Читать книгу Wenn der Orthopäde Rücken hat - Dr. med. Matthias Manke - Страница 9

Erste Hilfe im Akutfall: Die Stufenlagerung

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Um die angespannte Rückenmuskulatur zu entlasten, eignet sich die sogenannte Stufenlagerung. Dafür legst du dich rücklings auf eine nicht allzu weiche Unterlage, schiebst ein kleines Kissen oder ein zusammengerolltes Handtuch in den Nacken und winkelst die Beine in den Hüft- und Kniegelenken jeweils um 90 Grad an. Natürlich lässt du die Beine nicht in der Luft schweben, sondern legst sie auf eine Erhöhung. Wahrscheinlich hast du nicht zufällig einen Bandscheibenwürfel zur orthopädischen Lagerung im Haus? Das macht nichts, denn es gibt Alternativen.

Mit Würfel, Sofa oder Bierkasten

Entweder packst du mehrere Sofakissen übereinander oder du nimmst einen Getränkekasten und legst ein Kissen oder eine Decke darauf. Wenn deine Beine eher kurz sind, wählst du einen Kasten mit 0,3-Liter-Flaschen, sind sie länger, liegen sie auf 1-Liter-Flaschen besser. Die Höhe sollte etwa deiner Oberschenkellänge entsprechen. Wenn du dazu neigst, deine Schmerzen mit Alkohol zu betäuben, bist du mit einem Wasserkasten besser bedient als mit einem Bierkasten. Hast du keine Getränkekiste griffbereit, tut’s auch ein gepolsterter Hocker, ein Sessel oder ein passendes Sofa. Hauptsache, du legst dich nicht einfach platt auf den Boden oder ins Bett. Denn dabei lassen die Schmerzen nicht nach.

Nur über die Seite aufstehen

In der Stufenlagerung lastet weniger Druck auf den Bandscheiben und auf dem gesamten Bewegungssegment. Das natürliche Hohlkreuz der Lendenwirbelsäule flacht sich durch die Stufe ab. Die Bandscheibe wird weniger belastet, die Zwischenwirbellöcher weiten sich und der Druck auf den gereizten Nerv nimmt ab. Wichtig: Bevor du aufstehst, solltest du dich zur Seite rollen und dann erst aufstehen.

Hilft auch bei Hexenschuss

Auch andere Rückenschmerzen kannst du mit der Stufenlagerung lindern. Dazu zählt zum Beispiel der gefürchtete Hexenschuss. Wenn du den ganzen Tag am PC sitzen oder stehen musst, fühlt es sich gut an, wenn du deinen Rücken zwischendurch mal stufenlagerst. Um Schmerzen zu lindern, Verspannungen zu lösen und dem Hohlkreuz entgegenzuwirken, solltest du grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten in der Lagerung bleiben. Denn sie ist leider kein Wundermittel, mit dem du im Liegen gesund werden könntest. Früher wurde Menschen mit einem Bandscheibenvorfall tatsächlich geraten, sich ein bis zwei Wochen ins Bett zu legen und abzuwarten. Heute ist das Gegenteil der Fall. Du musst dich so bald wie möglich wieder bewegen, damit deine Muskeln und Knochen nicht schwächer werden und dir am Ende neue Probleme bereiten.


Merke

Beine hoch und ausruhen: Die Stufenlagerung ist am Anfang und bei akuten starken Schmerzen prima, relativ angenehm und effektiv als Erste-Hilfe-Maßnahme, denn die Bandscheiben werden dabei entlastet. Sie ist aber keine Dauerlösung. Du musst nach ein paar Minuten wieder raus und dich bewegen.

Unser Rücken erfordert kontinuierliche

Aufmerksamkeit, damit er uns nicht quält

Wir wissen alle, dass es schwieriger ist, ein Problem zu lösen, als es gar nicht erst entstehen zu lassen. Wie immer im Leben ist alles eine Frage der Einstellung und der Motivation. Mit der falschen Einstellung und mangelnder Motivation ist man in fast allen Bereichen schlecht. Aber wie soll man sich motivieren, wenn man von Schmerzen gepeinigt wird? Wenn du für den Arzt vielleicht nur eine Nummer bist? Ich war Betroffener und gleichzeitig Orthopäde, also ein Spezialist für den Bewegungsapparat. Ich musste einen schweren und steinigen Weg gehen. Aber ich hatte ein Ziel: endlich wieder schmerzfrei sein und das ohne Operation. Dieses Ziel habe ich erreicht, auch wenn es den einen oder anderen Rückschlag zwischendurch gegeben hat. „Wenn der Orthopäde Rücken hat“ ist meine Geschichte. Sie wird fortlaufend weitergeschrieben, denn unser Rücken erfordert kontinuierliche Aufmerksamkeit, damit er nicht wieder anfängt, uns zu quälen.

