Читать книгу Ich und der Fisch, der Fisch und ich - Dorothea Doris Tangel - Страница 9

Kapitel 7

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Als nächstes war bei mir nun das Nikotin dran. Je länger eine Sucht bei mir gewohnt hatte, desto schwerer war es damit zu brechen. Der ganze Haushalt war voll von täglichen Bezugs- und Erinnerungspunkten. An der Stelle habe ich immer gesessen und erst einmal eine geraucht und eine Tasse Kaffe getrunken, bevor der Tag überhaupt anfing. Gefährlich.

Ich musste sogar die Stelle an der Couch, auf der ich nachts lag umbauen, weil ich immer noch mit rechts nach dem Aschenbecher griff. Wenn man müde ist vergisst man das Neue noch immer schnell. Ich machte diese Bewegung noch eine Weile bis es mir auffiel. Dadurch wurde ich immer wieder daran erinnert und der Krampf ging los, dass ich ja jetzt nicht mehr rauchen wollte. Alles, unnötig Stress. Zu Hause kann ich es mir ja so einrichten wie es mir gefällt und gut tut! Ich machte es einfach und stellte das Tischchen auf die Andere Seite und musste jetzt mit links nach meinem Glas Wasser greifen, das bewirkte etwas und ich gewöhnte mich um, auch mein Gehirn schaltete plötzlich anders durch diese banale bewegungs- Veränderung und ich dachte nicht mehr daran.

Ich kenne Leute, die haben einfach aufgehört zu rauchen und irgendwann war es kein Thema mehr. Aber bei mir liegt das anders. Da gibt es irgendeine Programmierung in meinem Innern, die es mir kaum möglich macht diese Hürde zu überwinden. Die Sucht bäumt sich auf und wird zum alles beherrschenden Element und bestimmt mein ganzes Leben, bis nichts anderes mehr geht.

Ich bin dann beherrscht von der panischen Angst, „ohne“ jetzt nicht mehr weiterleben zu können! Sei es genetisch bedingt oder auch einfach durch Muster, die ich mir bei meiner Familie abgeschaut und dann angewöhnt habe, wie man das als Kind nun mal so tut, bis es ein unbewusster Teil von einem geworden ist man gar nicht mehr merkt wie man geht. Sich das Laufen umzugewöhnen ist eine wirklich extrem schwierige Angelegenheit und kaum möglich, wenn man sich zum Beispiel den Fuß verletzt hat. Da fiel es mir einmal auf, wie sehr einem Verhaltens- Dinge in Fleisch und Blut übergegangen sind und wie schwer es ist das anders zu machen.

Vielleicht sind Suchtfamilien nicht in der Lage "emotionale Probleme zu lösen"? Beziehungsbezogene, psychische, gefühlsmäßige und eigene innere. Über nix wird ja wirklich geredet. Jeder brüllt sofort um sich wenn es kompliziert oder anstrengend wird und unterbindet so jede Auseinandersetzung mit dem Thema oder mit den anderen.

Keiner hält Spannung aus, auf was auch immer sich die bezieht. Jeder will nur "seine Ruhe haben" und verkündet das auch lautstark. Wehe etwas fällt um oder DU fällst um oder womöglich aus dem Rahmen. Die macht immer nur Ärger!

Bloß stillhalten, die Leute könnten ja was merken! Und das darf auf keinen Fall geschehen, was auch immer passiert. Es ist besser du stirbst und alle können sich bemitleiden lassen, weil sich ihr Kind umgebracht hat. Aber wenn du zu einem Therapeuten gehst oder in eine Klinik, um dein psychisches Problem behandeln zu lassen ist das dein Todesurteil. Wie kannst du nur fremden Leuten erzählen dass du Probleme hast, müssen das denn alle wissen? Nur Schlappschwänze brauchen Hilfe von einem Seelenklempner, echt!

Immer schön angepasst bleiben und niemals und unter keinen Umständen auffallen oder zu laut furzen. Die Norm ist das Entscheidende. Nichts darf nach außen dringen, niemand darf erfahren dass du vielleicht anders bist und wenn, dann sprich bitte nicht darüber. Ist doch peinlich wenn alle in unsere Richtung gucken.

Das ist der Tod eines jeden Künstlers, oder die Geburt. Wohin mit all den Eindrücken? Es hilft dann alles nichts, man muss es malen, singen und tanzen, sonst platzt man.

Ich hatte panische Angst all das loszulassen was mir jedes Mal Erleichterung verschaffte, wenn die Spannung zu groß wurde. Hier musste ich eine meiner größten Ängste konfrontieren, mit der ich immer alles stressige so schön locker wegschieben und mir augenblicklich Erleichterung verschaffen konnte mit dem Satz: "jetzt muss ich mir aber erst Mal eine drehen!", „e Zigarettsche“. Tschüss, mein geliebtes Pflaster auf den Mund.

