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Der Preis

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Die zugrunde liegende Logik kann man in jedem Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaften finden: Angebot und Nachfrage treffen sich in der Mitte der Ladentheke, tauschen bedeutungsvolle Blicke und verbinden sich zu einer heiligen Allianz. Berr, ein Veteran in der Beobachtung des Geigenhandels, erinnerte sich an ein bemerkenswertes Gespräch irgendwann vor 1915 zwischen dem |155| Regensburger Händler Franz Xaver Kerschsteiner und einem Kunden, der eines Tages mit einer Geige, die er gerade für 600 Mark gekauft hatte, in seinem Geschäft auftauchte. Der Kaufpreis entsprach dem, was zu dieser Zeit ein durchschnittlicher Preuße im Jahr verdiente.39 Der Kunde wollte wissen, was das Instrument wert sei. Kerschsteiner antwortete ihm, die Geige sei das wert, was ein Kunde bereit ist, dafür zu zahlen.

Wie dies auf höchstem Niveau funktionierte, lässt sich an den Ursprüngen und der Entwicklung des Marktes für Stradivari-Geigen – beginnend in der Lebenszeit ihres Erbauers – ablesen. Elena Ferrari Bassazi liefert starke Argumente dafür, dass die Nachfrage nach Strads der musikgeschichtlichen Entwicklung gefolgt sei, doch sie liefert mindestens ebenso deutliche Hinweise darauf, dass sie auch dem Geld, der Macht und dem sich verändernden Profil der gesellschaftlichen Oberschicht folgte.40 Im Laufe der Zeit sollte das Streben nach Strads ebenso demokratisiert und globalisiert werden wie das Streben nach Reichtum. Aber in einer Welt, in der der Geschmack der Zeit das Schöne und Beständige, Kirche und Höfe Prunk und Musik bevorzugten und eine Epoche der weltlichen Entdeckungen das Sammeln von buchstäblich allem begünstigte, was man sammeln konnte, wurden drei Wahrheiten sehr früh offensichtlich. Erstens: Einige Geigen waren mehr wert als andere. Zweitens: Einige Leute waren nicht nur bereit, sondern nachgerade darauf erpicht, die Differenz zu zahlen. Drittens: Die wenigsten von ihnen waren professionelle Spieler. In dem Zeitraum, der zwischen der Regentschaft von Isabella von Kastilien am Vorabend des 16. Jahrhunderts und der von Felipe II. am Vorabend des 17. Jahrhunderts lag, wuchs der königlich-spanische Bestand von knapp 20 Instrumenten – viele davon ramponiert oder angeschlagen – auf 191, vermutlich neu und blitzblank, 44 davon waren Saiteninstrumente. Ernst zu nehmende Privatsammlungen von Padua bis Portugal und hinauf in den Norden erlebten ab dem 17. Jahrhundert eine Blütezeit.

Im Jahr 1998 zeigte die Rekonstruktion einer typischen niederländischen Schatzkammer in der Nationalgalerie in Washington ein Gemälde von Frans Francken dem Jüngeren und Jan Brueghel dem Jüngeren, in dessen Mitte Erzherzog Albrecht von Österreich und seine Frau Isabella, Infantin von Spanien, zu sehen sind. Sie umgibt ein metaphorisches Universum von Hunden und Affen, Früchten, Blumen, Muscheln und Mineralien, mehreren Weltkugeln, einer Sammlung von Glasgegenständen, klassischen Skulpturen in verschiedenen Größen, zeitgenössischen Gemälden, Schwertern, Möbeln, Münzen und Medaillen, gedruckten Büchern, die demonstrativ geöffnet auf einem Tisch liegen, sowie einer Laute, einer Blockflöte und in einem offenen Schrank im Hintergrund zwei Gamben. Um das Gemälde herum finden sich Darstellungen der Trophäen aus der Privatsammlung des nominellen Eigentümers, darunter ein Tisch-Spinett, eine kunstvoll mit Elfenbein und Schildpatt eingelegte Gitarre, |156| ein Cornetto und eine Blockflöte aus Elfenbein, eine Pochette, ein italienischer Chitarrino mit aufwendig geschnitzten Figuren und Laubblättern und eine Stainer-Viola von 1678, komplett mit einem Löwenkopf. Wo es eine solche Nachfrage gab, waren die Angebote nicht weit. Ob die Instrumente zum Spielen gedacht waren, ist eine andere Frage.

Mitte des 17. Jahrhunderts galten dekorative Extravaganzen zunehmend als veraltet. Dennoch versah Nicolò Amati (dessen Geigen ganz sicher zum Spielen gedacht waren) mindestens zwei Exemplare mit kleinen Edelsteinen und heraldischen Lilien, und auch Stradivari baute im Laufe seines Arbeitslebens mindestens zehn verzierte Geigen. Unter den Käufern waren Fürst Ferdinando, ein Sohn des Cosimo de’ Medici, Großherzog der Toskana, der ein Quintett in Auftrag gab, und Kardinal Orsini, der spätere Papst Benedikt XIII. Ein dritter Endnutzer war Don Carlos, Infant von Spanien, der künftige König Carlos IV., der auf indirektem Wege zu seinem Quintett kam. Angeblich plante Stradivari 1702, die Instrumente anlässlich des Besuches des spanischen Königs Felipe V. in Cremona persönlich vorzustellen. Doch daraus wurde nichts, möglicherweise weil es nicht ratsam schien, sich bei einem Bourbonen einzuschmeicheln, bevor der Spanische Erbfolgekrieg endgültig entschieden war.41 Als Stradivari 35 Jahre später starb, befanden sich die Instrumente immer noch in seiner Werkstatt, und es sollten weitere 75 Jahre vergehen, bevor sie endlich mit Hilfe eines in Spanien ansässigen Geistlichen aus Cremona – vermutlich ein königlicher Bevollmächtigter, der sie von Stradivaris Sohn Paolo kaufte – ihren Weg nach Madrid fanden.42

Der Marchese Vincenzo Carbonelli aus Mantua, ein Sammler des 18. Jahrhunderts, kaufte (vermutlich für sein Hausorchester) 22 Violinen, neun Bratschen und drei Celli, darunter zehn Strads und eine Auswahl Amatis, Guarneris, Tononis und Stainers.43 Obwohl Hauskonzerte bis zum Zweiten Weltkrieg bestanden und ein halbes Jahrhundert später sogar wieder aufgenommen werden sollten, als wohlhabende Gönner Cremoneser Instrumente als Leihgaben für verdienstvolle junge Spieler kauften, die sich vertraglich verpflichteten, die Instrumente für die Gäste des Besitzers zu spielen, tauchte die Verknüpfung von zeitgenössischen Instrumenten mit zeitgenössischer Musik nicht wieder auf, bis Saxofon und E-Gitarre auf der Bildfläche erschienen.44

