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Anna trat aus dem Zwielicht des Kottens ihrer Großmutter und war völlig verwirrt. Was um des Himmels willen war da eben geschehen? Sie stand im Widerstreit zwischen ihrer religiösen Erziehung und dem ländlichen Aberglauben, der ihr in jedem Winkel der Bauernschaften begegnete. Sollte sie all ihrem Leid zum Trotz auf Gott vertrauen, ein weiteres Kind gebären und darum beten, er möge ihr dieses Mal wohlgesonnen sein? Oder sollte sie der Hexe glauben schenken und hören, was sie vorzuschlagen hatte?

Anna war ratlos und sprach zu sich selbst: „Gib mir ein Zeichen, was soll ich tun?“ Im selben Augenblick trug der sanfte Wind das Geläut der Marienglocke aus Buldern heran und in der Ferne sah sie eine dunkel gekleidete Gestalt, die in ihre Richtung unterwegs war.

„Schwester, schön dich zu sehen“, sagte Pfarrer Haferkamp, als er sie erreicht hatte. „Die Sonne ist Balsam für die Seele, nicht wahr?“

Anna erwiderte seinen Gruß und nickte zustimmend. Es tat ihr tatsächlich wohl, das Haus verlassen zu haben, auch wenn die Umstände, die sie dazu gebracht hatten nicht das vermeintliche Wohl ihrer Seele betrafen. Zumindest nicht in dem Sinne, den der Geistliche annahm. „Hochwürden, wohin führt Euch Euer Weg?“

Er lächelte huldvoll. „Ich bin auf dem Weg zu deiner Großmutter, wie jede Woche um diese Zeit. Mich dünkt, du hast ihr gleichermaßen einen Besuch abgestattet?“

„Ich wollte sehen, wie es ihr geht“, sagte sie ausweichend.

„Nun, sie ist sehr alt“, sagte der Pfarrer, schien es aber in Anbetracht der Umstände vermeiden zu wollen, den Gedanken fortzuführen. Er wechselte das Thema. „In zwei Wochen findet das Osterhasseln statt. Wirst du wieder Kuchen beisteuern?“

Anna hatte nie etwas Sinnvolles in dieser Tradition gesehen, bei der die Junggesellen eine Holzscheibe durch die Straßen trieben. Es hatte dabei schon manch üble Verletzung gegeben, doch sie schienen ihre Männlichkeit mit Freuden zur Schau zu stellen. Da sie sich immer als Teil der Gemeinde verstand, hatte sie jedes Jahr mindestens einen Kuchen gestiftet und sie wusste, welche Absicht hinter der Frage des Pfarrers stand. Also antwortete sie seiner Erwartung entsprechend. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. So unauffällig wie möglich sprach sie von ihrem Hof und wie trostlos er ihr zurzeit erschien.

Der Geistliche nickte voller Verständnis für ihre Situation und lauschte ihren Ausführungen.

„Glaubt Ihr, die Frau die auf dem Lymberger Hof einst lebte, hat ebenso empfunden, als ihr Kind ins Reich des Herrn einging?“, fragte sie und hoffte, er würde ihre List nicht durchschauen.

Der Pfarrer musterte sie und sie konnte Argwohn in seinen Augen lesen. Die Anspielung war ihr offenbar gründlich missglückt.

„Jeder Mensch hadert mit Gott, wenn ihn der Verlust eines geliebten Menschen ereilt“, sagte er ausweichend. Er nahm ihre Hand und legte die andere darüber, als wolle er gemeinsam mit ihr beten. „Mir ist bewusst, dass du größeres Leid erfahren hast als andere. Doch der Herr schenkt den Menschen auch Freude und begleitet sie auf all ihren Wegen. Er führt sie auch aus der Dunkelheit der Trauer. Verweigere seine ausgestreckte Hand nicht. Du brauchst sie nur zu ergreifen. Komm auch du zurück ins Licht.“

Anna schwieg. Wenn seine Worte auf sie erbauend wirken sollten, so hatten sie ihr Ziel verfehlt. Dieser Gott schenkte Freude nachdem er ihr Liebstes genommen hatte? Und warum konnte ihr der Pfarrer nicht auf ihre Frage antworten? Er musste doch von seinem Vorgänger über die Frau auf dem Gemälde unterrichtet worden sein. Er schien ihr absichtlich auszuweichen. Warum?

