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Ein Stern geht auf
ОглавлениеDie Suche nach den Ursprüngen der Violine führt in eine Welt von verworrenen Stammbäumen, sich entfaltender Architektur, alternativer Modelle und in eine Deponie, auf der Generationen von Lehrmeinungen begraben sind. Doch fast alle Wege führen zurück zum Sägewerk und der Seidenstraße. Das Sägewerk, schon zu Zeiten der Römer bekannt, war vor seiner allmählichen Wiederauferstehung im 12. Jahrhundert offenbar für fast ein Jahrtausend in Vergessenheit geraten. Doch seit dem 14. Jahrhundert scheint es sich ziemlich schnell wieder ausgebreitet zu haben, und weil bearbeitete Bretter und Bohlen nun allgemein verfügbar waren, blühte die holzverarbeitende Zunft auf43 und brachte ganz neue Berufen, Kunsthandwerke und Berufszweige hervor, die sich in Gilden zusammenschlossen.
Ein praktisches Beispiel dafür ist der Bau von Möbeln, Schränken und Truhen,44 aber auch der von Instrumenten, denn dieser war durch die traditionelle Verbindung zur Herstellung von Kisten und Kasten ein logischer Ableger. Das zeigte sich noch 1716 bei Giovanni Guidante, auch bekannt als Fiorino, der sich in einem Bologneser Gerichtsdokument als Hersteller von Geigen und Tabakdosen bezeichnete.45 In einigen Orten wie zum Beispiel in Straßburg wurden Instrumentenbauer als Schreiner oder Kistenmacher anerkannt, in anderen wie Nürnberg setzten die Schreiner alles daran, sie von sich fernzuhalten. In wiederum anderen Orten wie Augsburg prallten die Stände aufeinander. Im Jahr 1559 wurde Anklage gegen einen Lautenmacher erhoben, der Aufträge annahm, die man mit der Herstellung von Kisten in Verbindung brachte. Drei Jahre später stand ein Geigenbauer vor Gericht, der einen Schreiner mit der Herstellung von Teilen einer Violine beauftragt hatte.46 In Füssen, einem Zentrum des Lautenbaus am Rande der Alpen, bildeten Instrumentenbauer im gleichen Jahr ihre eigene Gilde, um sich vor der Konkurrenz und einem Wettbewerb zu schützen, den sie – zumindest teilweise – selbst hervorgerufen hatten.47
|30| Auch die Seidenstraße, an der Schwelle des 21. Jahrhunderts als das Internet der Antike wiederentdeckt, reichte bis in die Römerzeit zurück und verband – bis zur Entdeckung der Neuen Welt rund 1500 Jahre später – China mit dem byzantinischen Konstantinopel, auch bekannt als das osmanische Istanbul. Über Zentralasien, das Kaspische Meer und den Persischen Golf traf sie auf ein anderes, überwiegend islamisches System von Handelsstraßen, das bis zum Atlantik reichte. Dieser Handelsverkehr begünstigte den Transfer von Waren aller Art, förderte aber auch den Austausch von immateriellen Gütern wie Kunst, fachlichem Können und Ideen, einschließlich der Musik. Noch heute sind entlang des Weges von Usbekistan bis zum New Yorker Stadtteil Queens verschiedene Zupf- und Streichinstrumente wie die Dombra, das Rebab und die persische Kamancheh – eine Stachelgeige – in Gebrauch.48 Andere Instrumente wie Laute und Rebec tauchten im maurischen Spanien auf, wo sie neben der Vihuela, einem weiteren Importprodukt, das möglicherweise aus Frankreich oder Flandern stammte, vorhanden waren.49 In Spanien fanden alle drei den Weg zu sephardischen Juden, von denen sie mitgenommen wurden, als diese 1492 aus Spanien vertrieben wurden und in die Lombardei, nach Venezien, nach Süddeutschland, in die Niederlande oder nach Großbritannien flüchteten.50 Der Cembalist und Musikwissenschaftler Thurston Dart (1921–1971) vermutete, dass aus der gezupften Vihuela de mano und der gestrichenen Vielle zu dieser Zeit eine Kreuzung entstand – faktisch eine gestrichene Gitarre. Spanische Illustrationen bestätigen deren Herkunft. Nach Italien gelangte diese Kreuzung vielleicht durch Katalanen, die über Rom reisten, oder durch sephardische jüdische Flüchtlinge auf dem Weg nach Venedig oder Mailand.51
