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3.2.1 Geistesgeschichtliche Einordnung des Konstruktivismus

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Die Diskussion zwischen Vertretern des Realismus und Idealismus hat in der Philosophie eine lange Geschichte, wobei es schwierig zu sein scheint, die genauen Ursprünge des konstruktivistischen Gedankenguts aufzudecken.1 Ernst von Glasersfeld (1996) bezeichnet die griechischen Skeptiker (Schule des Pyrrhon von Elis, 360-270 v.Chr.) als die ersten Philosophen, die gegen das realistische Dogma, das unter anderem von Aristoteles (384-322 v.Chr.) vertreten wurde, rebellierten. Falko von Ameln (2004) dagegen verweist auf René Descartes (1596-1650), mit dem „die Reflexion auf die eigene Erkenntnisfähigkeit zum ersten Mal in der Philosophiegeschichte“ auftrat (Ebd., 11). In einer zu Descartes allerdings gegenläufigen Tendenz führten die englischen Empiristen John Locke (1632-1704), George Berkeley (1685-1753) und David Hume (1711-1776) die so genannte cartesianische Reflexion auf das Subjekt fort (von Ameln 2004, 12). Insbesondere Locke betrachtete dabei den Geist eines Neugeborenen als tabula rasa, wohingegen Descartes davon ausging, dass die „von Gott dem Menschen eingegebenen ‘angeborenen Ideen’“ und bestimmte begriffliche Vorstellungen bei der Geburt bereits vorhanden seien (Müller 1996a, 32). Der anglikanische Bischof Berkeley vertrat mit seinen metaphysisch-konstruktivistischen Vorstellungen, dass Sein in nichts anderem besteht, „als Gegenstand des Wahrnehmens und damit Wahrgenommenes zu sein (esse est percipi)“ (von Ameln 2004, 10), eine extreme Position der Idealisten und leugnete – im Gegensatz zu Locke und Hume – explizit die dingliche Realität.

Während Ernst von Glasersfeld (1996) und Klaus Müller (1996a) in Giambattista Vico (1668-1744) den ersten Konstruktivisten im engeren Sinne sehen, da dieser die Ansicht vertrat, dass die Welt nicht ontologisch „wahr“ sei, sondern dass durch Wahrnehmung, Handeln und Erfahrung „unser rationales Wissen von uns selbst konstruiert wird“ (von Glasersfeld 1996, 76) und der Mensch schließlich nur das sicher wissen kann, was er selbst geschaffen hat, betrachtet Falko von Ameln (2004) stattdessen Immanuel Kant (1724-1804) als denjenigen Philosophen, der zum ersten Mal explizit konstruktivistische Positionen detailliert formuliert hat. Kant versuchte, zwischen dem zu realistischen Positionen tendierenden Empirismus und dem idealistischen Rationalismus mit einer neuen Theorie der menschlichen Erkenntnistätigkeit zu vermitteln, die – auf den Punkt gebracht – besagt, dass das Individuum mit Hilfe von Verstand und Vernunft theoretisch und praktisch aktiv die Welt gestaltet (von Ameln 2004, 15).2 Müller (1996a) dagegen behauptet, dass Vico schon circa 70 Jahre vor Kant „eine sachlichere, nicht ins Metaphysische reichende Epistemologie“ angeboten hatte, „indem er den Handlungsbegriff einführte, der bei Kant nur eine marginale Rolle (...) spielt“ (Ebd., 31). Der konstruktivistische Begriff der Viabilität beruft sich angeblich ebenfalls auf Vicos Einsichten (Ebd.), und seine Erkenntnistheorie kommt der genetischen Epistemologie von Jean Piaget recht nahe (von Glasersfeld 1996). Kants Vorstellungen wurden später von Jean Piaget konkretisiert (von Ameln 2004; Buggle 2001).

Edmund Husserl (1859-1938) schließlich richtete sich mit seiner Phänomenologie gegen den aufkommenden „Psychologismus“ in der Erkenntnistheorie. Seine philosophische Denkrichtung vertrat die konstruktivistische Position, dass „Realität nichts Selbständiges darstellt, sondern nur als Produkt des Bewusstseins auftritt, das seine Phänomene erschafft. (...) Die vermeintliche Sicherheit der Existenz der Außenwelt wird (...) – gleichsam in Wiederholung des cartesianischen Zweifels – als fraglich und unbewiesen betrachtet“ (von Ameln 2004, 16).

Der amerikanische Philosoph William James (1842-1910), der zudem als Begründer der amerikanischen Psychologie gilt (Müller 1996a, 32), entwickelte – auch unter dem Einfluss der Evolutionstheorie von Charles Darwin – die Vorstellung, „dass die menschliche Erkenntnisweise im Verlauf der Zeit einer passiven Selektion auf der Grundlage ihrer Tragfähigkeit für praktisches Handeln unterlag“ (von Ameln 2004, 17). Damit kam die biologische Funktion der Erkenntnistätigkeit ins Spiel, die in Kants Vorstellungen fehlte. James war Vertreter des amerikanischen Pragmatismus, dessen Maxime lautet: „Wahr ist, was sich durch seine praktischen Konsequenzen bewährt“ (Müller 1996a, 32). Diese „Nützlichkeitstheorie der Wahrheit“ (Ebd.) fragt nicht nach den Ursprüngen und dem Wesen der Dinge, sondern ist sehr materialistisch angelegt: „Denken und handeln werden in pragmatischer Weise als zielgerichtet oder funktional bestimmt“ (Ebd.).

