Читать книгу Etwas muss sich ändern - David Platt - Страница 15
Blindheit
Оглавление„Setzt eure Sonnenbrillen auf“, rät uns Aaron, als wir draußen vor dem Teehaus unsere Rucksäcke auf die Schultern nehmen. Er zeigt zum blauen Himmel, an dem die Sonne strahlt. „Bei der gleißenden Sonne und dem Schnee hier oben seid ihr ohne Sonnenbrille blind, ehe ihr es euch verseht.“
„Meinst du das ernst?“, frage ich.
„Ja, das nennt sich Schneeblindheit. So eine Art Sonnenbrand in den Augen. Und genau wie beim Sonnenbrand: Wenn du die ersten Symptome bemerkst, ist es schon zu spät. Man kann blinde Flecken bekommen oder für einen oder zwei Tage völlig blind sein … im schlimmsten Fall sogar für immer.“
Schleunigst schützen wir unsere Augen und machen uns auf den Weg. Von einem Weg kann man streng genommen gar nicht sprechen. Ich habe eher den Eindruck, wir bahnen uns unseren eigenen Pfad durch den Schnee. Aber es ist traumhaft. Auf allen Seiten sind wir von schneebedeckten Gipfeln umgeben.
Der Berg zu unserer Rechten ist über 8 000 Meter hoch. Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Wir wandern hier auf einer Höhe von etwa 4 000 Metern. Das ist etwa vergleichbar mit Eiger, Mönch und Jungfrau in der Schweiz. Wir haben also einen Berg vor Augen, der so hoch ist wie zwei solche 4 000er übereinandergestapelt!
Nach mehreren kleinen Auf- und Abstiegen gelangen wir nach knappen fünfhundert Metern in ein Dorf mit nur wenigen Häusern. Dort sehen wir einen Mann aus seiner Haustür herauskommen. Er trägt ein zerlumptes beigefarbenes Hemd und eine zerrissene braune Jacke, die so durchlöchert ist, dass sie wohl kaum noch ihren Zweck erfüllt. Sein rabenschwarzes Haar, sein grauer Bart und seine raue bronzefarbene Haut sehen aus wie wochenlang nicht gewaschen. Das eigentlich Auffällige an diesem Mann ist aber etwas anderes: Er hat nur ein Auge.
Aaron begrüßt ihn in der Sprache der Einheimischen, worauf der Mann ganz leise eine Antwort murmelt und dabei mit seinem einen Auge beschämt zu Boden blickt.
„Wie heißen Sie?“, fragt Aaron und bedeutet Nabin, für ihn zu übersetzen. Aaron beherrscht die Regionalsprache zwar ziemlich gut, aber Nabin stammt aus einem dieser Dörfer und spricht gleichzeitig gut Englisch, sodass eine sehr viel fließendere und genauere Kommunikation möglich ist.
Der Mann sieht auf. Als ich in seine Augenhöhle blicke, kann ich in seinen Schädel hineinsehen.
„Kamal“, entgegnet er und deckt das Loch in seinem Gesicht mit einem baumwollartigen Tupfer ab.
Nach ein paar Minuten Small Talk mit Nabin als Dolmetscher fragt Aaron: „Darf ich Sie fragen, was mit Ihrem Auge passiert ist?“
Wieder senkt Kamal den Blick und erwidert: „Vor ein paar Monaten hat es sich entzündet. Am Anfang hat es nur gejuckt und getränt. Zuerst habe ich mir nicht viel dabei gedacht, aber dann wurde es schlimmer. Ich hatte tagelang einen stechenden Schmerz im Kopf. Schließlich ist mein Auge herausgefallen.“
Aaron fragt noch weiter nach und Kamal erzählt, dass seine Wange immer mehr einfällt und sein Gehör stark nachgelassen hat. Beim Zuhören geht mir auf, was hier passiert. Ohne medizinische Hilfe wird sich Kamals Infektion bald auf seinen ganzen Kopf ausbreiten und könnte ihn am Ende sogar das Leben kosten.
Aaron lenkt das Gespräch nun in eine andere Richtung und fragt: „Haben Sie schon einmal von Jesus gehört?“
Kamals Blick verrät Verwirrung. „Nein, wer ist das? Der Name sagt mir nichts.“ Es ist, als ginge es um einen Mann aus dem nächsten Dorf, dem Kamal noch nie begegnet ist.
Aaron beginnt die Geschichte von Jesus zu erzählen, aber Kamal versteht nicht, welche Bedeutung ein Mann haben soll, der vor zweitausend Jahren gelebt hat. Als Aaron geendet hat, senkt Kamal den Blick und sagt nur: „Ich brauche Hilfe für mein Auge.“
Aaron arbeitet schon seit einiger Zeit am Aufbau einer Klinik weiter unten am Berg mit und er versichert Kamal, Hilfe zu holen.
„Darf ich für Sie beten?“, fragt er Kamal.
Der ist zwar offensichtlich immer noch verwirrt, sagt aber Ja.
Bis zu den Knien im Schnee eingesunken und zitternd vor Kälte stellen wir uns um Kamal herum und beten zu Gott um Hilfe für ihn – im Namen Jesu.