Читать книгу Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann - Ece Temelkuran - Страница 12
7. Kapitel
ОглавлениеMaryam sorgt dafür, dass Amira und Madame Lilla das Lachen auf den Lippen gefriert, und macht sich bereit für einen gnadenlosen Angriff. Kopfschüttelnd stemmt sie die Ellenbogen auf den Tisch, als wolle sie sagen: »So ist das also, ja? Dann spielen Sie aber gefälligst mit offenen Karten!« Nichts vermag sie jetzt noch aufzuhalten. Maryam hat ihr Opfer fest im Blick, mit der Entschlossenheit einer Ameise, die es auf ein Weizenkorn abgesehen hat, dreimal größer als sie selbst.
»Sie sind eine reizende Person, Madame, charmant und geistreich. Ja, das sind Sie, das wissen Sie genauso gut wie wir. Sie sind auch sehr … was mögen die Leute damals über Sie gesagt haben? Verführerisch? Sie haben schon immer alle dazu gebracht, das zu machen, was Sie wollen, nicht wahr? Sie haben ein Talent dafür, Menschen zu manipulieren, das ist uns inzwischen klar geworden. Und jetzt haben Sie also beschlossen, Amira nach Ihrer Pfeife tanzen zu lassen, einfach so zum Spaß, richtig? Wie lange ist es her, Madame Lilla, dass Sie Ihre Macht über Menschen zum letzten Mal ausgetestet haben? Ach ja, natürlich! Sie sind sich doch viel zu fein dafür, darüber Buch zu führen. Macht Ayyub das für Sie? Begräbt er an Ihrer Stelle die Leichen, die Sie lieber vergessen möchten? Was haben Sie überhaupt in Tunesien zu suchen? Wo waren Sie vorher? Welches Spiel haben Sie sich für uns ausgedacht? Glauben Sie wirklich, Sie könnten immer noch dieselben Spiele spielen wie damals, als Sie jung und schön waren? Wer sind Sie, Madame Lilla?!«
Madame Lilla hebt ihre rechte Hand zur Brust, als wolle sie einen Eid ablegen. Schüttelt den Kopf. »Okay, es reicht, seien Sie still«, scheint sie zu sagen. Maryam wippt unter dem Tisch mit einem Bein – ein Rennpferd ohne Jockey, das ungeduldig darauf wartet, endlich lospreschen zu dürfen.
»Meine Damen, es gibt Momente, da können Sie nichts mehr tun, um ihr altes Leben wiederzuerlangen. Je mehr Sie es versuchen, desto tiefer sinken Sie. Ein klitzekleiner Fehler – und Ihr gesamtes Leben ist ruiniert. Alle lachen über Sie. Hinter Ihrem Rücken – aber doch laut genug, dass Sie es mitbekommen – wird schamlos über Sie hergezogen. Sorgte Ihr Anblick einst für Bewunderung, erzeugt er seitdem nur noch Abscheu. Man erklärt Sie zur persona non grata. Wer es dennoch wagt, sich an Ihren Namen zu erinnern, wird von den anderen geschnitten. Nur einige edle Ritter bleiben zurück, vielleicht noch ein paar Vasallen … Doch hat dieses traurige Häuflein den Spöttern so wenig entgegenzusetzen, dass seine Zuneigung Sie eher beschämt. Also verstecken Sie sich vor denen, die Sie lieben. Denn die wenigen Freunde erinnern Sie daran, wie ungerecht Ihr Leben ist, und das ist schmerzhafter als die Einsamkeit. Lieber würden Sie ganz in Vergessenheit geraten, als dass man sich daran erinnert, wie sehr Sie einst geliebt und bewundert wurden. Wer wie ich durch einen Schicksalsschlag in Ungnade fällt, der ist wie ein Segelboot, dessen Geschick allein vom Wind abhängt. Und ich sage Ihnen, meine Damen, manchmal weht kein Wind. Weht jahrelang nicht. Am schlimmsten ist es, von sich selbst enttäuscht zu sein. Der Kummer raubt einem die Kraft. Wenn man jung ist, kommen und gehen solche Dürreperioden. Aber wenn man in der Mitte des Lebens steht …« Sie lächelt Maryam an und neigt sich zu ihr