Читать книгу Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule - Doris Kocher - Страница 40
2.4.4 Zum Stand der Aufgabenforschung
ОглавлениеWie oben ausgeführt scheint der Task-based Approach seit geraumer Zeit ein Revival zu erleben, und die Aufgabenforschung zählt heute offensichtlich zu den Schwerpunkten innerhalb der Fremdsprachendidaktik bzw. der Fremdsprachenerwerbsforschung, auch wenn mittlerweile eine geradezu unüberschaubare Fülle an Konzepten von Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht existiert, „deren Systematisierung und begriffliche Abgrenzung nicht einfach ist“ (Schocker-von Ditfurth 2006, 228).1 Dies mag auch mit ein Grund dafür sein, warum das Konzept nicht nur (bedingungslosen) Zuspruch erfährt.2
Kritisiert wird nicht nur eine mangelnde terminologische, sondern auch eine fehlende inhaltliche Präzisierung des Konzepts3, wobei diese vielschichtige Offenheit häufig dazu führt, dass Missverständnisse entstehen und konträre Standpunkte vertreten werden. So beklagt Burwitz-Melzer (2006), dass die fachdidaktische Diskussion über TBL maßgeblich durch die Tatsache erschwert wird, „dass TBL eben kein auf lerntheoretischen Erkenntnissen oder Grundlagenforschung basierendes scharf umrissenes Konzept darstellt, sondern ein travelling concept, das von verschiedenen Disziplinen zur Beschreibung unterschiedlicher Sachverhalte benutzt worden ist oder benutzt wird“ (Ebd., 25). Dagegen behaupten Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth (2004): “It seems that in recent years TBLL has become an important approach which allows psycho-linguistic and sociocultural approaches to language learning to find common ground“ (Ebd., 40). Dabei sprechen sie sich – auch in Anlehnung an Rod Ellis – ausdrücklich für eine Verbindung von psycholinguistischen und soziokulturellen4 Forschungsansätzen aus, „um der gesamten Komplexität des aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts gerecht zu werden“ (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2005, 14).5 Somit wird deutlich, dass es sich hier um ein äußerst disparates Forschungsfeld handelt.
In den vergangenen 20-25 Jahren wurde zwar weltweit viel Aufgabenforschung in Bezug auf das Fremdsprachenlernen betrieben und durch einen enormen Umfang an Veröffentlichungen dokumentiert, doch trotz vielfältiger Bemühungen haben Untersuchungen zu den Leistungen der Lernenden offensichtlich noch keine eindeutigen Ergebnisse dazu geliefert, wie die verschiedenen Dimensionen der Sprachproduktion (accuracy, fluency, complexity) durch die entsprechende Gestaltung von tasks gezielt gefördert werden können und wie diese überhaupt miteinander interagieren (Skehan 2003; 2007).6 Skehan (2007) vergleicht in diesem Zusammenhang verschiedene Forschungsansätze mit jeweils unterschiedlichen theoretischen Fundamenten und präsentiert die Ergebnisse aus der Aufgabenforschung der vergangenen Jahre, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden kann.7 Dabei wird offensichtlich, dass die Befunde zum Teil widersprüchlich oder auch inkonsistent sind. Nicht zuletzt diese Tatsache bewirkt, dass zwischen denjenigen, die TBL befürworten bzw. ablehnen, immer wieder Debatten entstehen und entsprechende Diskussionen sogar innerhalb der TBL community gelegentlich für Irritationen sorgen.8
Für aussagekräftigere Ergebnisse ist mehr Forschung unter realen Sprachlernbedingungen im Klassenzimmer vonnöten, denn bisher wurden viele Studien unter laborähnlichen Bedingungen durchgeführt und weisen deshalb manche Schwachpunkte auf: “Reliance on research gathered from non-pedagogical context runs the risk of lacking relevance and validity“ (Samuda/Bygate 2008, 261). Auch scheint es wenig Sinn zu machen, isolierte Variablen wie etwa das Aufgabendesign zu untersuchen, ohne dabei den Gesamtkontext zu berücksichtigen, also die multiplen Bedingungen vor Ort (Kontextvariablen) und die Zusammensetzung der Lerngruppe selbst (Lernervariablen), welche die Sprachentwicklung mit beeinflussen:
There has been very little formal research into TBL in classrooms, where a host of different variables come into play. The ‘same’ task might be done quite differently according to where it comes in the teaching cycle, the role taken by the teacher, the learners’ interpretations of what is expected, the learners’ previous experience of the task type and topic or content matter and other implementation variables, such as time limit, group size and participant roles (Willis/Willis 2001, 176).
