Читать книгу Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder - Danise Juno - Страница 7

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Es dauerte zwei quälende Monate bis wir endlich in unseren Hof einziehen konnten. Zwischenzeitlich lenkte sich meine grüne Ente fast selbstständig in die Bauernschaft, voll gepackt mit beiden Kindern auf der Rückbank. Und das nur, damit ich einen sehnsuchtsvollen Blick auf unseren Hof werfen konnte. Voller Enthusiasmus schwärmte ich Leon und Kathi vor, wie toll es dort werden würde.

„Das ist unser Bauernhof. Ist der nicht klasse? Bald werden wir da einziehen.“

„Wann denn, Mama?“, fragte Leon und Kathi brabbelte: „Eizih, eizih.“

Meist zuckte ich dann nur mit den Schultern und sagte bedauernd: „Bald, mein Schatz, bald“, weil ich es schlichtweg noch nicht wusste. Der Notar ließ sich Zeit und ich erinnerte mich dunkel an noch durchzuführende Sanierungsarbeiten, die Frank erwähnt hatte.

Doch auch diese Zeit ging vorbei und es kam der Tag, an dem wir mit Sack und Pack, den Kindern, Hund und Kater im Schlepptau, unser neues Domizil eroberten.

Es regnete in Strömen, doch die geräumige Tenne verschluckte den gesamten LKW und wir konnten die Möbel trockenen Fußes durch die Küche in den Wohntrakt schleppen. Gottlob hatten wir genügend Hilfe, sodass wir am Abend dankbar auf unsere frisch aufgebauten Betten sinken konnten.

Die nächsten Tage verbrachten wir damit uns einzurichten. Es gab ein paar Möbelstücke bei denen wir noch nicht schlüssig waren, ob wir sie behalten sollten und ich schlug vor, sie vorerst in der Upkammer unterzubringen.

Frank schnappte sich ein Nachtschränkchen, lief die Stufen hinauf und öffnete die immer noch schleifende Tür. Er blieb wie angewurzelt stehen.

„Was ist los?“

Er drehte sich zu mir um und fragte: „Warst du eigentlich seit der Besichtigung noch mal hier drin?“

„Nein, wieso?“

Er schnaubte. „Weil uns der Ex-Eigentümer noch mehr Arbeit dagelassen hat“, stellte er fest und wirkte sauer. Dann trat er einen Schritt zur Seite, damit auch ich hinein spähen konnte.

Nur mühsam konnte ich ein Jauchzen unterdrücken und Frank sah mich warnend an. „Das kommt alles auf den Sperrmüll, ist das klar?“

Ich musste nicht in einen Spiegel sehen, um zu wissen, dass meine Augen vor Begeisterung leuchteten. Die komplette Kammer war vollgestopft mit alten Möbeln und Gerümpel. Es war wie Weihnachten.

„Nein“, mahnte er noch einmal deutlich.

Ich konnte mir das Grinsen nicht mehr verkneifen. „Sicher, Schatz – alles auf den Sperrmüll. Klar.“

Verzweifelt schlug er sich die Hand vor die Augen und brummte wehleidig.

„Was habt ihr?“, rief Leon aus der Küche und sprang zu uns die Treppe herauf.

„Nichts Schlimmes“, sagte ich. „Wir haben nur ein paar alte Möbel entdeckt.“

„Cool“, sagte er und drängte sich an uns vorbei.

Frank schnappte ihn am Kragen und zog ihn zurück. „Das ist überhaupt nicht cool und du musst da jetzt nicht drin rumklettern.“ Er sah mich an und verzog die Mundwinkel. „Das Meiste kommt auf den Sperrmüll, wenn deine Mutter fertig sortiert hat.“

„Danke“, flötete ich und an Leon gewandt fragte ich: „Was macht Kathi?“

„Die spielt in meinem Zimmer“, antwortete er prompt.

„Kümmerst du dich noch ein bisschen um sie?“

Leon murrte verhalten.

„Das wäre wirklich lieb von dir“, verlieh ich meiner Bitte Nachdruck.

Er zog eine Schnute. „Aber ich wollte doch fragen, ob ich Nintendo spielen darf“, jammerte er.

„Kannst du ja“, sagte Frank beschwichtigend. „Setz dich doch zu ihr auf den Boden, dann ist sie schon zufrieden.“

„Na gut“, sagte er schließlich und verschwand in die Küche, indem er die letzten drei Stufen auf einmal hinunter sprang.

Frank stellte das Nachtschränkchen ab und ließ mich mit dem Trödel allein.

„Aber bitte“, sagte er über die Schulter „Nur was unbedingt sein muss, ok?“

Damit war ich mehr als einverstanden. Voller Vorfreude ließ ich meinen Blick über den kaum zwei Meter hohen Raum schweifen, der bis zur Decke gefüllt war. Es hatte den Anschein, als habe jede Person, die einst hier gelebt hatte irgendwelche Dinge in dieser Kammer eingelagert, als wäre ein Berg an Möbeln und Gerümpel über die Jahre hinweg stetig bis zur Tür gewachsen.