Carbonelli starb im Jahr 1740. Ein Jahrhundert später war die Szene immer noch dieselbe: Cremona stach Brescia weiterhin aus, und obwohl Stradivari und Giuseppe Guarneri ebenfalls die frühen Amatis und Stainers übertrumpft hatten, war das Auffinden alter, meist italienischer Instrumente immer noch das vorrangige Ziel. Doch Instrumente, die noch bis vor Kurzem als neu gehandelt worden waren, wurden jetzt als Antiquitäten bezeichnet, und es wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft übertroffen werden konnten.

|157| Auf den ersten Blick blieben die Regeln weitgehend unverändert. Von Paganini wird vermutet, dass er irgendwann elf Strads, zwei nicht näher beschriebene Amatis und vier Guarneris besaß – darunter seine berühmte del Gesù »Kanone«.45 Im Laufe der Karriere von Joseph Joachim gingen immerhin 14 Strad-Violinen und eine Strad-Viola durch seine Hände.46 Dennoch bestimmten wie zu Carbonellis Zeiten weiterhin Sammler den Markt. Was die neuen Sammler auszeichnete – unabhängig davon, ob sie privat, öffentlich, unternehmerisch oder philanthropisch waren –, war die wachsende Vielfalt ihrer Herkunft, ihrer Ansichten und ihrer Vermögenswerte. Die 1919 gegründete sowjetische Staatssammlung war dafür ein besonders drastisches Beispiel. Mit ihren 15 Instrumenten von Stradivari, neun von unterschiedlichen Guarneris und vier von verschiedenen Amatis, wurde die Sammlung überwiegend durch die Enteignung von Besitzern bestückt, die verstorben oder ins Exil gegangen waren. Als sie 1992 an ein wiedergeschaffenes Russland übergeben wurde, war sie auf mehr als 350 Ausstellungsstücke angewachsen.47

Ein Maß für die soziale Distanz, die innerhalb von 20 Jahren zurückgelegt werden konnte, lässt sich an einer einzelnen Strad-Geige von 1690 ablesen. Ihr Besitzer, Fürst Felix Jussupow, einer der reichsten Männer in Russland, ließ sie Ende 1917 zusammen mit weiteren 183 Instrumenten zurück,48 als er aus der kaiserlichen Hauptstadt floh, nachdem er ein Jahr zuvor dabei geholfen hatte, den Mönch Grigori Rasputin umzubringen, dessen unheilvoller Einfluss auf die Zarin als ein wichtiger Faktor bei Russlands katastrophalem Schicksal im Krieg gesehen wurde. Paradoxerweise sollte ihm dieser Anschlag Jahre später wieder zu einem Vermögen verhelfen, als er in einer erfolgreichen Klage behauptete, dass MGM im Film von 1932 Rasputin, der Dämon Russlands seine Frau verleumdet habe.49 Indessen war die Jussupow-Strad an David Oistrach verliehen, der einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts werden sollte. Im Jahr 1937, als er bereits ein internationaler Preisträger war, nahm Oistrach die Geige mit nach Brüssel,50 wo er eine Gruppe junger Sowjet-Geiger anführte, die beim ersten Königin-Elisabeth-Wettbewerb fünf von sechs Preisen gewannen.

Die Erfahrungen im Westen waren zwar weniger drastisch, aber kaum weniger farbig. Die Namen, die nun mit den einzelnen Strads und del Gesùs in Verbindung gebracht wurden, hatten Anklänge an die Welt des alten Geldes und der alten Titel, die so häufig damit in Verbindung stand. So war beispielsweise der Herzog von Cambridge, dem fünf Strads gehörten, die vermutlich für ihn von Viotti gekauft wurden,51 der siebte Sohn von König George III. Der Herzog von Edinburgh, ein regelmäßiger Kunde bei Hill und Schirmherr der berühmten South-Kensington-Violinenausstellung, war der zweite Sohn von Königin Victoria. Doch die Wirklichkeit hinter den immer zahlreicher werdenden Sammlungen war der Stoff eines zeitgenössischen Romans, in dem harte Zeiten mit großen Erwartungen einhergingen.

|158| Die Häufigkeit von französischen und insbesondere britischen Namen und Titeln ist nicht nur ein Hinweis auf die Verkehrswege, sondern auch auf gesellschaftliche Prozesse, die an unerwarteten Orten neues Geld unaufhaltsam in Sammlungen alter italienischer Instrumente verwandelten. Henri de Greffulhe, ein mögliches Vorbild für Prousts Duc de Guermantes, stammte aus einer Bankiersfamilie. Seine Frau, ein mögliches Vorbild für Prousts Herzogin von Guermantes, war eine Prinzessin von Caraman-Chimay, Konzertveranstalterin für »tout Paris« und Parteigängerin des Hauptmanns Dreyfus. 1882 erwarb Greffulhe eine Stradivari-Geige von 1709, die nach ihm benannt wurde.52 Marie Joseph Anatole Elie, der eher mittellose Fürst von Caraman-Chimay, war ein belgischer Parlamentarier, der im Alter von 42 Jahren Frankreich als Fechter bei der Olympiade im Jahr 1900 vertrat. Seine Frau Clara Ward, die Tochter eines der ersten Millionäre des Bundesstaates Michigan, brannte später mit einem Zigeunergeiger durch. In den 1890er-Jahren erwarb der Fürst das Stradivari-Cello, das nach Adrien-François Servais benannt worden war, den Berlioz für den Paganini der Cellisten hielt. Mehr als 100 Jahre später wurden beide Instrumente an der Smithsonian Institution in Washington wieder vereint.

Die Beinamen – viele von ihnen von den Hills erstellt – halfen dabei, die Spur der verschiedenen Instrumente ein und desselben Geigenbauers zu verfolgen, die häufig, gelegentlich sogar mehrmals, für einen Wiederverkauf zu den Hills zurückkamen. Für zukünftige Käufer stellten die Namen einen Mehrwert dar, doch ein großer Teil ihres Charmes lag in der Unsterblichkeit, die sie den Vorbesitzern verliehen, von denen einige zu ihren Lebzeiten illustre Figuren waren wie Lady Anne Blunt, eine Enkelin von Lord Byron, autodidaktische Arabistin, Züchterin arabischer Pferde, Mathematikerin und Schachspielerin, die angeblich mindestens sechs Sprachen fließend sprach und außerdem eine begabte Amateurgeigerin war.53 Andere, wie Richard Bennett, ein Textilfabrikant aus Lancashire, der seltene Bücher, chinesisches Porzellan und außerdem einige der weltweit begehrtesten Geigen sammelte, waren sogar für ihre Zeitgenossen praktisch unsichtbar. Ihnen allen gemeinsam war eine Leidenschaft, die ab 1832 – dem Jahr, in dem das britische Unterhaus den First Reform Act verabschiedete – ernsthaften Veränderungen unterlag. In der Vergangenheit hatten barocke Sammler mit alten Titeln wie Carbonelli oder Cozio altes Geld für neue Instrumente bezahlt. Doch in der Gegenwart und nahen Zukunft – so lange, bis Institutionen mit weitaus größerer Schlagkraft auf dem Spielfeld erschienen – gaben Nachfolger wie der Duc de Camposelice, Baron Knoop und Joseph Gillott mit neuen oder gar keinen Titeln immer mehr neues Geld für alte und sehr alte Instrumente aus.

