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3.2.4 Systemtheoretische und kybernetische Grundlagen

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Die Grundsteine der beiden Wissenschaftszweige Systemtheorie und Kybernetik (Steuerungslehre) wurden in der Mitte des 20. Jahrhunderts gelegt. Sie stellen zwar selbst keine konstruktivistischen Theorien dar, haben jedoch den Konstruktivismus in vielerlei Hinsicht stark beeinflusst: Kybernetische Ansätze findet man bereits bei Jean Piaget und Gregory Bateson. Systemtheoretische Einflüsse sind vor allem bei Niklas Luhmann (Theorie sozialer Systeme) und Heinz von Foerster (Radikaler Konstruktivismus) erkennbar. Da die beiden Ansätze bedeutsame Erkenntnisse für die Unterrichtspraxis und gegenwärtig auch viele neue Impulse für die Motivationsforschung liefern (vgl. Kapitel 4.3.5.3), werden sie hier kurz vorgestellt.

Ein System besteht bekanntlich aus einer Menge von Elementen, die in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen und somit eine entsprechende Systemstruktur aufweisen. Jedes System ist wiederum in übergeordnete Systeme eingebettet und kann zudem eigene Subsysteme herausbilden. Systeme können einerseits vielseitige Außenbeziehungen haben und werden somit als „offen“ verstanden, andererseits laufen innerhalb der Systemgrenzen (z.B. in einer Schulklasse) ganz spezifische Prozesse ab, so dass Systeme auch als „geschlossen“ charakterisiert werden. Strukturen werden als „Kristallisation“ der Beziehungen zwischen den einzelnen Systemelementen betrachtet (von Ameln 2004, 22); sie sind zwar grundsätzlich änderungsfähig, bleiben aber selbst bei Wegfall oder Ersatz einzelner Elemente häufig erhalten (Luhmann 1984). Prozesse bestehen dagegen „aus irreversiblen Ereignissen“ (von Ameln 2004, 22), die zu Folgeereignissen führen bzw. diese beeinflussen. Pädagogische Arbeit muss demzufolge auf der Ebene der Strukturen ansetzen, da nur diese veränderbar sind.

Die Kybernetik ist ein Zweig der Systemtheorie und wurde in den 1940er und 50er Jahren von Norbert Wiener entwickelt. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie in Systemen – z.B. technischen Geräten, Organismen oder auch komplexen sozialen Systemen – Veränderungen bzw. Gleichgewichtszustände erreicht werden können. Man unterscheidet zwischen „Kybernetik 1. Ordnung“ (z.B. einfacher linearer Regelkreis einer Heizungsanlage) und der in den 1970er Jahren unter Heinz von Foerster entwickelten „Kybernetik 2. Ordnung“ (z.B. komplexe, nicht-lineare soziale Systeme mit ihren eigenen Gesetzen) (von Ameln 2004). Die Kybernetik 2. Ordnung wird auch als „reflexive Kybernetik“ oder „soziale Kybernetik“ bezeichnet: „Der Kybernetiker beobachtet (bzw. konstruiert) nicht mehr bloße Regelungssysteme, sondern er bezieht den Beobachter (also sich selbst) mit ein“ (Lutterer 2000, 55); es geht also um die Beobachtung des Beobachters bzw. der Beobachterin.

Komplexe Systeme (laut Heinz von Foerster so genannte nicht-triviale Maschinen) weisen folgende Eigenschaften auf (von Ameln 2004, 25ff.):

 Nicht-lineare Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung: Eine klare Zuordnung von Input und Output ist nicht möglich, denn komplexe Systeme führen ein relativ autonomes Innenleben (Eigendynamik).

 Negative und positive Wirkungsbeziehungen, Feedbackschleifen: Die diversen Systemvariablen können auf ganz unterschiedliche Weise miteinander in Zusammenhang stehen und aufeinander einwirken.

 Reversible und irreversible Prozessverläufe: Während Abläufe in trivialen Maschinen häufig wieder rückgängig gemacht werden können, sind Prozesse in komplexen Systemen (z.B. in einer Schulklasse) oft unumkehrbar: Was einmal gesagt wurde, kann nicht mehr ungesagt gemacht werden.

 Selbstorganisation: Die Selbstorganisationsforschung leitet aus der Erforschung naturwissenschaftlicher (z.B. mathematischer, chemischer oder meteorologischer) Phänomene (z.B. im Kontext der Chaostheorie1 oder Synergetik) Konsequenzen für die systemische Praxis ab, die unter anderem auch für die Schule (z.B. Gruppenarbeit) relevant sind.

 Emergenzphänomene: Komplexe Systeme bringen im Laufe ihrer Entwicklung Eigenschaften hervor, „die aus den Eigenschaften ihrer Elemente nicht mehr erklärbar sind“ (Ebd., 26). Bekannt ist die Formulierung: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ – oder präziser: Das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile. Diese Ansicht wurde bereits von den frühen Gestaltpsychologen geteilt.

Für die Unterrichtspraxis2 und speziell für die Arbeit nach dem Storyline-Modell sind die genannten Aspekte äußerst bedeutsam und insbesondere auch bei der Gestaltung von Gruppenarbeit und autonomen Lernphasen relevant (vgl. Kapitel 2.3.3.5), vor allem wenn man die vielseitigen und komplexen Strukturen, Prozesse, Zusammenhänge und Wechselwirkungen innerhalb einer Schulklasse bzw. Gruppe professionell analysieren und gewinnbringend nutzen will, um Motivation und Lerneffizienz zu erhöhen. Mehr Aufschluss darüber sollen meine Studien in Teil B geben.

Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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