Читать книгу Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder - Danise Juno - Страница 9

Оглавление

4

Lymbergen, 1734

Johann scherte sich nicht um die Geschichten, welche über die Vorbesitzer des Guts erzählt wurden. Was kümmerten ihn diese Leute. Hier würde er mit seiner Frau leben, ein paar Tagelöhner einstellen und einen Hof leiten, so wie er es von seinem Vater gelernt hatte. Er hätte lieber dessen Hof übernommen, doch gebot die Tradition, dass dieser seinem Bruder Karl zufallen würde. Dennoch hatte sein Vater großen Wert darauf gelegt, dass sie beide gleichermaßen dazu in der Lage sein würden einen Hof zu führen und die entsprechende Bildung erhielten.

Wenn er recht darüber nachdachte, konnte es sein Schaden nicht sein. Er musste sich nicht um den Altenteil der Eltern sorgen und bekam eine großzügige Abfindung, die ihn in die glückliche Lage versetzte, sein eigener Herr zu sein.

Die alte Hofstelle Lymbergen stand lange Jahre wüst. Niemand wusste genau, wie alt der Hof tatsächlich war. Manche Nachbarn sagten, er habe schon viele Jahre vor dem Krieg gestanden, doch niemand würde je erfahren wann er tatsächlich gebaut worden war. Johann war das einerlei. Der Hof versprach immer noch einen hübschen Betrag abzuwerfen, wenn die erste Pacht gezahlt sein würde. Nur das war wichtig.

Er hörte wie ein Wagen vorfuhr und jemand seinen Namen rief. Das konnte nur Jakob sein, dachte er und öffnete die Tür.

Er hatte bei seinem Freund eine Kaminplatte in Auftrag gegeben, die eine weitere und vermutlich auch die krönende Überraschung für Anna sein sollte. Ein Prunkstück für den Hof, das obendrein jedermann daran erinnern sollte, wem er gehörte.

Jakob löste schon die beiden Seile mit denen er seine kostbare Fracht gesichert hatte, als Johann in den strahlenden Sonnenschein trat und die Augen mit der Hand beschattete. „Gott zum Gruß, Jakob“, rief er, als er an den Wagen trat. „Ist sie gut geworden?“

„Natürlich“, antwortete dieser freundlich. „Ein schönes Stück Arbeit, aber ich glaube, sie ist prachtvoll genug für deine Anna.“ Er zog das weiße Leinen langsam von der Platte, als enthülle er den Kronschatz Kaiser Karls.

Johann war verblüfft. Er wusste zwar, dass Jakob viel von seinem Handwerk verstand, doch mit einer solchen Kunstfertigkeit hatte er nicht gerechnet.

„Was meinst du?“

Johann sah in die vor Stolz funkelnden Augen seines Freundes. Er pfiff anerkennend durch die Zähne und strich mit den Fingern die Buchstaben nach, die auf der Tafel standen. Seine Augen betrachteten wohlwollend das Motiv rechts und links neben dem Text. Zwei der Schrift und einander zugewandte Männer verrichteten ihr Tagwerk. Die Tafel übertraf seine Erwartungen bei weitem. Anna würde staunen, da war er sich sicher. „Danke, Jakob. Wenn sich herumspricht, welche Wunder du mit Eisen vollbringen kannst, hast du für den Rest deines Lebens ausgesorgt“, sagte er anerkennend.

„Jetzt pack schon an“, wies sein Freund ihn freudestrahlend zurecht. „Das Ding wiegt soviel wie der Kirchturm und du willst sie doch an Ort und Stelle haben, bevor deine Frau hier auftaucht.“

Die beiden Männer trugen das wuchtige Schmuckstück in die Deele und brachten es an der rückwärtigen Wand im Inneren des Kamins an.

Jakob ging noch einmal zu seinem Wagen zurück, brachte zwei Feuerböcke, die er vorsichtig auf den Bodenplatten abstellte und verabschiedete sich dann, nicht ohne Johann eine schöne erste Nacht im neuen Heim zu wünschen und dabei verschmitzt zu zwinkern.

Nachdem er Jakob verabschiedet hatte, hockte Johann sich vor den Kamin, betrachtete noch einmal die Platte und bedeckte sie wieder mit dem weißen Leinentuch, welches sein Freund ihm dagelassen hatte. Die Überraschung für Anna würde perfekt sein. Er stand auf, raufte sein mittelblondes Haar und beschloss, noch einmal nach dem Rechten zu sehen.

Die letzten Monate hatte er damit verbracht, neben seiner Arbeit auf des Vaters Gut, den Lymberger Hof herzurichten, um endlich seiner im April des Vorjahres angetrauten Gemahlin ein Heim bieten zu können. Heute würde er Anna von ihrem Vater in Empfang nehmen, der sie gegen Mittag mit dem Wagen bringen wollte.

