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f) Durchsetzung von Rechtsansprüchen und justizielle Tätigkeiten (Art. 9 Abs. 2 lit. f)

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Einen in praktischer Hinsicht äußerst bedeutsamen Ausnahmetatbestand enthält Art. 9 Abs. 2 lit. f:

„Für die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen dürfen sensitive Daten abweichend vom Verbotsgrundsatz des Art. 9 Abs. 1 nach Art. 9 Abs. 2 lit. f verarbeitet werden. Die Regelung entspricht dabei Art. 8 Abs. 1 lit. e DSRL, wobei die DS-GVO nunmehr die „Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit“ miteinbezieht. Darüber hinaus ist ErwG 52 zu beachten: Dadurch wird verdeutlicht, dass die DS-GVO ebenfalls im Falle der Verarbeitung sensibler Daten durch Gerichte und andere Justizbehörden sowie in einem Verwaltungsverfahren oder in einem außergerichtlichen Verfahren Anwendung findet.“[290]

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Hintergrund der Regelung ist dabei die Sicherung der Effektivität der Rechtsdurchsetzung und des Justizgewährleistungsanspruchs (Art. 47 GRCh, Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG): Lässt sich ein geltend gemachter Anspruch oder die Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder ein gerichtliches Verfahren nur durch die Verarbeitung personenbezogener Daten durchsetzen, so soll es daran nicht durch ein Verarbeitungsverbot scheitern.[291]

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Der Begriff der „Rechtsansprüche“ ist deshalb weit auszulegen und bezieht sich sowohl auf deren Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung als auch auf öffentlich-rechtliche wie auch privatrechtliche Rechtspositionen. Die Entstehungsgründe für Rechtsansprüche können vielfältig sein und sich dabei etwa aus vertraglichen Regelungen ergeben, aus rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnissen, aber auch aus schädigenden oder deliktischen Handlungen, die zu Schadenersatzansprüchen führen.[292] Ob der Verantwortliche in dem Rechtsverhältnis Gläubiger oder Schuldner ist, ist dabei unerheblich.[293]

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Die Verarbeitung sensibler Daten nach Abs. 1 muss weiterhin zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen erforderlich sein. Hinsichtlich der Anforderungen an die Erforderlichkeit sind keine allzu strengen Maßstäbe zu stellen. Nicht jeder Tatsachenvortrag, der sensible Daten eines Betroffenen beinhalte, verstößt allein deswegen gegen Art. 9, wenn der Vortrag vom Gericht als unerheblich bewertet werde. Ausreichend ist vielmehr eine hinreichende Plausibilität der Erheblichkeit. Diese Grenze wird aber bei einer willkürlichen und bewussten Offenlegung von sensiblen Daten, die mit dem Streitstoff in keinerlei Verbindung stünden überschritten.[294]

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Mit Blick auf die besondere Bedeutung des Art. 9 ist für die Praxis aber dringend angeraten, die Verarbeitung sensibler Daten, insbesondere bei Weitergabe im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, sorgfältig zu prüfen.

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In praktischer Hinsicht wird die Vorschrift somit immer dann relevant, wenn sensible Daten in dem o.g. Zusammenhang verarbeitet werden und für den Bestand von Rechtsansprüchen entscheidungserheblich sein können. Einen klassischen Anwendungsfall bildet etwa der Arzt, der eine Forderung gegenüber einem Patienten gerichtlich geltend macht. Daneben sind aber auch andere Fallgestaltungen denkbar: Geht es etwa in einem arbeitsrechtlichen Verfahren um die Frage eines Entschädigungsanspruchs eines Bewerbers wegen eines Verstoßes gegen das AGG durch den Arbeitgeber, so können dabei etwa Gesundheitsdaten oder politische Meinungen (z.B. im Rahmen des Fragerechts des Arbeitgebers nach bestimmten Krankheiten oder einer Parteizugehörigkeit im Bewerbungsgespräch)[295] verarbeitet werden. Auch im Falle von Streitigkeiten hinsichtlich einer Zahlungspflicht für Zusatzangebote im Rahmen der Nutzung einer Gesundheits-App kann die Verarbeitung von sensiblen Daten, die im Rahmen der Gesundheits-Apps (z.B. Schrittzähler und Herzfrequenz) erhoben wurden, die Verarbeitung im o.g. Sinne erforderlich machen. Daneben kann lit. f bei der Übermittlung von Gesundheitsdaten durch private Versicherungsunternehmen zur Anwendung kommen, vgl. dazu bereits Rn. 93.

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Daneben wird Art. 9 Abs. 2 lit. f auch im Rahmen der Verarbeitung von sensiblen personenbezogenen Daten durch die Justiz relevant, sofern nicht der Anwendungsbereich der vorrangigen JI-Richtlinie tangiert ist.[296] Dies betrifft etwa den Versand von Schriftsätzen oder den Umgang mit Daten von Verfahrensbeteiligten.[297] Im Rahmen gerichtlicher Tätigkeiten ist dabei entsprechend § 1 Abs. 1 BDSG sorgsam zwischen Bundesgerichten und den Gerichten der Länder zu unterscheiden, die eine Anwendbarkeit des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes zur Folge haben.[298] Daneben sind die Vorschriften des Prozessrechts zu beachten, denen auch datenschützende Funktion zukommt (etwa Recht auf Akteneinsicht gem. §§ 299 ZPO, 100 VwGO).[299] Vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zur gemeinsamen Verantwortlichkeit[300] ist sorgsam zu prüfen, ob das Gericht oder der jeweilige Spruchkörper datenschutzrechtlich verantwortlich ist und inwieweit eine gemeinsame Verantwortlichkeit für die Datenverarbeitung besteht.[301]

DS-GVO/BDSG

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