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Achtes Kapitel: Januar 1156
ОглавлениеPribislaw, einst Herr im nun verbrannten Liubice an der Swartowe-Mündung, ist ein Herrscher ohne Macht, ohne Land und ohne Volk und damit auch ohne Einkünfte, denn Wagrien und Polabien, einst ihm untertan, hat Herzog Heinrich zu seinem Einflussgebiet erklärt, Adolf von Schauenburg und Heinrich von Badewide herrschen dort als seine Grafen. Dennoch ist Pribislaw nicht ohne Besitz und auch nicht ohne Einfluß, schließlich ist er der Letzte aus dem ruhmreichen Geschlecht der Nakoniden, aus dem die Fürsten Gottschalk und Heinrich entstammten, Samtherrscher über alle obotritischen Stämme, die sich sogar Könige nannten. Doch aller Glanz dieser Zeit ist vergangen, ihre Hauptburg, eben jenes alte Liubice, in dem sie einst sogar die erste Kirche aus Stein im ganzen Wendenland hatten errichten lassen, liegt verlassen, der Ort ist nicht mehr als eine armselige Fischersiedlung, die Kirche zerstört, und selbst das aufstrebende neue Lubeke auf dem Hügel Bucu kann sich nur mit einer kleinen Holzkirche schmücken.
Pribislaw hatte sich in die Starigard, oder, wie die Deutschen jetzt sagen, die Oldenburg zurückgezogen, wo noch immer viele Wagrier leben und ihren alten Göttern dienen. Sie hören noch auf ihren Fürsten und achten auf seine Meinung, auch wenn es letztlich nur das Wort eines Privatmannes ist. Gut, Pribislaw hatte sich taufen lassen, und er sah die Zukunft seines Volkes wohl auch darin, christliche, deutsche Lebensweise anzunehmen, aber er respektierte es, wenn seine Landsleute nicht nur ihre Hausgötter verehren – tun das die Christen mit ihren vielen Heiligen nicht auch auf ihre Weise? – sondern auch in das uralte Heiligtum des Stammesgottes Prove pilgern, um dort, ganz in der Nähe Oldenburgs, ihre Opferfeste zu feiern. Und er ließ sich dabei auch gerne dort sehen, weiß er doch um den Einfluß, den die Priesterkaste des Prove immer noch im Land hat.
Nun aber mußte er auch mit dem Einfluß eines anderen Priesters rechnen, denn in Oldenburg hatte sich Bischof Gerold angesagt, und Oldenburg ist seit Jahrhunderten schon christlicher Bischofssitz, seit der große Kaiser Otto dort einen Bischof eingesetzt hatte. Allerdings – das war nur eine Episode, bald wurden Bischof, Priester und Mönche wieder vertrieben oder erschlagen, und das Kirchlein neben dem mächtigen Burgwall war längst verfallen. Doch jetzt stehen die Dinge anders: Herzog Heinrich, den sie jetzt den Löwen nennen und der mit starker Hand auch über Wagrien regiert, hatte einen neuen Bischof ernannt, nachdem der greise Vicelin nach Jahren der Krankheit verstorben ist – einen Mann seines Vertrauens, seinen Hofkaplan aus Brunswik, und diesmal hat er seinen Gegenspieler, den Erzbischof in Bremen, ins Leere laufen lassen. Als dieser dem Günstling des Sachsenherzogs Ring und Stab verweigerte, hatte Heinrich ihn nach Rom bestellt und vom heiligen Vater höchst persönlich zum Bischof weihen lassen.
Man wird sich gut stellen müssen mit diesem Priester, das wusste Pribislaw nur zu gut, und was könnte eine Zusammenarbeit besser fördern als die Einladung zu einem festlichen Gastmahl für den Bischof, der da in winterlicher Kälte herangezogen kam? So ließ der Slawe auftischen, was man an Köstlichkeiten nur bieten kann: Braten und Fisch, süße Speisen und dazu nicht nur Bier, sondern auch Wein in großer Menge. Der durchgefrorene Kirchenmann und seine Begleitung nahmen es dankbar entgegen.
Artig erschien Pribislaw dann auch am nächsten Morgen, als der Bischof den Grundstein legen wollte für eine steinerne Kirche an dem Ort, wo er nun einmal Bischof sein sollte. Er geleitete die Gäste auch ein Stück Weges, doch machte er rechtzeitig kehrt, bevor der Besuch am Heiligtum des Prove vorbeikam, denn ihm schwante Unheil – der Bischof konnte dort kaum vorüberreiten, ohne Stellung zu diesem Götzendienst zu beziehen. Und so war es auch: Gerold und seine Schar durchbrachen das kunstvoll geschnitzte Tor zu dem heiligen Hain, rissen die Umzäunung ein und entfachten mit deren Holz ein mächtigen Feuer. Nur ein Götzenbild konnte er nicht zerschlagen, denn Prove wird unsichtbar verehrt unter den uralten Bäumen. Damit war auch das letzte Zentrum der obotritischen Religion zerstört, und niemand in der slawischen Bevölkerung wagte es, den Frevel zu rächen.