Eckerth (2003) bringt die Sache auf den Punkt, wenn er ein kritisches Resümee zum Stand der Aufgabenforschung zieht und auf diverse Schwachstellen bzw. Widersprüche hinweist: „Obwohl Formulierungen wie ‘chances of noticing’ und ‘opportunity for reflection and awareness’ auf die Konzeptualisierung des Fremdsprachenlerners als aktives und selbstreflexives Subjekt referieren, wird der Lerner innerhalb der task-based research primär als ein reaktives informationsverarbeitendes System betrachtet“ (Ebd., 38). Es kann also nur noch einmal wiederholt werden: Die Spracherwerbsforschung sollte mit der Unterrichtsforschung noch stärker verbunden werden, um zu verlässlicheren Ergebnissen zu gelangen.9 Dabei sollten sowohl Lernprodukte als auch Lernprozesse ins Blickfeld gerückt werden, um die Interdependenz von Lernumgebung, Lernenden und Lernerfolg zu erforschen (Eckerth 2008, 19). Es liegt auf der Hand, dass dieser anvisisierte Brückenschlag noch ein langwieriger Prozess sein wird, zumal Schulen, Lehrkräfte, Klassen, Lernende und Forschende gefunden werden müssen, die sich dem komplexen Ziel der gemeinsamen Aufgabenforschung verschreiben wollen und können.
Um also langfristig eine stärkere Akzeptanz der Aufgabenorientierung in der Unterrichtspraxis zu erzielen, sollten nicht nur Inhalte und Ziele des Konzepts klarer abgesteckt und konkretisiert werden, sondern vor allem müssen auch noch mehr wissenschaftlich abgesicherte Befunde hinsichtlich der Vorzüge von TBL bezüglich Lernerleistungen erbracht werden. Dazu sind unter anderem auch verlässliche Langzeitstudien erforderlich. Zu den grundsätzlicheren Fragen, die zwar nicht alle zwangsläufig im Klassenzimmer erforscht, aber dennoch geklärt werden müssen, gehören beispielsweise die folgenden:
Was überhaupt sind authentische Aufgaben?
Was sind für Schülerinnen und Schüler gute und somit auch sinnvolle Aufgaben (meaningful tasks), die sie zur Kommunikation in der Fremdsprache herausfordern?
Welche Inhalte und Themen sind für Schülerinnen und Schüler insofern relevant, dass sie auch für deren Zukunft im Sinne von Bildungsinhalten und Persönlichkeitsentwicklung eine Bedeutung haben (vgl. auch Bredella 2006)?
Welchen tieferen Bildungssinn hat TBL überhaupt, abgesehen von den auch im Rahmen der Bildungsstandards erwähnten fertigkeitsbezogenen Kompetenzen?
Welchen Stellenwert haben accuracy, fluency und complexity in der heutigen Fremdsprachendidaktik bzw. im heutigen Fremdsprachenunterricht? In welchem Verhältnis stehen diese Zielkategorien zueinander (und auch im Vergleich zu Inhalten und sozialen Aspekten der Kommunikation)? Konkret geht es hier auch um den Begriff „Fehlertoleranz“.
Wie können die beiden Aspekte „Inhalt“ und „Form“ so in Einklang miteinander gebracht werden, dass sie nicht als sich einander ausschließende Gegenpole betrachtet werden müssen (vgl. dazu auch Rösler 2013)?
Es stellt sich hier auch die Frage nach sinnvollen Formen der Bewertung und Beurteilung von Lernprozessen und Lernergebnissen, denn bekanntlich setzen sich innovative Ansätze in der Praxis nur durch, wenn die Leistungsmessung mit entsprechenden Konzepten mitzieht und die Qualitäten des (aufgabenorientierten) Unterrichts belegt werden können.
