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Hochsensibel introvertiert oder hochsensibel extrovertiert?

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Während meiner langjährigen Auseinandersetzung mit dem Thema Hochsensibilität hat mich wiederholt irritiert, dass ich mich in gewissen Hochsensibilitätsratgebern oder im Austausch mit anderen Hochsensiblen nur teilweise wiedergefunden habe. Das Gefühl der Andersartigkeit blieb. Auch an Tagungen zum Thema Hochsensibilität fiel mir auf, wie unterschiedlich die Gruppe der Hochsensiblen ist. Mit der Zeit bestätigte sich meine Vermutung, dass es von entscheidender Bedeutung ist, ob jemand hochsensibel introvertiert oder hochsensibel extrovertiert ist.

Heute bin ich davon überzeugt, dass die Charakterisierung in introvertiert und extrovertiert eine der zentralsten Unterscheidungen überhaupt ist. Sie erklärt, wie ein Mensch schöpfungsmäßig »programmiert« ist. Ob er sein Leben bevorzugt nach innen (introvertiert) oder nach außen orientiert (extrovertiert) meistert. Und ob er seine Lebensenergie aus der Distanz zu und im Rückzug von anderen Menschen schöpft (introvertiert) oder aus der Gemeinschaft mit anderen (extrovertiert).

Dieses Buch fokussiert sich speziell auf introvertierte Christen. Also auf Introvertierte, die sich in einem christlichen Umfeld bewegen, das aber zweifellos stärker auf Extrovertierte ausgerichtet ist. Bedauerlicherweise richtet die Literatur über Hochsensibilität auch im christlichen Kontext43 ihr Scheinwerferlicht meist stärker auf hochsensible Extrovertierte – obwohl jene doch lediglich 30 Prozent aller Hochsensiblen ausmachen. Wer kümmert sich dann um die übrigen 70 Prozent – die introvertiert Hochsensiblen – oder einfach die Introvertierten überhaupt? Solche, die (wie ich) vielleicht manchmal sogar introvertierte Verhaltensweisen mit Hochsensibilität verwechselt haben? Durch meine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Hochsensibilität begann ich, mein Unbehagen im christlichen Kontext ausschließlich aus der Perspektive der Hochsensibilität zu deuten. Vieles davon ließ sich so auch tatsächlich erklären. Die Reizüberflutung zum Beispiel war ein reales Problem. Und doch schien es nur ein Ausschnitt aus einem größeren Ganzen zu sein. Vieles ergab erst Sinn, als ich verstand, dass meine Introversion als grundlegende Veranlagung meine Beziehung zu anderen Menschen (und insbesondere auch meine Grenzen im Umgang mit anderen Menschen) noch viel grundsätzlicher prägt als die Hochsensibilität. So fühlte ich mich als introvertierte Hochsensible im Buch von Lülings nicht wirklich verstanden, da sich ihre Praxisbeispiele an extrovertierte Hochsensible richten. Es geht in ihren Beispielen vorrangig um Dienste an anderen Menschen, die ein hohes Maß an sozialer Interaktion voraussetzen. Und damit verbunden um das Problem, dass die Reizüberflutung im Dienst an anderen Menschen zur Überforderung werden kann. Aber ich empfand allein schon den Dienst an anderen Menschen als Überforderung!

Ein extrovertierter Hochsensibler kann zweifellos nachvollziehen, wie anstrengend Reizüberflutung für einen introvertierten Hochsensiblen ist und dass Rückzug daher oft unumgänglich ist. Aber er kann nur begrenzt nachempfinden, wie anstrengend ein introvertierter Hochsensibler den alltäglichen Umgang mit anderen Menschen erlebt. Auch hier gibt es selbstverständlich ganz unterschiedliche Ausprägungen. Und auch die Aufgaben, die sich aus diesen verschiedenen Veranlagungen ergeben, sind anders. Extrovertierte Hochsensible müssen sich der Aufgabe stellen, einen disziplinierten Lebensstil zu lernen, weil sie dazu neigen, ihre Bedürfnisse und ihren Körper durch stetige Überreizung zu missachten. Hier ist Abgrenzung gefragt. Introvertierte Hochsensible hingegen müssen lernen, der Versuchung nach Abkapselung zu widerstehen und offen zu sein für Veränderungen und Neues. In stetigem Rückzug oder in Traumwelten zu leben, ist Flucht. Ihre Aufgabe ist es, ein Ja zum normalen Leben zu finden.

Im Vorwort habe ich vom »Volk der Introvertierten« gesprochen. Dass dieses Volk in sich auch wieder unterschiedlich ist, ist ja klar, und doch bilden sie – meiner Meinung nach – eine recht homogene Gruppe. Dies ist auch der Grund, weshalb in diesem Buch der Fokus auf Introversion und nicht auf Hochsensibilität liegt.44 Es wird höchste Zeit, dass sich jemand um dieses Volk der Zurückhaltenden und Stillen kümmert, die unglaublich viel Wertvolles zu einer Gemeinschaft beitragen könnten.

Die leisen Weltveränderer

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