Die besten aller möglichen Quellen wären natürlich erhaltene Instrumente. Doch Karel Moens, Kurator in Antwerpen, dessen Untersuchungen ihn zum Racheengel der neuen Violingeschichte machten, stellte fest, dass bei den Gegebenheiten, unter denen Geigenbauer und Restauratoren alte Instrumente über Jahrhunderte verkleinert, neu lackiert, nachgehobelt und regelrecht ausgeschlachtet hatten, nur wenige überlebt hatten, geschweige denn unversehrt.52 Eine seltene Ausnahme war ein authentisches und nahezu vollständig erhaltenes Ensemble aus dem 16. Jahrhundert in der restaurierten gotischen Kathedrale von Freiberg, einer sächsischen Stadt am Rande des Erzgebirges. Für Organologen war es so wertvoll, wie es ein perfekt erhaltener Brontosaurier für Paläontologen ist, denn es bestand aus einer kleinen dreisaitigen und einer großen viersaitigen Geige, einer Bratsche und einem kleinen und einem großen dreisaitigen Bass.53 Die Bauweise stimmte mit den schlichten Modellen überein, die typisch für umherziehende Wandermusiker und Geigenbauer waren, unterschied sich aber deutlich von den Produkten aus Cremona, die zum Standard wurden, und blieb bis 1900 für billige deutsche Instrumente gebräuchlich.54 Am anderen Ende der Echtheitsskala befinden sich ungefähr 20 Instrumente von |31| Cremonas Gründungsvater Andrea Amati (ca. 1505–1577), dessen eigenes Geburtsdatum nur vermutet werden kann. Im Jahr 2007 traf sich in Cremona eine Gruppe von Spezialisten, darunter ein Geigenbauer/-historiker, ein Kunsthistoriker, ein Instrumentenhistoriker, ein Elektrochemiker und ein Händler/Verleger, um des 500. Geburtstages von Amati zu gedenken. Die Experten waren sich darin einig, dass er ein rechtschaffener Bürger, begnadeter Handwerker und beispielhafter Geschäftsmann gewesen war. Alles Weitere war praktisch ungesichert, einschließlich einer einigermaßen akzeptablen Übersetzung eines offenbar programmatischen Spruches in lateinischer Sprache, der auf fünf der erhaltenen Instrumente aufgebracht war. Wer sie bestellt hatte und wann und wo sie bemalt wurden, blieb ein Rätsel.
Die andere bemerkenswerte Herausforderung war ein legendäres Ensemble von zwölf großen und zwölf kleinen Geigen, sechs Bratschen und acht Celli, zu dem wahrscheinlich noch acht weitere erhaltene Instrumente gehörten. Vermutlich für den Hof von Charles IX. von Frankreich (1550–1574) gekauft, führten sie von Sibire bis zu den Gebrüdern Hill – die dem Ashmolean Museum in Oxford eine Geige und eine Bratsche überließen, die wahrscheinlich aus dieser französischen Hofsammlung stammten – zu umfangreicher Literatur. Historisch brachte man die Instrumente mit der furchteinflößenden Caterina von Medici (1519–1589) in Verbindung, die ihre Heimatstadt Florenz im Alter von 14 Jahren verlassen hatte, um an den französischen Hof zu heiraten, wo sie die Ehefrau von König Henry II. und nach dessen Tod im Namen ihres zehnjährigen Sohnes Charles IX. Regentin wurde. Mit ihrer Leidenschaft für Tanz, Feste und allegorische Unterhaltung, die die Nachfrage nach Violinen und eine Vollbeschäftigung für Geiger sicherstellte,55 hatte sie den französischen Hof Mitte des 16. Jahrhunderts erfolgreich in eine Kolonie italienischer Kultur verwandelt. Wie die Instrumente in Auftrag gegeben und bezahlt und wie viele gebaut und geliefert wurden, bleiben offene Fragen.