In Patientengesprächen höre ich oft: „Herr Doktor, Sie wissen gar nicht, welch höllische Schmerzen ich habe!“ In diesen Momenten würde ich gerne verbal ausholen und meine Rückenschmerzgeschichte erzählen. Aber ich halte mich zurück. Ich ziehe es gewöhnlich vor, die Patienten nicht mit meiner persönlichen Geschichte zu belästigen, auch wenn sie daraus wichtige Informationen für beziehungsweise gegen ihre Leiden gewinnen könnten. Ich bin auch nicht der Bergdoktor, der einen kleinen Patientenstamm und viel Zeit hat, um mit seinen Patienten medizinische und vielleicht auch private Dinge zu besprechen. Ich bin Kassenarzt und eine Kassenarztpraxis ist ein Wirtschaftsunternehmen. Die Kunst des Kassenarztes besteht darin, bei allen Reglementierungen immer noch ein perfektes Zeitmanagement zu fahren und dem Patienten zu helfen. Wenn nun der Helfer selbst zum Hilflosen wird, spitzt sich die Lage zu.

Die fleischlastige Hausmannskost mit

viel Leistungssport kompensiert

Meine eigene Rückengeschichte begann schon lange vor dem anfangs geschilderten Drama. Im Jahre 1974 erblickte ich in Dortmund das Licht der Welt und verhagelte meiner Mutter die Rosenmontagsfolge von Ekel Alfred in „Ein Herz und eine Seele“. Dafür wurde sie aber mit einem großen Bürschchen belohnt. Meinem Vater fiel sofort nach meiner Geburt auf, dass sein erster Sohn mit seinen Maßen etwas Besonderes war: Ich war 59 Zentimeter lang und brachte 5000 Gramm auf die Waage. Meine Eltern hatten nie das Gefühl, einen Säugling im Arm zu halten. Ich war eher ein etwas zu klein geratenes Kindergartenkind in Strampelhosen. Die vorzügliche und zugegebenermaßen fleischlastige Hausmannskost meiner Mutter trug dazu bei, dass ich mich körperlich gut entwickeln konnte. Damit der Junge die ganze mit der Nahrung aufgenommene Energie nicht direkt in Fettgewebe umwandeln konnte, achteten meine Eltern schon früh auf sportliche Betätigung. So musste ich als talentloser Verteidiger einige Jahre eine Fußballmannschaft ohne große Ambitionen unterstützen. Zum Glück entdeckte mein Sportlehrer bald mein Talent für Volleyball. Das lag mir mehr. Ich wurde Spielführer in der Schul- und in einer Vereinsmannschaft. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten.

Warum ich dir das erzähle? Weil ich in meiner Kindheit und Jugend nie über Rückenschmerzen geklagt habe. Ich hatte auch keine, wie mein Vater mir jetzt noch mal versicherte. Dafür bewegte ich mich. Und wie! Dank Leistungssport hatte ich mit 14 Jahren einen Körper, hinter dem sich ein Erwachsener verstecken konnte. Anders als heute gab es keine digitalen Medien. Wir hatten nur uns und konnten unsere (überschüssige) Energie beim Sport rauslassen. Sport und Bewegung waren in dieser Zeit immer ein Thema. Mit zunehmendem Alter änderten sich bei mir nur die Interessen. Mit 18 wollte ich lieber tanzen als Volleyball spielen. Dabei konnte ich mich nicht nur bewegen, sondern als schüchterner Junge auch flirten, was die Motivation stärkte. Ja, auch der stärkste Kerl kann elegant übers Parkett gleiten, hoffte ich zumindest.

Dann begann mein Studium – und damit auch der erste körperliche Verfall. Denn das Studium der Humanmedizin insbesondere an der Ruhr-Universität Bochum war kein Zuckerschlecken. Viel zu viele Studenten auf zu wenig Studienplätzen bedeutete: Es wurde gut gesiebt.

Wenn du nicht wirklich gelernt hast, bestand immer die Gefahr, dass du noch zwei Semester hinten dranhängen musst. Die Angst davor hat mich angetrieben. Ich habe mich durchgekämpft, um alles auf Anhieb und möglichst gut zu schaffen. Viel Lernen ist da natürlich hilfreich, heißt aber auch: Ich hatte wenig Zeit für Sport und fürs weibliche Geschlecht, das ich als Tänzer zu schätzen gelernt hatte.