hinüber, als lade sie sie ein, Opfer der gleichen Grausamkeit zu werden. »Meine liebe Maryam, wenn Sie eine alleinstehende Frau sind, die auf die fünfzig zugeht, wenn sich alle Männer in der arabischen Welt die Finger nach Ihnen lecken, wenn alle Frauen Sie beneiden, wenn die Mächtigen dieser Welt Ihnen ihre Geheimnisse zuflüstern und Sie dann plötzlich an Ihrem wundesten Punkt erwischt werden, wenn die geliebte Bühne auf einmal unter Ihnen zusammenbricht … meine liebe Maryam, dann bleibt Ihnen keine andere Wahl, als wegzulaufen, Ihre eigene kleine Bühne zu gründen und um ein paar Zuschauer zu betteln. Sagen Sie ruhig, dass ich über Leichen gegangen bin, dass ich Hunderte Menschen zugrunde gerichtet habe. Sagen Sie, dass ich die Herzloseste aller Herzlosen war. Aber, meine Liebe, ich fühlte mich einsam!«
Während sie redet, spannen sich die Planen eines riesigen Zirkuszelts über unseren Tisch, und ihr Körper umfängt uns drei wie ein Umhang. Doch nach und nach – offenbar hat sie diese Rede nicht vorher einstudiert – wird ihre Stimme schwächer, die Wellen ziehen sich vom Strand zurück. Und wenn sie sie doch einstudiert hat? Ich mag gar nicht daran denken. Eine Strähne löst sich aus ihrem Haarknoten. Das Gefühl einer herannahenden Katastrophe überkommt uns, so skandalös wie eine schief hängende Mona Lisa. Sie ordnet ihr Haar nicht, lässt die Strähne wie eine silberne Wunde vor ihrem Gesicht hängen.
»Es war ein Mann, der meine Bühne zerstörte. Er kam, ging und kehrte nie zurück. Wenn ich ihn jetzt nicht mehr finde … dann, mein Schatz, wird mein Leben eine einzige Lüge gewesen sein. Dann war mein ganzes Leben umsonst.«
»Das reicht!«, sagt Amira. Sie legt ihre Hände auf den Tisch, ohne jemanden von uns anzusehen. Offenbar kann sie sich nicht entscheiden, ob sie sich auf Maryams oder auf Madame Lillas Seite schlagen soll. Wir schweigen. Wie Vögel, die das Ende des Regens abwarten. Unser Schweigen ist jedoch nur die lange Eingangssequenz eines alten ägyptischen Liedes, während der Madame Lilla auf die richtige Stimmung des Publikums wartet, bevor sie die Bühne betritt.
Schließlich fragt sie: »Nun, meine Damen, was sagen Sie? Sind Sie dabei?«
Und Maryam, Kommandantin einer munitionslosen Armee, die nichts mehr zu verlieren hat als ihren Stolz, erwidert: »Wir werden Sie unsere Antwort wissen lassen, Madame Lilla.«
So endet die Nacht, zu deren Beginn nichts auf dieses Ende hingedeutet hat. Und in gewisser Hinsicht hat doch alles darauf hingedeutet.
*
Ich bin mir nicht sicher, ob es daran lag, dass Amira Madame Lilla einen violetten, mit antiken Silbermünzen bestickten Bauchtanzgürtel mitgebracht hatte, oder daran, dass Maryam und ich in unseren eigenen Schatten verschwanden. Klar war nur, dass Amira und Madame Lilla dieses Essen als Solistinnen bestreiten und sich die Bühne teilen würden. Madame Lilla schien Amira allerdings, indem sie ihr den hellsten Teil der Bühne überließ, eine Falle zu stellen. Als wollte sie sie erst Applaus über Applaus einheimsen lassen, nur um den richtigen Augenblick für den eigenen Auftritt abzuwarten. Eine gefährliche List, die Amira nicht erkannte. Die Scheinwerfer, die auf sie gerichtet waren, machten sie blind für die Welt, sie berauschte sich an ihrem Tanz. Sie drehte sich und drehte sich. Madame Lilla stellte die Fragen, sie antwortete. Lachend erzählte sie, mit welchen Jobs sie sich in Europa und Amerika über Wasser gehalten hatte.