Ich beschäftigte mich zuerst mit einem antiken Küchenschrank. Die Schubladen waren vollgestopft mit alten Zeitungen aus dem Jahr 2001. Der letzte Bewohner des Bauernhofes war wohl zu faul gewesen, sie zu entsorgen. Der Schrank selbst war ein schönes Stück Handwerkskunst. Er war aus Apfelholz gefertigt und die wenigen Schnitzereien sahen nett aus. Die Butzenscheiben der oberen Vitrinentüren waren zwar schon teilweise gesprungen und eine fehlte ganz, aber es würde nur wenig Mühe kosten, ihn herzurichten. Er war eindeutig rettungswürdig.

Ich nahm mir Franks Mahnung zu Herzen und sortierte ein paar klapprige Holzstühle aus, die nur noch mit gutem Willen zusammengehalten wurden. Danach widmete ich mich einigen Kisten mit gesprungenem Porzellan, einem fleckigen Sessel aus den siebziger Jahren und diversen anderen Stücken, die selbst ich nicht mehr retten wollte. Mein Blick fiel auf einen ebenholzfarbenen Stuhl. Die vorderen Beine endeten in einer Schnitzerei, die Löwenpfoten nachempfunden war. Die Armstützen mündeten in einer Art Schnecke und die geschwungene Lehne rundete den edlen Eindruck ab. Das Polster war arg zerschlissen und verlangte nach einer Überarbeitung, aber dies war ein Möbel nach meinem Geschmack. Ich hoffte noch mehr solcher Stühle zu finden und tatsächlich standen unweit vom ersten entfernt noch weitere drei. In Gedanken platzierte ich sie bereits in der Kamindiele. Es fehlte nur noch ein Tisch, den ich zu meinem Bedauern nirgendwo entdecken konnte, aber ich tröstete mich damit, dass ich mit der Kammer noch lange nicht durch war.

Stetig arbeitete ich mich voran, bis ich hinter einem Sack mit verschimmelten Federbetten eine gigantische Holztruhe mit gewölbtem Deckel und Eisenbeschlägen fand. Sie reichte mir bis zur Hüfte und wenn Leon wollte, würde er mit ausgestreckten Beinen darin liegen können. Ich fuhr mit der flachen Hand über das Holz und prompt haftete eine dicke, graue Staubschicht an meinen Fingern. Ganz undamenhaft wischte ich sie an meiner Jeans ab und versuchte den schweren Deckel anzuheben, doch er rührte sich keinen Millimeter. Entweder war er für mich zu schwer oder die Truhe war abgeschlossen.

„Frank! Schau mal, was ich gefunden habe!“

„Lass mich raten“, rief er aus der Küche. „Möbel?“, witzelte er und bahnte sich einen Weg zu mir.

„Wow, das ist wirklich ein schönes Stück.“

„Finde ich auch, aber sie geht nicht auf.“

„Lass mal sehen.“ Auch er scheiterte, ging in die Hocke und musterte das schmiedeeiserne Schloss. „Soll ich sie aufbrechen?“

Entsetzt schüttelte ich den Kopf. „Bloß nicht.“

„Dann wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, als einen Spezialisten zu holen. Wir können sie in die Halle stellen, wenn der Boden fertig ist. Da sieht sie bestimmt ganz gut aus.“ Er rümpfte die Nase. „Aber erst musst du sie mal abwischen. Die Truhe müffelt.“

Ich schnalzte mit der Zunge. „Klar mach ich sie sauber. Wofür hältst du mich?“

Er sah auf meine Jeans und seine Mundwinkel zuckten amüsiert.

Abwehrend hob ich die Hände. „Sag nichts. Ich arbeite.“

„Schon klar, nur warum hast du dazu immer deine neuesten Klamotten an?“

Seufzend gestand ich, dass ich vergessen hatte mich umzuziehen. „Aber jetzt ist es eh zu spät. Ich bin schon dreckig.“

Er richtete sich auf und feixte. „Was du nicht sagst.“ Dann sah er sich in der Kammer um. „Da hast du noch einiges zu tun. Brauchst du mich noch?“

„Nein, schon gut. Ich mache gleich Schluss. Sollen wir zusammen etwas Schönes kochen?“

Frank nickte und verließ mich mit den Worten: „Ich sehe nach, was der Kühlschrank hergibt. Viel kann es nicht sein, aber ich finde schon was.“

Ich räumte noch ein wenig auf, stapelte Sperrmüllkandidaten nach vorne und stellte andere Dinge, inklusive unserer Nachtschränkchen, nach hinten, aber kaum eine halbe Stunde später folgte ich ihm. Es war spät geworden und nachdem wir gemeinsam gegessen hatten, brachte ich die Kinder ins Bett, während Frank den Hund ausführte.

