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g) Erhebliches öffentliches Interesse (Art. 9 Abs. 2 lit. g)

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Gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. g gilt das Verbot der Verarbeitung sensitiver Daten aus Art. 9 Abs. 1 nicht, soweit die Verarbeitung aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist. In einem solchen Falle kann die Verarbeitung auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaates, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, zulässig sein.

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Art. 9 Abs. 2 lit. g entspricht dabei Art. 8 Abs. 4 DSRL. Die Parallelnorm für personenbezogene Daten, die keiner besonderen Kategorie unterfallen findet sich in Art. 6 Abs. 1 lit. e.

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Zu beachten ist, dass Art. 9 Abs. 2 lit. g im Wesentlichen aufgrund seiner generalklauselartigen Formulierung keinen eigenständigen Erlaubnistatbestand darstellt. Es handelt sich vielmehr um eine Öffnungsklausel dergestalt, dass konkretisierende Normen der Union oder der Mitgliedstaaten den Begriff des öffentlichen Interesses ausfüllen und infolge dessen der Ausnahmetatbestand Anwendung finden kann.[302]

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Letztlich findet daher im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 lit. g eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit und den aus dem Datenschutzrisiko für den Betroffenen resultierenden schutzwürdigen Belangen anhand der konkretisierenden Normen statt.[303] Insofern wird die Reichweite des Ausnahmetatbestandes weitgehend von der Inanspruchnahme der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten determiniert. In der Praxis wird der Ausnahmetatbestand daher insbesondere im Gefahrenabwehrrecht Bedeutung erlangen.[304] Gleichwohl ist zu beachten, dass die Regelung nicht auf eine bestimmte Materie beschränkt ist, so dass Art. 9 Abs. 2 lit. g der weiteste Anwendungsbereich im Rahmen des Art. 9 Abs. 2 zukommt.[305]

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Der Begriff des öffentlichen Interesses wird durch die DS-GVO selbst nicht definiert.

Ein öffentliches Interesse liegt daher dann vor, wenn ein Interesse der gesamten Bevölkerung oder zumindest eines weiten Teils dieser und damit ein Interesse der Allgemeinheit vorliegt.[306] Demzufolge werden bloße Einzel- oder Privatinteressen aus dem Anwendungsbereich ausgeklammert. Dies schließt freilich nicht aus, dass Interessen der Allgemeinheit gleichzeitig Einzelinteressen sein können (etwa Hilfe zu humanitären Zwecken).[307] Folglich stellt auch ErwG 46 S. 3 klar, dass einige Arten der Verarbeitung sowohl wichtigen Gründen des öffentlichen Interesses als auch lebenswichtigen Interessen der betroffenen Person dienen können und nennt dabei etwa die Verarbeitung für humanitäre Zwecke einschließlich der Überwachung von Epidemien und deren Ausbreitung oder humanitäre Notfälle im Falle von Naturkatastrophen. Entscheidend ist daher die Abwehr erheblicher Nachteile oder die Wahrung erheblicher Belange des Allgemeinwohls, wie etwa die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, die Gefahrenabwehr oder die Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit.[308]

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Darüber hinaus müssen die unions- oder mitgliedstaatlichen Regelungen angemessene Garantien zur Wahrung der Rechte und Freiheiten der betroffenen Person enthalten. Insofern gelten die Ausführungen aus Art. 9 Abs. 2 lit. b (vgl. Rn. 132 f.) entsprechend.

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In diesem Zusammenhang ist insbesondere eine Abgrenzung zu dem Begriff des öffentlichen Interesses aus Art. 6 Abs. 1 lit. e erforderlich. Während im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 lit. e die Datenverarbeitung lediglich an die Voraussetzung einer Aufgabenwahrnehmung im öffentlichen Interesse knüpft und damit letztlich jede öffentliche Aufgabe ausreichend ist, liegen die Anforderungen im Rahmen von Art. 9 Abs. 1 höher.[309] Insofern muss im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 lit. g entsprechend seinem Wortlaut eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschritten werden, die Bagatellfälle ausklammert und so die Verarbeitung sensitiver Daten einer spezifischen Legitimation unterwirft, um den Ausnahmecharakter der Vorschrift nicht zu entwerten.

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Dabei ist aber unklar, wo diese Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall anzusiedeln ist. Auch ist fraglich, ob mit dem Begriff der „öffentlichen Interessen“ und der „Allgemeinheit“ stets die Voraussetzung verbunden ist, dass eine Gefahr für mehrere Personen besteht oder ob auch Gefahren für lebenswichtige Interessen des Einzelnen eine Anwendung des Ausnahmetatbestandes rechtfertigen können.

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Gerade vor dem Hintergrund einer Ausfüllung des Ausnahmetatbestands durch das Recht der Mitgliedstaaten können hier erhebliche praktische Probleme, insbesondere hinsichtlich des Gefahrenabwehrrechts entstehen.

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Insbesondere wenn es um die Verarbeitung von Gesundheitsdaten geht, kann es so zu Verzahnungen mit dem Gefahrenabwehrrecht kommen. Denkbar sind hier etwa Fälle eines angedrohten Suizides eines Nutzers bei Facebook.[310] Nach nationalem Recht kann auch ein (angedrohter) Suizid eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung begründen. Darüber hinaus nimmt ErwG 46 S. 3 auch ausdrücklich auf die lebenswichtigen Interessen des Einzelnen Bezug. Diese Überlegungen sind dabei auf Selbstgefährdungen übertragbar (wie etwa die Ankündigung eines Nutzers in sozialen Netzwerken lebensgefährliche Handlungen vorzunehmen, wie z.B. „S-Bahn-Surfing“). Daneben kommen Fälle in Betracht, in denen sich der Betroffene einer Impfung verweigert und dadurch Dritte gefährdet. Eine Gefahr für die Allgemeinheit entsteht darüber hinaus im Falle des Fahrens eines Kraftfahrzeugs im alkoholisierten Zustand oder Fahrten unter Drogeneinfluss. In diesen Fallgruppen geht es stets um lebenswichtige Interessen und damit um hochrangige und besonders schützenswerte Rechtsgüter, die nach nationalem Recht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen. Bei konsequenter Anwendung der Öffnungsklausel müssen diese Fallgruppen folglich eine Anwendung des Ausnahmetatbestandes des Art. 9 Abs. 2 lit. g rechtfertigen können.

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