»Also, einmal habe ich für Jurastudenten die Angeklagte gespielt. Ja, in den USA gibt es das. Damit die Studenten üben können, engagieren sie Schauspieler als Zeugen oder eben als Angeklagte. Und als Araberin fiel mir natürlich immer die Terroristenrolle zu. Ach nein, sorry, in einem Fall hatte ich ja bloß einem Terroristen Unterschlupf gewährt. Aber was soll’s, einmal Terrorist, immer Terrorist.«
Maryam und ich lächelten gezwungen, aber Madame Lilla legte Kohle nach, um das Feuer am Brennen zu halten. »Herrje! Und was war Ihre interessanteste Anstellung, Amira?«
»Die interessanteste? … Ach ja, natürlich! Da gab es so eine seltsame Firma in Spanien. Stellen Sie sich vor, ein Mann zerstört Ihr Leben. Dann gehen Sie zu dieser Firma, und die sorgt dafür, dass das Leben dieses Mannes genauso zerstört wird. Ein privates Racheunternehmen … Tja, alles andere waren irgendwelche Putzjobs.«
»Ich bewundere Sie, Amira. Das sind wirklich unschätzbar wertvolle Erfahrungen. Aber was ist mit dem Tanzen? Haben Sie dort nie getanzt?«
»Selten. Und auch nicht immer so, wie ich wollte. Aber in ein paar Hotels eben, auf ein paar Hochzeiten und so.«
»Du hast also entweder den Dreck weggemacht oder warst selber der Dreck, stimmt’s?«
Maryams Attacke hatte voll eingeschlagen. Amiras Blick leerte sich wie der eines Kindes, das mitten aus den schönsten Träumen gerissen wird. Doch selbst wenn die Zuschauer schon rohe Eier auf die Bühne warfen – Madame Lilla wollte selbst entscheiden, wann der Vorhang fiel.
»Und jetzt, Amira, wo Sie wieder hier sind … was haben Sie vor?«
Amira starrte Maryam an.
Ich fühlte mich genötigt, für sie einzuspringen. »Amira will in Tunis eine Tanzschule aufmachen.«
Während die Drähte zwischen Amira und Maryam zu glühen begannen, setzte Madame Lilla sich erfreut in ihrem Stuhl auf. »Ach! Wie schön! Wann denn?«
»Später mal«, bekam Amira nur heraus, deren Blick immer noch auf Maryam gerichtet war.
»Warum denn nicht sofort? Meiner Meinung nach sollten Sie das sofort machen. Auf der Stelle!«
Da Amira ziemlich angeschlagen war, kümmerte ich mich um Madame Lilla. »Momentan ist kein Geld da.«
»Geld?«, sagte Madame Lilla und lachte auf. »Also, Sie haben vielleicht Probleme, Amira! Wenn es nur das ist … Das lassen Sie mal getrost meine Sorge sein. Nun, wann eröffnen wir die Schule?«
Sogar Maryam blieb der Mund offen stehen.
»Apropos Tanzen, meine liebe Amira …«, fuhr Madame Lilla fort, als wäre nichts gewesen, und erhob sich. Sie streckte die Arme aus und streifte mit einer ebenso raschen wie entschlossenen Gebärde die weiten Ärmel ihres Chiffonkleids zurück über ihre Ellbogen. Das Licht der roten Laterne auf der Terrasse beleuchtete ihr Gesicht. Sie schloss ihre Augen. Drehte den Kopf leicht zur Seite, ließ das Licht über ihre Wange wandern. Langsam begann sie, ihre Handgelenke zu drehen. Mit einer einzigen, unendlich flüssigen Bewegung versetzte sie ihren ganzen Körper von Kopf bis Fuß in Schwingung. Dann erstarrte sie. Ihr Blick traf Amira.
»Sie müssen ins Licht schauen. Zu niemandem, nur ins Licht.«
Langsam begann sie zu tanzen. Schlangen wanden sich um ihren Körper. Es lief keine Musik, trotzdem war welche zu hören.
»Sie müssen sich verlieren, Amira. Sie müssen die Augen schließen und den Zuschauern das Gefühl geben, dass Sie in einer anderen Welt sind …«
Eine weitere Drehung, als wäre der Chiffon zum Leben erwacht.
»Das Publikum muss denken, dass ihm jene Welt verschlossen bleibt, in der Sie gerade vor Lust vergehen.«
Madame Lilla verzog das Gesicht, als leide sie Schmerzen. Sie runzelte die Stirn, die Augen immer noch geschlossen.
