Читать книгу Erkrankungen im Bewegungsapparat - Dr. Hanspeter Hemgesberg - Страница 12

Schmerzgedächtnis, Schmerzerleben, Schmerzbeeinträchtigung und Schmerzkontroll-System

Оглавление

Im Zentrum der Schmerz-C hronifizierung steht das Schmerz-Gedächtnis.

[engl. pain memory – damit werden in der Medizin die bio-chemischen, funktionellen und morphologischen Veränderungen im Zentralen Nervensystem / ZNS, die durch wiederholte Schmerz-Erfahrungen entstehen]

Die sensiblen Nervenzellen sind genauso lernfähig wie das Großhirn. Wenn sie immer wieder Schmerz-Impulsen ausgesetzt sind, verändern sie ihre Aktivität. Jetzt reicht schon ein leichter, sensibler Reiz, wie eine Berührung, Wärme oder Dehnung aus, um als Schmerz-Impuls registriert und als unangenehm empfunden zu werden.

Aus dem akuten Schmerz ist ein chronischer Schmerz geworden. Das bedeutet:

Der eigentliche Auslöser fehlt und es bleibt der Schmerz.

Unter „Schmerz-Dauerbeschuss“ verändern sich die Nervenzellen. Diese Veränderungen sind einerseits bio-chemisch nachweisbar und andererseits hinterlassen sie Spuren im Aufbau der Zellen; dabei kommt der Aktivierung von „IE-Genen“ () (IE = Immunitäts-Einheit - IE-Gen codierte Eiweißmoleküle - sie werden in den Nervenzellen des Gehirns gebildet und freigesetzt) eine Schlüsselrolle zu. Die sensiblen Nerven-Zellen sind ebenso ‚lernfähig’ wie die Großhirnrinde (cortex cerebri).

Wenn die Nerven-Zellen immer wieder ‚Schmerzreizen/Schmerz-Impulsen’ ausgesetzt werden/sind, verändern sie ihre Aktivität und Funktionsweise.

Bei solch verändertem Schmerz-Empfinden reicht dann bereits ein Minimalreiz, um als Schmerz-Impuls wahrgenommen und empfunden zu werden und diesen Impuls von einer Nervenzelle auf andere zu übertragen und weiterzuleiten. Diese Übertragung erfolgt auf die Nervenzellen-Synapsen durch „Botenstoffe“ (Neurotransmitter); gesteuert werden diese Botenstoffe durch die Menge an aktivierten IE-Genen (wenig IE-Gene Bremsung der Schmerzweiterleitung – viel Steigerung).

In Kurzform zur Entstehung und dem Mechanismus des Schmerz-Gedächtnisses:

1. Bei einem lokalen Schmerz (z.B. Knie) nehmen Nozizeptoren die Reize wahr und leiten sie über Nervenbahnen an das Rückenmark weiter;

2. In den Nervenzellen des RM entscheidet es sich, ob es evtl. zu einer

Chronifizierung kommt;

3. Entscheidend sich dazu Rezeptoren mit einem offenen oder

geschlossenen Ionenkanal (= porenbildende Transmembran-Proteine, die elektrisch geladene Teilchen, Ionen, das Durchqueren der Bio-Membranen ermöglichen; werden auch als Kanal-Proteine bezeichnet - der Transport erfolgt entsprechend dem Potenzialgefälle - Ionenkanäle sind, im Zusammenspiel mit anderen Transport-proteinen, von universeller Bedeutung für Transportprozesse über die Membransysteme der Zelle. Dazu gehören die Regulation der osmotischen Aktivität, des Säure-Basen-Haushalts, die Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen sowie die Erregungsleitung in Nerven und Muskelzellen);

4. Unter bestimmten Rezeptoren und Ionenkanälen an den Nervenzellen werden akute Schmerzreize an das Gehirn weitergeleitet.

Schmerz ist ein WARNSIGNAL!

5. Lang anhaltende oder besonders starke Schmerzreize verändern die Nervenzelle; es bilden sich vermehrt Ionenkanäle und Rezeptoren aus, die schon bei schwachem Reiz und sogar ohne jeden Reiz Schmerzsignale an das Gehirn leiten; aus der physiologischen Nervenzelle ist eine Schmerz-Zelle geworden; das Schmerzgedächtnis hat sich etabliert;

6. Opioide (körpereigene) hemmen die Weiterleitung von Schmerzreizen

und unterstützen so die körpereigene Schmerz-Abwehr. Auf diese Weise kann die Ausbildung eines Schmerz-Gedächtnisses lange verhindert/ verzögert werden.

Schmerz ist nicht gleich Schmerz!

Vielmehr wird Schmerz in seinem Ausmaß (Intensität) und seiner Andauer subjektiv empfunden und erlebt.

Das nennt man Schmerz-Erleben.

Nach Dr. Gerhard Opitz (Orthopäde und Schmerzmediziner, München) ist Schmerzerleben gekennzeichnet durch individuelle und mehr-dimensionale Faktoren (diese sollten unbedingt bei jeder Schmerz-Therapie gekannt und berücksichtigt werden!).

Schlüsselworte sind dabei u.a.