Die Arbeit forderte ihren Tribut und die Müdigkeit trieb auch uns bald in die Kissen.

Ich schlief unruhig. Der Wind heulte um den Hof und rüttelte an den Fensterläden. Im Babyfon rauschte es und als Kathi anfing zu wimmern war ich wach. Leise schlüpfte ich in meine Hausschuhe und angelte nach meiner Strickjacke. Während ich das Schlafzimmer verließ, zog ich sie über die Schultern.

Das alte Gemäuer ächzte wie ein großes Tier. Überall knackte es im Gebälk und der Dielenboden knarrte unter meinen Füßen. Draußen schlug etwas rhythmisch gegen die Mauer und ich vermutete, dass sich die Pforte aus ihrem Schloss gelöst hatte.

Ich wanderte durch die Kamindiele, an deren Ende Kathis Zimmer angrenzte. Der Vollmond schien durch die zahlreichen Fenster herein und fast hätte man glauben können, es sei helllichter Tag.

Unter all die Geräusche mischte sich etwas Unbekanntes. Sicher war mir der Hof noch nicht so vertraut, doch dieses Geräusch bescherte mir augenblicklich eine Gänsehaut. Es war eine Art ruckartiges Schleifen, so als würde jemand etwas Schweres hinter sich herziehen.

Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich lauschte an Kathis Zimmertür, doch darin regte sich nichts. Ich durchquerte die Halle, schlich auf leisen Sohlen in die Küche und spitzte die Ohren.

Der Kühlschrank brummte leise, darüber tickte die Uhr, sonst hörte ich nichts. Hatte ich es mir im Halbschlaf eingebildet? Träumte ich womöglich noch?

Ich öffnete den Kühlschrank, nahm eine Tüte Milch heraus und drehte den Verschluss auf. Ich wollte sie gerade auf die Ablage stellen, als ich wieder dieses Wimmern hörte. Es schwoll an zu einem lauten Weinen, als ob ein Baby schreien würde.

Plötzlich zerschellte ein Blumentopf auf dem Küchenboden. Ich stieß einen erschreckten Schrei aus und ließ die Milch fallen. Ihr Inhalt ergoss sich auf die Fliesen. Ich wollte fluchtartig die Küche verlassen, als ein Schatten vom Sims sprang und wie ein geölter Blitz in die Halle raste.

Ich legte meine Hand aufs Dekolletee und schloss für einen Augenblick die Augen, um mich zu sammeln. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich fuhr herum.

„Julia? Was machst du? Ist alles in Ordnung?“ Frank stand neben mir. Er sah besorgt aus.

Ich atmete tief ein, bevor ich antwortete. „Ich dachte Kathi wäre wach und dann war da ein Geräusch“, stammelte ich.

„Was für ein Geräusch?“, hakte er nach.

„Ich weiß nicht.“

„Und warum hast du geschrien? Ist wirklich alles ok mit dir?“

Mein Blick fiel auf den zerschellten Blumentopf, der vom Mondlicht angestrahlt wurde, als habe man einen Spot auf ihn gerichtet. „Ja“, sagte ich und verzog den Mund zu einem Lächeln, obwohl mir nicht danach war. Zu stark waren die Eindrücke der letzten Minuten gewesen. „Vertigo hat mich erschreckt. Er hat bestimmt einen Artgenossen angekeift. Mir ist fast das Herz stehen geblieben, als er den Topf runtergeschmissen hat. So schnell wie er aus der Küche geschossen ist, ging es ihm wahrscheinlich ähnlich.“

Frank sah mich forschend an.

„Schon gut, ich bin ok.“

Er rieb mir liebevoll den Arm. „Na komm, trink einen Schluck und dann gehen wir wieder schlafen.“ Er hob die halbvolle Tüte Milch auf, schenkte mir ein Glas ein und gab es mir. Während ich trank, holte er einen Lappen aus dem Spülbecken, wischte die Milchlache auf und legte ihn unausgewaschen ins Becken. Normalerweise ärgerte mich so etwas immer, weil der Lappen am nächsten Tag stinken würde, doch ich war zu aufgewühlt, als dass es mich kümmerte. Ich trank mit einem letzten Schluck das Glas leer und stellte es einfach daneben.

Er reichte mir die Hand und wir gingen zurück ins Schlafzimmer. Ich sehnte mich nach unserem warmen Bett mit ihm an meiner Seite. Als ich mich zugedeckt hatte, schloss ich meine Augen und lauschte in die Dunkelheit hinein. Das schleifende Geräusch kam nicht wieder, dennoch brauchte ich lange, bis ich an Frank gekuschelt endlich zurück in den Schlaf fand.

Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder

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