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Angekettet in einer Scheune

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Gelegentlich bleiben wir am Wegrand stehen, um zu trinken oder unsere Wasserflaschen aufzufüllen. Mehr denn je ist uns bewusst, wie wichtig es ist, sauberes Wasser zu haben. Und wir sind wirklich verwöhnt. Wir alle haben eine Art Filtersystem in unserem Gepäck. Chris und Sigs ziehen jeder einen Beutel aus einer Tasche, füllen ihn mit Wasser und schrauben einen Spezialfilter daran fest. Dann gießen sie das Wasser aus dem Beutel durch den Filter in ihre Wasserflaschen. Mein Filter ist direkt in meiner Flasche integriert. Ich kann sie also direkt in einen Bach halten, auffüllen, den Deckel aufschrauben und aus dem mit Filter versehenen Mundstück trinken. Mehr brauchen wir nicht, um vor Bakterien aller Art geschützt zu sein.

In Sijans Dorf hätten einfache Filter wie diese sechzig Menschenleben retten können, einschließlich drei seiner Familienmitglieder.

Wir versuchen, durch ausreichendes Trinken Austrocknung zu verhindern. Bei den vielen Auf- und Abstiegen auf dieser Höhe verbrennen wir sicherlich mehr Kalorien, als wir bei der kleinen Mahlzeit aus Ei und Brot ein paar Stunden zuvor zu uns genommen haben.

Es ist nun fast Mittagszeit und wir freuen uns alle auf ein Mittagessen und eine Pause von der anstrengenden Bergtour. Im nächsten Dorf finden wir wieder ein Teehaus, stellen unser Gepäck draußen ab und drängen uns hinein, lechzend nach Wärme, Wasser und etwas Nahrhaftem.

Aaron bestellt Tee, Brot und Dal, eine Suppe aus Linsen und Gewürzen. Während wir am Tisch sitzen und auf unser Essen warten, wendet sich Chris an Nabin, unseren Dolmetscher, und fragt: „Nabin, du bist in diesen großartigen Bergen geboren und aufgewachsen. Wo genau kommst du her und wie war deine Kindheit in dieser Gegend?“

Chris wollte uns die Wartezeit auf unsere Mahlzeit eigentlich nur mit ein wenig Small Talk verkürzen. Stattdessen werden uns ausführlich die Lebensbedingungen vor Augen geführt, die hier oben herrschen. Es ist ernüchternd. Nabin wirkt mit seinen zwanzig Jahren zwar kräftig und zäh, ist aber sehr bescheiden und spricht leise. Langsam und betont sagt er: „Ich bin nicht weit von hier aufgewachsen. Meine Mutter starb, als ich noch klein war, und das war für meinen Vater und mich ein schwerer Schlag. Mein Vater war sehr böse. Eines Tages traf er eine andere Frau und beschloss Hals über Kopf, sie zu heiraten. Meine Stiefmutter hatte selbst Kinder und mochte mich nicht. Irgendwann mochte auch mein Vater mich nicht mehr und begann mich zu schlagen. Er nahm eine heiße Rute aus dem Feuer und legte sie mir über den Rücken.“

Während Nabin weiterspricht, beugt sich Aaron zu mir herüber und flüstert: „Nabin hat aus dieser Zeit immer noch Narben auf dem Rücken.“

Ich bin fassungslos. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass Nabin eine solche Kindheit erlebt hat und dass sein abgetragenes Hemd die Spuren einer derartigen Misshandlung verbergen könnte.

„Eines Tages hielt ich es nicht mehr aus und beschloss, von zu Hause wegzulaufen und in die Berge zu fliehen“, erzählt Nabin.

„Wie alt warst du damals?“, frage ich.

„Ungefähr sieben.“

Entsetzt versuche ich mir vorzustellen, dass einer meiner eigenen Söhne mit sieben Jahren in die Berge flieht – alleine und getrieben von Angst. Mehr Angst vor seinem Vater – mir – als vor den Gefahren der Berge.

„Ein paar Tage ging es mir gut – bis mich mein Vater fand“, fährt Nabin fort. „Das war kein guter Tag. Er packte mich an den Füßen hoch und schlug meinen Körper gegen die Felsen. Danach brachte er mich wieder heim, aber ich durfte nicht mehr im Haus leben. Mein Vater und meine Stiefmutter ketteten mich draußen in einer Scheune an. Und da blieb ich.“

„Wie lange warst du in dieser Scheune angekettet?“, fragt Chris.

