Читать книгу Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule - Doris Kocher - Страница 56
3.3.2 Der Soziale Konstruktivismus
ОглавлениеIn der Psychologie, Soziologie und Kognitionswissenschaft existiert heute eine große Bandbreite an Ansätzen, die sich explizit oder implizit dem konstruktivistischen Paradigma verschreiben und in verschiedenen Anwendungsgebieten zum Einsatz kommen. Gerstenmaier und Mandl (1995) subsumieren die diversen Modelle unter dem Begriff des „Neuen“ Konstruktivismus, der zu Beginn der 1990er Jahre von Spiro, Feltovich, Jacobson und Coulson entwickelt wurde. Spiro u.a. (1992) bezeichnen den „Neuen“ Konstruktivismus als im doppelten Sinne konstruktiv: „a) Bedeutungen werden durch die Verwendung vorausgegangenen Wissens, das hinter momentane Informationen zurückgeht, konstruiert; b) das vorausgegangene Wissen selbst ist konstruiert, nicht einfach aus dem Gedächtnis fallbasiert abgerufen“ (Ebd., 64, Zit. nach Gerstenmaier/Mandl 1995, 870).
Bei dieser insgesamt gemäßigteren Variante des Konstruktivismus handelt es sich um Modellvorstellungen über die Alltagswelt, über abweichendes Verhalten und über verschiedene Sozialbeziehungen, deren gemeinsamer Nenner ihre Konstruktivität ist. Sie stellt weder eine Erkenntnistheorie dar, noch basiert sie auf neurobiologischen Befunden, allerdings beziehen sich einige der Ansätze direkt auf den Radikalen Konstruktivismus, während sich andere eher davon distanzieren. Auch hier existieren wiederum verschiedene „Konstruktivismen“ und noch dazu verschiedene Bezeichnungen für einzelne Ansätze.1
Der Soziale Konstruktivismus – häufig auch als Sozialer Konstruktionismus bezeichnet – gilt als eines der einflussreichsten und etabliertesten Modelle in diesem Bereich. Er steht dem Radikalen Konstruktivismus zwar nahe und geht ebenso davon aus, dass uns die Wirklichkeit nicht objektiv vorliegt, sondern durch Konstruktionsprozesse von uns erst erzeugt wird, allerdings betrachtet er diese Wirklichkeitskonstruktionen nicht als jeweils individuelle Prozesse bzw. Erzeugnisse eines operational geschlossenen kognitiven Systems, sondern als soziale Konstruktionen. Demzufolge wird unser Wissen „immer durch Gesellschaften und soziale Diskursgesellschaften geschaffen“ (Reich 2012, 87), und sämtliche Aussagen über sich selbst und die Welt „sind immer konstruierte Aussagen aus dem Kontext einer Kultur heraus“ (Ebd.). Dieser Aspekt der kulturellen Einbindung wird nach Ansicht der sozialen Konstruktivisten gerade bei Piaget und den radikalen Konstruktivisten zu sehr vernachlässigt (Ebd.). Andererseits sind hier wiederum Parallelen zu Vygotskij und Bruner zu sehen.
Der Soziale Konstruktivismus beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen die Welt (oder besser ihre Wirklichkeit) inklusive sich selbst beschreiben, erklären und begründen und welche Auswirkungen die Gesellschaft auf das Denken, Erleben und Handeln eines Individuums hat. Da der Fokus wieder auf dem denkenden und handelnden Subjekt liegt, ist eine Anknüpfung an den Pragmatismus von Dewey, Mead und James erkennbar (Gerstenmaier/Mandl 1995, 872). Auf Grund dieser – im Vergleich zum Radikalen Konstruktivismus – anderen Schwerpunktlegung und der eindeutig sozial-kulturtheoretischen Auslegung wird der Soziale Konstruktivismus häufig als ein eigenständiger Ansatz betrachtet, auch wenn er einige Gemeinsamkeiten mit dem Radikalen Konstruktivismus aufweist. Er vereint verschiedene Ansätze und stützt sich laut von Ameln (2004) im Wesentlichen auf drei Säulen: Soziologie, postmoderne Philosophie sowie die sozialpsychologischen Beiträge von Kenneth J. Gergen.