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Hochsensibilität - Eine genetische Disposition

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Es gibt noch nicht viel wirklich wissenschaftliche Forschung zum Thema Hochsensibilität. Aber in den letzten Jahren wurde einiges an Gen-Forschung betrieben, das darauf schließen lässt, dass Hochsensibilität viel mehr als ein psychisches Phänomen ist, sondern handfeste körperliche Ursachen hat. Zum Beispiel haben Forscher der Schmerzklinik Kiel herausgefunden, dass Migräne auf zwei genetischen Komponenten beruht. Ein Gen macht, dass das Gehirn von Migräne-Patienten aktiver ist, das andere, dass die Energieversorgung im Gehirn schwächer ist als beim Bevölkerungsdurchschnitt. Besonders das erste Gen ist für das Thema Hochsensibilität äußerst interessant. Prof. Dr. Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel schreibt dazu:

Die gefundene genetische Variante auf Chromosom 8 steuert über die in der Nachbarschaft liegenden Gene PGCP und MT-DH die Menge des Nervenüberträgerstoffes Glutamat in den Nervenübergängen. Glutamat aktiviert wichtige Nervenfunktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Konzentration und Wahrnehmung. 1

Betroffene [dieser genetischen Variante] charakterisieren sich durch eine hohe Aufmerksamkeitsleistung. Sie sind in der Lage, Reize sehr genau zu differenzieren. [...] Auch gewöhnen sie sich nicht an wiederholte Reizdarbietungen, sondern bleiben auf wiederkehrende Reize konzentriert. Sie charakterisieren sich durch eine besonders hohe Wahrnehmungsempfindlichkeit und hohe Aktivierungsbereitschaft ihres Nervensystems. Durch einen u.a. genetisch bedingten hohen Glutamatspiegel scheint es möglich, dass die Übertragung der Nervenimpulse über den sog. synaptischen Spalt zwischen den Nerven sehr schnell, nachhaltig und intensiv erfolgt. 2

Das Gehirn von Migränepatienten reagiert aktiver. Die Größe der Spannungsverschiebung [im EEG] ist deutlich größer als bei anderen Menschen. Während bei Gesunden die Spannungsverschiebung nach mehreren Messungen zunehmend kleiner wird (=habituiert), bleibt sie bei Migränepatienten hoch. Diese Messungen sind ein wichtiger Beleg dafür, dass das Gehirn von Migränepatienten offensichtlich besonders aktiv auf Reize reagiert [...] Das Gehirn kann anscheinend nicht abschalten und steht im wahrsten Sinne des Wortes unter ‘Hochspannung’! Der Energieverbrauch in den Nervenzellen ist zu hoch! Die Energie-Pumpen können nicht genügend Energie nachliefern. Folge: Die Nervenfunktion bricht zusammen. 3

Somit kann angenommen werden, dass in der Entstehung der Migräne u.a. eine Hyperaktivität von Nervenzellen und ein Energiedefizit im Gehirn besteht. Hier schließt sich der Kreis zur modernen Genforschung, die eine genetische Besonderheit in der Energieversorgung von Nervenzellen von Migränepatienten bestätigt.4

Es wurde also nicht nur eine genetische Variante auf Chromosom 8 gefunden, genau bei dieser Personengruppe ließ sich die erhöhte Hirnaktivität auch im EEG nachmessen! Was auch noch sehr spannend ist: Nach den von Hartmut Göbel zitierten Forschungsergebnissen weisen ca. 20% der Menschen diese genetische Besonderheit auf, was genau dem Prozentsatz entspricht, der auch in der Hochsensibilitätsforschung immer wieder auftaucht.

Die Forscher haben übrigens zwei Migräne-Gene ausgemacht; das eine, hier beschriebene, deckt sich mit der Hochsensibilität, das andere befindet sich auf Chromosom 1 und betrifft den Energiehaushalt der Zellen. Migräne entsteht nur, wenn beides zusammentrifft, sowohl die Hyperaktivität des Gehirns durch den erhöhten Glutamatspiegel aufgrund des Gens auf Chromosom 8, als auch eine schlechte Energieversorgung der Zellen durch das Gen auf Chromosom 1.

