Читать книгу Wenn der Orthopäde Rücken hat - Dr. med. Matthias Manke - Страница 14
ARZT GESUCHT: WIE DU DEN ORTHOPÄDEN DEINES VERTRAUENS FINDEST
ОглавлениеWer ist wohl der Orthopäde meines Vertrauens? In aller Bescheidenheit – das bin natürlich ich selbst. Welcher Orthopäde würde auch anders auf diese Frage antworten? Wenn du nicht gerade in meinem Revier wohnst, musst du dir einen anderen suchen. Wahrscheinlich fragst du Bekannte oder googelst. Dabei stößt du auf Bewertungen von erstaunlicher Bandbreite. Im Internet darf jeder anonym über die Kompetenz eines Arztes und seines Teams urteilen, wie er will. Die einen sind begeistert, die anderen frustriert. Das ist menschlich, aber für dich wenig hilfreich, denn vor allem schlechte Bewertungen kommen oft zustande, wenn Patienten unerfüllbare Erwartungen haben. Das kann niemand vermeiden. Betrachte diese Bewertung als subjektive Einschätzungen. Andere Kriterien sind wichtiger. Hier verrate ich dir sechs Dinge, an denen du unabhängig von Internetbewertungen einen wirklich guten Facharzt für Orthopädie erkennst:
1. Ein guter Orthopäde erkundigt sich
sehr genau nach deinen Beschwerden
Sei vorsichtig, wenn er die Kunst der sogenannten Türrahmendiagnostik offenbar beherrscht. Das heißt: Er fragt dich nur, wo es denn wehtut, schickt dich zum Röntgen und rauscht weiter zum nächsten Patienten. Das ist nicht souverän, sondern anmaßend. Ein guter Orthopäde fragt nach deiner persönlichen Rückengeschichte. Wenn er die kennt, kann er mögliche Ursachen viel besser eingrenzen.
Du musst ihm jetzt nicht dein ganzes Leben erzählen und solltest auch nicht erwarten, dass er die beiden Ordner voller Krankheitsberichte, die du mitgebracht hast, auf der Stelle durcharbeitet. Dafür hat er keine Zeit. Er wird nachfragen: Wo sitzt der Schmerz? Seit wann besteht er? Wie fühlt er sich an? Gibt es ein auslösendes Ereignis? Hast du irgendwelche Vorerkrankungen? Es geht jetzt darum, in möglichst kurzer Zeit viel zu erfahren. Denn im Wartezimmer sitzen noch andere Patienten.
2. Ein guter Orthopäde bleibt objektiv
und ist bereit, Vorbefunde zu hinterfragen
Ein Beispiel: Ich frage einen Patienten nach seinen Beschwerden. Er gibt keine Antwort, sondern legt mir seine MRT-CD auf den Tisch und erklärt: „Ich habe einen Bandscheibenvorfall.“ „Das ist mir erst einmal egal“, rutscht es mir dann manchmal heraus. Das klingt vielleicht unhöflich und zieht auch gerne mal eine schlechte Bewertung im Internet nach sich, ist aber keineswegs böse gemeint. Aus meiner Sicht zeichnet es einen guten Arzt aus, wenn er seine Objektivität bewahrt und bereit ist, Sachverhalte zu hinterfragen, statt einfach Informationen zu übernehmen. Mein Patient ist bereits so auf einen Bandscheibenvorfall fixiert, dass er gar nicht mehr auf die Idee kommt, möglicherweise etwas anderes zu haben. Liegt er komplett falsch (was durchaus vorkommt), wäre er für eine alternative Therapie nicht mehr offen. Deshalb möchte ich am Anfang keine Berichte lesen und keine Bilder angucken.
Mein Patient hat mich aufgesucht, damit ich ihm helfe. Er war auch schon bei anderen Ärzten. Es wurde aber nicht besser. Deshalb sitzt er nun bei mir. Kein Arzt ist perfekt. Auch ich scheue mich nicht, meinen Patienten eine Zweitmeinung zu empfehlen, wenn ich nicht weiterkomme. Ein guter Arzt, dem du vertrauen kannst, stellt wegweisende Fragen und verlässt sich anfangs nicht auf Vorbefunde.
Versteh mich nicht falsch. Natürlich ist es gut, wenn du deine Berichte und Bilder dabeihast. Am besten bringst du sie einen Tag vorher in die Praxis, damit sie schon mal ins Programm eingelesen werden und dein Arzt sie leichter begutachten kann. Vergiss die schriftlichen Bildbefunde des Röntgenarztes nicht. Die sind eigentlich nie mit den Bildern auf der CD gespeichert, sondern werden gesondert geschickt.
3. Ein guter Orthopäde untersucht
dich, indem er dich dabei anpackt
Was wäre bei meinem Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelreizung wohl mit mir bei einem Orthopäden passiert, der mich bewegungslos und schmerzgepeinigt wie ich war, nur vom Türrahmen aus gesehen hätte, ohne mit mir zu reden oder mich anzufassen? Vielleicht hätte er mich mit der Diagnose Hexenschuss nach Hause geschickt. Zum Glück bin ich selbst vom Fach. Meine Patienten sind das aber nicht. Um genau solche Diagnosefehler zu vermeiden, muss ich zum Äußersten greifen: Ich muss meine Patienten anpacken und untersuchen.
