Читать книгу Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule - Doris Kocher - Страница 42
3 Grundlagen einer konstruktiv(istisch)en Lernkultur 3.1 Einleitung
ОглавлениеSage mir, was du denkst, und ich denke mir, was du meinst (Theodor Bardmann)
Die häufig zu vernehmende Unzufriedenheit mit schulischen Leistungen, die noch dazu in internationalen und nationalen Studien als berechtigt attestiert wird, hat in den vergangenen Jahren zu vielseitigen Überlegungen geführt, die auch für den Fremdsprachenunterricht und die Hochschullehre von Bedeutung sind. Unter dem Vorzeichen der angestrebten Optimierung von Lernprozessen und der Vermittlung von entsprechenden Werkzeugen, die das lebenslange Lernen fördern sollen, beschäftigt man sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen verstärkt mit Theorien und Modellen, die das Problem des „trägen Wissens“ und der Kluft zwischen Wissen und Handeln erklären und vor allem beheben sollen (Gruber u.a. 2000).1 Es stellt sich darüber hinaus immer wieder die generelle Frage danach, wie wir Wissen erwerben und wie wir lernen.
Wirft man einen Blick allein auf die Veröffentlichungen in der Allgemeinen Pädagogik bzw. Didaktik2 sowie in der fachspezifischen Didaktik3 der letzten Jahre, dann gewinnt man den Eindruck, dass konstruktivistische Strömungen im Bildungsbereich immer mehr an Bedeutung gewinnen und „derzeit große Aufmerksamkeit“ erfahren (Haß 2010, 179), obwohl das Gedankengut an sich nichts Neues darstellt, sondern auf eine sehr lange Entwicklung zurückblicken kann. Erst durch die Thematisierung und äußerst kontrovers geführte Diskussion des Radikalen Konstruktivismus ist das konstruktivistische Denken vor einigen Jahren wieder ins Zentrum des Interesses geraten, und zwar auf internationaler Ebene und in ganz unterschiedlichen Bereichen – so auch in der Fremdsprachendidaktik im deutschen Sprachraum. Vergessen scheinen heute so manche Grabenkämpfe, man geht nun offensichtlich dazu über, die Theorie in pädagogische Praxismodelle zu integrieren, was meines Erachtens der aussichtsreichere Weg ist. „Der Konstruktivismus hat sich zu einer der führenden Lerntheorien der Gegenwart entwickelt“, behaupten Urhahne, Wilde, Marsch und Krüger (Urhahne u.a. 2011, 116), und Volkmann (2010, 206) geht mit seiner Aussage sogar noch einen Schritt weiter: „Der Konstruktivismus hat sich als moderne Auffassung des Lehr-Lern-Vorgangs durchgesetzt“.
Wie aber sieht die Unterrichtspraxis aus? Aus meiner Sicht herrschen behavioristische Ansätze mit einem starken Fokus auf Instruktion in vielen Lernkontexten noch immer vor – auch im Fremdsprachenunterricht, wenn man an die sinnentleerten Drills und wenig kommunikativen „Frage-Antwort-Spielchen“ des gängigen Unterrichtsalltags denkt. Offenbar fehlt es vielerorts noch an Konzepten und Modellen, die zeigen, wie die Theorie konkret in die Praxis umgesetzt werden kann. Der Storyline Approach bietet hier meines Erachtens viele Chancen.
Klarzustellen ist zunächst einmal, dass es „den“ Konstruktivismus nicht gibt (auch wenn ich den Begriff aus Gründen der Leserfreundlichkeit hier vorläufig so verwende), sondern dass es sich dabei um eine Denkströmung handelt, die sich aus vielen verschiedenen Einzeldisziplinen speist und auf diese wieder zurückwirkt. Beteiligt sind an der heutigen wissenschaftlichen Diskussion vor allem Philosophie, Biologie, Neurophysiologie, Kybernetik, Sprachwissenschaften, Psychologie und die Pädagogik. Vermutlich ist gerade dies mit ein Grund dafür, dass die Diskussion um konstruktivistische bzw. verwandte Ansätze sehr uneinheitlich und verwirrend geführt wird, da unter dem Begriff „Konstruktion“ ganz unterschiedliche Vorstellungen subsumiert werden, so dass es wohl angemessener wäre, von „Konstruktivismen“ zu sprechen (Reich 2004, 33).4
Disziplinen | Personen | Disziplinen | Personen |
Evolutionstheorie | Riedl | Wissenschaftstheorie | Janich, Mittelstraß |
Neurobiologie | Maturana, Varela | Gehirnforschung | Roth, Singer |
Kognitionsforschung | von Glasersfeld, Mandl | Emotionsforschung | Ciompi |
Kommunikationswissenschaft | Watzlawick | Sprachwissenschaft | Vygotskij |
Wissenssoziologie | Luckmann, Searle | Systemtheorie | Luhmann |
Psychotherapie | Stierlin, Simon | Pädagogik | Reich, Kösel |
Sozialpsychologie | Gergen | Philosophie | Schmidt |
Tab. 1:
Disziplinen des Konstruktivismus und ihre Vertreterinnen bzw. Vertreter (Siebert 2005, 15)
Unbestritten ist dagegen die Tatsache, dass die traditionellen, einseitig behavioristisch geprägten Vorgehensweisen im Unterricht nicht zukunftsfähig sind und deshalb verschiedene Aspekte hinsichtlich der Gestaltung von Lernumgebungen neu bedacht und vor allem auch konkret umgesetzt (!) werden müssen, um die Handlungskompetenz von heterogenen Lerngruppen und somit auch deren Bildungsmotivation und Zukunftschancen zu erhöhen sowie letztendlich den von vielerlei Seiten geäußerten Anspruch des „lebenslangen Lernens“ einlösen zu können. Dies betrifft selbstverständlich auch die Fremdsprachen. Meine Hypothese lautet, dass der Storyline Approach eine Lösung anbieten könnte, um obige Ziele zu realisieren.
In den folgenden Kapiteln werden zunächst einige Vorläufer und Ansätze bzw. Strömungen des konstruktivistischen Denkens erläutert, die als Basis für konstruktivistische Modelle in Theorie und Praxis – wie beispielsweise den Storyline Approach – gelten. Auch hier wird es sich lediglich um eine begrenzte Synopse handeln, da nicht alle Facetten und Details des Konstruktivismus näher beleuchtet werden können und vermutlich auch nicht (mehr) müssen. Anschließend werden darauf aufbauend die Implikationen konstruktivistischen Denkens für die Praxis und die damit verbundenen Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht und die Hochschullehre reflektiert. Wo es sich anbietet, wird direkt an Ort und Stelle kurz auf die Bedeutung einzelner Ansätze für das (Fremdsprachen-)Lernen nach dem Storyline-Modell verwiesen, bevor zum Schluss erörtert wird, inwiefern Storyline ein konstruktivistischer Ansatz ist. Zur konkreten Umsetzung in Schule und Hochschule sollen meine Untersuchungen in Teil B einen Beitrag leisten.