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2.5 Zusammenfassung und Fazit

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Bildung besteht aus einer Sammlung von stories, denn stories fördern die Identifikation und erhöhen gleichzeitig die Merkfähigkeit (Dietrich Schwanitz)

Kapitel 1 dieser Arbeit hat gezeigt, dass die heutigen Schülerinnen und Schüler eine äußerst heterogene Lerngruppe bilden und in einer überaus komplexen und schnelllebigen Gesellschaft aufwachsen, die mehr denn je zum lebenslangen Lernen aufruft. Nicht umsonst werden auch in den aktuellen Bildungsplänen eine Reihe an Kompetenzen aufgeführt, die die Lernenden erwerben sollen, um in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft erfolgreich bestehen zu können. Dazu gehört auch das Erlernen der englischen Sprache als lingua franca und das Anstreben einer umfassenden interkulturellen kommunikativen Kompetenz (Europarat 2001).

Nachhaltiges Lernen kann allerdings nicht verordnet oder vorbestimmt werden, denn wie sich aus der Darstellung der konstruktivistischen Perspektive noch zeigen wird (vgl. Kapitel 3), ist der Wissenserwerb eine sehr individuelle Sache, die von außen nur begrenzt beeinflusst werden kann. Es stellt sich also die Frage, wie die jungen Menschen zum lebenslangen Lernen motiviert und zugleich auch sinnvoll unterstützt werden können. Dabei geht es weniger um die Vermittlung von deklarativem Wissen als vielmehr um das Aufzeigen von Fragestellungen, Problemlöseverfahren und Lerntechniken, die einen Bezug zur Lebenswelt haben und im Sinne der Handlungskompetenz nachhaltig verwertbar sind. Im Kontext der Aufgabenforschung spricht man von meaningful tasks, die das fremdsprachliche Lernen erleichtern sollen, indem sie an realitätsbezogenen Kommunikationssituationen andocken. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Aufgabenforschung ein äußerst disparates Feld ist, sich an manchen Stellen auch deutlich mit der Motivationsforschung (vgl. Kapitel 4) überschneidet und derzeit noch viele Fragen unbeantwortet sind. Auf der anderen Seite stellt der Storyline Approach eine Möglichkeit dar, um zum einen das Fremdsprachenlernen sinnstiftend und effektiv zu gestalten und zum anderen der Fremdsprachenforschung vielleicht einige erhellende Antworten zu liefern, denn Storyline-Projekte erfüllen weitgehend die von Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth (2006) formulierten und oben aufgeführten Gütekriterien für lernförderliche Aufgaben (vgl. Kapitel 2.4.2).

Im vorliegenden Kapitel wurden einige grundlegenden Prinzipien, Merkmale sowie individuelle Ausprägungen und Facetten des sowohl prozess- als auch produktorientierten Storyline-Konzepts dargestellt. Die Vielzahl und Vielseitigkeit der Entwicklungszweige verdeutlichen, dass der Storyline Approach sich unter den verschiedensten Bedingungen und mit voneinander abweichenden Zielsetzungen als außerordentlich flexibles, multifunktionales und in jeglicher Hinsicht „sinn-volles“ Modell einsetzen lässt, um den heterogenen Voraussetzungen und Bedürfnissen jeglicher Lerngruppen gerecht zu werden. Ob dies auch für das fremdsprachliche Lernen in der Sekundarstufe I zutrifft, sollen Fallstudie 1-6 in Teil B zeigen.

Auf die Frage nach der Verbreitung des Storyline-Konzepts wird auf internationaler Ebene immer wieder beklagt, dass die derzeit zunehmenden Reglementierungen durch Bildungsstandards, Lehrpläne usw. die Schule als Bildungs- und Erziehungseinrichtung offenbar immer mehr zu einer “overly structured institution“ verändern (Letschert 2006, 12), in der ganzheitliches, organisches, integratives und prozessorientiertes Lernen behindert werden. Dazu erschwert die latente „Bedrohung“ durch regelmäßig anstehende nationale und internationale Leistungsvergleichstests und Evaluationen wie PISA das autonome pädagogische und professionelle Handeln der Lehrkräfte im Klassenzimmer und gefährdet somit offensichtlich auch die differenzierte Betreuung bzw. angemessene Förderung der heterogenen Lerngruppen.