Wer nicht darauf vorbereitet ist, reagiert manchmal erschrocken. „Wie, äh, ausziehen?“ Nun ja, erst einmal muss ich mein Gegenüber zumindest ohne Winterjacke und vielleicht auch mit freiem Rücken sehen. Auch die Vorderseite ist nicht ganz unwichtig. Schließlich sollte das Muskelverhältnis von Vorder- und Rückseite ausgeglichen sein. Wer sich bei einer Untersuchung schämt, sollte wissen, dass wir Ärzte normalerweise keinen Röntgenblick haben und nicht durch Unterwäsche hindurchgucken können – wenn die Patienten überhaupt welche anhaben, was in beiderseitigem Interesse ratsam ist.
4. Ein guter Orthopäde deckt drei Bereiche ab:
Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung
Eine gute körperliche Untersuchung setzt sich aus drei Bereichen zusammen: Inspektion, Palpation und Funktionsprüfung. Bei der Inspektion schaue ich mir den Körper von vorn, von der Seite und von hinten an, registriere den Stand des Beckens und der Schultern und kann Unterschiede im Muskelprofil feststellen. Da Füße und Beine einen entscheidenden Einfluss auf die Rückenstatik haben, wird man als Patient so manches Mal auch gebeten, Schuhe, Socken und Hose abzulegen. Bei der sogenannten Palpation fasse ich den Patienten an, kann die Muskelspannung ertasten, druckschmerzhafte Punkte feststellen und die Hauttemperatur erfühlen. Im Anschluss kommt schließlich die ergänzende Funktionsprüfung.
5. Ein guter Orthopäde beobachtet dich
schon, wenn du noch nichts davon ahnst
Ergänzend deshalb, weil ich als aufmerksamer Arzt bereits die ganze Zeit darauf geachtet habe, wie sich der Patient bewegt, wie er vom Stuhl aufgestanden ist, sich vorwärtsbewegt und entkleidet hat. Ich sehe, ob es dabei Schwierigkeiten gab oder alles flüssig abgelaufen ist. Manchmal habe ich schon beobachtet, wie der Patient durch die Praxis lief, und daraus Informationen gewonnen. Ich muss ja in möglichst kurzer Zeit maximale Informationen zusammentragen. Dafür nutze ich standardisierte Untersuchungsabläufe mit verschiedenen klinischen Tests. Danach mache ich unter Umständen noch individuelle Tests.
Wenn es schnell geht, sind manche Patienten irritiert und fühlen sich „gar nicht richtig untersucht“. Hier sei angemerkt, dass man nicht stundenlang untersuchen muss. Wir machen so viel wie nötig; schließlich möchte jeder Arzt die richtige Diagnose stellen. Bei der abschließenden Funktionsprüfung stelle ich fest, welche Bewegungen schmerzhaft und eingeschränkt sind. Anamnese und klinische Untersuchung liefern uns wichtige Informationen zur Diagnosesicherung. Die Kunst des Orthopäden ist es, diese Informationen zu ordnen und gegebenenfalls in Einklang mit weiterführender Diagnostik wie Röntgen oder MRT zu bringen. Der Spruch „Nur gucken – nicht anfassen“ gilt hier nicht.
6. Ein guter Orthopäde setzt auf
Erleuchtung statt auf Durchleuchtung
„Herr Doktor, bitte machen Sie ein Röntgenbild von mir!“ oder „Sie wollen mich nicht ins CT oder MRT schicken?“ Solche Sätze höre ich oft. Ich weiß, dass die Patienten häufig enttäuscht sind, wenn ich sage, wie es ist: Nein, das hatte ich nicht vor. Sonst hätte ich das in Absprache mit Ihnen schon längst eingeleitet. Ich frage mich: Warum möchten Patienten so gerne Bilder von sich machen lassen? Ob es daran liegt, dass die „Pics“ auf Social-Media-Plattformen heute einen hohen Stellenwert haben? Oder ob ein Patient sich ein-fach ernster genommen fühlt, wenn wir Ärzte für sie Hightech-Maschinen anschmeißen?
Ich verrate dir: In puncto Rücken muss es nicht immer sofort ein Röntgenbild sein. Überleg mal: Was erkennen wir auf so einem Bild eigentlich? Die Knochen – und mehr nicht. Entweder sind die noch gesund oder sie zeigen mehr oder weniger ausgeprägte Verschleißerscheinungen. Beim Verdacht auf einen Wirbelkörperbruch kann jeder sicher sein, dass er zum Röntgen geschickt wird. Die Frage nach Durchleuchtung zeigt auch den unbändigen Glauben an eine strukturelle Veränderung als Ursache der Beschwerden. Das heißt aus Sicht des Patienten: Mein Körper muss sich doch sichtbar verändert haben. Sonst hätte ich ja keine Schmerzen. Leider ist das grundsätzlich falsch. Denn der Großteil aller Rückenschmerzen – man geht von 80 Prozent aus – ist unspezifisch. Das heißt in der Medizin, dass es keine eindeutige Erklärung dafür gibt und dass die Ursache sich nicht mit den radiologischen Verfahren identifizieren lässt. Natürlich kommen viele Gründe infrage. Dazu gehören zum Beispiel Verspannungen, Verkürzungen, Überdehnungen, Verhärtungen und Reizungen der Muskulatur. Auch Blockaden im Bereich kleiner und großer Gelenke in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten tun weh.