Dynamismus, Pluralismus sowie Relativismus gelten als Kernpunkte der Denkrichtung von William James, der die Vorstellung eines Universums durch die Idee eines so genannten Multiversums ersetzt, welches aus konkurrierenden Wirklichkeitskonstrukten (Sub-Universa) besteht, „die von Menschen aktiv gestaltet, gelebt und geglaubt werden“ (Ebd., 33). Diese Auffassung beeinflusste später die Handlungstheorie von Mead und den Symbolischen Interaktionismus. Müller (1996a) sieht zudem Parallelen zur späteren evolutionären Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz. James’ Vorstellung einer biologischen Funktion der Erkenntnistätigkeit im Sinne der Arterhaltung ähnelt auch dem Viabilitätskonzept des Konstruktivismus.

John Dewey (1859-1952) geht in Übereinstimmung mit dem Pragmatismus davon aus, dass sich der Wert einer Aktivität vor allem über ihren praktischen Nutzen für das Subjekt zeigt. Erkenntnis wird nicht als rein passiv gesehen, sondern liegt „primär im Handeln im Dienste einer praktischen Problemlösung“ (von Ameln 2004, 17). Sprich: Wissen wird im Handeln aufgebaut und „interaktiv durch ein untersuchendes, neugieriges, experimentierendes Verhalten konstruiert“ (Reich 2012, 71). Lernen wird somit als ein aktiver Prozess verstanden, bei dem die äußere Wirklichkeit nicht abgebildet, sondern Wirklichkeit im Handeln erst hergestellt wird. Impulse aus den Handlungssituationen sowie kontinuierliche und vielseitige Erfahrungen führen schließlich zu Verhaltenseigenschaften (habits), „die dem Wissen einen Kontext, einen interpretativen Rahmen von Verwendung und Bedeutung geben, der für das Lernen unerlässlich ist“ (Ebd., 71). John Dewey gibt mit seinem Ansatz die dualistische Sichtweise von Körper und Geist bzw. Individuum und Gesellschaft auf und vertritt eine kulturtheoretische Perspektive, „die heute wieder hochaktuell ist“ (Ebd.).

Deweys „pragmatische Theorie der Wahrheit als eines Konstruktionsprozesses“ (Hickman 2004, 12), seine stark ausgeprägte demokratische Überzeugung, seine Kunst- und Kulturtheorie, seine Vorstellung, dass sich Lernprozesse nicht vom sozio-kulturellen und historischen Kontext trennen lassen, sein Fokus auf Kommunikation und Interaktion sowie sein „Verständnis des experience“ (Reich 2004, 42), welches wiederum dem Viabilitätskonzept des Konstruktivismus nahekommt, schlagen sich schließlich auch in seiner expliziten Formulierung von pädagogischen Konsequenzen nieder, die einen starken Bezug zu instrumentellem und experimentellem Handeln zum Zweck des Problemlösens aufweisen (learning by doing) und weitgehend auch auf den Storyline Approach zutreffen (vgl. Kapitel 2.3). Er arbeitete das so genannte Fünferschritt-Modell erfolgreichen Lernens aus, entwickelte zusammen mit William H. Kilpatrick ein umfassendes Konzept der Projektmethode und gilt als wichtiger Vertreter einer konstruktivistischen Didaktik.3

Auch Entwicklungen in der modernen Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts beeinflussten die Vorstellungen der Menschen von der Wirklichkeit radikal, als nämlich aufgezeigt wurde, dass „die Wirklichkeit beobachtungsabhängig ist“ (Siebert 2005, 8). So wird Albert Einstein gelegentlich als der berühmteste Konstruktivist bezeichnet. Aber nicht nur Einsteins Relativitätstheorie, sondern auch die von Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger begründete Quantentheorie erschütterte unser Weltbild, da die dort beschriebenen Effekte zum Teil nicht „mit den Gesetzen der klassischen Mechanik (...) erklärbar“ sind (von Ameln 2004, 18). Interessant sind auch die erkenntnistheoretischen Dimensionen der Publikation Laws of Form von George Spencer Brown (1997), die zahlreiche Bezüge zu konstruktivistischen Ansätzen (z.B. zu Maturanas Autopoiesis-Theorie, zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme oder zu Kellys Psychologie der persönlichen Konstrukte) aufweist. Spencer Browns Kernaussage lautet, dass jeder Wahrnehmungsvorgang – und somit auch der Zugang zur Welt – auf dem Treffen von Unterscheidungen beruht.

Die oben aufgeführten Positionen haben nicht nur den interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurs angeregt, sondern indirekt und vor allem über den Radikalen Konstruktivismus auch die systemische Praxis und die Pädagogik beeinflusst.

Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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