Voller Vorfreude wanderte er durch die frisch bereiteten Ställe, die schon morgen Nachmittag drei fette Schweine beherbergen würden, denn er beabsichtigte, sie in der Früh bei einem Nachbarhof abzuholen. Der Handel stand, die Säue warteten schon und um die zukünftige Zucht zu komplettieren, hatte er noch einen gut gebauten, viel versprechenden Eber dazu erstanden.

Er durchquerte die Tenne und inspizierte den künftigen Kuhstall. Die Raufen waren noch leer, doch auch dieser Stall würde nach dem nächsten Markt in Buldern mit einem Grundstock an Milchvieh gefüllt sein.

In der hinteren Ecke standen Egge und Pflug bereit, um das weite Land zu bestellen, dessen sandiger Boden es ihm nicht sonderlich schwer machen würde. Mit stolzgeschwellter Brust und schmalem Geldbeutel sah Johann dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft.

Es gab viel zu erledigen; Tagelöhner mussten noch herangeschafft werden, eine Magd, die seiner Frau zur Hand gehen sollte und es fehlte ein Hofhund. Katzen stellten sich für gewöhnlich von selbst ein, sobald sie Wind davon bekamen, dass es etwas zu holen gab.

Er setzte seinen Rundgang fort, verließ den Kuhstall durch eine kleine Seitenpforte und überquerte den unbefestigten Hof zum Pferdestall.

Zwei sanfte Kaltblüter begrüßten ihn schnaubend. Mit einer Hand strich er ihnen nacheinander über die samtenen Nüstern und gab jedem einen Apfel.

Der Wagen seines Schwiegervaters, gezogen von zwei Braunen, holperte langsam den Weg entlang und bog zwischen den beiden Eiben zum Hof ein. Neben ihm auf dem Kutschbock saß Anna und winkte ihm freudig zu.

Er wusste, dass sie es kaum erwarten konnte bei ihm zu leben. Ihm selbst ging es nicht anders und nun waren die endlosen Gespräche und Träumereien über ein perfektes Eheleben vorbei. Sie schritten endlich zur Tat.

Anna wirkte aufgeregt. Es fehlte nicht viel und sie würde vom Bock fallen. Er beobachtete wie ihr Vater etwas zu ihr sagte und konnte sich lebhaft vorstellen was es war. Es konnte nur eine Zurechtweisung sein. Sie möge doch um des Himmels willen Haltung an den Tag legen. Was mochten denn die Leute denken.

Als der Wagen hielt, flötete sie: „Aber Vater“, und lachte. „Es ist doch natürlich, dass eine glückliche Frau fröhlich zu ihrem Mann heimkehrt.“

Johann musste an sich halten, um nicht laut loszulachen. Glücklicherweise wurde sein amüsiertes Schnauben durch das Gackern von gut einem halben Dutzend Hühnern übertönt, die auf dem voll bepackten Wagen untergebracht waren.

Anna sprang leichtfüßig herab und flog ihm überschwänglich in die Arme, dass ihr Rock nur so wirbelte.

Ihr Vater zog die Brauen drohend zusammen und räusperte sich aufmerksamkeitsheischend.

Johann schob seine Frau liebevoll zur Seite, zwinkerte ihr zu und richtete sein Augenmerk auf den Älteren, den er höflich grüßte.

Dieser nickte knapp und deutete nach hinten. „Die sind für euch“, brummte er, womit er eindeutig das aufgeregte Federvieh und die anderen Dinge meinte, die auf dem Wagen fest verzurrt waren.

Üblicherweise brachte die Braut beim Einzug in den Hof ihres Mannes die Mitgift mit. Sie war gewöhnlich so groß, wie ein Wagen fassen konnte. Darunter ihre Kleidung, einige Möbelstücke und ganz obenauf das Ehebett. Sie wurden dann am Hof von ihrem Gatten und einem Haufen grölender Junggesellen empfangen, die beim Abladen halfen und ihren Schabernack trieben. Durch die besonderen Umstände hatten sie diese Tradition jedoch ein wenig abgewandelt, sodass sie die Scherze bereits hinter sich hatten und auch das Ehebett an Ort und Stelle stand. Leider hieß das auch, dass er den Wagen ohne Hilfe abladen musste. Dabei brannte er darauf mit Anna allein zu sein.

Ohne zu murren machte er sich an die Arbeit. Anna lud ihre Kleiderbündel ab und Johann trug einen Schaukelstuhl und ein Spinnrad in die Tenne. Das letzte Möbelstück stellte ihn jedoch vor ein Problem. Zweifelnd maß er abwechselnd die Küchenvitrine und die zierliche Gestalt seiner Frau und schüttelte den Kopf. Er sah zu Josef auf, der immer noch auf dem Bock saß und ihn augenscheinlich beobachtete.

Dieser brummte einige unverständliche Worte in seinen Bart und stieg dann herunter. Er musterte Anna, drückte ihr den Käfig mit dem Federvieh in die Hände, der neben dem Wagen auf dem Boden stand und sagte: „Los, mach dich nützlich, Mädchen.“

Das missfiel Johann. Dieses Mal war es an ihm, die Brauen drohend zusammenzuziehen. Er nahm Anna den schweren Käfig aus den Händen. „Das muss sie nicht“, sagte er und in seiner Stimme lag ein warnender Unterton. Als Josef ihn unverwandt anstarrte, hielt er seinem Blick stand.

