Читать книгу Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder - Danise Juno - Страница 8

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Vor uns lag eine Zeit, in der die Arbeiten an unserem Hof nur noch langsam voranschreiten würden. Der Urlaub neigte sich dem Ende. Leon musste wieder zur Schule und auch Frank wurde in der Firma schon schmerzlich vermisst. Kathi war noch zu klein für den Kindergarten und daher erwarteten sie keine lästigen Pflichten.

Nichtsdestotrotz begingen wir unser vorerst letztes freies Wochenende mit Müßiggang. Wir schliefen aus, frühstückten ausgiebig und da das Wetter es zuließ, unternahmen wir ausgedehnte Spaziergänge durch die weiten Felder. Die Kinder entdeckten immer wieder neues Getier, spielten im Herbstlaub und Boomer sprang aufgeregt kläffend um sie herum.

Ich hörte keine merkwürdigen Geräusche mehr und Frank hatte mich inzwischen davon überzeugt, dass es sich wahrscheinlich um einen Siebenschläfer gehandelt haben musste. Er richtete sich womöglich sein Winterquartier auf unserem Dachboden über der Küche ein.

Ich war nahe dran nach diesem Viech zu suchen, gab es aber auf, als ich feststellte, dass man nur über eine wackelige Leiter im Holzschuppen auf den Dachboden hinaufklettern konnte. Der bloße Gedanke an eine solche Kraxelei jagte mir schon einen Schauer über den Rücken. Also ließ ich es bleiben.

Am Abend des letzten freien Tages brachten wir die völlig verausgabten Kinder ins Bett und machten es uns vor dem Kamin gemütlich. Das Feuer prasselte leise vor sich hin und manchmal knackte einer der Scheite. Wohlige Wärme breitete sich im näheren Umkreis aus. Frank holte sich ein Buch, um zu lesen. Ich legte mir meine Wolldecke über die Knie und klappte den Laptop auf.

„Hast du gesehen wie schön sauber die Kaminplatte ist?“, fragte ich, als er sich auf den Sessel zu meiner Rechten fallen lies.

„Ja, habe ich. Sieht gut aus. Womit hast du den Ruß denn weg bekommen?“

„Mit scharfem Scheuermittel und einer Zahnbürste.“

„Hoffentlich nicht mit meiner“, sagte er und grinste.

„Deine Zähne sehen auch gut aus …“ Um meine Mundwinkel zuckte es amüsiert.

Er stutzte, dann lachte er.

„Quatsch, natürlich mit einer alten“, sagte ich immer noch lächelnd. „Ich war überrascht von dem schönen Motiv. Da hat sich jemand viel Mühe gegeben. Es stehen auch zwei Namen drauf und eine Jahreszahl.“

„Habe ich gesehen. Meinst du das waren die Leute, die den Hof gebaut haben?“

„Laut dem Makler soll der Hof noch viel älter sein. Das passt nicht zur Jahreszahl. Angeblich soll er schon im dreißigjährigen Krieg existiert haben. Natürlich nicht in der Form wie heute. Fest steht nur, dass diese Menschen hier gelebt haben. Ich wollte jetzt ins Internet, um nach ihnen zu suchen. Vielleicht finde ich noch mehr über sie heraus.“

„Viel Erfolg“, sagte er zweifelnd und schlug sein Buch auf.

Ich runzelte die Stirn. „Das geht“, sagte ich entrüstet. „Die Mormonen haben eine unglaubliche Datenbank online. Da findet man Abschriften von Millionen Kirchenbüchern.“

„Na dann mach mal.“

Er nahm mich nicht ernst und das war etwas, das ich leiden konnte, wie kalte Füße im Bett. Leicht verärgert öffnete ich die Datenbank und schickte meine Suchanfrage ab.

Es war ein Leichtes, herauszufinden, zu welchem Kirchspiel die Bauernschaft Limbergen gehörte. Auch dass es verschiedene Schreibweisen des Landstrichs gab. In manchen Verzeichnissen hieß er Lymbergen in den älteren Linthberghe.

Die zugehörigen Kirchenbücher standen fein säuberlich aufgelistet untereinander, aber leider ließ die Datenbank eine direkte Suche in den einzelnen Büchern nicht zu.

Der Ergeiz packte mich. Ich surfte in weiteren Datenbanken um die passenden Batchnummern zu finden und musste mich dann entscheiden, welches Kirchenbuch am ehesten in Frage kam. Heirats-, Tauf- oder Sterberegister.

Mir kam eine Heirat am wahrscheinlichsten vor. Der Hof sollte ja angeblich älter sein und da zwei Namen auf der Tafel standen, konnte das für die Gründung eines gemeinsamen Hausstandes stehen.