In welchem Maß können/sollen die Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen, Weltwissen, Talente, Interessen und Bedürfnisse einbringen (learner-centredness) und inwieweit sind Hilfen, Anregungen, Vorgaben und Führung durch die Lehrkraft erforderlich/sinnvoll, um Lernfortschritte jeglicher Art zu initiieren (learning-centredness)? Es geht hier also um die Frage nach einem sinnvollen Maß von Anleitung/Steuerung und Freiraum/Autonomie und die konkrete Umsetzung im Klassenzimmer, und zwar vor dem Hintergrund, allen Mitgliedern der heterogenen Lerngruppe gerecht zu werden und sie zum lebenslangen Lernen zu motivieren. Hier anknüpfend stellt sich auch die Frage nach der Rollenverteilung im Klassenzimmer, die sich schließlich auch auf die Auswertung von Ergebnissen auswirkt: Inwiefern werden beispielsweise Lernende als “task executioner“ bzw. “task interpreter“ (Eckerth 2008, 26) gesehen/akzeptiert?
Last but not least: Welche (sprachlichen) Voraussetzungen sind beim Einsatz von komplexen Aufgaben zu berücksichtigen? Können auch beginners mit authentischen Aufgaben gewinnbringend konfrontiert werden?
Als Impulse für die Forschung im Klassenzimmer oder in Lehreraus- und -fortbildungseinrichtungen können folgende Fragen dienen:
Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Aufgaben und der Verwirklichung der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, die als übergeordnetes Bildungsziel des Fremdsprachenlernens definiert wird (vgl. Europarat 2001)? Besser: Wie kann dieser hehre Anspruch durch entsprechende Aufgaben im Klassenzimmer konkret realisiert werden?
Welche Kompetenzen werden bei aufgabenorientierten Lernarrangements besonders gefördert und wie nachhaltig ist der Lernerfolg – auch im Sinne des Lerntransfers? Bisher konnte offenbar auch die Wirkungsforschung keine erschöpfende Antwort auf die Frage liefern, ob „man durch Aufgabenorientierung ein erfolgreicher oder gar ein erfolgreicherer Fremdsprachenlerner“ wird (Burwitz-Melzer 2006, 29).
Konkret: „Führen tasks wirklich zu einem natürlichen, kommunikativen Sprachgebrauch, der den Spracherwerb fördert?“ (Thaler 2008, 183). Thaler hinterfragt hier die Qualität und Intensität der stattfindenden Interaktionen, indem er auf Arbeiten von Seedhouse (1999) verweist, die offenbar einen „minimalisierten und pidgin-ähnlichen Sprachgebrauch“ bestätigen (Thaler 2008, 183). Des Weiteren bemängelt er – unter Verweis auf Ellis (2003, 328ff.) – die einseitig bevorzugte referenzielle Funktion von Sprache, während beispielsweise die poetische Funktion vernachlässigt wird.
Welche Aspekte beeinflussen das Sprachenlernen am meisten: „Sind es eher die Inputfaktoren, also z.B. das Design der Aufgabe durch den Lehrenden (task-as-workplan), oder eher die Interaktion im Klassenraum und die Möglichkeiten, die Lerner bei der Ausführung der Aufgabe haben und wahrnehmen (task-in-process)“ (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2005, 6)?
Dringend erforderlich ist auch eine stärkere Berücksichtigung der Lernerperspektive. Diese Ansicht wird auch von Eckerth (2003; 2008) vertreten: „Die der task-based research inhärente Nichtbeachtung des Lernenden als eines Individuums mit je eigenen affektiven und kognitiven Dispositionen, das aktiv in seinen eigenen Lernprozess involviert und auch für seinen Lernprozess (mit-)verantwortlich ist, muss als ernsthaftes Defizit betrachtet werden“ (Eckerth 2003, 43). Lantolf (2000, 12), Vertreter der soziokulturellen Forschung, gibt mit Recht zu bedenken: “Even if students in the same class engage in the same task they may not be engaged in the same activity. Students with different motives often have different goals as the object of their actions, despite the intentions of the teacher“ (vgl. Kapitel 4).Es stellen sich somit folgende Fragen: Inwiefern beeinflussen sich Lernende und Aufgaben gegenseitig bzw. wechselseitig, was Lernprozesse und Lernzuwächse auf intellektueller, sprachlicher, emotionaler, methodischer oder sozialer Ebene anbelangt? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Aufgaben, Motivation und Lernerfolg? In welchem Zusammenhang stehen also die beiden Variablen „Lernende“ und „Lernen“?