»Die Zuschauer sollen sehen, wie Sie sich auf der Bühne winden, und glauben, dass Sie ertrinken, wenn Sie in diesem Meer der Lust alleine bleiben. Sie müssen sich selbst lieben, ihnen das Gefühl geben, ihre einzige Rettung zu sein.«
Madame Lilla umschlang die eigenen Hüften und ließ den Kopf hängen wie ein toter Vogel. Als kämpfe sie gegen einen Widerstand an, breitete sie langsam die Arme aus und ließ sie dann schlaff herunterfallen.
»Dann müssen Sie ihnen zeigen, ganz zuckersüß diesmal, wie schön es wäre, wenn sie selbst in jener Welt sein könnten.«
Sie lächelte und begann sich zu drehen, erst langsam, dann immer schneller, der Chiffon flog durch die Nacht, und ihre Röcke streiften das rote Licht.
»Anschließend brechen Sie mit einem letzten Zittern zusammen, rufen die Zuschauer ein letztes Mal, laden sie in Ihren Körper ein.«
Unvermittelt setzte Madame Lilla sich auf den Boden, und Nebel schien aufzusteigen.
»Und dann müssen Sie, wenn Sie das Licht auf Ihrem Gesicht spüren, wenn es Ihnen genau auf die Augen fällt, Ihre Augen öffnen. Sie müssen das Publikum ansehen, als ob … Amira, Sie müssen es ansehen, als hätte es Ihr Leben zerstört.«
Madame Lillas Blick beschämte mich. Es fühlte sich an, als wäre sie gestorben, ohne dass ich ihr die Hand gereicht hatte.
»Die großen Tänzerinnen empfinden echtes Leid, Amira. Und die Bewegung ist in den Augen. Besonders, wenn sie geschlossen sind. Auf der Bühne muss Sünde sein. Damit die Zuschauer an dieser Sünde teilhaben wollen, müssen sie leiden. Damit sie Ihnen zu Füßen fallen, müssen sie sich so schuldig fühlen, wie sie es nie gewesen sind, Amira. Damit sie bei Ihnen bleiben, Sie bewundern, dürfen Sie Ihren Zuschauern nie verzeihen, Amira. Verstehen Sie das, meine Süße?«
Amira saß da wie ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal im Leben eine Braut gesehen hat. Sie erhob sich schlafwandlerisch, nahm Madame Lillas Hand, küsste sie und ließ sie behutsam zurück auf den Tisch sinken. Worauf Madame Lilla, wie es sich auf der Bühne gehörte, beide Hände an die Lippen führte, knickste und Amira einen Handkuss zuwarf. Dann neigte sie bescheiden den Kopf, seufzte und hob ihr Glas.
»Und, trinken wir jetzt auf die Tanzschule Amira?«
Während Maryam nur kurzfristig besänftigt schien und ich allenfalls halbherzig am ganzen Geschehen beteiligt war, ließen Madame Lilla und Amira überschwänglich die Gläser klirren, und alle farbigen Glühbirnen von Tunis glitzerten in Amiras Augen, als sie sagte: »Dann nennen wir sie aber Tanzschule Madame Lilla. Sofern Sie gestatten, natürlich!«
»Meine liebe Amira, ich habe allerdings noch eine Bitte an Sie. Wenn die anderen Damen auch damit einverstanden sind, versteht sich.«
Allgemeines Schweigen. Madame Lilla warf einen prüfenden Blick auf ihre Bühne. Mit spitzen Lippen nahm sie einen Schluck Wein und kredenzte uns dann ihr Anliegen wie ein verlockendes Dessert. »Ich möchte nämlich, dass wir alle zusammen eine Reise unternehmen.« Ihr rot lackierter Fingernagel spielte mit einer Brotkrume.
Amira schaute Maryam und mich an. Ohne zu wissen, wohin die Reise gehen oder welchem Zweck sie dienen sollte, flehte sie uns an zuzustimmen.
Madame Lilla zerdrückte die Brotkrume auf der Tischdecke. »In Richtung Syrien.«
»Wie bitte? Nach Syrien?!«, musste ich wohl laut gedacht haben.