Bei genauerem Hinsehen war der Duc de Camposelice eigentlich Victor Ruebsaet, dem eine bescheiden erfolgreiche Karriere als Geiger und Tenor zu einer einträglichen Ehe verhalf. Seine Gattin Isabella Eugenie Boyer war zuvor |159| die Letzte in einer Reihe von zwei Ehefrauen und drei Lebensgefährtinnen von Amerikas superreichem Nähmaschinenhersteller Isaac M. Singer gewesen und die Mutter von sechs von dessen 24 Kindern. Singer starb im Jahr 1875. Obwohl Boyer eine von nicht weniger als 60 Erben war, war sie vier Jahre später so ausreichend mit Geld ausgestattet, dass ihr Anteil den Grundstein zu ihrer Ehe mit Ruebsaet darstellte.

Im Jahr 1881 erwarb Ruebsaet die italienische Staatsangehörigkeit und von einem Onkel einen dubiosen Titel, der vom König selbst verliehen wurde. Dass das billig zu haben war, ist äußerst unwahrscheinlich. Der belgische Virtuose Henri Vieuxtemps widmete dem »Mr le Duc de Camposelice« eine neue Caprice. Die Widmung führt sowohl zu einer del Gesù aus dem Jahre 1731, die der neue Herzog spielen konnte, als auch zu einer musikalischen Gala vor 400 Gästen, auf der sowohl die Herzogin als auch der Herzog sangen und Letzterer Wieniawskis Légende – ein beliebtes Zugabestück – zu Gehör brachte. Während der folgenden fünf Jahre zahlte das Ehepaar für zwei komplette Quartette von Strads (darunter eine Violine, die Vieuxtemps gehört hatte) Rekordpreise und lud die führenden Interpreten der Stadt ein, die Instrumente jede Woche auf dem »Grand Salon« der Camposelices zu spielen. Im Jahr 1887 starb der Herzog, nachdem er zuvor noch eine letzte Strad zu dem damals atemberaubenden Preis von 30.000 Francs gekauft hatte. Ein paar Jahre später nahm die Herzogin, inzwischen deutlich ärmer als zu der Zeit ihrer Eheschließung mit Ruebsaet, Kontakt zu den führenden Händlern auf und begann, die Sammlung zu liquidieren.

Das Vermögen von Knoop stieg zur selben Zeit wie das der Duchesse de Camposelice, doch als das ihre zu schwinden begann, schoss das seine weiter in die Höhe. Der Stammvater der Familie, Ludwig Knoop, im Jahr 1821 ohne einen Titel geboren, verließ Bremen früh, um in der Familienfirma in Manchester die Textilverarbeitung zu erlernen. 1846 wurde ein erster Sohn Johann geboren. Ein Jahr später schickte das Knoop’sche Unternehmen Ludwig nach Russland, um einen Investor aus Moskau dabei zu unterstützen, die erste Textilfabrik des Kaiserreiches zu errichten. In den folgenden 20 Jahren hatte er maßgeblichen Anteil am Aufbau der russischen Industrie, gründete in jenem Teil Russlands, der später Estland sein sollte, seine eigene Fabrik – eine der größten in Europa – und schuf ein Finanzimperium, das aus zwei Banken und drei Versicherungen bestand. Im Jahr 1877 verlieh ihm Zar Alexander II. den Titel eines Barons.54 Auf dem 40 Hektar großen Anwesen, das Ludwig Knoop inzwischen in der Nähe von Bremen erworben hatte, baute er ein Landhaus im Tudorstil, das Platz genug für seine sechs Kinder, die Schwiegersöhne und das Hauspersonal bot, während sein Sohn Johann, der der zweite Baron werden sollte und nach dem Tod seines Vaters 1894 das Familienunternehmen übernahm, begann, Instrumente zu kaufen. Als Johann Knoop 1918 starb, waren nicht weniger als 29 Geigen, Bratschen und Celli durch die Familiensammlung gegangen, wobei |160| sich unter seinen 18 Geigen zehn Strads und vier del Gesùs befanden. Verblüffenderweise waren vier seiner sieben Bratschen ebenfalls Strads – 40 Prozent aller bekannten und vollständig überlieferten Bratschen von Stradivari.

Als Paradebeispiele für moderne Sammler sind allerdings zwei eher unscheinbare Männer aus dem Norden Englands bestens geeignet: John Rutson, ein aktiver Förderer und Vorstandsmitglied der beiden führenden Londoner Konservatorien, und Joseph Gillott, ein Industrieller aus Birmingham. Rutson, Junggeselle und in Cambridge ausgebildet, der von den Erträgen einiger Landgüter gelebt zu haben scheint, unterstützte Schüler auf ihrem Weg durch die Royal Academy of Music und lieh oder schenkte ihnen sogar Instrumente aus seiner eigenen Sammlung. Im Jahr 1890 stiftete er zehn davon auf direktem Wege der Academy, darunter vier Strads und drei Amatis. Wenig mehr als ein Jahrhundert später war Rutsons Grundstock mit Hilfe mehrerer Vermächtnisse und der unauffälligen, aber beachtlich ausgestatteten Fridart-Stiftung von Dr. David Josefowitz auf rund 200 Instrumente angewachsen, etwa die Hälfte davon Geigen, wahrscheinlich die größte Sammlung dieser Art weltweit.55

Im Gegensatz zu Rutson scheint Gillott sowohl zum Vergnügen als auch wegen des Gewinns gesammelt zu haben. Er wurde im Jahr 1799 in Sheffield geboren und folgte seinem Vater in den Besteckhandel, wo er sich von Messern bis zu Schnallen und Ketten hocharbeitete. Seine Weiterentwicklung von Pressen, die Millionen von stählernen Federspitzen spalten und formen konnten, brachte ihm ein Vermögen ein.56 Den Erlös steckte er – beginnend mit mehr als 60 europäischen Meistern – in die möglicherweise größte Kunstsammlung Großbritanniens. Er gehörte zu den ersten, die den in Birmingham lebenden J. M. W. Turner entdeckten, und weitete seine Käufe später auf zeitgenössische britische Künstler aus.57 Als der Schriftsteller Edwin Atherstone ihm anbot, drei Gemälde – darunter ein Porträt von Rembrandt – gegen »gute Fiedeln« einzutauschen, wechselte Gillott vom Kunst- zum Geigensammler. Atherstone versicherte ihm: »Violinen sind oft von außergewöhnlichem Wert, wie Kunstwerke«. Obwohl dies Gillott ganz neu war, war er einverstanden. Einige Monate später begannen sich in seiner Bildergalerie Instrumente in Einzel- und Doppeletuis zu stapeln, darunter neun, die er über einen komplizierten Handel mit John Thomas Hart, dem Londoner Geigenbauer und -händler, erworben hatte, der sie gelegentlich von dem Schriftsteller Reade kaufte, der sich wiederum häufig mit Tarisio traf.58 Bis zu den 1850er-Jahren hatte Gillott »mehr als 500 Instrumente« zusammengetragen, möglicherweise die größte Privatsammlung, die jemals eine einzelne Person besessen hat. Er starb im Jahr 1872.59