Ich rief das Heiratsregister der Jahre 1718-1751 auf und tippte den Namen des Mannes in die Suchmaske ein. Unter Lüttke-Herzog fand die Datenbank keinen Eintrag.

„Mist“, sagte ich laut und Frank sah auf.

„Klappt es nicht?“

„Doch“, brummte ich und dachte darüber nach, was ich sonst versuchen könnte. Den Triumph gönnte ich ihm nicht.

Ich schloss die Augen und versuchte, mich in die Lage des Pfarrers zu versetzen.

Der Pfarrer traut das Paar und fragt: „Wie heißt du mein Sohn?“

„Lüttke-Herzog“, antwortet der Mann.

Der Geistliche setzt zum Schreiben an, zögert einen Augenblick und kritzelt dann in einer Mischung aus altdeutsch und Latein …

Ich lächelte. Das war die Lösung. Es gab gleich zwei mögliche Ursachen, warum ich den Namen nicht finden konnte. Was, wenn der Pfarrer nicht wusste, wie man den Namen schrieb? Würde er, der gelehrte Mann, im Jahre 1734 den Bauern fragen, ob er es wusste?

Ich gab mir selbst die Antwort. Natürlich nicht. Der Pfarrer schrieb den Namen willkürlich und veramtlichte ihn damit.

Obendrein verwendete er in dieser Zeit eine Mischung aus altdeutsch und Pseudolatein. Latein so weit er es konnte und an der Stelle, an der ihn seine Bildung verließ oder es keinen lateinischen Begriff gab, setzte er ein -us hinten an. Ein anderer zog sich aus der Affäre, indem er unleserlich schrieb. Wie viele Menschen waren denn damals in der Lage zu prüfen, ob sein Latein auch korrekt war. Und selbst wenn es jemanden gegeben hätte, wer wagte das schon?

Die zweite Ursache folgte auf dem Fuße. Die Mormonen schrieben die Kirchenbücher ab und übernahmen die Fehler des Pfarrers, oder konnten die Schrift nicht entziffern und waren gezwungen zu raten.

Es brauchte noch eine ganze Weile, bis ich mich durch verschiedene Schreibvarianten gekämpft hatte. Doch dann fand ich den Eintrag, den ich erhofft hatte.

„Ich habe sie gefunden“, flötete ich.

„Echt?“ Frank klang erstaunt, was ich mit einer gewissen Genugtuung registrierte.

„Hier steht, dass sie am 29. April 1733 geheiratet haben.“

„1733? Steht auf der Platte nicht 34?

„Schon, aber das kann trotzdem passen. Sie haben definitiv 1733 geheiratet. Ich denke sie sind entweder erst ein Jahr später hier eingezogen oder die Platte wurde erst 34 fertig. Ich tippe auf Ersteres.“

„Kannst du das auch rausfinden?“

„Erst nicht glauben, dass ich überhaupt was finde und jetzt soll ich schon Wunder vollbringen. Solche Informationen findet man nur durch wahnsinnig viel Glück, wenn überhaupt.“

„Ich hab ja nur gefragt“, sagte er grinsend. „Ich hätte nicht gedacht, dass du bei deinen Mormonen überhaupt was findest.“

Ich verdrehte die Augen. „Das sind nicht meine Mormonen, ich bin evangelisch, falls du es vergessen hast. Sie führen die Datenbank aus Glaubensgründen und sind so freundlich, sie allen Menschen kostenlos zur Verfügung zu stellen.“

„Nette Menschen, diese Mormonen.“

Ich lachte. „Ja, das sind sie.“

Ich war inzwischen zu müde, um noch nach den Geburtsdaten der beiden zu suchen, aber ich nahm mir fest vor, die in Frage kommenden Mikrofilme zu bestellen. Es war sicher viel aufregender in den Originalen zu stöbern und die Schrift des Pfarrers zu sehen.

Bei der Vorstellung musste ich lächeln. Es wäre interessant herauszufinden, ob es an der Schrift des Pfarrers, oder an seiner Willkür lag, dass sich der Name in Lüthke-Herting gewandelt hatte.

Ein Gedanke trieb mich, noch einmal die Suchmaske zu öffnen. Ich tippte den Namen ein und sah die Ergebnisse durch, versuchte die verschiedenen Schreibweisen, dann runzelte ich die Stirn. „Das ist ja merkwürdig.“

„Was?“

„Ich finde überhaupt keine Kinder.“

„Vielleicht hatten sie keine. Was ist daran ungewöhnlich?“

„Im 18.Jahrhundert auf einem Bauernhof? Die einzige Altersvorsorge waren die Kinder. Das ist sogar mehr als ungewöhnlich.“

Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder

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