Moens und andere haben Zweifel an der Verbindung zu Cremona, der Größe der Bestellung und der Kapazität der Amati-Werkstatt geäußert. Aber auf diese Vorbehalte gibt es mehr oder weniger plausible Antworten. Im Jahr 1816 meldete Cozio Besitzansprüche auf eine dreisaitige Violine von Andrea Amati an, was einem Altersbeweis gleichkommt. Im Jahr 1898 hatte der angesehene italienische Geigenbauer Gaetano Sgarabotto (1878–1959) angeblich eine weitere Violine repariert, und zwischen 1562 und 1564 hinterließ eine königliche Tour de France eine Spur monumentaler Bögen und allegorischer Säulen, die den bildlichen Darstellungen auf den Amati zugeschriebenen Violinen entsprachen.56 Aufzeichnungen bestätigen, dass im Jahr 1572 – als die Werkstatt von Amati immer noch die einzige bekannte in Cremona war – ein französischer Hofmusiker mit 50 Lire entsandt wurde, um eine Cremoneser Violine »für den Dienst des Königs« zu kaufen.57 Zwischen 1555 und 1573 wuchs die |32| Liste von an den französischen Hof berufenen italienischen Geigern von fünf oder sechs auf dreißig, ein glaubwürdiger Beweis für die Nachfrage.58 Durch mitarbeitende Familienmitglieder, Lehrlinge in verschiedenen Stadien der Ausbildung und zusätzlich eingestelltes Personal, die alle den Meister unterstützten, war es einer Werkstatt bei einer Bauzeit von einem Monat für eine Geige und drei Monaten für ein Cello durchaus möglich, einen Auftrag dieser Größenordnung innerhalb von zehn Jahren auszuführen.59
Ob die Amati zugeschriebenen Geigen, die immer noch in England, Italien und den Vereinigten Staaten ausgestellt werden, das sind, was sie vorgaben zu sein, war eine andere Frage. Moens stellte bei ihrer Untersuchung erhebliche strukturelle Unstimmigkeiten fest und fand heraus, dass sie alle immer wieder in hohem Maße und anonym auf- und umgearbeitet worden waren und zahllose Widersprüche zu Beschreibungen des 19. Jahrhunderts aufwiesen.60 Vom Ergebnis abgesehen, könnte man immerhin ins Feld führen, dass die Debatte selbst einen Wert an sich hatte. Wenn die Instrumente von Charles IX. echt waren, umso besser, wenn nicht, bereicherte die Debatte zumindest den Forschungsstand.