Orthopäden im Krankenhaus mussten

groß und kräftig sein – da passte ich rein

Wenn das Studium einen großen Teil des Lebens ausmacht, ist es nicht verwunderlich, dass sich dabei eine Beziehung zu einer Mitstudentin entwickelt. Glücklicherweise war meine Auserwählte auch sportlich. Wir gingen regelmäßig zusammen zum Sport. Ich hielt meine Figur. Rückenschmerz war ein Fremdwort für mich. Das änderte sich erst im Praktischen Jahr (PJ genannt). In diesem Abschnitt des Medizinstudiums müssen angehende Ärzte in einer Uniklinik arbeiten. Ich hatte einen Job als studentische Hilfskraft bei einem orthopädischen Oberarzt namens Joachim im Universitätsklinikum St. JosefHospital Bochum. Da lag es nahe, in die Orthopädie zu gehen. Denn wenn es nach meinem alten Professor und Klinikchef Jürgen geht, ist die Orthopädie die Königsdisziplin unter den medizinischen Fächern. Mich lockte auch noch etwas anderes: Um die Jahrtausendwende mussten Orthopäden in diesem Krankenhaus nicht nur fachlich qualifiziert sein, sondern auch groß und kräftig. Da passte ich rein. Ich landete im damaligen deutschen Top-Krankenhaus für Rückenschmerzen auf einer der wenigen Assistenzarztstellen und war mächtig stolz. Auch sonst lief es gut. Ich schrieb meine Doktorarbeit, war frischgebackener Arzt, verheiratet und bald Vater meiner bezaubernden Wunschtochter Marlene.

Aber ich hatte auch ein Problem: Anders als die meisten meiner damaligen Kollegen kam ich nicht aus einer Arztfamilie, sondern wollte meine eigene Arztdynastie erst aufbauen. Um den Lebensunterhalt für meine Familie und mich zu sichern, musste ich viele Dienste im Monat machen. Ich spreche von Diensten, die anfangs noch bis zu 36 Stunden am Stück dauerten – im schlimmsten Fall ohne Schlaf. Das Grundgehalt eines Anfängerarztes war damals so niedrig, dass man problemlos einen Wohnberechtigungsschein erhielt.

Schlank dank Stress, aber die ersten

Rückenschmerzen schlichen sich ein

Mit den Diensten konnte ich mir ein bisschen Luxus gönnen, wobei meine Ansprüche bescheiden waren. Eine freie Nacht zum Beispiel, die ich mit meiner nachtaktiven Tochter verbrachte. Zu den Klängen der Münchener Freiheit („Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein“) hatte ich die Aufgabe, mit ihr umherzulaufen und sie in den Schlaf zu wiegen. Denn ich wollte meine Vaterrolle natürlich auch ausleben. Wenig Schlaf, wenig Sport, viel Arbeit, wenig Personal, unbezahlte Überstunden, stundenlange Operationen und keine geregelten Mahlzeiten. Bald kannte ich alle Dönerexpressfahrer der Stadt mit Namen. Kleiner Pluspunkt: Der Stress hielt mich schlank. Mein Körpergewicht blieb stabil. Dafür nahm ich eine andere Entwicklung nur sehr langsam wahr: Meine ersten eigenen Rückenschmerzen schlichen sich ein.

Zuerst schob ich das auf die Röntgenschürze aus Blei, die ich bei Operationen mehrere Stunden tragen musste. Dann meldete sich der Rücken auch in der Freizeit. Und was macht ein angehender Orthopäde in so einer Situation? Er ignoriert die Schmerzen, denn schließlich ist er ein Kerl wie ein Baumstamm. Schmerz bedeutet Schwäche. Und Schwäche kann man sich in einer orthopädischen Universitätsklinik ebenso wenig wie im Privatleben leisten, dachte ich damals zumindest.