Als George Hart, der Sohn von John Thomas und zu dieser Zeit der führende Experte, von Gillots Testamentsvollstreckern gebeten wurde, die Sammlung zu katalogisieren, machte ihn als Erstes das Geräusch des schwergängigen Schlüssels beim Öffnen des Türschlosses stutzig – ein unmissverständliches |161| Zeichen dafür, dass der Raum nur selten betreten worden war. Die darauffolgende Szene muss so etwas gewesen sein wie die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun durch Carter: In der Mitte des Raumes waren auf einem Tisch mehr als 70 Geigen und Bratschen in allen nur vorstellbaren Graden der Reparaturbedürftigkeit übereinandergestapelt und auf dem Boden Bögen ausgelegt. Als Hart willkürlich in den Haufen griff, zog er eine Guarneri-filius-Andreae-Bratsche hervor. Doch das war erst der Anfang. Seine Frage nach Celli wurde von der Aufsichtsperson nicht verstanden, doch die nach »großen Geigen« traf ins Schwarze und führte in eine Lagerhalle, in der in einem Haufen von »ungenutzten Holzlatten, Statuen, antiken Klavieren, Maschinenteilen, Bildern und Bilderrahmen« 50 Celli fein säuberlich in fünf Reihen auslagen. Und in Gillotts Schlafzimmer gab es noch mehr. Am Ende des Tages bestand alleine die Summe aller Violinen aus sieben Strads, zwei Guarneris, einer Bergonzi, zwei Amatis und fünf weiteren »von hoher Klasse«.60

Am 29. April 1872 wurden die Instrumente zur Versteigerung zu Christie’s gegeben. Auch wenn Vuillaume, der geplant hatte, dabei zu sein, den Termin verpasste und einen Tag zu spät ankam, zeigten sich die Fürsten des Londoner Geigenhandels in ihrer ganzen Stärke, unter ihnen die Familie Hill, Edward Withers und Hart, der für sich selber eine Strad kaufte. Auch Amateure waren anwesend, einschließlich Reade und dem Earl of Harrington, der mit einer Geige sowie einem Cello von Andrea Guarneri nach Hause ging, die später seinen Namen tragen sollten.61 Als der letzte Hammer fiel, lagen die Tageseinnahmen bei 4.195 Pfund – dies in einer Zeit, als Nicolò-Amati-Instrumente immer noch für 100 Pfund zu haben waren und das durchschnittliche Jahreseinkommen einer Arbeiterfamilie bei etwa 80 Pfund lag.62 Die Strad, die als »Gillott« bekannt werden sollte, brachte 295 Pfund, die anderen sechs bis zu 200 Pfund. Eine del Gesù von 1732 wurde für 275 Pfund zugeschlagen, und eine Guarneri von 1741, die für 156 Pfund an den älteren Hart verkauft wurde, sollte später zur »Vieuxtemps« del Gesù werden.

Im Rückblick stuften die Gebrüder Hill die Preise für die Epoche als durchschnittlich ein. Binnen einer Generation aber hatten sich die europäische Kohleproduktion und der monetäre Goldbestand mehr als verdoppelt, der Welthandel mehr als verdreifacht und die registrierte europäische Dampfertonnage mehr als vervierfacht. Sowohl Deutschland als auch Amerika wurden zu globalen Wirtschaftsmächten, während sich die Werte für Strads verdoppelten, verdreifachten und sogar vervierfachten. In dieser Zeit erwarb der unscheinbare Richard Bennett die legendäre Toskanische und die Messias-Geige sowie 14 weitere Stradivari-Geigen und neun del Gesù – darunter fünf der 25, die 1995 im Metropolitan Museum in New York ausgestellt wurden. Ein Jahrhundert später stellte Robert Bein voller Respekt fest, dass es eine Sammlung gewesen sei, die nicht mehr zu überbieten war, »außer, man würde Museen und |162| Institutionen ausrauben«.63 Doch waren – wie die Hills zur selben Zeit anmerkten – nur die sehr Reichen wie die Gebrüder von Mendelssohn mit einem und die sehr, sehr Reichen wie Knoop mit dreien noch im Besitz kompletter Stradivari-Quartette,64 und sie alle waren Deutsche. Die Realität beim Sammeln von Violinen war, dass auch hier die unbestrittene britische Vorherrschaft ebenso wie in der Stahlproduktion, dem Schiffsbau und den Anteilen am Weltmarkt entweder schon gebrochen war oder sich auf dem besten Wege dazu befand. An ihre Stelle war ein exklusiver internationaler Club getreten, neu, aber nicht zu begütert, dessen Mitglieder unabhängig von ihrer Nationalität alle desselben Geschlechts waren und sich in Ansichten, Kleidung und Kultur im Grunde ähnelten.

Der Kreis war zwar immer noch in erster Linie britisch, doch da Deutsche wie Knoop und die Mendelssohns bereits eine feste Größe waren, die Franzosen an Boden verloren, die Russen aufstiegen und die Italiener in dem Spiel kaum noch zählten, wurde er zunehmend offener. Zum ersten Mal gab es sogar Amerikaner wie den mit dem überschwänglichen Namen ausgestatteten Royal De Forest Hawley aus Hartford, Connecticut, der als »Händler in Haushalts- und Eisenwaren, Futtermitteln und allgemeinen landwirtschaftlichen Produkten […] ein beträchtliches Vermögen angehäuft hatte«, bevor er im Alter von 50 Jahren lernte, Noten zu lesen. Hawley, seit seiner Kindheit ein Amateurgeiger, war Stammkunde von Hart und liebte es, Geigenkollegen einzuladen, darunter so bedeutende Interpreten wie August Wilhelmj und Eduard Reményi. Ein Freund erinnerte sich gerne daran: »Also los, Jungs, forderte R. D. seine Gäste auf und sehr bald sollten die Wände von Liedern wie ›Money Musk‹, ›Hull’s Victory‹ usw. widerhallen.«65 Zwischen 1876 und seinem Tod im Jahr 1893 waren sechs Stradivaris und zwei del-Gesù-Violinen Teil seiner Sammlung geworden, die seine Frau später der Connecticut Historical Society überlassen sollte. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen gingen die Instrumente an Ralph M. Granger, »einen reichen Minenbesitzer aus Kalifornien«, der »in seinem Haus in San Diego einen speziellen Musiksaal errichtete […] und einen Geiger als Kurator engagierte.«66