Interessanterweise haben ca. 80% der Hochsensiblen, mit denen ich gearbeitet habe, Migräne oder hatten zumindest einmal im Leben eine Migräne-Attacke. Es scheint also tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Hochsensibilität und Migräne zu geben. Aber nicht alle Hochsensiblen leiden auch unter Migräne, da es ja auch vorkommen kann, dass jemand nur Träger des einen Gens ist, nicht aber des anderen.

Die zweite Quelle, auf die ich mich beziehe, stammt von der Hochsensibilitätsforscherin Elaine N. Aron. Auch sie schreibt im Vorwort ihres Buches "Hochsensibilität in der Liebe" über Gene, die zu einer veränderten Steuerung des Botenstoffwechsels im Gehirn hochsensibler Menschen führen. Dadurch sinkt die Reizschwelle und die Verarbeitungstiefe steigt.5

Michael Pluess von der Queen Mary University in London forscht viel darüber, inwiefern Gene eine Rolle bei der Sensibilisierung spielen. Er fand neun Genvarianten, die vor allem mit Botenstoffen wie Serotonin oder Dopamin zu tun haben, wodurch ein Gehirnteil namens Amygdala beeinflusst wird. Die Amygdala ist daran beteiligt, Emotionen zu verarbeiten, und entscheidet darüber, ob wir etwas als stressig einstufen.6 Bereits in früheren Forschungen hatte man herausgefunden, dass frühkindlicher Stress bewirkt, dass viele Menschen auch später sensibler und stressanfälliger sind. Frühkindlicher Stress beeinflusst Gehirnteile, von denen man weiß, dass sie genetisch kontrolliert werden. Pluess hat in seiner Studie an 13.000 Briten gezeigt, dass die Stress-Sensitivität tatsächlich aus einer Interaktion zwischen Kindheit, der Situation als Erwachsener und dem Genotypus entsteht. Genetisch sensible Kinder waren demnach später verletzlicher gegenüber widrigen Umständen, wenn sie in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen waren, während sie weniger verletzlich waren, wenn sie eine gute Kindheit gehabt hatten.7

Pluess fand z.B. auch heraus, dass ein Serotonin-Transport-Gen bei verschiedenen Individuen in einer längeren und einer kürzeren Variante auftreten kann. Die Menschen, die die kürzere Genvariante aufwiesen, hatten bei negativen Lebensereignissen eine größere Neigung zu Gefühlsschwankungen und Verletzlichkeit, während sie bei positiven Ereignissen stabiler waren als andere.8

Hier zeigen sich handfeste körperliche Ursachen der Hochsensibilität: Das Gehirn produziert aufgrund diverser Gene mehr Botenstoffe, was dazu führt, dass wir mehr Reize aufnehmen, intensiver darauf reagieren, uns weniger daran gewöhnen können und das, was wir aufnehmen, tiefgehender verarbeiten. Das wäre ja eigentlich von Vorteil, hätte es nicht zur Folge, dass sich der Energieverbrauch des Gehirns erhöht und die Energieversorgung der Nervenzellen dadurch instabil wird, was dann wieder zu einer Anfälligkeit für Reizüberflutung bis hin zu Migräne-Attacken führt. Ohne diesen Nachteil hätten sich diese Gene womöglich in der gesamten Menschheit durchgesetzt. Dadurch, dass ein Teil der Menschen diese Gene trägt, kann die Menschheit insgesamt dennoch von den Eigenschaften profitieren, ohne dass alle von deren Nachteilen betroffen sind.

Aufgrund dieser Forschungsergebnisse ist mein Verständnis von Hochsensibilität, dass sich hochsensible Menschen, was ihre Hirnaktivität betrifft, in einem Grenzbereich des materiell umsetzbaren bewegen. So gesehen sind wir also Grenzgänger des Denkens und Fühlens. Was das genau für das Thema Nahrungsergänzung bedeutet, werde ich im nächsten Abschnitt genauer erklären, denn dies ist wichtig, um zu verstehen, was ich warum und in welcher Reihenfolge empfehle.

Nahrungsergänzung für hochsensible Menschen

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