Spannende Ursachenforschung:
puzzeln, erkennen, dingfest machen
Anders ist das beim spezifischen Rückenschmerz. Da gibt’s klare Ursachen wie zum Beispiel einen Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelreizung, eine Verengung des Rückenmarkkanals, ein Wirbelgleiten oder einen Tumor. Die Schmerzen ähneln sich, was die Sache für uns Orthopäden schwierig macht. Oder sage ich lieber herausfordernd? Denn das ist das Spannende an meiner Arbeit. Wie ein Kriminalbeamter muss ich einzelne Puzzleteile zusammentragen, die Verbindungen erkennen und am Ende den Übeltäter dingfest machen. Am Rande deshalb ein weiteres Geheimnis aus meinem Leben: Ich wäre auch gerne Polizist geworden. In der Facharztausbildung lernen Ärzte nicht nur Schmerzmittel auszuwählen und Spritzen zu setzen. Auch das analytische und das sogenannte differenzialdiagnostische Denken werden geschult.
Das hilft uns dabei, mehrere Diagnosemöglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Auch wenn die meisten Patienten es nicht sehen: Wir arbeiten auch im Kopf – und wie! Wie oft habe ich bei meinen eigenen Rückenschmerzen in mich hineingehorcht, mögliche Ursachen gegeneinander abgeprüft und zeitweise wider besseres Wissen immer auf das geringste Übel gehofft. Ich musste mich zwingen, objektiv zu bleiben. Das tue ich auch bei meinen Patienten und erwarte es im Umkehrschluss ebenso von ihnen. Seid nicht auf Vorbefunde fixiert. Ich rege bei jedem Qualitätszirkel mit den Hausärzten in meiner Region dazu an, nicht sofort ein Röntgenbild oder eine CT- beziehungsweise MRT-Untersuchung in die Wege zu leiten. Auch wenn es gut gemeint ist und den Patienten gefällt, kann das nämlich als Schuss nach hinten losgehen.
Nicht jeder Befund, der von der Norm
abweicht, weist auf eine Krankheit hin
Der Patient geht mit seiner Überweisung zum MRT und legt sich dort in die Röhre. Die Untersuchung ist zum Glück nicht strahlenbelastet. Der Radiologe sieht sich die Bilder an und tippt jede Auffälligkeit in seinen Befundbericht. Er vergleicht das, was er sieht, mit einer gesunden und unauffälligen Wirbelsäule, erkennt Verschleiß, unter Umständen auch einen Bandscheibenvorfall, in seltenen Fällen einen Tumor (was übrigens nur Gewebeschwellung bedeutet und nicht mit Krebs gleichzusetzen ist). Die Bilder nimmt der Patient auf einer CD mit zu seinem Arzt. Dabei wird das Wichtigste leicht vergessen: Nicht jeder Befund, der von der Norm abweicht, ist ein Befund mit Krankheitswert. Du bist also nicht unbedingt krank, auch wenn du einen Befund hast.
Unser gesamter Körper unterliegt Alterungsprozessen. Nicht nur Haut und Haare kommen in die Jahre, auch Knochen, Bänder und Bandscheiben ver-ändern sich im Laufe des Lebens. Knöcherne Strukturen können sich vergrößern, bindegewebige Strukturen wie die Bandscheiben verlieren an Elastizität. So ist es nicht verwunderlich, dass es zu Bandscheibenveränderungen in Form von Vorwölbungen oder Vorfällen kommt. Aber nicht jede dieser Veränderungen führt zu Beschwerden. Deshalb frage ich am Anfang meines Arzt-Patienten-Gesprächs nach Beschwerden und nicht nach Befunden.
Es muss auch nicht immer da wehtun, wo das Problem sitzt. Bei einem Bandscheibenvorfall in der untersten Etage L5/S1 kann es in der Wade oder im kleinen Zeh schmerzen. Ist das nicht der Fall, sondern treten die Beschwerden am Oberschenkel im vorderen Bereich auf, ist der bekannte Bandscheibenvorfall in aller Regel nicht dafür verantwortlich. Hey, du hast tatsächlich richtig gelesen. Ein Bandscheibenvorfall muss keine Probleme machen, aber er kann. Der Orthopäde muss seine Erkenntnisse aus dem Anamnesegespräch, der körperlichen Untersuchung und der erforderlichen Bilddiagnostik zusammentragen und bewerten. Das macht weder der Haus- noch der Röntgenarzt.