“

Ich schlenderte zurück, um mir die Dimensionen zu verinnerlichen, dann sah ich Richtung Wohntrakt. Der Giebel auf dieser Seite bestand aus roten Backsteinen. Ich hatte nicht bewusst darauf geachtet, aber ich meinte mich zu entsinnen, dass er von außen hinter den Tannen anders aussah. Vorsichtig fragte ich: „Müsste der Boden auf dieser Seite nicht länger sein?“

Frank, der mir gefolgt war, zog die Stirn kraus. „Dahinter muss die Upkammer liegen“, sagte er schließlich, doch er wirkte selbst nicht ganz sicher.

Ich gab mich mit seiner Antwort zwar zufrieden, doch ich fand das wenig einleuchtend. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde er in diesem Punkt irren.

Aus dem Holzlager rief jemand: „Herr Meinert?“

Frank und ich wechselten überraschte Blicke, dann gingen wir um die Ecke zurück zum Geländer und Frank rief: „Ja, hier oben!“

Eine Hutkrempe tauchte vor uns auf, die sich langsam die wackelige Leiter heraufschob. Ihr folgte ein wettergegerbtes Gesicht, dessen strahlend blaue Augen von tiefen Falten gesäumt wurden. „Sind Sie Frank Meinert?“, fragte der Mann freundlich und kletterte die letzten Stufen überraschend behände zu uns herauf.

Erst in diesem Moment konnte ich sehen, dass er ein kleines Päckchen unter dem Arm trug.

„Ja, das bin ich. Frank Meinert.“

Der Fremde, den ich spontan auf Ende fünfzig schätzte, streckte ihm die freie Hand entgegen. „Mein Name ist Karl Jansen. Schön Sie kennenzulernen. Der Postbote hat ein Päckchen bei mir abgegeben, das offensichtlich für Sie bestimmt ist.“

„Meine Frau“, stellte Frank mich vor, nachdem er dem neuen Nachbarn die Hand geschüttelt hatte.

Dieser reichte ihm das Poststück, wandte sich an mich und tippte mit zwei Fingern grüßend an seine Hutkrempe. „Ich habe gehört, Sie lassen hier keinen Stein auf dem anderen“, sagte er und unverhohlene Neugierde stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Wurde auch Zeit, dass sich mal jemand dieses alten Kottens erbarmt.“

„Ist auch ein schönes Stück Arbeit“, bestätigte Frank.

„Das kann ich mir denken. Hier hat schon seit ewigen Zeiten keiner mehr was getan.“ Sein Blick wanderte über die Querpfette, die ihm am nächsten war.

Frank folgte seinem Blick. „Der Balken sieht ganz schön marode aus“, sagte er. „Den werden wir wohl ersetzen müssen.“

Der Ältere brummte unbestimmt, dann sagte er schließlich: „Das täuscht. Ich würde ihn mit einem Sturz sichern, oder seitlich aufdoppeln. Ist nicht ohne, so ein Monstrum auszutauschen.“

Frank nickte zustimmend. Die beiden Männer begannen über diverse Themen einer umfassenden Sanierung zu fachsimpeln und gingen schließlich die Treppe zur Halle hinunter.

Ich war in Vergessenheit geraten, doch das störte mich nicht. Ich verspürte wenig Lust mich an dem Gespräch zu beteiligen. So weit ging meine Liebe zum Detail nun wirklich nicht. Stattdessen sah ich mich noch einmal auf dem Dachboden um. Jetzt war ich schon mal hier, also konnte ich auch nach dem Siebenschläfer Ausschau halten. Es gab nicht viele Nischen, in denen er sich verstecken könnte und doch war er nirgendwo zu finden. Ich fragte mich, ob diese Tiere wohl gut klettern konnten und sah ins Dach hinauf. Mein Blick blieb an der Querpfette hängen, die Frank als marode bezeichnet hatte. Der Balken sah wirklich sehr alt und mitgenommen aus. Irgendetwas schien dort oben zu sein, doch ich konnte nicht genau erkennen, was es war. Ich stützte mich fest ans Geländer und beugte mich vor, tunlichst darauf bedacht, nicht nach unten zu sehen.