„Bis Aaron mich gefunden hat.“

An diesem Punkt in Nabins Geschichte kommt unser Essen. Unsere Gastwirtin serviert jedem von uns eine dampfende Schüssel Linsensuppe. In die Mitte des Tisches legt sie einen Stapel mit Roti, runden, flachen Broten, wie man sie in diesem Teil der Welt gerne isst. Aaron betet, dankt Gott für das Essen. Während wir unsere Suppe löffeln, erzählt uns Aaron Nabins Geschichte weiter.

„Eines Tages war ich in dieser Gegend auf einer Wanderung. Es war schon spät und ich brauchte eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich machte also in einem Dorf halt und klopfte wahllos an irgendeiner Haustür. Als sie geöffnet wurde, fragte ich die Leute, ob sie mich für die Nacht aufnehmen könnten. Ein Zimmer hätten sie nicht für mich, sagten sie, aber wenn ich wolle, könne ich in ihrer Scheune schlafen. Das war immerhin besser als nichts. Ich ging also hinüber, öffnete das Tor, trat ein und schloss das Tor hinter mir. Ich stellte mein Gepäck ab, rollte meinen Schlafsack aus und legte ihn auf den Boden. Dann zog ich meine Schuhe aus und legte mich schlafen.

Kaum lag ich in meinem Schlafsack, hörte ich ein Geräusch. Ich war davon ausgegangen, dass die Tiere woanders untergebracht waren, dachte aber sofort: Hier muss irgendein Tier ganz in meiner Nähe sein. Also stand ich auf, knipste meine Taschenlampe an und leuchtete den Bereich um mich herum aus. Was ich entdeckte, war allerdings kein Tier. Im Lichtstrahl meiner Lampe starrten mich die Augen eines etwa achtjährigen Jungen an.“

Chris und ich tauschen entsetzte Blicke aus. Das ist unglaublich.

„Leider ist das in dieser Gegend keineswegs eine Seltenheit“, erklärt Aaron. „Man hört immer wieder von Eltern, die ihre Kinder in der Scheune einsperren. Das geschieht oft, wenn das Kind eine Behinderung oder Missbildung hat. Viele Dorfbewohner glauben, diese Kinder seien verflucht. Und den Fluch möchten sie aus ihrem Haus fernhalten. Wir haben einmal ein Kind gefunden, das seit zehn Jahren mit Tieren zusammen angekettet in einer Scheune gelebt hatte. So perplex ich zuerst war, in dieser Scheune nicht allein zu sein, wunderte es mich doch nicht, dass es ein Kind war.“

„Was hast du dann gemacht?“, fragt Sigs.

Nun schaltet sich Nabin wieder ins Gespräch ein. „Er hat sich um mich gekümmert“, berichtet er. „Aaron hat mir geholfen, ein Zuhause zu finden, wo ich versorgt wurde, in die Schule gehen und etwas von Gottes Liebe zu mir erfahren konnte.“

Wir alle richten unseren Blick auf Aaron, dem es unangenehm zu sein scheint, so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.

„Ich will euch noch mehr über Nabin erzählen“, sagt er. „Vor noch nicht allzu langer Zeit stieß Nabin auf dem Rückweg über einen Bergpfad auf seinen Vater, der ihm mit einem seiner Stiefkinder von oben entgegenkam. Das Kind war krank. Nabins Vater fragte, ob Nabin zu seiner Frau – seiner Stiefmutter – hinaufgehen und für sie sorgen könne, während er Hilfe für sein Stiefkind holte. Mit anderen Worten“, fügt Aaron hinzu, „der Vater, der Nabin geschlagen und ihm Brandwunden zugefügt hatte, bat den Jungen nun, für die Mutter zu sorgen, die ihn draußen in der Scheune angekettet hatte. Und was meint ihr, was Nabin getan hat?“

Fassungslos lauschen wir dieser Geschichte. Niemand scheint eine Vermutung äußern zu wollen. Deshalb gibt Aaron selbst die Antwort. „Nabin ist zu seiner Stiefmutter gegangen und hat sich persönlich die nächsten drei Monate um sie gekümmert, bis sein Vater wieder zurückkam.“

Nun war es Nabin, dem die Aufmerksamkeit unangenehm war. „Vielleicht sollten wir uns lieber aufmachen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis es dunkel wird.“

Nachdem wir alle aufgegessen haben, ist es ein guter Zeitpunkt zum Aufbruch. Aber ich betrachte Nabin nun mit einer ganz neuen Achtung und Ehrfurcht. Als er uns aus dem Teehaus führt, habe ich einen sehr viel tieferen Einblick gewonnen, wie es sein muss, in diesen Bergen aufzuwachsen.

Etwas muss sich ändern

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