Zu diesem Zeitpunkt wurde die Fackel an Dwight Partello weitergereicht, einen US-Konsul und späteren Beamten im Finanzministerium, der als Gast von Hawley vom Geigenfieber befallen wurde. Zwischen 1892 und 1893 konnte die ganze Welt in der Columbian Exposition in Chicago seine stetig wachsende Sammlung bewundern. Da er bis zu seinem Tod im Jahr 1920 von Gemeinsinn geleitet war, hinterließ er dem Smithsonian testamentarisch weitere Instrumente, darunter vier Strads, drei Nicolò Amatis, eine del Gesù und eine Bergonzi, mit der Auflage, dass sie »in einem separaten Gehäuse platziert, in geeigneter Weise als die ›Sammlung Partello‹ gekennzeichnet werden und als Dauerausstellung zu sehen sind«. Seine weniger gemeinnützig gestimmten Töchter fochten das Testament jedoch erfolgreich an. Danach |163| gingen die Instrumente zuerst zu Lyon & Healy, dem Händler aus Chicago, und dann an die nächste Sammlergeneration.67

Unabhängig vom Ort scheinen die Sammler eine beeindruckende Menge ihrer Lebenszeit und einen erheblichen Teil ihres Vermögens für die Suche nach Instrumenten verwendet zu haben, die aber nur von den wenigsten von ihnen gespielt wurden. Gelegentlich tauschten sie sogar direkt oder kauften häufig voneinander Instrumente. Doch in der Regel wurde der Verkauf durch einen Händler vermittelt, der aus einem noch kleineren Kreis von Kollegen und Konkurrenten kam und von dem sie sich ebenso beraten ließen wie von ihren Anwälten und Bankern. Den Erschütterungen und Nachbeben des Ersten Weltkriegs, die europäische Vermögenswerte über den Atlantik fegten, Russland verwüsteten und Mitteleuropa verarmen lassen sollten, war dieser Kreis allerdings nicht gewachsen. Der Krieg, der Zusammenbruch der deutschen Mark, die kurzlebige Wiedereinführung des Goldstandards, die globale Wirtschaftskrise und der Aufstieg der Nazis ließen Sammlungen wie die von Knoop zusammenschmelzen, solche wie die von Bennett anwachsen und führten bei den großen Violinsammlern zu Umschichtungen wie nie zuvor seit dem Erscheinen von Tarisio.

Selbst nach den Maßstäben von Hawley kann man sich schwerlich einen volkstümlicheren Sammler als Frank Miles Yount aus Beaumont, Texas, vorstellen. Geboren in Arkansas, verließ er mit 15 Jahren die Schule und wechselte mit Mitte 30 entlang der Küste des Golfes von Mexiko vom Bohren nach Wasser zum Bohren nach Öl. Seine Bemühungen zahlten sich im Jahr 1925 durch einen der größten Funde der Epoche aus. Während der nächsten acht Jahre machte Younts Spindletop-Feld aus seinem Unternehmen eine der größten unabhängigen Ölfirmen der Zeit,68 Beaumont zu einer Stadt mit 80.000 Einwohnern und Yount selber zu einem autodidaktischen Kenner und Sammler von Violinen und zu einem Mitglied des Verwaltungsrats an der University of Texas. Im folgenden Jahr – überall ein schlechtes Jahr für den Verkauf von Strads – erwarb er mit der Hilfe von Ernest Doring, damals bei Wurlitzer in New York tätig und der Star-Verkäufer seiner Zeit, zwei davon. Eine der Violinen war offenbar für seine Tochter Mildred gedacht, eine weitere für ihren Lehrer reserviert.

Im März 1931 kam bei Yount in Beaumont eine Sendung von Wurlitzer in der Begleitung von Paul Kochanski an, einem der herausragendsten Geiger der Zeit und Professor an der Juilliard School, der gebeten wurde, die Instrumente der Familie, Freunden und geladenen Gästen vorzuführen.69 Das Programm verband ein Buffet von Instrumenten mit einem Menü aus Kreisler-Arrangements und Kochanskis eigenem Stück Flight, das er Charles Lindbergh70 gewidmet hatte, dessen Nonstop-Alleinflug von New York nach Paris vier Jahre zuvor überall die Fantasie beflügelt hatte. Younts Sammlung umfasste schließlich eine Stainer, eine Guadagnini, Guarneris von Andrea und seinem Sohn Giuseppe und eine Montagnana. Wäre er nicht schon im Alter von 53 Jahren |164| gestorben, hätten es noch mehr sein können,71 aber seine Frau Pansy widmete sich fortan ihren Rennpferden, und die Geigen kamen wieder auf den Markt.

Nach einer längeren Unterbrechung während des Zweiten Weltkriegs ermöglichte es der Nachkriegsdollar dem New Yorker Investmentbanker Henry Hottinger, Dinge zu tun, die in britischen Pfund, Francs oder Mark nicht mehr möglich und in Rubel unvorstellbar waren. Hottinger, bereits 1927 Mitbegründer von Wertheim & Co., begann seine Sammlung 1935 mit einer Strad. Es sollten weitere 34 Geigen folgen, die meisten von ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg angekauft. Unter ihnen waren 15 Strads – eine von Francesco – und acht Guarneris, einschließlich del Gesùs, die zuvor im Besitz von Viotti, Paganini, Joachim, Ysaÿe und Kreisler gewesen waren. Es gab auch eine Stainer und eine Amati, von der behauptet wurde, sie stamme aus der legendären Sammlung von Frankreichs König Charles IX.

Doch in jedem Fall waren die Nutznießer all dieser Veränderungen die Institutionen – wohin auch immer das führte. Sowohl das deutsche Außenministerium als auch das Ministerium für Propaganda wurden Kunden von Philipp Hammig, einem der wichtigsten Berliner Händler der Vorkriegszeit.72 Außenminister Joachim von Ribbentrop war ein Amateurgeiger,73 dessen Auftrag vielleicht privater Natur war, doch das Propagandaministerium mit seinen Bestrebungen nach größtmöglichen Einfluss im deutschen Kulturleben war eindeutig von Amts wegen dort. Nach Schätzungen aus der Nachkriegszeit erwarb es bis zu 40 Instrumente, die es demonstrativ an junge deutsche Künstler und ihre Lehrer bzw. Professoren am Konservatorium verlieh. Entwürfe für Zertifikate von 1941 dokumentieren die Leihgabe und geben dem Wunsch Ausdruck, dass »das Instrument immer zur Ehre der deutschen Kunst erklingen« und »Scharen von Deutschen die Ehre der meisterlichen deutschen Künstler, die auf ihnen spielen, verkünden« soll. Es gab keinerlei Anhaltspunkte, woher die Instrumente stammten. Doch in einem Land, in dem jüdisches Leben und jüdische Lebensgrundlagen systematisch zerstört, jüdisches Eigentum systematisch »arisiert« wurde und Hunderttausende von Juden verzweifelt auswandern mussten, scheint eine Quelle zumindest auf der Hand zu liegen.