Es war eindeutig kein Siebenschläfer, sondern ein altes, scheinbar brüchiges Seil, das gleich am Knoten abgeschnitten worden war und sich wie ein Ring um die Pfette schmiegte. Ich fragte mich wie es wohl dort hingekommen war. Vielleicht diente es dazu, Strohballen oder ähnliches nach oben zu ziehen, als dies noch ein Wirtschaftshof war? Aber aus welchem Grund war es abgeschnitten worden, statt es zu ersetzen? Da ich weiter nichts Interessantes fand, verlor ich die Lust, noch länger auf dem Dachboden zu bleiben und ging zur Treppe.

Herr Holta schien seine Arbeit beendet zu haben. Prüfend legte ich eine Hand auf das Geländer und stellte zu meiner Freude fest, dass es grundsolide war.

Die beiden Männer standen in der Küche, vollkommen in ihr Gespräch vertieft. Sie hatten sich offensichtlich mit Bier versorgt, denn beide hielten eine geöffnete Flasche in der Hand. Als Frank mich sah, lächelte er mir zu, wandte sich dann jedoch gleich wieder Herrn Jansen zu, der wortgewaltig über seinen eigenen Hof sprach.

Auf dem Teetisch vor dem Kamin lag das noch ungeöffnete Päckchen, also setzte ich mich, um es in aller Ruhe zu öffnen. Der Absender wies sich als Fotoservice aus. Ich freute mich, denn das mussten die Bilder von unserem Einzug sein, die ich im Internet bestellt hatte. Als ich mit den Fingernägeln am Klebeband knibbelte, wurde ich von einem Klopfen unterbrochen. Jemand stand an der Tür und da Frank nicht in die Halle kam, legte ich das Päckchen bedauernd zur Seite und erhob mich, um zu öffnen.

Vor mir stand eine ältere Frau mit eisengrauem Haar und warmherzigem Gesicht. Ich wurde von aufmerksamen, grünen Augen gemustert, doch da sie freundlich lächelte, empfand ich dies nicht als unangenehm.

„Guten Tag“, begrüßte ich sie höflich und verband sie unbewusst mit Karl Jansen.

„Hallo“, entgegnete sie eher jugendlich und war mir auf der Stelle sympathisch. „Ich suche meinen Mann“, sagte sie und mit einem verschmitzten Augenzwinkern fügte sie hinzu: „Er wollte längst zum Essen zurück sein, aber ich gehe jede Wette ein, dass er bei Ihnen ein Bier abstauben konnte.“

Ich musste lachen, da sie mit ihrer Vermutung genau ins Schwarze getroffen hatte. Ich bat sie herein und wies mit der offenen Hand auf die beiden fachsimpelnden Männer in der Küche.

„Hab ich’s mir doch gedacht“, lachte sie erfrischend. „Ich bin seine Frau, Ingrid“, fügte sie hinzu.

Da sie sich nur mit Vornamen vorstellte, nannte ich ihr meinen und bot ihr einen Kaffee an.

Ingrid drehte ihr Handgelenk und sah auf eine schmale, silberne Uhr. „Ein anderes Mal gern, aber wenn ich um diese Zeit noch Kaffee trinke, schlafe ich die halbe Nacht nicht.“ Sie sah sich in der Halle um, während ich die Tür hinter ihr schloss. „Schön, was ihr aus der Diele gemacht habt“, sagte sie und schnalzte anerkennend mit der Zunge. „Die Idee mit den Kieseln zwischen den Platten ist sehr originell“, stellte sie wohlwollend fest. „Gelungen.“

„Wir haben die Diele erweitert und dadurch reichten die Platten nicht mehr für den ganzen Boden“, erklärte ich. „Die Idee ist also eher aus der Not heraus entstanden.“

„Clever. Du scheinst ein Händchen für Raumgestaltung zu haben“, sagte sie und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.