Es musste doch möglich sein von dem Mist loszukommen. Wovor hatte ich denn nur solche Angst? Was sollte mir denn passieren? Es ist doch kein körperlicher Entzug. Es ist doch nur das gottverdammte Nikotin. Mein Gott, da haben wir doch schon längst viel Härteres hinter uns gebracht. Dachte ich!

Ich war aber leider nur, so ganz nebenbei gerade an einem Punkt angekommen, an dem nichts mehr funktionierte. Ich war völlig abgebrannt und kaum noch motiviert. Meine Konzentration war am Arm und der Wahnsinn in meinem Kopf war nicht mehr zu kontrollieren. Panikattacken und Angstzustände gaben sich die Klinke in die Hand. Depressionen redeten mir regelmäßig ein daß es ja sowieso keinen Sinn mehr hat und irgendein Schmerz in mir wollte endlich geweint werden. Ich brauchte eine Veränderung, ich brauchte frischen Wind in meinen Gedärmen und in meinen Gehirnwindungen.

Und doch setzte ich mich Nacht für Nacht an meine Staffelei und malte. Ich versuchte dem Gespenst der Dunkelheit zu entkommen, indem ich nachts mein Licht anschaltete und etwas erschaffte. Ich gab ich die Hoffnung nicht auf, daß eines Tages, ja eines Tages...

Dazu kam noch daß ich aus meiner Wohnung sollte und noch nicht einmal das Geld für einen Umzugswagen oder die Kaution hatte. Deswegen wollt ich ja die Gelegenheit nutzen und mir das Rauchen abgewöhnen, weil ich es mir schlicht und „ergreischend“ nicht mehr leisten konnte.

Musste ich jetzt in einem Zelt schlafen, irgendwo unter einer Brücke oder im dunklen Wald? Dafür hatte ich mir bei meinem letzten Job, vom ersten Geld sofort eins gekauft, weil die Angst schon länger in mir rumorte, eines Tages wieder ohne Wohnung dastehen zu müssen. Diesesmal wollte ich gewappnet sein. Ich habe es bis heute nie benötigt, aber es hat mich ungemein beruhigt und dafür war es die 30 Mark, die es im Sonderangebot damals gekostet hatte allemal wert.

Hartz 4 hatte mich fest im Griff der Schuldgefühle und ich schämte mich daß ich mit dem Geld gerade mal 20 Tage hinkam. Was immer ich auch versuchte, meine Schulden wurden immer größer und ließen mich nicht mehr schlafen, weil es keine Aussicht gab sie jemals zurückzahlen zu können. Nichts motivierte einen und hatte man mit dem Arbeitsamt zu tun, bekam man jedesmal den Todesstoß mit auf den Weg, weil man immer noch lebte. Hoffnung machten die einem nie. Sie waren nur damit beschäftigt einem allen Wind aus den Segeln zu nehmen und bekamen dafür auch noch Geld.

Ich wollte mich in mein Schicksal fügen und ordentlich versuchen mit dem Geld, das mir zur Verfügung stand hauszuhalten, um mich mit ganzer Kraft meiner Arbeit zu widmen, um damit eines Tages vielleicht wieder Einnahmen haben und selbstständig sein zu können. Zigaretten waren nun mal in so einer Phase nicht mehr vorgesehen. Das Essen war jetzt wichtiger.

Die Angst, ich würde obdachlos, vergewaltigt und zusammengeschlagen und vergessen werden, was das Los aller Frauen auf der Straße ist war mein täglicher Begleiter. Frauen sind die untersten in der Kette, wenn man ganz unten ankommt. Das kannte ich schon. Ich war zu Hause immer die Jüngste, die Kleinste, die Schwächste und das einzige Mädchen gewesen und alle hatten auf mir herumgetrampelt, alle waren immer stärker als ich gewesen und ich hatte nie eine Chance.

Es war Zeit etwas zu ändern. Es musste etwas geschehen! Ich wollte es, ich wollte leben und ich wollte weg von den Menschen die mich nur runterziehen in die Abgründe ihrer eigenen Wertlosigkeit, weil sie nichts kapiert hatten und nur Dunkelheit verbreiteten. Sie hassten ihr Leben. Wenn sie mich damit kriegen dass ich abhängig von Zigaretten bin und wahnsinnig werde weil ich kein Geld dafür habe, dann verzichte ich lieber. Also gehen wir es an! Der erste Tag ohne Tabak!

Ich und der Fisch, der Fisch und ich

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