Erhaltene Bilder und Texte sind für moderne Forscher zumindest eine hilfreiche Ergänzung zu erhaltenen Instrumenten. Durch einen glücklichen Zufall fallen die Ursprünge der Violine mit der Einführung des Buchdrucks zusammen. So liegt eine bestätigende Dokumentation zu Entstehung und Entwicklung der Violine in drei kanonischen Handbüchern vor. Das erste stammt von Martin Agricola (um 1486–1556), einem deutschen Protestanten, dessen Handbuch über den zeitgenössischen Instrumentengebrauch Musica Instrumentalis Deudsch zwischen 1529 und 1542 vier Auflagen erlebte, gefolgt von einer überarbeiteten Version im Jahr 1545. Von besonderem Interesse sind dabei Hinweise auf ein bundloses und in Quinten gestimmtes Instrument, eines in einer Gruppe von vieren, das sogar mit Vibrato gespielt werden kann. In der Erstausgabe zeigt ein Holzschnitt ein dreisaitiges polnisches Instrument, das dem auf einem zeitgenössischen Gemälde von Gaudenzio Ferrari aus Vercelli in Norditalien verblüffend ähnlich sieht.61
Das zweite Handbuch wurde von Philibert Jambe de Fer (1515–ca. 1566) verfasst, einem Protestanten aus Lyon, der Psalmen komponierte, die musikalischen Darbietungen für den Einzug des 14-jährigen Charles IX. in die Heimatstadt des Autors ausrichtete und mit seinem 1556 veröffentlichten Werk Epitome musical des tons, sons et accordz, es voix humaines, fleustes d’Alleman, fleustes à neuf trois, violes & violons einen Meilenstein in der Organologie legte. »Warum nennt man die eine Art von Instrument Gamben und die andere Geigen?«, fragt der Autor rhetorisch. »Gamben nennen wir solche, mit denen Herren, Kaufleute und andere tugendhafte Menschen ihre Zeit verbringen. […] Die andere Art wird Violine genannt; sie wird üblicherweise und aus gutem Grund zum |33| Tanzen verwendet, denn sie ist viel einfacher zu stimmen«, heißt die Antwort. Das Instrument sei leicht zu tragen – »eine sehr notwendige Sache beim Anführen von Hochzeitsprozessionen oder Mummenschanz« –, werde aber außer von »denjenigen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen«, selten genutzt.62
Das dritte Handbuch ist ein Überblick über zeitgenössische Instrumente von Michael Praetorius (1571–1621), einem außerordentlich produktiven Komponisten und Vorreiter der Musikwissenschaft. In einer häufig zitierten Passage aus dem zweiten Band seines 1618 veröffentlichten vierbändigen Werks De Organographia merkt der Autor an: »Und da nun jeder die Geigenfamilie kennt, ist es unnötig, mehr darüber anzuzeigen oder zu schreiben.« Aus der Erfindung eines dreisaitigen Instrumentes, zuerst in Magdeburg und Vercelli gesichtet, war also innerhalb von drei Generationen eine allgemein anerkannte viersaitige Geige geworden. Die Auslese, die das Überleben gerade dieses Exemplars der Gattung begünstigte, und die Dynamik, die just diese Bautechnik überdauern ließ, bieten noch vier Jahrhunderte später Denkanstöße.
Zumindest ein Teil der Antwort war entwaffnend einfach. Auch in den Anfängen des neuzeitlichen Europa, in dem die meisten Menschen lebten und starben, ohne jemals die Welt außerhalb ihres Horizontes gesehen zu haben, in dem Städte innerhalb ihrer Mauern blieben und Unternehmertum jedweder Art den Einschränkungen einer feudalen Verfassung unterworfen war, breiteten sich Menschen, Gegenstände und Ideen aus. Netzwerke, die durch Kriege entstanden waren, brachten spanische, französische und österreichische Armeen nach Italien, durch Handel entstandene Netzwerke brachten Tiroler Instrumentenbauer aus dem Alpendorf Füssen nach Venedig, Padua und Rom,63 und durch die Kunst entstandene Netzwerke brachten dem Komponisten Orlando di Lasso nacheinander Anstellungen in Mantua, Mailand, Palermo, Neapel, Rom, Antwerpen und München.64