„Diese Malerei ist wunderschön.“ Sie wies auf die Blumenranken, die ich freigelegt hatte. „So was gab es bei uns auch, aber längst nicht so gut erhalten – bedauerlich.“ Sie sah sich weiter um, dann stockte sie. „Oh, hast du diese Truhe hier auf dem Hof gefunden?“

„Ja, sie stand in der Upkammer. Leider lässt sie sich nicht öffnen.“

Wir gingen hinüber und Ingrid fuhr mit der flachen Hand über das Holz. Dann sah sie zu mir auf. „Sie ist sehr alt.“

„Meinst du?“

Sie lächelte. „Sie sieht jedenfalls so aus.“ Ihr Blick musterte die kahle Stelle darüber.

„Da möchte ich noch irgendetwas hinhängen, aber mir ist noch nichts Passendes eingefallen. Das Blau von den Blümchen habe ich mit den Sitzbezügen aufgenommen, aber mir fehlt noch etwas Grünes.“

Sie dachte eine Weile nach, dann sah sie mich an und ihre Augen leuchteten. „Da habe ich etwas für dich. Ich habe keine Verwendung dafür, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie hier gut zur Geltung käme.“ Ingrid zwinkerte. „Wenn deine Einladung zum Kaffee auch für morgen Nachmittag gilt, dann komme ich herüber und bringe sie vorbei.“

Ich hatte zwar keine Ahnung, wovon genau Ingrid sprach, aber ihre Augen sprühten vor Begeisterung und es schien mir, als würde es ihr Vergnügen bereiten mich im Dunkeln tappen zu lassen.

„Der Kaffee geht in Ordnung“, sagte ich, „aber ich bin sehr eigen in solchen Dingen. Wenn es mir also nicht gefallen sollte …“, warnte ich sie lächelnd.

Ingrid brach in schallendes Gelächter aus. „Du gefällst mir, wenigstens sagst du, was du denkst und nimmst nicht aus Höflichkeit irgendeinen Müll von mir an. Diesen Schneid hätte ich mir damals bei Astrid gewünscht, dann hätte ich sie mitsamt ihrer schrecklichen Bodenvase vom Hof gejagt – Sie ist eigentlich ganz nett“, beeilte sie sich zu erklären. „Sie stammt von einem Hof etwa zwei Kilometer südlich von hier. Aber ich wette, sie hat die Vase auch schon geschenkt bekommen und wollte sie bei mir loswerden.“

Sie schmunzelte immer noch, als sie sagte: „Keine Sorge, ich bin mir sicher, sie wird dir gefallen.“

„Die Vase?“

Sie musste den Schalk in meinen Augen gesehen haben, denn sie schnaubte amüsiert. „Nein.“ Mahnend hob sie ihren Zeigefinger. „Aber ich werde dir nicht sagen, was es ist, also vergiss deine Tricks.“

Ich grinste. Ingrid war ein Mensch ganz nach meinem Geschmack. Sie schien sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen und hatte eindeutig Humor. „Na gut“, ergab ich mich. „Dann sehe ich dich morgen zum Kaffee.“

„Gegen vier?“

„In Ordnung“, stimmte ich zu.

„Dann sammle ich jetzt am besten meinen Mann ein, bevor er noch eine Flasche Bier von deinem bekommt. So langsam habe ich Hunger.“

Kaum zehn Minuten später verabschiedeten sie sich. Wir standen im Türrahmen und winkten Jansens nach.

„Nette Menschen, findest du nicht?“, fragte Frank und legte einen Arm um meine Schulter.

„Finde ich auch. Ingrid kommt morgen wieder und bringt mir was mit.“

„Was denn?“

„Ich habe keine Ahnung.“ Unwillkürlich musste ich lachen. „Sie ist verrückt, aber das mag ich.“

„Kommt mir bekannt vor“, sagte Frank und grinste.

Ingrid drehte sich noch einmal zu uns um und winkte zurück. Wir beobachteten, wie Karl seine Frau unterhakte, dann gingen wir hinein.

Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder

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