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Von U-Booten (Introvertierten) und Schiffen (Extrovertierten)

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Der Hauptunterschied der beiden Typen liegt also darin, wie sie mit ihrem Innenleben umgehen oder anders gesagt, welche Rolle das Innenleben in ihrem Alltag spielt. Und genau dies findet Ausdruck im Bild der unterschiedlichen Wasserfahrzeuge:

Die extrovertierten Schiffe bewegen sich ihrer Natur gemäß bei Tag und Nacht gut sichtbar auf der Wasseroberfläche. Hier, in der Außenwelt, haben sie den Überblick. Hier können sie sich an den Sternen orientieren und den Horizont absuchen. Hier können sie sich mit ihresgleichen treffen und austauschen. Sie begnügen sich damit, aus der Innenwelt herauszufischen, was sie zum Überleben brauchen. Sie lassen sich vom Wind treiben und stellen sich abenteuerlustig den Herausforderungen der Schifffahrt. In kritischen Situationen wird ihnen manchmal unangenehm bewusst, welch unbekannte Welt in der Tiefe unter ihnen schlummert. Doch in voller Fahrt auf der glitzernden Oberfläche neigen sie dazu, den Gedanken daran wieder zu verdrängen.

Ganz anders die introvertierten U-Boote. Ihnen erscheint das Leben über der Wasseroberfläche ähnlich bedrohlich wie den Extrovertierten dasjenige unter der Wasseroberfläche. U-Boote sind mit der Fähigkeit geboren, in den dunklen, tiefen Ozean ihres Geistes abzutauchen. Dorthin, wo ihnen niemand folgen kann, wo sie ganz ungestört und allein mit sich sind. Im Gegensatz zu den Schiffen können sich U-Boote sowohl unterhalb als auch oberhalb der Wasseroberfläche aufhalten. Introvertierte U-Boote sind allerdings nicht ausschließlich für ein Leben unter der Wasseroberfläche bestimmt. Gelegentlich oder regelmäßig verlangt das Leben auch von U-Booten, dass sie dem Schiffsverkehr und bunten Treiben über der Wasseroberfläche zusehen (und sei es nur ganz vorsichtig mit dem Periskop) oder sich gar aktiv daran beteiligen. Das heißt, sie müssen von Zeit zu Zeit auftauchen. Und tun sie das, sind die Schiffe an der Wasseroberfläche ihrerseits manchmal ein wenig verwundert »über die seltsamen Fahrzeuge, die da plötzlich auftauchen«, schreibt Birgit Trappmann-Korr, »denn man kann sie kaum hören und meistens sind sie irgendwie nicht ›da‹ und nicht so recht bei der Sache. Sie glauben, dass U-Boote vielleicht einen Konstruktionsfehler haben und deshalb nicht so richtig schwimmen können.«51

Je intensiver und länger die Eindrücke und Erfahrungen oberhalb der Wasseroberfläche, desto größer wird die Sehnsucht der U-Boote nach der Stille des Ozeans. Haben sie genügend Daten gesammelt (zum Beispiel nach einem langen Arbeitstag oder wenn viele Eindrücke auf sie einstürmten), tauchen sie ab, um diese Daten zu verarbeiten. Doch dieses Verhalten ist auch mit Gefahren verbunden. Einige Introvertierte tauchen so tief, dass sie den Weg zur Wasseroberfläche kaum mehr allein finden. Sie brauchen Hilfe, da sie in ihrer Innenwelt die Orientierung verlieren. Sie wissen nicht mehr, wo »oben« und »unten« ist und wo sie eigentlich hingehören.52 Es ist für sie von zentraler Bedeutung, dass sie gute Strategien entwickeln, wie sie sich in den zwei unterschiedlichen Lebensräumen so bewegen können, dass sie nicht verloren gehen.

Die leisen Weltveränderer

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