Читать книгу Nie wieder Angst von Dr. Norbert Preetz - Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Norbert Preetz - Страница 17
Оглавление2.2 Kino-Phobietechnik – Angst weg in zehn Minuten. So verändern Sie Ihren inneren Angstfilm
Warum Ihr Kopfkino Angst auslöst und wie die Kinotechnik helfen kann
Stellen Sie sich ein fünf Meter langes und 30 Zentimeter breites, stabiles Brett vor, das vor Ihnen auf dem Boden liegt. Es ist breit genug, dass es den meisten Menschen selbst mit geschlossenen Augen mühelos gelingt, darüber hinwegzulaufen. Stellen Sie sich nun vor, dass das Brett eine tiefe Schlucht überbrückt. Jetzt wird es für die meisten Menschen völlig unmöglich sein, über dieses Brett zu laufen, weil sie vor Angst unfähig sind, auch nur einen Schritt daraufzusetzen. Wie ist das möglich? Es handelt sich doch um dasselbe Brett mit derselben Länge, Breite und Dicke.
Die Antwort lautet: Das Horrorszenario in Ihrem Kopf lähmt Sie vor Angst. Allein der Gedanke oder die Vorstellung, es könnte etwas Schlimmes passieren, lässt den Körper so reagieren, als ob er sich in einer wirklich gefährlichen Situation befindet. Die bewusste oder unbewusste Vorstellung einer Bedrohung bewirkt denselben Adrenalinausstoß wie eine real gefährliche Situation. Die Folgen sind vor allem Angst, Anspannung der Muskeln, Herzrasen, steigender Blutdruck, Schweißausbrüche, Atemnot.
Phobische Menschen werden häufig von einem inneren Horrorfilm beherrscht, der sich verselbstständigt hat. Er läuft oft unbewusst ab und löst automatisch eine emotionale und körperliche Angstreaktion aus. Wenn es Ihnen gelingt, Ihr Kopfkino zu verändern, löschen Sie die konditionierte Angstreaktion bzw. die Verknüpfung von Auslösesituation und Angst. Hier genau setzt die Kinotechnik zur Phobiebehandlung an. Mit ihrer Hilfe verändern Sie den Angstfilm im Kopf und löschen die emotionalen und körperlichen Angstreaktionen.
Drei einfache Behandlungsschritte – so verändern Sie Ihren mentalen Angstfilm
Behandlungsschritt 1: Situation von außen betrachten (dissoziiert)
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Kino und schauen sich Ihren Angstfilm an. Stellen Sie sich nun vor, Sie sitzen auf einem der Ränge und beobachten sich von oben, wie Sie in einer der vorderen Reihen sitzen und sich den Angstfilm anschauen. Sie stellen sich also nicht vor, selbst in der Angstsituation zu sein, sondern Sie beobachten sich von außen, als wären Sie eine fremde Person. Sie stellen sich bewusst eine außerkörperliche Erfahrung vor, in der Sie sich selbst dabei beobachten, wie Sie sich Ihren Angstfilm anschauen. Auf diese Weise wird die Realität über mehrere Level entfremdet. In der Fachsprache nennt man diese Art des Vorstellens »dissoziiert«. Die Situation wird als Unbeteiligter von außen betrachtet.
Behandlungsschritt 2: Verzerrten Angstfilm entfremdet abspielen lassen (vorwärts, dissoziiert)
In einem zweiten Schritt verändern Sie den Angstfilm fast bis zur Unkenntlichkeit. Dadurch verliert er noch mehr von seinem bedrohlichen Charakter. Der Film wird in Ihrer Vorstellung zum Beispiel zu einem Schwarz-Weiß-Film mit körnigem Bild. Sie vermindern den Kontrast und unterlegen den Film mit merkwürdiger oder unpassender Musik. Sie schneiden ihn in beliebige Szenen, die nun in völlig verkehrter Reihenfolge ruckartig oder auch mit flackerndem Bild abgespielt werden.
Nun lassen Sie diesen so veränderten Film vor Ihrem inneren Auge ablaufen. Er beginnt vor der Stelle, an der Sie mit der Angstsituation konfrontiert werden, also in einer Situation, in der Sie noch vollkommen sicher sind. Dann stellen Sie sich vor, wie Sie sich der kritischen Situation annähern. Nun lassen Sie den Angstfilm vor Ihrem geistigen Auge ablaufen. Sie betrachten also von außen, wie genau das geschieht, wovor Sie am meisten Angst haben: Sie werden von einer riesengroßen Spinne angefallen, befinden sich an einem tiefen Abgrund oder in einem engen, stecken gebliebenen Fahrstuhl. Sie stellen sich genau die Situation vor, die Ihre Angstreaktion auslöst. Sie lassen nun den Film bis zu dem Punkt abspielen, an dem Sie wieder in Sicherheit sind. Dann wird diese Szene als Standbild »eingefroren«.