Rational-Kognitive und Emotional-Affektive Schmerzkomponenten, somato-motorische und vegetative Reflexantworten, sympathische Nozireaktion, die dünn-myelinisierten A-Delta-Fasern, C-Fasern, A-Beta-Fasern, neuro-endokrine Regulationsstörungen und das individuelle Schmerz-Kontroll-System.

Nervenfasern, die Reize von äußeren Bereichen an das ZNS weiterleiten, nennt man afferente Nervenfasern.

Leiten Nervenfasern umgekehrt Impulse vom ZNS in periphere Bereiche, spricht man von efferenten Fasern.

Bei den „Nozizeptoren“ (Schmerz-Rezeptoren) ist zu differenzieren zwischen zwei verschiedenen Typen, welche für zwei völlig verschiedene „Schmerzarten“ zuständig sind:

1. Nozizeptoren mit A-Delta-Fasern

sind schnell-leitende Fasern; sie verursachen und leiten weiter einen hellen und stechenden Schmerz (z.B. Nadelstich); wird auch als

„1. Schmerz“ bezeichnet.

2. Nozizeptoren mit C-Fasern

sind langsam-leitende Fasern, die mehr einen dumpfen, tiefer-gelegenen Schmerz weiterleiten; dies wird auch genannt

„2. Schmerz“.

Diese Feststellungen und Kenntnisse bedeuten:

Jeder Mensch hat sein, ihm eigenes, hoch-individuelles Schmerz-Empfinden

(Schmerz-Wahrnehmung).

Das ist vom Behandler nicht objektiv zu erfassen bzw. nachzuweisen.

Folge:

Vom Therapeuten kann so nur eingeschränkt auf die „wirkliche“ Schmerz-Intensität (Schmerz-Grad/SG) rückgefolgert werden.

Hier ist der Patient gefragt:

Einmal durch die regelmäßige Dokumentation in einem sogen. „Schmerz-Tagebuch“ (diese Dokumentation ist eine unerlässliche Hilfe zum Krankheits- und bes. Therapie-Verlauf) und möglichst präziser Selbst-Beurteilung (mehrmals tgl.) des jeweiligen/aktuellen „Schmerz-Grades“ (SG = Schmerzintensität) unter Zuhilfenahme einer VAS (= Visuellen Analog-Skala).

Fazit:

Der Schmerzgrad drückt den Stellenwert aus, den der Schmerz aktuell für den jeweils Betroffenen hat!

Schmerz-Beeinträchtigung:

Sie ist ebenfalls eine individuelle Festlegung durch den Kranken.

In knappen Worten:

Sie hängt ab einmal von der Andauer der chronischen Schmerzen, deren Schmerzgrad-Bandbreite (Spitzenwerte, durchschnittliche Werte) und deren Lokalisation und nicht zuletzt von der Ursache des Schmerzes (Traumafolge, OP-Folge, Phantom-Schmerz, psychogener Schmerz, Schmerz bei neurologischen Krankheiten und/oder bei Stoffwechselerkrankungen u.a.); aber auch von der Art und Belastung (z.B. unphysiologische Körperhaltung) unter der Arbeit.

Sprechen wir noch kurz über und zum

Schmerz-Kontroll-System;

korrekter von den beiden Systemen:

Das aktivierende absteigende supra-inhibitorische (inhibitorisch = hemmend, bremsend, abschwächend) System und die segmental spinalen Hemm-Mechanismen.

Beim aktivierenden System

verlaufen die Wege über Stimulation der aufsteigenden A-Delta- A-Beta-Afferenzen. Das System gibt Kollateralen zum Mittelhirn (Mesencephalon) und zwar zum peri-aquaductalen Grau; von dort und dem Nucleus Raphe magnus (Raphekerne in der Medulla oblongata/ verlängertem Mark & Tegmentum pontis/ hinterer Teil der Brücke - sie bilden den wichtigen Neurotransmitter Serotonin! Sie haben Verbindung zum Limbischen System und zur Kleinhirnrinde) zum Hinterseitenstrang (Funiculus posterior medullae spinalis) und zum Hinterhorn des Rückenmarks (Cornu posterius medullae spinalis und zu den opioidergen = encephalinergen Interneuronen [d.s. „Schaltneurone“; zu unterscheiden zwischen hemmenden und erregenden = inhibitorischen]).

Zum hemmenden System:

A-Delta-Fasern können ihren Kontakt zu inhibitorischen Interneuronen im Hinterhorn und Bereich ihrer Nerven-Endigungen „C-Fasern-vermittelte“ Schmerzen bremsen [Therapie-Optionen dazu: Akupunktur und Akupunktur-Injektionen, Kälte - aber auch über GABA-erge (Gamma-Amino-Buttersäure-vermittelte) Interneurone, die mit A-Fasern vernetzt sind (dadurch kommt es zur Blockade der ins Rückenmark/RM eintreffenden C-Fasern-Impulse)].

Gereizt werden können die A-Beta-Fasern durch z.B. Massagen, Lymph-Drainagen, Chirotherapien (Manuelle Medizin, Osteopathie) und Bewegungs-Therapien; dadurch werden die zugehörigen inhibitorischen Interneurone angeregt.

Erkrankungen im Bewegungsapparat

Подняться наверх