»Weil ich in meinem Alter kein Flugzeug mehr besteigen kann«, sagte Madame Lilla mit bestechender Logik, »müssen wir natürlich auf dem Landweg reisen.«
Maryam schüttelte nur noch den Kopf.
Madame Lilla wandte sich lächelnd an Amira: »Wenn Sie sich gemeinsam mit mir auf dieses kleine Abenteuer einlassen, Amira, dann wird die beste Tanzschule Tunesiens … ach, was sage ich … die beste Tanzschule der arabischen Welt Ihnen gehören. Sind Sie dabei?«
Amira blickte hilfesuchend von mir zu Maryam und von Maryam zu mir.
Ich fing an zu lachen. »Amira … Madame Lilla … Ich meine, Sie sind ja wirklich süß, weiß Gott! Aber das geht nun wirklich nicht.«
»Aber sind Sie denn nicht Schriftstellerin, mein Engel? Das ist doch ein unschätzbares Abenteuer.«
Am liebsten hätte ich gesagt: »Okay, ist gut jetzt, wir hatten unseren Spaß, aber irgendwann ist es dann auch genug.« Jedoch wagte ich es nicht, Madame Lillas mühevoll errichtetem Glaspalast einen Tritt zu versetzen. Also suchte ich nach einem anderen Weg, uns hier herauszumanövrieren. »Ich meine, es ist natürlich so … Mit mir hat das doch sowieso nichts zu tun. Schließlich gehen nur Sie und Amira auf diese …«
»O nein«, sagte Madame Lilla bestimmt, »wenn Sie nicht mitkommen, wird das nichts. Sie und Frau Maryam. Ich denke, dass sich auf dieser Reise auch ein Mittel gegen den Kummer finden lässt, der sie ihre Haare gekostet hat. Ja, ein kleines Abenteuer wird uns allen guttun, meine Damen!«
Madame Lilla breitete die Arme aus, und Amira hätte vor Aufregung fast in die Hände geklatscht. In diesem Moment, als Madame Lilla, der Wirkung ihres Zaubertranks bewusst, sich bereit machte, ihren Applaus entgegenzunehmen, setzte Maryam zu sprechen an:
»Sie sind eine reizende Person, Madame, charmant und geistreich …«
Der Rest ist bekannt. Nachdem Maryam gesagt hatte: »Wir werden Sie unsere Antwort wissen lassen«, traten wir mit vor Scham gesenkten Häuptern auf die Straße hinaus. Mit einer spöttischen Miene im Gesicht, die dort ebenso wenig hinpasste wie eine Kalaschnikow in die Hände eines Kindersoldaten, versuchte Maryam locker über das hinwegzugehen, was sie sich an diesem Abend geleistet hatte, und uns dazu zu bringen, dasselbe zu tun. Doch völlig überzeugend klang ihre Stimme nicht. »Was für eine Frau! Will uns kidnappen und nach Syrien bringen! Die glaubt wohl, Amira sei genauso verrückt wie sie!«
Amira blieb wie versteinert stehen. »Du legst es also darauf an, Maryam? Willst deine Kräfte mit alten Frauen messen, ist es das? Wir die kleinen Kinder und du die große Erwachsene. Ich bin also nicht so verrückt wie Madame Lilla, ja? Ha, dann will ich dir mal was sagen, Frau Maryam, du hast noch nie eine Verrückte gesehen!«
Der Draht zwischen ihnen war gerissen.
»Schau mich an, Maryam! Dir liegt etwas auf dem Herzen, so viel haben wir verstanden, auch wenn du uns nicht sagen willst, was es ist. Ich setze mich wenigstens mit meinen Sorgen auseinander!«
Damit klaubte sie ihre Tasche vom Boden auf und marschierte davon. Die Kugel hatte Maryam ins Herz getroffen. Auch ich schaffte es nicht, die beiden wieder miteinander zu versöhnen. Hatte Amira Maryam jetzt verlassen, weil sie wie ein Jungtier eine größere Höhle gefunden hatte, in der sie Zuflucht suchen konnte?
Wir waren ein zerrissener Papierlampion, Maryam und ich, das Licht war erloschen. Als wir bei meiner Zimmertür ankamen, sagte ich: »Übermorgen geht mein Flieger.« Sie antwortete nicht. »Bis morgen früh«, sagte ich, und sie nickte bloß. Zumindest für mich war das Abenteuer hiermit zu Ende.