Sie setzte alles auf eine Karte. „Hochwürden, die Frau, die auf unserem Hof lebte. Kennt Ihr ihren Namen?“

Der Geistliche sah ihr unverwandt in die Augen und zögerte. Er zog seine Hände zurück. Schließlich sagte er: „Es ist nicht gut, sich mit den Seelen zu beschäftigen, die dem Herrn den Rücken gekehrt haben. Ihre Namen sollen unausgesprochen bleiben, denn sie stehen nicht in der Schriftrolle des Lebens. Sie sind verdammt in alle Ewigkeit. Sorge dich um deine eigene Seele, auf dass sie nicht aus Gottes Pergament getilgt werde.“

Anna erschrak. Sie verstand seine Worte als klare Drohung. Konnte dies recht sein? Was hatte sie getan um diese harten Worte zu verdienen.

Der Pfarrer schien in ihren Gesichtszügen zu lesen und es machte auf sie den Eindruck, als wäre er mit der Wirkung seiner Worte höchst zufrieden. Seine Züge wurden weicher, als er sich verabschiedete und ankündigte, dass er beabsichtige, sie in den nächsten Tagen aufzusuchen.

Anna nickte nur, doch sie schwieg beharrlich. Sie fühlte sich nicht in der Lage auch nur ein Wort zu sagen, so hart hatten seine Worte sie getroffen.

Als er seinen Weg fortsetzte, blickte sie ihm nach. Dieser Mann hatte sie gerade bedroht. Sie hatte doch nur nach ihrem Namen gefragt. Die Frau sollte eine Verdammte sein? Weil sie ihr Kind verloren hatte? So wie sie selbst? Und wenn ihr Mann sie vielleicht ermordet hatte, warum wurde sie verurteilt? Warum wollte der Pfarrer nicht über sie sprechen? Je mehr sie über seine Worte grübelte, als desto ungeheuerlicher empfand sie deren Bedeutung.

Abrupt blieb sie stehen. Hatte ihre Mutter nicht denselben Ausdruck verwendet? Sie rief sich die Worte in Erinnerung und grübelte über das Verhalten der beiden. Der anschließende Unglaube an Geister wirkte aufgesetzt und nun war sie sich sicher, dass ihre Mutter mit den Worten des Pfarrers gesprochen hatte. War sie auch voller Zweifel an ihn herangetreten und dann bedroht worden? Sie würde das niemals zugeben, wenn Anna sie danach fragte.

Anna wandte sich in Richtung Heimat. Der Pfarrer verschwieg die Wahrheit. Er behauptete, die Frau sei verdammt und drohte ihr mit einem Ausschluss, auch wenn er das nicht direkt ausgesprochen hatte.

Und noch etwas fiel ihr auf. Der Pfarrer hatte gesagt, sie seien verdammt in alle Ewigkeit. Sie seien – nicht sie sei. Er hatte in der Mehrzahl gesprochen. Meinte er damit alle verdammten Seelen, oder mehrere bestimmte? Er hatte von der Frau gesprochen, meinte er vielleicht nicht nur sie, sondern auch ihr Kind, ihren Mann oder die ganze Familie?

Das Rätsel wurde immer undurchdringlicher. Hatte er damit vielleicht sogar sagen wollen, dass er es für möglich hielt, dass die Frau auf ihrem Hof spukte? Eine verdammte Seele, die keine Ruhe fand? Was sollte sie davon halten? In einem war sie sich absolut sicher: Wenn sie weiter versuchen würde, diesen Dingen auf den Grund zu gehen, dann drohte ihr der Verstoß.

Von diesem Augenblick an würde sie unter Beobachtung stehen und was immer sie zu tun gedachte, musste mit äußerster Vorsicht geschehen. Sie fasste den Entschluss, Rita aufzusuchen. Pfarrer Haferkamp bestätigte mit seiner Drohung, was die Hexe nur angedeutet hatte. Der Aberwitz daran war, dass der Würdenträger genau das Gegenteil von dem erreichte, was er bezweckt hatte. Für sie waren seine Worte ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es mehr gab zwischen Himmel und Hölle, als er ihr gegenüber jemals zugegeben hätte.

Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder

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