Behandlungsschritt 3: Angstfilm blitzschnell rückwärts ablaufen lassen (assoziiert)
Jetzt lassen Sie den Film blitzschnell rückwärts ablaufen, so, wie man einen Film im Videorekorder sehr schnell rückwärtsspult. In nur ein bis zwei Sekunden läuft der gesamte Film rückwärts ab. Er beginnt mit dem eingefrorenen Standbild und endet, wenn Sie sich wieder in der sicheren Ausgangsposition befinden. Die hohe Geschwindigkeit ist dabei sehr wichtig.Diesen Vorgang wiederholen Sie noch ein zweites und drittes Mal.
Im Unterschied zum ersten Teil der Phobiebehandlung, in dem der Film sehr stark entstellt wurde, stellen Sie sich nun vor, selbst in der betreffenden Situation zu sein. Sie stellen sich alles real, dreidimensional und in Farbe vor und dass Sie alles mit Ihren eigenen Augen sehen. Diese Art des Vorstellens nennt man »assoziiert«.
Test
Jetzt lassen Sie den Film vorwärts ablaufen und versuchen, die Angst wieder wachzurufen und die Angstreaktion in Ihrem Körper auszulösen. Falls dies immer noch möglich sein sollte, wiederholen Sie die beschriebenen Behandlungsschritte.
Für die Sitzung mit der Kino-Phobietechnik benötigen Sie zehn bis maximal 15 Minuten. Dabei ist es auch nicht notwendig, dass Sie Details der Angst machenden Situation aussprechen. Es reicht, diesen Prozess in der Vorstellung zu durchlaufen. Das gewünschte Ergebnis ist, dass die zuvor Angst auslösende Situation nun keine Angst mehr auslöst. Sie können sich nach wie vor alles detailliert vorstellen, das heißt, Sie haben nichts vergessen. Die Situation hat jedoch ihren Schrecken verloren. Bisweilen ist es auch so, dass es schwierig geworden ist, sich die Situation überhaupt vorzustellen. Es wird häufig beschrieben, dass die Situation »in die Ferne gerückt« sei oder dass man das Interesse an ihr verloren habe. Hier kann wieder das Beispiel mit der Schallplatte bemüht werden. Wenn man mit einem Schraubenzieher eine Schallplatte zerkratzt, kann diese nie mehr auf die gleiche Weise abgespielt werden. Wenn der innere Angstfilm verändert wurde, kann er keine so starken Ängste mehr auslösen wie zuvor.
Fallbeispiel zur Kino-Phobietechnik: Angst beim Autofahren
Frau L. litt, solange sie denken konnte, beim Autofahren an starker Angst. Den Grund der Angst konnte sie nicht benennen. Sie beschrieb lediglich ein unbestimmtes Bedrohungsgefühl und neben der Angst auch eine Verkrampfung des gesamten Körpers sowie das Gefühl, dass ihr die Kehle zugeschnürt wird. Ursprünglich hatte sie vermutet, dass die Angst daher rühre, dass sie möglicherweise anderen Menschen nicht genügend vertraue. Mit dem Erwerb des Führerscheins sei die Angst jedoch nicht verschwunden, sondern unverändert stark geblieben.
In der Sitzung wurde sie aufgefordert sich vorzustellen, dass sie sich beobachtet, wie sie in einem Kino sitzt und den Film »Autofahrt von Frau L.« anschaut. Diese Vorstellung war für sie zunächst sehr beängstigend. Das änderte sich, als sie mittels der Fernsteuerung die Farben verblassen ließ, den Kontrast verminderte, das Bild körnig werden ließ, den Film in veränderter Reihenfolge der Szenen mit einer unpassenden Musik unterlegte und ihn ruckartig ablaufen ließ. Nun war es ihr möglich, sich die Kinoszene einigermaßen entspannt anzusehen. Sie ließ den Film bis zu dem Punkt ablaufen, an dem sie selbst als Handelnde das Fahrzeug wieder sicher verließ. Diese Szene wurde dann als Standbild eingefroren. Frau L. wirkte nun erleichtert und entspannt.
Dann wurde sie aufgefordert, sich die Autofahrt als Handelnde so vorzustellen, dass sie alles real, dreidimensional und in Farbe durch ihre eigenen Augen sehen konnte. Diesen Film ließ sie nun mehrfach in hoher Geschwindigkeit rückwärts bis zur sicheren Ausgangsposition ablaufen, also bis zu dem Punkt, an dem sie noch nicht in das Auto gestiegen war, was ihr dann aber ohne erkennbare Probleme gelang.
Anschließend fragte ich sie, ob sie sich vorstellen könne, jetzt sofort mit einem Auto zu fahren. Zu ihrem eigenen Erstaunen antwortete sie, dass dies wahrscheinlich kein Problem mehr für sie sei. Nach der Testfahrt, die unmittelbar im Anschluss an die Sitzung durchgeführt wurde, berichtete die Patientin, dass sie während der Autofahrt noch etwas aufgeregt war, weil sie nicht wusste, ob die Angst vielleicht doch noch kommen würde. Die eigentliche Angst sei jedoch nicht mehr aufgetreten. Später berichtete sie, dass sich eine beim Autofahren noch bestehende restliche Anspannung erst nach und nach auflöste, als sie nach längerer Zeit die Sicherheit gewann, dass die Angst nicht wiederkommt.
Mehr zum Thema »Angst vor der Angst« erfahren Sie im nächsten Kapitel über die Klopftechnik.