Читать книгу Die Ernährungs-Docs - Diabetes heilen - Dr. med. Matthias Riedl - Страница 10
ОглавлениеErnährungstherapie statt Insulin
Neueste Studien lassen den Schluss zu: Diabetes ist heilbar. Damit jeder Betroffene seinen Lebensstil danach ausrichten kann, sollte man mehr wissen als die Forschungsergebnisse.Was muss passieren, damit Diabetes-Patienten von wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren können? Ernährungs-Doc Matthias Riedl klärt auf.
Diabetes ist heilbar! Was bedeutet diese Nachricht?
Erst einmal ist es eine sehr gute Nachricht, die jedem Typ-2-Diabetiker berechtigte Hoffnungen machen darf. Die Heilungschancen liegen nach neueren Studien bei fast 90 Prozent. Insulin kann häufig wieder abgesetzt oder die Gabe auf Jahrzehnte hinausgezögert werden. In vielen Fällen lässt sich die Krankheit heilen oder durch entsprechende Prophylaxe sogar im Vorfeld verhindern. Doch für die Patienten ist es nicht einfach, die richtige Hilfe zum richtigen Zeitpunkt zu finden. In der Regel müssen die Betroffenen sich selbst helfen. Das kann und sollte auch jeder tun.
Was genau hat die Vermutung bestätigt, dass Diabetes Typ 2 doch heilbar ist?
Zum einen gibt es immer mehr neue Berichte über einzelne Patienten, die mithilfe der Ernährungsmedizin geheilt werden konnten. Das hat diese Form der Diabetes-Therapie enorm befruchtet. Zum anderen räumen Forscher in aktuellen Studien mit dem alten Vorurteil auf, dass es eine Seltenheit ist, wenn Diabetes-Symptome sich bessern oder ein Patient ganz gesund wird. Zum Beispiel zeigte zuletzt eine klinische Studie über die Diabetes-Remission („Diabetes Remission Clinical Trial“), dass ein intensives betreutes Abnehmprogramm sehr viel effektiver ist als eine normale Betreuung beim Hausarzt.
Wie gingen die Forscher dabei vor?
Dafür wurden 298 Patienten drei bis fünf Monate lang entweder beim Hausarzt oder in einem intensiven Abnehmprogramm betreut. Das Ergebnis: Fast die Hälfte derjenigen, die betreut abnehmen konnten, erreichte deutliche Verbesserungen der Symptome, während die Hausarztbetreuung nur bei vier Prozent erkennbar anschlug. Als Fazit kann man festhalten: Eine Ernährungsumstellung mit Gewichtsreduzierung bringt prozentual gesehen zehnmal mehr.
Gilt das für jeden Diabetes-Patienten, unabhängig vom Ausgangsgewicht?
Nein. Beim Blick auf die Details fiel auf, dass es insbesondere auf die Höhe der Gewichtsreduktion ankommt. Wer weniger als sieben Kilo abnimmt, verringert seine Chancen auf magere sieben Prozent, also nicht viel mehr als bei einer herkömmlichen Behandlung. Wer hingegen ein Minus von mehr als 15 Kilo verbuchen kann, steigert die sogenannte Remissionswahrscheinlichkeit, also die Chance, dass die Symptome sich verbessern, auf 86 Prozent. Schon im Jahr 2013 konnte Professor Roy Taylor von der Universität Newcastle in einer kleinen Studie zeigen, dass sich die Verfettung der Bauchspeicheldrüse und die entsprechende Insulinreaktion durch eine radikale Ernährungsumstellung in zwei Monaten vollkommen normalisieren können.
Wie sieht es bei der Vorbeugung aus?
Die weltweit erste Studie zum Thema Diabetes-Prävention war eine Studie aus China. Sie begann bereits 1986 mit 577 erwachsenen Probanden, die einen gestörten Nüchternblutzuckerwert hatten. Ein Teil der Gruppe machte Diät, ein anderer Teil setzte auf Bewegung, eine weitere Untergruppe kombinierte beides, eine Kontrollgruppe unternahm gar nichts. Nach sechs Jahren konnten die chinesischen Wissenschaftler feststellen, dass das Diabetes-Risiko in der Diätgruppe um 31, in der Bewegungsgruppe um 46 und in der kombinierten Behandlungsgruppe um 42 Prozent gegenüber der Kontrollgruppe reduziert war. Diese und andere Studien belegten einmal mehr: Diabetes ist keine Einbahnstraße mehr und sollte so früh wie möglich mit lebensstilverändernden Maßnahmen behandelt werden.
Warum werden diese Erkenntnisse bisher nur wenig genutzt?
Das Wissen allein hilft leider nicht. Die Patienten brauchen praxistaugliche Möglichkeiten, die Informationen umzusetzen. Die deutschen Diabetes-Praxen werden von den Kassen finanziell abgestraft, wenn sie die modernen gewichtssparenden Medikamente einsetzen oder eine notwendige Ernährungsumstellung mit Gewichtsreduktion in den Mittelpunkt der Behandlung stellen. Die meisten Diabetiker in Deutschland erhalten keine Ernährungstherapie, sondern zu früh Insulin. Mit fatalen Folgen: Weil Insulin dick macht, wird eine tödliche Gewichtsspirale in Gang gesetzt, die das Leben verkürzt.
Woran scheitern Ernährungsprogramme?