Sinnvoll und aufschlussreich wäre auch, TBL-Forschung auf der Basis eines komplexeren aufgabenorientierten Unterrichtskonzepts, wie es der Storyline Approach darstellt, zu betreiben, anstatt nur punktuelle Untersuchungen einzelner und beliebiger Aufgabenstellungen durchzuführen. So vertritt auch Eckerth (2008) den Standpunkt, dass “most TBLT studies have not explicitly attempted to show the superiority of TBLT over other, more structurally organized instructional approaches. These studies have moreover typically been limited to the investigation of a single task or a short sequence of tasks, rather than investigating and assessing large-scale task-based curricula“ (Ebd., 32).
Und: „Noch ist die Aufgabenorientierung im FU nicht in allen Klassenzimmern angekommen“ (Burwitz-Melzer 2006, 30). Auch Nunan (2013, 17) wundert sich: “Teachers continue to teach as they have been taught“. Es stellt sich also noch einmal die grundsätzliche Frage bezüglich der Umsetzung von der Theorie in die Praxis: Welche Qualitäten und Kompetenzen müssen Lehrkräfte erfüllen/entwickeln, um die hochkomplexen Zielsetzungen des TBL-Konzepts realisieren zu können?10 Wie sollten Kurse in Lehreraus- und -fortbildung hinsichtlich Struktur, Vorgehensweise und Aufgabenformen gestaltet sein, damit sich innovative Ansätze in den Schulen wirklich (nachhaltig) entwickeln können? Denn:Lehramts-Studierende, die in der ersten Phase ihrer Ausbildung nicht erfahren, welche Chancen durch eine Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht eröffnet werden, und Lehramtsreferendare, die dieses Wissen nicht in der zweiten Phase konsequent umzusetzen lernen, werden die methodischen Prinzipien der Aufgabenorientierung auch nicht in ihren Unterricht implementieren können (Burwitz-Melzer 2006, 30).Gerade in diesem Bereich herrscht offensichtlich noch ein großer Forschungsbedarf, um zu eindeutigeren Ergebnissen bezüglich des komplexen Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung zu gelangen und um letztendlich sinnvolle Konzepte entwickeln zu können, die nicht nur auf dem Papier gut klingen, sondern auch Eingang in die Praxis finden.
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, noch weiter auf die zahlreichen ungeklärten Fragen hinsichtlich Task-based Language Learning einzugehen. Stattdessen möchte ich auf die zum Teil umfangreichen Listen mit Fragestellungen bei Eckerth (2008), Hallet/Legutke (2013, 6f.), Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth (2005, 45), Samuda/Bygate (2008, 84) sowie auch in den Einzelbeiträgen bei Bausch u.a. (Hrsg.) (2006) oder Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth (Hrsg.) (2005) verweisen, die als Impuls für weitere Forschungsprojekte dienen können.
Fazit: Resümierend kann festgehalten werden, dass der Task-based Approach kein monolithischer Block ist, sondern verschiedene Varianten umfasst (Willis 2004, 3). Als eine dieser Varianten im weiteren Sinn kann der Storyline Approach betrachtet werden, der allerdings nicht nur sprachliches Lernen zum Ziel hat, sondern explizit auch die sozialen, kreativen, imaginativen und emotionalen Komponenten des Lernens integrativ berücksichtigt und somit das Potenzial der Lernenden auf einer umfassenderen Ebene – auch im Hinblick auf die Förderung der multiplen Intelligenzen (vgl. Gardner 1994; 2002; 2007) – noch weiter ausschöpft, ohne dabei die Lerninhalte aus den Augen zu verlieren. Es steht also nicht primär die zu bearbeitende fremdsprachliche Aufgabe im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Gedanke, wie die abstrakten Begriffe „Bildung“ und „Erziehung“ im Klassenzimmer realisiert werden können.
Eikenbusch (2008a) geht davon aus, dass eine Lehrkraft im Laufe ihres Berufslebens im Durchschnitt mindestens 100.000 Aufgaben stellt: „Umso mehr verwundert es, wie wenig wir darüber wissen, wie Aufgaben im Unterricht überhaupt funktionieren“ (Ebd., 6). Er kommt zu der Erkenntnis, die natürlich auch für den Fremdsprachenunterricht gilt: „Gute Aufgaben zu stellen ist eine anspruchsvolle Tätigkeit – um nicht zu sagen: Aufgabe“ (Ebd., 10). Hierfür kann der Storyline Approach eine inspirierende Quelle sein ...