Glücklicherweise kannte ich die Ursache meiner Beschwerden und konnte einen Bandscheibenvorfall ausschließen. Denn dafür fehlten die Symptome. Ich wusste, dass schon damals einiges zusammenkam. Zu wenig Sport, zu viel Stress und zu ungesunde Ernährung. Trotzdem wollte ich meine Situation wohl nicht ändern. Sollte ich die private Zeit mit meiner Familie reduzieren, um ins Fitnessstudio zu gehen? Meine Frau in der Freizeit mit dem Kind allein lassen? Nein, das wollte ich nicht. Da ich an meiner beruflichen Situation nichts ändern konnte, gingen drei weitere Jahre ins Land, ohne dass ich etwas für meinen Rücken tat. Dann kam unsere Tochter in den Kindergarten. Ich traf andere Väter, die zunehmend körperlich verfielen. Manchen fehlte der Drive, wieder loszulegen. Andere hatten sich ihrem Schicksal ergeben und gar nicht mehr den Anspruch, wieder in Form zu kommen.

Der Rücken mag einfach keine

Beschleunigung von null auf hundert

Ich motivierte die Vätertruppe zum Badminton und spürte sofort wieder mei nen „Killerinstinkt“. Den unbändigen Willen zu siegen, der mich schon damals beim Volleyballspiel angetrieben hatte. Wenn, dann auch richtig. Verlieren gibt’s bei mir erst, wenn das Spiel zu Ende ist. Ansonsten geht’s mit Vollgas in den Kampf. Leider war ich nicht mehr 18, sondern 30. Meine Übermotivation hatte sofort Folgen: Der Rücken gab keine Ruhe, sondern nervte mich weiter mit Schmerzen. Er mag einfach keine Beschleunigung von null auf hundert. Während ich meinen Patienten schon damals einen behutsamen Wiedereinstieg in den Sport empfahl, galt das wohl für mich nicht.

Ich hätte mich als Verlierer gefühlt, wenn ich meine neu gewonnene sport-liche Freiheit schnell wieder aufgegeben hätte. So musste ich lernen, meinen Körper langsam wieder an seine maximale Belastbarkeit heranzuführen. Irgendwann konnte ich schmerzfrei spielen – und (fast) alle meine Gegner gnadenlos besiegen. Dann wurde das zweite Kind geboren, mein wunderbarer Sohn Max. Für mich galt wieder: Familie vor Sport. Doch diesmal wollte ich nicht ganz aufhören, sondern nur etwas weniger trainieren. Mit zwei Kindern war es auch an der Zeit, sich nach einer größeren Unterkunft umzuschauen. Gesucht und gefunden – im selben Jahr zogen wir ins Eigenheim. Was auf der einen Seite schön ist, bringt auf der anderen Seite zusätzliche finanzielle Belastungen mit sich. Meine Frau blieb für die Kinder zu Hause. Ein Gehalt fiel weg. Wir brauchten zwei Autos. Ich musste wieder Nachtdienste machen.

Rückenschmerzen haben auch immer

etwas mit Lebensumständen zu tun

Damit du mich nicht falsch verstehst: Ich möchte nicht auf hohem Niveau klagen, aber wer glaubt, dass man als junger Krankenhausarzt reich ist, der irrt in den meisten Fällen. Ich erzähle dir meine Geschichte so ausführlich, weil sie zeigt, wie Rückenschmerzen mit den Lebensumständen eines Menschen zusammenhängen. Das ist bei mir nicht anders als bei dir oder bei meinen Patienten. Der alte Rhythmus schlich sich wieder ein, diesmal mit mehr medizinischer Verantwortung. Pizza um Mitternacht in der Klinik, zu Hause Nächte mit Baby im Arm. Mittlerweile operierte ich eigenständig an der Wirbelsäule und war erfahren, was das Setzen von rückenmarksnahen Spritzen anging. Ich behandelte Patienten aus ganz Europa – und freute mich über die Erfolge, die wir minimalinvasiv erreichen konnten. Der Satz meines Klinikdirektors bestimmte mein ärztliches Handeln: „Wir Orthopäden operieren gut und gerne. Aber wenn’s geht, müssen wir eine Operation vermeiden.“

Ich hatte aus meinen persönlichen Fehlern gelernt und nutzte jede freie Minute, um Rückenschmerzen zu verhindern. Ich empfand es als Glück, dass in unmittelbarer Nachbarschaft ein Fitnessstudio eröffnete. Um Geld zu sparen, bot ich dort einmal in der Woche eine Sprechstunde an. Im Gegenzug bekam ich die Schlüssel zum Studio und konnte trainieren, wann immer ich wollte. Erfreulicher Nebeneffekt: Außerhalb des Krankenhauses konnte ich mir einen Namen als Sportarzt machen.

Trotz 24-Stunden-Diensten arbeitete ich freiwillig in der orthopädischen Praxis bei meinem Freund Andreas in Wattenscheid. Warum? In der Klinik behandelt man nur strukturelle Veränderungen an der Wirbelsäule, in einer Praxis aber meist funktionelle Beschwerden. Ich wollte beides können und holte mir wieder zusätzlichen Stress ins Haus, statt mal auszuspannen.