Ob direkt oder indirekt – diese Enteignungspolitik blieb bis mindestens Dezember 1943 die Regel. Zu dieser Zeit wurde in den besetzten Ländern Frankreich und Belgien eine einfache Beschlagnahme erwogen, jedoch von der Musikabteilung des Ministeriums abgelehnt. Es gab einen aufschlussreichen, aber ergebnislosen Austausch darüber, den von Deutschen betriebenen Rundfunksender Radio-Paris zu ermächtigen, über eine im deutschen Besitz befindliche französische Firma die Waren der Pariser Händler einschließlich Harfen und Klaviere aufzukaufen. Stattdessen wurden 1,25 Millionen Mark für eine Bestellung von deutschen Käufern bereitgestellt, zu denen Fridolin Hamma gehörte, dessen Stuttgarter Familie einst reguläre Geschäftsbeziehungen zu den |165| Hills unterhalten hatte. Hamma scheint in der Tat als persönlicher Einkäufer für Ribbentrop, der eine Strad wünschte, nach Frankreich gekommen zu sein, vielleicht sogar mehr als einmal. Laut einer immer noch in der Gilde umlaufenden Geschichte, die nach dem Krieg wiederholt und gerne in Beares Gegenwart erzählt wurde, lud Hamma seine Pariser Kollegen jedoch zu einem erstklassigen Mittagessen auf Ribbentrops Kosten ein und informierte ihn dann, dass keine Strad verfügbar sei. Nach Hammas Bericht an das Propagandaministerium waren ihm aber einige interessante Instrumente angeboten worden. Im Mai und Juni 1944 war er damit beschäftigt, das Bruckner-Orchester in Linz – der Stadt, die Hitler am Herzen lag – auszustatten. Ob dort irgendeine der Pariser Geigen ankam oder überhaupt irgendetwas bei der Verbindung zu Frankreich herauskam, ist unbekannt, und Hammas Leugnen, dass er jemals ernsthafte Anstrengungen zur Erfüllung seiner Mission unternommen habe, kann weder bestätigt noch widerlegt werden.74

Inzwischen machte eine unvergleichlich freundlichere Zuwendung der Familie Hill das älteste öffentliche Museum Großbritanniens, das Ashmolean in Oxford, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zu einem bedeutenden Sammler ganz anderer Art. Der Nachlass der Hills war – mit einer bemerkenswerten Ausnahme aus dem 18. Jahrhundert – auf das 16. und 17. Jahrhundert beschränkt und reichte zurück bis zu einer Violine und einer Viola von Gasparo da Salò und einer Violine und einer Viola von Andrea Amati, von der die Hills glaubten, dass sie aus der Sammlung von Charles IX. stammten. Die Ausnahme – in einem eigenen Glaskasten aufbewahrt – ist die Strad von 1716, bekannt als die »Messias« und vermutlich die berühmteste Geige der Welt. Die Sammlung kam mit der eisernen Auflage, dass die Instrumente gesehen, aber nicht gehört werden durften und dass die Familie Hill die Kontrolle darüber behielt, wem es erlaubt sein würde, sie in die Hand zu nehmen.75

In Washington ging philanthropisches Sammeln einen deutlich anderen Weg. Zwischen 1924 und 1946 nahm sich eine Gruppe weiblicher Mäzene – eine weitere Neuheit – vor, aus einer bescheidenen politischen Hauptstadt eine Stradivari-Hauptstadt zu machen. Sie sorgte auch dafür, dass die Instrumente gespielt wurden, mit der US-Regierung als unverhofftem Treuhänder. Der Prozess begann, als eine Leidenschaft für Kammermusik auf ein Vermögen aus dem Lebensmittelgroßhandel traf. Am 23. Oktober 1924 teilte Elizabeth Sprague Coolidge – eine Erbin aus Chicago und begabte Amateurpianistin – dem Librarian of Congress ihre Absicht mit, der Bibliothek ein Auditorium für Kammerkonzerte zu bauen und dafür einen Treuhandfonds zu stiften. Der Kongress benötigte nur drei Monate, um dem Bau des Auditoriums zuzustimmen. Für den Treuhandfonds (für den es im öffentlichen Recht keinen Präzedenzfall gab) brauchte er weitere fünf Wochen. Am 3. März 1925 unterschrieb Präsident Coolidge – nicht verwandt mit der Stifterin – das Gesetz zur Durchführung. Ein |166| Jahr und fünf Tage nach der Absichtserklärung wurde das Auditorium seinem Zweck mit einer Reihe von fünf Konzerten übergeben, und die Konzerte in der Library of Congress entwickelten sich bald zu einer lokalen Institution.76

Ein Jahrzehnt später folgten die Instrumente. Dieses Mal wurde die Leidenschaft für Kammermusik durch das Vermögen einer Teppichfabrik aus Worcester, Massachusetts, beflügelt. Gertrude Clarke Whittall, aus Omaha, Nebraska, gebürtig und seit 1926 verwitwet, ließ sich 1934 in Washington nieder und lernte durch ihre Hausmusikveranstaltungen den Geiger Louis Krasner kennen, der ihr dann beim Auffinden eines Quartetts von Strads sowie einer dritten Stradivari-Violine und von fünf Tourte-Bögen behilflich war. Im Jahr 1935 gingen diese an die Library of Congress in Verbindung mit einer weiteren Schenkung, diesmal für den Bau eines Pavillons neben dem Coolidge-Auditorium, wo die Instrumente bewundert werden konnten, sowie mit einem unterstützenden Fonds, der ihre Nutzung durch ein »Residenz-Quartett« gewährleisten sollte. Seit 1936 wurden die Whittall-Konzerte in Washington zu einer Institution, die auch während des Zweiten Weltkrieges fortbestand, obwohl die Instrumente in dieser Zeit an die Denison University in Granville, Ohio, ausgelagert waren.77 Für Edward N. Waters, den langjährigen stellvertretenden Leiter der Musikabteilung der Bibliothek, waren Betreuung und Handhabung von Mrs. Whittall zeitweilig so anspruchsvoll wie die Betreuung und Handhabung der Instrumente und des Pavillons, doch die Wohltaten blieben nie aus.78

Zwei Jahre später fügte die Witwe von Robert Somers Brookings, dem Gründer der Brookings-Institution, Washingtons erster Denkfabrik, und Erbe eines Vermögens aus St. Louis, seine Nicolò Amati von 1654 der Sammlung der Bibliothek hinzu. Fritz Kreisler, einer der führenden Künstler des 20. Jahrhunderts und seit 1943 eingebürgerter Amerikaner, übertrumpfte sie 1952 mit der Spende seiner del Gesù von 1733 und dem, was sich – obwohl als Tourte präsentiert – als ein Bogen von Hill erwies.79