Ein zweiter Faktor war der Übergang von der Chor- zur Instrumentalpolyphonie, die die Ausrichtung der europäischen Musik und damit sowohl die Violine als auch die Nachfrage nach ihr veränderte. Und auch wenn sich Ursache und Wirkung hier im Kreise drehen, gibt ein Vergleich des gut dokumentierten Hofes von Ferrara im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts mit dem ebenso gut dokumentierten Hof von München ein Jahrhundert später einen Hinweis darauf, wie, wo und wann dieser Wandel eingetreten ist. Mit seiner anspruchsvollen Stadtplanung und komplizierten Außenpolitik verlieh Herzog Ercole I. Ferrara Bedeutung. Mit seiner altmodischen Frömmigkeit, seinen Hofmusikanten und dem hohen Stellenwert, den er der musikalischen Ausbildung seiner Kinder beimaß, verlieh er sich selber Ansehen. Seine Tochter und Nachfolgerin, Isabella d’Este, seit ihrem 16. Lebensjahr Marchesa von Mantua und eine der bemerkenswertesten Frauen der Renaissance in Italien, nahm Musik mindestens ebenso ernst wie er.65
|34| Der Hof bot mit seinem mit liturgischen Feiern, Karneval und Turnieren, mit Pferderennen, akademischen Festakten und Empfängen für hohe Besucher gefüllten Kalender ausreichend Anlässe für Musik. Zwischen 1471 und 1478 führte das Verlangen nach staatlicher Selbstdarstellung zu einer Vergrößerung des Trompeterkorps von sechs auf zehn Spieler, zuzüglich vier neuen Holzbläsern und einem neuen Posaunisten. Dann kamen die Streicher, eine anerkannte Spezialität von Ferrara.66 Ab 1490 berichtete Isabellas Mittelsmann vom Einsatz größerer Instrumente in Ensembles mit bis zu sechs Musikern.67 Holman schätzt, dass ab 1511 in Ferrara ein Violinen-Konsortium existierte.68
In München wurden schon ab 1519 einige solistische Geiger mit deutschen Namen engagiert, während in den kosmopolitischeren Städten wie Nürnberg und Augsburg bereits ganze Ensembles gediehen. 40 Jahre später und damit zeitgleich mit dem Auftreten des großen Komponisten Orlando di Lasso fanden sich in München Solisten mit italienischen Namen zu Gruppen zusammen und spielten Motetten, Madrigale und Tanzmelodien nach Noten. In Hofdokumenten werden italienische Instrumente empfohlen, dies lässt italienische Verbindungen plausibel erscheinen. Dennoch stellen zeitgenössische Stiche immer noch Geiger mit Instrumenten dar, die an die professionell gebauten, aber deutlich nichtitalienischen Instrumente in Freiburg erinnern.69 Als die höfischen Ensembles im Laufe des nächsten Jahrhunderts immer stärker wurden, erschienen Geiger auch im privaten Kreise, in erster Linie, um zum Tanz aufzuspielen. Französische, deutsche und niederländische Maler und Kupferstecher brachten die Geige allerdings mit Sex, Alkohol, Völlerei, Dummheit, Unehrlichkeit und Trägheit in Verbindung; Italiener hingegen verbanden sie weiterhin mit dem sozialen Ansehen von Hof, Theater und Kirche.70
Ein dritter Faktor für den Sieg der Geige war ein langsamer Wandel im Instrumentenbau. Höfische wie bürgerliche Anzeichen nördlich und südlich der Alpen weisen auf eine Nachfrage nach etwas Neuem und Besserem als der Ursuppe der existierenden Instrumente hin. Als die Geige dann endgültig die Bühne betrat, scheinen Berufsmusiker sie schnell geschätzt zu haben. Aber im Gegensatz zu Jambe de Fer spielten sie das neue Instrument anscheinend im Wechsel mit der Gambe. Solange beide Instrumente begehrt waren, stellten erst Tiroler Geigenbauer und dann Italiener sie deshalb abwechselnd her, doch kamen sie auf verschiedenen Wegen zu unterschiedlichen Lösungen. Denn niemand kann wirklich sagen, seit wann und wie lange Instrumente, die vor der Brust oder auf der Schulter gehalten wurden, wie ein kleines Boot oder Kanu aus einem einzigen Holzblock herausgeschält worden waren, während größere Instrumente aus mehreren Teilen gebaut wurden. Der Geigenbauer fügte dann den Hals, eine Decke und bei größeren Instrumenten einen Boden hinzu.71