Bei uns steht ein entsprechendes Programm mit Schulungsmaßnahmen nur Patienten zur Verfügung, die bereits an Diabetes erkrankt sind. In der deutschen Diabetes-Therapie spielt die Gewichtsoptimierung leider keine große Rolle. Im sogenannten Disease-Management-Programm, mit dem Betroffene bei chronischen Krankheiten lernen, sich selbst an der Behandlung zu beteiligen, wird das Gewicht zwar abgefragt, doch es fehlen konkrete Ziele, wie die Patienten ihr Übergewicht loswerden können. Die Ernährungstherapie beschränkt sich meist darauf, dass die Diabetiker lernen, den Kohlenhydratgehalt ihrer Nahrung in Berechnungseinheiten (BE) umzurechnen. Abnehmen ist kein Qualitätsmerkmal für eine gelungene Therapie.
Was müsste sich ändern?
Es gibt bessere Schulungen, zum Beispiel die MEDIAS-Schulungen. Die Abkürzung steht für „Mehr Diabetes Selbstmanagement für Typ 2“. Dieses Programm geht über die üblichen Schulungen hinaus und müsste häufiger angewendet werden. Außerdem könnte bereits ein Prädiabetes behandelt werden, um die Krankheit zu verhindern. Denn im Anfangsstadium lässt sich am effektivsten vorbeugen. Trotzdem erhalten zum Beispiel Patienten mit einem metabolischen Syndrom, die in hohem Maße gefährdet sind, keine Schulung, obwohl sie sie dringend haben müssten. Es ist leider so, dass den meisten Typ-2-Diabetikern in Deutschland die Ernährungstherapie vorenthalten wird.
Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin
Mittlerweile gibt es in Deutschland eine Zertifizierung für Schwerpunktpraxen Ernährungsmedizin durch den Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM). Bundesweit gibt es 80 solcher Praxen, die zunehmend von den Krankenkassen akzeptiert werden. In einigen Regionen gibt es schon Einzelvereinbarungen mit Krankenkassen. Adressen in Ihrer Nähe finden Sie unter www.bdem.de.
Wie sieht eine geeignete Therapie aus?
Sie beginnt mit einer Ernährungsanalyse als Basis. Dabei sollte es nicht nur um die Bestandteile der täglichen Ernährung vom Eiweiß bis zu den Spurenelementen gehen, sondern auch um die verzehrten Mengen und um die Frage, wie häufig jemand isst. Oft kommt dabei ein weitverbreiteter Ernährungsfehler ans Licht: das Snacken. Es führt nicht nur zu Übergewicht, sondern belastet die Bauchspeicheldrüse zusätzlich. Nach der Auswertung aller Ergebnisse machen Ärzte und Ernährungsexperten individuelle Coachings über einen Zeitraum von mehreren Wochen, in denen der Patient die Neuerungen ausprobiert. Wie eine optimale Ernährung bei Diabetes aussieht und wie die Umstellung gelingen kann, erfahren Sie in diesem Buch.
Wie viele Veränderungen sind erfahrungsgemäß möglich?
Nicht zu viele. Im medicum Hamburg gehen wir nach dem 20:80-Prinzip vor. Das heißt, dass höchstens 20 Prozent der Ernährungsgewohnheiten angetastet werden und 80 Prozent erhalten bleiben. Es werden also nur die wichtigsten Fehler durch neues Verhalten ersetzt. Dadurch haben die Patienten den Eindruck, dass sich eigentlich nur wenig in ihrer Ernährung verändert hat. Das bringt sehr viel mehr als die typischen Diäten, die radikale Änderungen erfordern und deshalb schnell scheitern. Im Schnitt verlieren die Patienten bei dieser Maßnahme in den ersten beiden Monaten fünf Kilo und fühlen sich besser und fitter.
Welche Fehler werden häufig gemacht?
Statistisch gesehen essen die Deutschen zu wenig Gemüse, Nüsse und Pilze und zu viele Kohlenhydrate aus Kartoffeln, Brot und Co. Dabei ist es offensichtlich, dass bei der Kohlenhydratstoffwechselstörung Diabetes gerade Kohlenhydrate das System überfordern. Auch schafft es kaum jemand, die richtige Menge Eiweiß zu essen. Die empfohlene Proteinaufnahme von 1 bis 1,2 g pro Kilo Körpergewicht sollte auf zwei bis drei Mahlzeiten verteilt werden. Diese Empfehlung wird hierzulande weder von Männern noch von Frauen erreicht. Vor allem Männer essen zu häufig zu viel Eiweiß auf einmal.
Wann ist der beste Zeitpunkt für eine Ernährungstherapie?
Die Heilungs- und Verbesserungschancen korrelieren mit der Dauer der Erkrankung: Je länger nichts getan wird, desto schwieriger wird es. Wer mehr als zwei Jahre Diabetes hat, erreicht sein Ziel nicht so schnell wie jemand, bei dem die Krankheit sofort diagnostiziert wird. Neben der Gewichtsreduktion ist der Zeitpunkt der entscheidende Erfolgsfaktor.
Was raten Sie Typ-2-Diabetikern?
Jeder Typ-2-Diabetiker sollte seine Behandlung nicht nur dem Arzt überlassen, sondern sie auch selbst in die Hand nehmen, auf seine Ernährung achten und bei Bedarf die neuen Medikamente verlangen. Wer mit diesem Buch nicht zum Ziel kommt, sollte sich eine Zweitmeinung in einer Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin einholen.
Ärztliche Kontrolle
Auch wenn Sie Ihre Ernährung nach unseren Ratschlägen umstellen, sollten Sie in jedem Fall die Kontrollen beim Hausarzt oder Diabetologen wahrnehmen. Er checkt wichtige Blutwerte, prüft Sehvermögen, Nerven, Füße und Gefäße. Diese umfassende Bestandsaufnahme zur Gesundheit von Organen und Herz-Kreislauf-System gibt Ihnen die Chance, so früh wie möglich gegen sich entwickelnde Schäden anzugehen.