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2.3.3.1 Collagen und Figuren

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Jedes Märchen, jeder Roman und jede beliebige Geschichte beginnt in der Regel mit der Einführung und Charakterisierung der beteiligten Hauptfigur(en) und der groben Skizzierung des situativen Kontexts. Diese Konvention wird auch bei Storyline-Projekten berücksichtigt: Gleich zu Beginn der story werden ganz im Sinne des ganzheitlichen und handlungsorientierten Lernens die jeweiligen Charaktere sowie die räumlich-zeitliche Umgebung (setting) in Form von zwei- oder dreidimensionalen Collagen und Gebilden konkret hergestellt. Je nach Art der Geschichte handelt es sich hierbei um eine einzelne Figur (z.B. eine Fee), um wenige Personen (z.B. eine Flüchtlingsfamilie) oder um eine Vielzahl von unterschiedlichen Charakteren (z.B. eine Reisegruppe), die von den Schülerinnen und Schülern mit verschiedenen Materialien wie Papier, Stoff, Wolle, Watte usw. gebastelt werden. Beispielhafte Vorgaben (im Sinne von modelling)1 – wie Hinweise auf Größenverhältnisse – sind insofern hilfreich, als ein Hund nicht größer als ein Pferd sein sollte.

Hinsichtlich der Darstellungstechniken sind keine Grenzen gesetzt, allerdings sind altersgemäße Fähigkeiten, Fertigkeiten und Vorlieben in der Planung zu berücksichtigen. Bei älteren Lernenden können auch Marionetten, Stabpuppen und/oder abstrakte Gestalten angefertigt werden. Eine weitere Variante für ältere Schülerinnen und Schüler besteht darin, keine konkreten Figuren zu basteln, sondern diese in Form von diversen Unterlagen, und zwar möglichst mit Foto oder Zeichnung, dar- bzw. vorzustellen: Schülerausweis, Reisepass, Lebenslauf, Bewerbungsschreiben, Personalakte usw. Wichtig ist, dass die Figuren möglichst flexibel an der Wand befestigt werden, so dass sie auch für Rollenspiele verwendet werden können. Diese selbst gemachten Collagefiguren fördern das multisensorische Lernen, dienen als Visualisierungshilfe und bieten als konkrete Handlungsobjekte vielerlei Anlässe zur mitteilungsbezogenen und realitätsnahen Kommunikation. Des Weiteren können durch die Objekte auch solche Informationen vermittelt werden, die von den Lernenden (noch) nicht in der Fremdsprache formuliert werden können.

Vor oder nach dem Herstellen der Figuren wird – abhängig vom Verlauf der jeweiligen Geschichte – die räumliche Umgebung konkretisiert und visuell dargestellt. Je nach setting kann es sich hierbei um ein Haus handeln, dessen Räume von den einzelnen Gruppen individuell ausgestaltet werden, oder um ein mittelalterliches Schloss, einen Straßenzug mit mehreren Gebäuden, eine afrikanische Oase, eine tropische Insel, eine Höhle, ein Zirkusareal, eine Mondlandschaft oder auch das Innenleben eines Schiffes bzw. eines Notarztwagens.

Nach und nach erhalten die erstellten Figuren Namen, Biographien und individuelle Persönlichkeitsmerkmale, also eine unverwechselbare Identität. Sie treten (je nach Geschichte) in Freundschafts-, Nachbarschafts- oder Verwandtschaftsbeziehungen zueinander, so dass sich verschiedene Rollen weiterentwickeln können. Es werden fiktive Telefonate geführt, Briefe ausgetauscht, Besuche vereinbart oder gemeinsame Unternehmungen geplant; viele Einzelheiten entstehen auch spontan aus der Situation heraus. Erfahrungsgemäß identifizieren sich die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Zeit immer mehr mit ihren Lernprodukten, auch wenn (oder vielleicht auch gerade weil) die Figur von den Charakterzügen der eigenen Person abweicht. Das ownership principle veranlasst die Lernenden, kreativ, engagiert und eigenverantwortlich zu arbeiten. Im Rahmen der beschriebenen Arbeitsprozesse werden zudem ganz unterschiedliche Intelligenzen (vgl. Gardner 1994; 2002; 2007) angesprochen und gefördert.

Während die Schülerinnen und Schüler ihre Figuren und Landschaften basteln, recherchieren sie auch gleichzeitig, ob ihre Konstrukte und Ideen stimmig sind: Wie kleideten sich mittelalterliche Mägde und Knechte? Wie kleiden sich Maoris oder Beduinen? Wichtig ist dabei stets auch die Frage nach den Gründen für ein spezifisches Bekleidungsverhalten. Im zuletzt genannten Fall studieren die Lernenden möglicherweise Sachbücher oder konsultieren Klimatabellen, um eine adäquate Antwort zu finden und ihre Figur angemessen einzukleiden. Frame (2001) resümiert am Beispiel einer Storyline zum Thema „Rettungsdienste“:

When the children take on the roles of the members of the rescue service they simulate what these rescuers are like, what they wear and what they use. They experiment with the oral and literacy practices of a certain community of people. In other words they inhabit the context by looking, acting, feeling and thinking like members of the rescue service (Ebd., 47).

Das Hineinschlüpfen in diverse Rollen gibt den Lernenden die Möglichkeit und vor allem auch den Anlass, alle nachfolgenden Aktivitäten reflektiert und relativ wirklichkeitsnah durchzuführen und zu erleben, da im Schutz der Geschichte für jede (Sprach-)Handlung ein authentischer Grund besteht. Die gebastelten Figuren stellen somit in vielerlei Hinsicht einen wichtigen Katalysator dar. Harkness (2007) beschreibt deren Rolle als “the human element“ (Ebd., 20) und hebt hervor, dass sich der Storyline-Ansatz gerade dadurch stark von anderen projektähnlichen Arbeitsweisen abhebt und mit Hilfe der “paper people“ (Bell 2007, 29) auch problematische Themen wie familiäre Zwistigkeiten, Armut, Krankheit, Rassismus usw. aufgegriffen werden können. McNaughton (2007) geht noch einen Schritt weiter, wenn sie das Potenzial von Rollenspielen und drama activities erläutert: “Instead of merely imagining the events in the peoples’ [sic] lives, drama allows the children to play them out – the children can try out ‘being’ the people from the Storyline frieze. It is as if the characters step down from the picture and are embodied in the children who are then, for a time, able to be inside the story“ (Ebd., 150). Die erstellten Figuren unterstützen diesen Prozess der Veränderung und sind somit unverzichtbare Elemente in Storyline-Projekten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob auch ältere Fremdsprachenlernende aufgeschlossen für die Rollenübernahme und intensive Bastelarbeit sind. Dies sollen meine Fallstudien in Teil B überprüfen.

Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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