In einer Zeit, in der Nägel und Leim ausschließlich von Mitgliedern der Gilde verwendet werden durften, lernten nicht angeschlossene |35| Instrumentenbauer, die Stücke in Riefen zu schieben und ihre Erzeugnisse mit Zapfen und Dübeln zusammenzuhalten.72 Moens verweist auf Spuren dieser Vergangenheit, die sich immer noch an den erweiterten Ecken zeigen, an denen sich die Zargen der Violine zusammenfügen, an der Art, wie Boden und Decke über die Zargen ragen, an ihren runden Schultern und der Art, wie sie mit dem Hals zusammenkommen. Obwohl Geigenbauer ihre Kunst zunehmend verfeinerten, scheint diese Technik nördlich der Alpen das Standardverfahren sowohl für Violen als auch für Geigen geblieben zu sein. Von dort gelangte sie von Tirol hinüber nach Italien, während die Technik, die Moens als »archaisch« bezeichnete, bis ins 20. Jahrhundert in Volksinstrumenten überlebte.73 Durch größere Ensembles und größere Instrumente änderten sich die Verhältnisse. Es gab Orte, an denen der Handel durch die Nachfrage von Berufsmusikern aufblühte und verwandte Gilden nebeneinander existierten und sogar zusammenarbeiteten. Andernorts verbündeten sich Instrumentenbauer mit denjenigen, gegen die sie nicht konkurrieren konnten – beispielsweise mit den lokalen Schreinern. Es gab weitere Städte, in denen sie sich informell organisierten.
Dann war da noch Füssen, wo hochwertige Materialien mit qualifizierten Arbeitskräften zusammentrafen, die, saisonbedingt unterbeschäftigt, ihre Zeit mit Verhandlungen über die Umladung vom Straßen- auf den Wassertransport totschlugen. Füssen, strategisch auf einer großen Nord-Süd-Handelsstraße gelegen, war ein Lieblingsort des musikliebenden römischen Kaisers Maximilian I. Zwischen 1497 und seinem Tod im Jahr 1517 marschierte Maximilian zweimal in Italien ein und führte einen Koalitionskrieg gegen Venedig. Etwa gleichzeitig ließ sich ein Strom von süddeutschen Lautenmachern, die bevorzugten Zugang zu dem gleichen hochwertigen Tannen- und Ahornholz suchten, das auch zu hochwertigen bayerischen und Tiroler Möbeln74 verarbeitet wurde, in Norditalien nieder. Um das Jahr 1500 wurde so eine Schar von Lautenmachern aus Füssen zum Stolz von Bologna.75 Mitte des Jahrhunderts hatte die Familie Tieffenbrucker Werkstätten in Frankreich und Italien eröffnet. Innerhalb eines Jahrhunderts fanden italienische Techniken und Geigen im italienischen Stil, die von Praktikern – deren Handwerk in Frankreich und Italien immer noch als Lautenbau bezeichnet wird – wie Lauten um eine innere Form gebaut waren, ihren Weg zurück in den Norden.
Es gibt keine Beweise dafür, dass italienische Auszubildende den Lautenbau tatsächlich von zugezogenen deutschen Meistern lernten. Nach Elia Santoro, einem Journalisten und späteren Violinhistoriker, erreichte die neue Technik im 16. Jahrhundert über Venedig die Stadt Cremona und generell das untere Po-Tal.76 Ebenso wenig gibt es Anzeichen dafür, dass italienische Lautenmacher die Technik umgehend auf Geigen anwandten. Ironischerweise beziehen sich die wenigen zeitgenössischen Hinweise auf italienische Geigen auf lokale Versionen der nördlichen Bauweise. Doch woher diese neue Technik auch immer |36| kam: Sie wurde angenommen – mit Ergebnissen, die in einem Land und einer Kultur, in der die Violine Respekt und Status genoss, alle anderen verdrängten. Für die nächsten 250 Jahre bestand zwischen Italien und der Geige eine besondere Beziehung.77