Die dritte der verwitweten Gönnerinnen war Mrs. Anna E. Clark, die zweite Frau von William Andrews Clark, dessen Wahl in den US-Senat durch das Landesparlament von Montana im Jahr 1899 und erneut im Jahr 1901 ein starkes Argument für die 17. Verfassungsänderung und die Wahl von Senatoren durch das Volk statt durch leicht bestechliche Landesparlamentarier lieferte.80 Der vor Kurzem verwitwete Clark – frankophil, Kunstsammler und 39 Jahre älter als sie – nahm sie in den 1890er-Jahren als jugendlichen Schützling auf, schickte sie zuerst zum Mädchenseminar in Deer Lodge und dann zum Studium der Harfe auf das Konservatorium in Paris. Sie heirateten im Jahr 1904, die Urkunde wurde aber auf 1901 zurückdatiert, um zwei inzwischen geborene Kinder zu legitimieren. Danach ließ sich das Paar in Clarks Palais mit 121 Zimmern auf der Fifth Avenue, Ecke 77. Straße, nieder, in dem sie bis zu seinem Tod 1925 im Alter von 86 Jahren blieben. Etwas über 20 Jahre später trafen |167| Mrs. Clark und Stradivari rund 20 Blocks weiter südlich aufeinander. Seit dem Tod von Clark war sie in eine etwas bescheidenere Wohnung mit Blick auf den Central Park, Dienstmädchen, Köchin, Sekretär und uniformiertem Chauffeur gezogen. Da sie dafür bekannt war, täglich zwei oder sogar drei Konzerte in der Town Hall oder der Carnegie Hall zu besuchen, freundete sie sich auch mit dem belgischen Cellisten Robert Maas an, der nach seiner Trennung vom viel bewunderten Pro-Arte-Quartett am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erneut nach New York gekommen war. Maas führte sie zu Emil Herrmann, dem führenden Händler in der Stadt.

Herrmann war seit einem Vierteljahrhundert auf der Suche nach einem Quartett von Strads, das einst Paganini gehört hatte. Ein Jahrhundert zuvor hatte Paganinis Sohn Achille die Instrumente an Vuillaume in Kommission gegeben, der sie wegen der Marktverhältnisse zwar ungern, aber doch Stück für Stück verkaufte.81 Es wurde April 1946, bevor Herrmann sie schließlich wieder als Quartett zusammenbrachte. Unter ihnen war eine Geige von 1724, die Cozio von Paolo Stradivari gekauft hatte, und die Viola, die Hector Berlioz zu seiner Quasi-Sinfonie Harold in Italien inspiriert hatte. Er brachte dann die Instrumente mit Spielern und die Spieler mit Mrs. Clark zusammen, die einen Scheck über 156.550 Dollar ausschrieb.82 Während der folgenden 20 Jahre gingen Maas und seine Kollegen als Paganini-Quartett auf Tournee. 1949 kaufte Mrs. Clark ein zweites Quartett, diesmal von Nicolò Amati, das zuerst das Claremont Quartet und dann das Tokyo Quartet, das im Jahr 1969 von vier jungen japanischen Studenten an der Juilliard School in New York gegründet wurde, spielte.

Im Jahr 1966 gab das Paganini Quartett sein letztes Konzert. Am Tag danach brachte sein Erster Geiger Henri Temianka die Instrumente nach Washington und übergab sie der Corcoran Gallery, die nur einen Häuserblock westlich des Weißen Hauses liegt und als Museum schon einen Clark-Anbau hatte, der – 1928 erbaut – mehr als 700 Objekte aus der Kunstsammlung des verstorbenen Senators beherbergte. Mrs. Clark wünschte, dass die Instrumente ebenso wie die des Amati-Quartetts, die jetzt auch im Museum waren, aktiven Musikern zur Verfügung standen.83 Sie legte ebenfalls fest, dass sie nicht getrennt werden durften. Die Musikkommission des Museums – allen voran ihr Vorsitzender David Lloyd Kreeger, der selbst Kunstsammler und Besitzer einer Strad war84 – tat ihr Bestes, um diese Anforderungen zu erfüllen, und fügte als eigene Bedingung hinzu, dass die erfolgreichen Bewerber um das Spielen der Instrumente sich regelmäßig in Washington zeigen mussten, um die Instrumente in der Corcoran Gallery zu spielen. 1967 vergab sie die Instrumente an das Fakultät-Quartett der Universität von Iowa, das aus aktiven Musikern mit regulären Gehältern bestand und von einer etablierten Institution getragen wurde, die gewillt war, die Kosten für Wartung und Versicherung zu tragen.85 Im Jahr 1973 wurden die Instrumente den Streichern an den ersten Pulten |168| des Washingtoner National Symphony Orchestra zugewiesen und Mitte der 1980er-Jahre erneut vergeben, diesmal an das Cleveland Quartet, das bis zu seiner Auflösung am Ende der Saison 1994/95 mit ihnen auf Tournee ging und Einspielungen machte. Im September 1995 verkaufte die Corcoran Gallery die Instrumente für 15 Millionen US-Dollar an die Nippon Music Foundation, die sie dann für die Dauer seiner Existenz an das Tokyo Quartet verlieh, das immer noch in New York war, aber nur noch zwei Spieler aus Japan hatte,86 ab 2013 dann an das deutsche Hagen Quartett. Zwischen 1995 und 2002 erweiterte die Stiftung ihre Sammlung um weitere elf Stradivari- und zwei del-Gesù-Violinen sowie ein zweites Stradivari-Cello.

Ebenso wie der preisgekrönte asiatische Geiger war jetzt auch der asiatische Sammler keine Neuheit mehr. Robin Loh, ein chinesischer Ölhändler und Projektentwickler aus Singapur, der bereits drei Strads besaß, überbot am 3. Juni 1971 bei Sotheby’s den Rest der Welt für eine vierte, die »Lady Blunt«, die einst Bennett, Knoop, Vuillaume und Cozio sowie Lady Blunt selber gehört hatte. Der Verkäufer war Sam Bloomfield, ein pensionierter Luftfahrtingenieur, Flugzeugbauer und Erfinder aus Wichita, Kansas, der jetzt in Kalifornien lebte. Der Preis von 200.000 Dollar war ein neuer Orientierungswert. C. M. Sin, ein Industrieller aus Hongkong, der Berichten zufolge nach einer vergleichenden Studie des Sammlermarktes zu der Erkenntnis kam, dass Geigen weit hinter chinesischem Porzellan rangierten, begann 1968 vorsichtig mit einer Stainer und stieg dann bis zu Strads auf. 1972 gab es bereits sieben Strads mit dem Beinamen Sin. Zwei Jahre später erwarb Sin eine del Gesù für 175.000 Dollar, für ihn nur eine weitere Trophäe, im Leben des Chicagoer Verkäufers Geoffrey Fushi freilich – gerade 30 Jahre alt und an der Schwelle zu einer bemerkenswerten Karriere – ein Wendepunkt. Bevor Sin seine Sammlung in den 1990er-Jahren auflöste und von Hongkong auf die Isle of Wight zog, hatte er schätzungsweise 20 Strads gekauft und bis zu 16 gleichzeitig besessen.87

