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Die Rolle der Kultur

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Introversion ist global und doch gibt es kulturelle Gegebenheiten, die das Leben von Introvertierten vereinfachen oder erschweren. So ist es zumindest in diversen Büchern und Artikeln zu lesen. Anne Heintze schreibt beispielsweise in ihrem Buch Auf die leise Weise, dass introvertierte Menschen in Asien sehr geschätzt werden.7 Dies liege besonders an deren Zurückhaltung und der damit verbundenen Bescheidenheit, die dort nicht nur als angenehm, sondern auch als Erfolg versprechend eingestuft werde. In der asiatischen Kultur hätten das Stetige und Stille von jeher einen höheren Stellenwert gehabt. Ebenso Qualitäten wie Hingabe, Konzentration, Entschlossenheit und Achtsamkeit.

Wiederholt begegnete mir die Äußerung, dass Amerika ein sehr extrovertiertes Land sei, in dem es Introvertierte schwer hätten. Nicht zuletzt deshalb, weil extrovertiertes Verhalten viele begeistert. Großbritannien und nordische Länder wie Schweden, Norwegen und Dänemark werden hingegen oft als introvertiertenfreundlicher beschrieben. In der kulturellen Diskussion kommt verwirrend hinzu, dass die extrovertierte Art häufig positiv, die introvertierte Art hingegen negativ assoziiert wird. So schwärmte etwa die Bloggerin und Fotografin Andrea Monica Hug nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in Los Angeles von der unglaublichen Herzlichkeit und Nächstenliebe der Amerikaner. Zurück in der Schweiz musste sich Hug erst wieder an ihre Heimat gewöhnen: »Ich fühlte mich in L. A. mehr zu Hause als hier. Die Schweizer sind so introvertiert und distanziert – das ist schlimm.«8 Undifferenzierte Aussagen dieser Art sind alles andere als hilfreich. Denn genau mit solchen Vorurteilen sehen sich Introvertierte konfrontiert. Im Gegensatz zu den lebensfreudigen, freundlichen, hilfsbereiten und großzügigen Extrovertierten werden Introvertierte nicht selten als unfreundlich, distanziert, verklemmt und Ähnliches bezeichnet.

Stereotype Festlegungen kultureller Art sind eine Sackgasse. Selbst wenn gewisse Tendenzen auszumachen sind: So wenig wie es den introvertierten Schweizer gibt, gibt es den extrovertierten Amerikaner oder die introvertierte Asiatin. (Dasselbe gilt auch für die Introversion an sich: Es gibt nicht die oder den Introvertierten.)9 Was »die introvertierte Asiatin« betrifft, relativiert Christine Tan, eine introvertierte Asiatin, in einem Artikel10 den Mythos der introvertierten Asiaten. Sie selbst wurde von einem extrovertierten chinesisch-malaysischen Elternpaar in Kanada großgezogen. Nachdem sie immer wieder mit dem Vorwurf der »introvertierten Asiatin« konfrontiert worden war, begab sie sich auf eine Reise der Selbstfindung nach Asien: zunächst nach Singapur und nach einem Aufenthalt in London nach Schanghai. Heute lebt sie ein ruhiges Leben in Malaysia. Was sie auf ihrer Reise lernte: Es gibt introvertierte Asiaten. Aber auch extrovertierte. Und genau dies wiederholt sich überall auf der Welt. Mit Verweis auf die Art und Weise, wie sich einige chinesische Studenten verhalten oder wie Chinesen feilschen, einen Streit klären oder miteinander plaudern, schreibt sie: »Unterstehen Sie sich, mir zu sagen, dass Asiaten von Natur aus ein schüchterner, introvertierter Haufen sind!«11

Introversion ist also kein kulturell bedingtes Phänomen. Andererseits beeinflussen das Land und die Kultur, in der wir leben, maßgeblich, wie es Introvertierten im Alltag geht. So finden sich auch in jeder Kultur und jedem Land christliche Gemeinschaften, die stärker oder weniger stark extrovertiert ausgerichtet sind. Und ich wage zu behaupten, dass introvertierte Christen verschiedener Länder und Kulturen mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen haben.

Die leisen Weltveränderer

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