Unter Druck tat der Rücken weh,

obwohl ich gut trainiert und gesund war

Ich genoss die Rushhour meines Lebens, liebte meine Frau, meinen Beruf, meine Familie, konnte aber wohl nicht allem gleichzeitig gerecht werden. Als unsere Ehe kriselte, wusste ich nicht, was ich falsch machte, und war überzeugt, dass es nicht an mir liegt. Nach langer Zeit kehrten die Rückenschmerzen zurück, obwohl ich gut in Form war. Die Muskeln waren gleichmäßig und ausreichend trainiert. Ich hatte mein Normalgewicht. Es gab keinen Hinweis auf eine strukturelle Veränderung wie einen Bandscheibenvorfall. Dennoch tat der Rücken weh, wenn ich unter Druck stand.

Diesmal wollte ich nicht den gleichen Fehler machen und die Warnsignale meines Körpers wieder ignorieren. So fasste ich den Entschluss, mich beruflich zu verändern und als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in die Niederlassung zu gehen. Als Oberarzt im Klinikum hätte ich weiter Nacht- und Wochenenddienste schieben und immer in Bereitschaft sein müssen. Das schien mir auf einmal nicht mehr erstrebenswert. Außerdem sah ich die Chance, meine Ehe zu retten, indem ich weniger arbeitete.

Es kam aber erst mal anders. Da kein Kassenarztsitz frei war, musste ich als Assistenzarzt in einer großen orthopädischen Praxis in Bochum anfangen. Ich legte mich mächtig ins Zeug, um möglichst schnell Teilhaber zu werden. Mehr Zeit für die Familie? Fehlanzeige. Stattdessen besuchte ich Weiterbildungen in ganz Deutschland und war noch weniger zu Hause. Je weiter ich mich von zu Hause entfernte, desto anfälliger wurde ich wohl für Versuchungen. Meine neue Beziehung war zwar für den Moment schön, belastete mich aber auf Dauer und hielt daher nicht lange. Ich litt unter Gewissensbissen, weil ich die Ideale einer harmonischen und liebevollen Ehe, wie ich sie von meinen Eltern kannte, nicht aufrechthalten konnte. Mein Rücken meldete sich zurück. Anfangs unterschwellig, dann aber eindeutig.

Eine Trennung, die die Kinder ohne seelischen Schaden überstehen sollten, meine finanziellen Verpflichtungen, viel Arbeit und viel Stress bestimmten die nächste Zeit. In dieser Phase war ich Stammgast am Fast-Food-Drive-in-Schalter. Für Sport blieb leider keine Minute, sagte ich mir, denn im Erfinden von Ausreden war und bin ich immer noch gut. Körperliches Training, so rechtfertigte ich meine Untätigkeit vor mir selbst, stand immerhin täglich auf dem Programm. Das war allerdings recht einseitig: Ich renkte mehrmals am Tag meine Patienten ein. Mein Leistungspensum hing von deren Körpergewicht ab.

Ein Foto lieferte den Beweis: Ich war im

Vergleich zu früher nicht mehr in Shape

Eines Tages hielt meine Tochter mir ein älteres Foto vor und erklärte, was sich nicht bestreiten ließ: Ich war im Vergleich zu früher nicht mehr optimal in Shape. Das wurmte mich. Schließlich war ich immer sportlich und habe einen Ruf zu verteidigen. Auch als Sportmediziner am Olympiastützpunkt Bochum-Wattenscheid wollte ich das nicht auf mir sitzen lassen. Ich legte wieder los. Ging ins Fitnessstudio, trainierte zu Hause und ließ auch sonst keine Gelegenheit für körperliche Betätigungen aus. Ob ich deshalb einer meiner Lieblingspatientinnen ins Auge fiel? Ich weiß es nicht. Es dauerte jedenfalls nicht lange, bis Melanie und ich ein Paar wurden. Es war wie so oft bei mir: Mit der neuen Patchworkfamilie lief es zwar recht gut, doch mein Stress ließ deshalb nicht nach, wie mein Rücken mir ausgerechnet im Urlaub signalisierte. Jetzt bloß kein Spielverderber sein, dachte ich. Schmerzmittel rein und weitermachen. Einen Tag später passierte das, was ich dir am Anfang dieses Buchs schon erzählt habe.

Wenn der Orthopäde Rücken hat

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