Gewünscht werden zwar unisono motivierte Schülerinnen und Schüler, die zu flexiblem und lebenslangem Lernen befähigt bzw. bereit sind, vorgegeben werden von offizieller Seite jedoch meist enggefasste, konkret formulierte, vorweg geplante und somit absehbare Lern- bzw. Lehrziele, und gefordert werden klar isolierbare und eindeutig abprüfbare Ergebnisse, um somit dem vermeintlichen Ziel einer objektiven Leistungsmessung und (internationalen) Vergleichbarkeit näher zu kommen. Ian Barr und Barbara Frame stellen mit Recht fest, dass der seit einiger Zeit erkennbare politische Enthusiasmus für zentrale Lernkontrollen und Evaluationen nicht nur problematisch, sondern auch irreführend ist: “Checking the oil in your car is a sensible thing to do, but hardly every 200 metres!“ (Barr/Frame 2006, 51).1

Auch wenn das Storyline-Modell als solches immer wieder auf positive Resonanz stößt, sieht der Unterrichtsalltag auf Grund der oben genannten Probleme und Hindernisse leider oft anders aus. So resümiert Letschert (2006) aus den Niederlanden: “The acceptance of the idea is great, actual implementation on a large scale in schools however, is relatively modest“ (Ebd., 11). Inwieweit sein pessimistisches Bild tatsächlich bzw. überall zutrifft und ob die Ursachen im Ansatz selbst liegen oder auch übertragbar auf andere anspruchsvolle Lernkonzepte und Unterrichtsmodelle2 sind, müsste durch entsprechende Forschungsarbeiten geklärt werden. Barr und Frame (2006) verweisen in diesem Kontext beispielsweise auf das mancherorts noch immer existierende (und mitunter auch erwartete) traditionelle Lehrerbild, das an Autorität, Gehorsam, Normen und Macht gekoppelt ist und somit innovativen, partnerschaftlichen und offenen Unterrichtskonzepten außerordentlich im Weg steht: “The theory and methods don’t impact because of the culture of teaching and staffrooms and the mythic and durable teacher stereotypes that the profession carries with it“ (Ebd., 55). Aus diesem Grund fordern sie mit Recht nicht nur grundsätzliche Veränderungen im Rahmen der Bildungspolitik, Curriculumentwicklung und Schulorganisation, sondern auch in der Ausbildung von Lehrkräften, um zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass sich ganzheitliche und integrative Konzepte im Klassenzimmer nachhaltig durchsetzen können:

The challenge for teacher education is to:

 practice what it preaches; i.e. to model values;

 give more responsibility to student teachers as learners;

 provide an explanation of continuity and change in relation to the professional role of the teacher

 make learning truly experiential (Ebd., 57).

Ähnliche Gedanken bezüglich einer effektiven Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften werden auch von Van den Branden (2006b) im Kontext des Task-based Learning formuliert.3

Mir persönlich scheint das Storyline-Konzept als vielversprechende Möglichkeit, um die im vorigen Kapitel genannten Desiderate hinsichtlich des lebenslangen (Fremdsprachen-)Lernens in einer komplexen, schnelllebigen und sich ständig wandelnden Wissensgesellschaft erfolgreich in die Praxis umsetzen zu können – vorausgesetzt, das Modell wird in seiner Ganzheit betrachtet und verstanden. Dies ist allerdings nicht über das Lesen eines einzelnen Fachartikels möglich, sondern erfordert von Lehrenden eine entsprechende pädagogische Einstellung mit vielfältigen und anspruchsvollen Kompetenzen4 sowie eine handlungsorientierte und reflektierte Rezeption des Konzepts, die wiederum den Bogen zur Theorie spannt.5 Dabei darf nicht vergessen werden: Das Lernen und Lehren nach dem Storyline-Modell kann man nicht verordnen! Man muss davon überzeugt sein – wie eine Kollegin aus England: “I began to understand the power of the Storyline method and most importantly the fun which it can bring to teaching, both for the pupils and for the teachers“ (Mitchell-Barrett 2010, 178).

Ich selbst würde Storyline heute allerdings nicht mehr als „Methode“ bezeichnen (vgl. z.B. Kocher 1999), sondern eher als umfassendes Lernkonzept (vgl. z.B. Kocher 2016), das auf einer spezifischen pädagogischen und philosophischen Einstellung basiert und den ganzen Menschen im Blick hat, nicht nur einzelne (fremdsprachenbezogene) Fertigkeiten und Teilkompetenzen: “Storyline is in the heart an attitude, not an instrument“ betont Letschert (2006, 31). Dem kann ich nur beipflichten. Schwänke und Plaskitt (2016) behaupten: “Storyline is more than a method; you might call it a pedagogy. Certainly it is a unique approach to active learning (and teaching)“ (Ebd., 54). Storyline ist definitiv kein „schnelles Rezept“, das man unreflektiert kopieren kann, sondern ein kreativer und komplexer Ansatz6, den man verstehen, würdigen und verinnerlichen muss, um Storyline-Projekte konzipieren und implementieren zu können. In Fallstudie 7-9 (Teil B) soll untersucht werden, wie Lehramtsstudierende in diesen Prozess einbezogen werden können.

Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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