An der Schwelle des 21. Jahrhunderts kam weder Sin noch sonst jemand auf den Gedanken, Strads seien unterbewertet, und für das Sammeln waren neue Maßstäbe gesetzt worden. Preismacher waren jetzt Asiaten oder Amerikaner, und einer von ihnen, die Nippon Music Foundation, war eine Institution. Nicht nur gab es für immer mehr Geld immer weniger – und manchmal sogar gar nichts mehr. Wie David Fulton, der wichtigste Sammler der neuen Zeit bemerkte, waren Leonardos für kein Geld der Welt mehr zu haben.88 Dennoch war Fulton, auch im historischen Vergleich, bemerkenswert erfolgreich. Wie so viele Sammler hatte er schon in seiner Schulzeit mit dem Geigenspiel begonnen, doch anders als die meisten von ihnen war er auch gut genug, um halbprofessionell zu spielen. Der Moment der Wahrheit kam in seinen College-Tagen. Als Konzertmeister des Studentenorchesters an der Universität von Chicago wurde ihm erlaubt, eine Testore von 1743 zu spielen, die Jahre |169| zuvor von einem dankbaren Alumnus gestiftet worden war. Er brachte sie für eine Schätzung zu Henry Lewis, zu der Zeit der führende Händler in Chicago, und durfte eine Guadagnini und eine Strad ausprobieren. Ein paar Jahrzehnte später war er davon immer noch begeistert, als ein früherer Klassenkamerad, der auf dem Weg nach Chicago war, um eine Strad abzuholen, ihn einlud, ihn zu begleiten. Fulton kam mit einer Pietro Guarneri aus Mantua zurück, deren Preis den seines Hauses überstieg.

Was die Szene bald darauf grundlegend verändern sollte, war ein seit den 1920er-Jahren nicht mehr gesehener Marktboom, der von einem technologischen Durchbruch wie keinem seit der Erfindung des Telegrafen begünstigt wurde. Nach dem College, wo Fulton Mathematik studierte, ließ er sich als Versicherungsmathematiker ausbilden und wurde dann Statistiker und Informatiker mit einer ordentlichen Professur an der Ohio Bowling Green State University. Jetzt wandte er sich mit einem Gespür für Zeit, Ort und Markt, das an Gillott erinnerte, dem Unternehmertum zu. Seine Beratungstätigkeit führte zu einem Vertrag mit Fox-Software und einem Joint Venture mit Namen »Fox Holdings«. Diese Neugründung Mitte der 1980er-Jahre mit sechs Mitarbeitern war 1992 zu einem Unternehmen mit einer Belegschaft von 300 geworden. Nachdem es dann Microsoft kaufte, wurde Fulton einer der Vizepräsidenten. Im Jahr 1994 zog er sich mit 49 Jahren zurück, und die Bezahlung der Pietro Guarneri war überhaupt kein Problem mehr.

Von da an hatte er größere Kandidaten im Auge, darunter Pietros Neffen – ein Guarneri der dritten Generation –, der seine Instrumente als Giuseppe del Gesù signierte. Fultons Strategie war klassisch einfach: Streben nach dem Besten des Besten, das mit bombensicheren Zertifikaten und Gutachten bestätigt war. Ein Jahrzehnt nach der Übernahme durch Microsoft besaß er ein halbes Dutzend Strads und ein halbes Dutzend del-Gesù-Geigen, Bratschen von Andrea Guarneri und Gasparo da Salò, Celli von Stradivari und Pietro Guarneri aus Venedig sowie eine gewaltige Sammlung von Tourte- und Peccatte-Bögen. Inzwischen hatte er sich den Respekt der weltweit führenden Geigenhändler einschließlich Beare erworben, und weltberühmte Geiger begegneten ihm mit freundlichem Interesse, zuweilen sogar mit spontaner Freundschaft. Eine Einladung zum Mitmusizieren in seinem Wohnzimmer wurde selten abgelehnt.

Im Jahr 2001 wurde Beare gebeten, den Verkauf der Strad von 1709 zu vermitteln, deren Jungfräulichkeit Vuillaume mit der von Jeanne d’Arc verglichen und der er den Namen »La Pucelle« verliehen hatte. Die Verkäuferin war die 94-jährige Huguette Clark, Tochter des verstorbenen Senators, deren Mutter Anna sie ihr geschenkt hatte, als Huguette 50 geworden war. Beare dachte sofort an Fulton, der das Instrument ungesehen für den verlangten Preis von sechs Millionen Dollar erwarb. Fulton wies eine Vertraulichkeitsvereinbarung zurück, |170| die nicht nur verlangte, dass der Name des Verkäufers nicht preisgegeben werde, sondern auch, dass er das Instrument niemals in der Gegenwart von anderen spielen würde. Beare, der im Lastenaufzug und unter Aufsicht in Clarks Apartment an der Fifth Avenue gebracht wurde, hat die Verkäuferin nie gesehen.89

Der schottische Schauspieler und Schriftsteller William C. Honeyman skizzierte zur Zeit des Anstiegs der großen viktorianischen Geigenkurve in einem 1893 erstmals erschienenen kleinen Handbuch für den wissbegierigen Geigenkäufer die drei Perspektiven für das Sammeln. Er fand Haweis »mehr sentimental als solide«, weil er in Sammlern Menschen sah, die »unvergleichliche Edelsteine vor dem Verschleiß durch dauernden Gebrauch« bewahren. Er erkannte die liberale Mittelposition Heron-Allens an, der zufolge die Menschen das Recht haben, ihr Geld so auszugeben, wie es ihnen gefällt. Er räumte sogar ein, »dass alle Violinensammler, die ich getroffen habe, einzigartig liebenswürdige und zuvorkommende Männer waren«, fügte allerdings hinzu, dass diese ausnahmslos auch Spieler gewesen seien. Dennoch betrachtete er Sammler als einen »Fluch der Violinspieler«, deren Egoismus und Torheit den Markt mit restaurierten italienischen Wracks zu lächerlichen Preisen fütterten und damit große Instrumente selbst für die besten Spieler unerreichbar machten.90

Obwohl er für sich selbst sprach – und es dennoch so klang, als spreche er um ein Jahrhundert versetzt mit Honeyman –, nahm Fulton eine weitsichtigere Position ein. »Ich persönlich habe meine Geigensammlung immer als reines Privatvergnügen angesehen«, sagte er. Er hatte seine Instrumente erworben, um sie zu spielen und zu bewahren, und ohne die Absicht, einen Mehrwert zu realisieren. Als die Zeit kam, freute er sich darauf, für seine Besten der Besten ein institutionelles Zuhause zu finden, wo sie gespielt und vor allem in geeigneter Weise gepflegt werden würden. Der Rest würde letztlich wieder auf den Markt zurückkehren. Die Auflösung seiner Sammlung würde nach seiner Schätzung zehn bis zwanzig Jahre dauern. In der Zwischenzeit würden seine Kinder, von denen keines Geige spielt, lernen müssen, geduldig zu sein.91

Die Violine

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