Anna stand zwischen den beiden Männern und Johann merkte, wie sie den Atem anhielt.

Sein Schwiegervater schien zu der Entscheidung zu gelangen, dass Johann ihm ebenbürtig war, denn er sah zu seiner Tochter und sagte: „Gut. Sie weiß wahrscheinlich sowieso nicht wo sie hingehören.“ Er zuckte mit den Schultern, wandte sich der Ladefläche zu und wartete.

Johann verstand sofort, stellte den Käfig zur Seite und sprang hinauf. Insgeheim war er erleichtert, dass Josef es nicht auf eine Auseinandersetzung anlegte. Eine Familienfehde zu entfachen lag ihm fern, zumal er wusste, dass Anna ihren sturköpfigen alten Herrn liebte, auch wenn Josef diese Liebe nicht zu erwidern verstand. Das Einzige was er erwartete war, dass der Alte ihm den nötigen Respekt erwies.

Er packte den massiven Schrank am Vitrinenaufbau und sah zu, wie Josef das untere Ende anhob. Gemeinsam hievten sie das gute Stück vom Wagen und trugen es durch die Tenne in die geräumige Küche. Sie stellten die Vitrine an die Wand neben der Tür zum Hinterzimmer und den Stufen, die zur Upkammer führten. Sie traten wenige Schritte zurück und betrachteten ihr Werk. Johann beobachtete, wie Josef sich umsah und zufrieden nickte, dann gingen sie zurück in den Hof, wo Anna auf sie wartete.

Nachdem sich Josef verabschiedet hatte und davon gerumpelt war, verstaute Johann die Hühner in einem Verschlag neben dem Gemüsegarten. Anschließend zeigte er seiner Angetrauten den Hof.

Sie hing ihm förmlich an den Lippen während seiner phantastischen Ausführungen über das Potenzial des Guts. Feierlich schloss er mit den Worten: „Der Lymberger Hof wird eine feste Größe im Münsterland.“

Zum krönenden Abschluss nahm er ihre Hand in die seine und führte sie vor den Kamin. Ihr Blick blieb an dem Gemälde hängen, das darüber hing. Sie musterte es interessiert. „Glaubst du, dass sie immer noch hier ist?“

Er schüttelte entschieden den Kopf und schnaubte. „Du wirst doch diesen dummen Spukgeschichten keinen Glauben schenken?“

Sie zögerte.

„Soll ich es abnehmen?“

Anna schien jeden einzelnen Pinselstrich zu studieren und ließ das Bild auf sich wirken. Schließlich sah sie ihm in die Augen und sagte: „Nein. Ich habe keine Angst, solange du bei mir bist.“

„Wovor solltest du auch Angst haben. Es ist nur ein Bild. Nichts weiter.“ Als er sicher war, dass er ihre ganze Aufmerksamkeit zurückgewonnen hatte, wies er auf die Brennkammer. „Eigentlich wollte ich dir das hier zeigen.“

Ihr Blick folgte seiner Geste. „Oh“, rief sie aus. „Was ist das? Noch eine Überraschung?“

Wie Jakob zuvor, zog er nun an dem Leinentuch und enthüllte den Beweis, dass sie zusammengehörten.

Anna atmete hörbar ein. „Du meine Güte, Johann, das muss dich doch ein Vermögen gekostet haben“, hauchte sie und sank auf die Knie um die Aufschrift der gusseisernen Platte genauer zu betrachten.

Johann strich ihr sanft über den Rücken. Um seine Frau zu überraschen, hätte er Jakob auch zwei Kälber versprochen. Er grinste.

Anna sah auf und bat ihn vorzulesen. Er hatte sie das Lesen gelehrt, da ihr Vater solcherlei Unfug für ein Weib nicht duldete, doch tat sie sich mit den geschriebenen Worten immer noch schwer. So ließ er sich nicht zweimal bitten und las mit feierlicher Stimme:

Johann Anton Lüttke-Herzog

Anna Theresia Lüttke-Lehfeld

1734

„Das klingt wunderbar“, sagte sie, erhob sich und umarmte ihn stürmisch. Sie strahlte über das ganze Gesicht.

Er strich ihr eine blonde Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrem Nackenknoten gelöst hatte. Er versank in ihren blauen Augen, senkte seine Lippen und fand ihre, die sich zu einem innigen Kuss öffneten.

Es vergingen einige Minuten, bis sie sich voneinander lösten. Er strich ihr sanft über die erröteten Wangen und sah sie lächeln.

Sie gehörten zusammen und Anna gehörte hierher. Dies war ihr gemeinsames Heim und er konnte in ihren Augen sehen, dass sie ihn liebte.

Herbstlilie. Limbergens vergessene Kinder

Подняться наверх