Gerold aber zog weiter in Richtung Lubeke. Dort war er wenigstens unter Christenmenschen, und dort würde er auf eine deutsche Stadt treffen. Aber es gab noch einen weiteren Grund für diesen Besuch. Pribislaw hatte ihn gebeten, auf dem weiten Markt von Lubece zu predigen, und zwar vor den Vertretern der slawischen Sippen und den Ältesten ihrer Dörfer, und das konnte der Bischof keinesfalls ablehnen, war es doch eine einmalige Gelegenheit, endlich die Seelen der Heiden zu gewinnen. Doch Pribislaw hatte mehr im Sinn als die Bekehrung seiner Stammesgenossen, er wollte ihnen eine sichere rechtliche Stellung verschaffen, denn der Verlust der Freiheit und damit verbunden der Zwang zu hohen Abgaben erregte immer noch den Unmut der Wagrier, und er, ihr einstiger Fürst, würde sich zu ihrem Sprecher machen. Wenn man schon den Herzog nicht herbeizwingen konnte, seinem Bischof würde er schon das Ohr leihen.
So zog Gerold Tage später in Lubeke ein, ebenso festlich empfangen wie einst sein Vorgänger Vicelin. Und wieder war es Hinrich von Soest, der den Bischof in seinem Hause beherbergte. Er bot ihm sicherlich kein so üppiges Gastmahl wie der Slawenfürst, doch Gerold spürte die Herzlichkeit seines Gastgebers. Am Tage darauf erschien Alf bei seinem Partner und bat um ein Gespräch mit dem Bischof. Auch er machte sich Gedanken über dieses Zusammentreffen mit den Sprechern der Wenden. Lange genug hatte er im Kietz an der Wochenitze gelebt, um die Sorgen der vielen Einwohner slawischer Herkunft zu verstehen, und er hatte selbst schmerzlich erfahren, wie groß die Kluft zwischen ihnen und den Deutschen immer noch war. Nichts wünschte er sich darum mehr als Frieden, als ein gutes Miteinander, und dazu würde gehören, die Slawen nicht anders zu behandeln als die Deutschen. War es in der eigenen Familie gelungen – sollte es nicht auch im Großen zu erreichen sein?
Vicelin, der Missionar, hatte viele Jahre unter den Wenden gelebt, er kannte ihre Sprache und hatte sich redlich gemüht, ihnen den neuen Glauben zu vermitteln, und er war doch oft genug gescheitert. Ob es gelingen könnte. den neuen Bischof für diese Aufgabe zu gewinnen? Als Alf den Raum betrat, wo Gerold ihn erwartete, begegnete er einem hochgewachsenen, aber auch hochfahrenden Mann im Priestergewand. Demütig küsste er den Ring, wartete, bis der Bischof ihn zum Sitzen einlud, und äußerte zunächst seine Freude darüber, dass das Land Wagrien nun wieder einen Hirten hätte. Gerold nahm es mit einem Kopfnicken zur Kenntnis.
„Ihr müsst wissen, hochwürdiger Herr, dass ich aus dem Westfälischen hierher gekommen bin, aber heute ist Lubeke meine Heimat. Und Ihr sollt auch wissen, dass ich eine gute und fromme Hausfrau habe, Mutter meines Sohnes, den einst Bischof Vicelin selbst getauft hat, und dass mein Weib eine Slawin ist. Der allmächtige Gott hat uns zusammengeführt, wie ich glaube, aber selbst mein Vater war mir lange gram, dass ich um eine Frau aus dem Volk der Wagrier geworben habe. So habe ich eine Zeitlang unter diesen Leuten gelebt, und auch wenn manche von ihnen noch allerlei heidnische Sitten befolgen, so sind es doch gute und treue Menschen. Man muß ihnen die Zeit geben, unseren Glauben kennenzulernen, dann werden sie wohl frömmer sein als manche Holsten und Stormarner.“
Alf schwieg, er wartete auf ein Zeichen, ob Gerold ihm zustimmen würde. Doch das Gesicht des Bischofs ließ nicht erkennen, was er hierüber dachte. Er deutete ihm nur mit einer knappen Geste an, fortzufahren. „Es hat viel Blutvergießen gegeben zwischen den sächsischen und den wendischen Stämmen, und es war nie nur die eine Seite, die zu Raub und Mord ausgezogen ist. Doch jetzt, wo unser Herzog Heinrich das Land befriedet und deutsche Siedler ins Land geholt hat, vermischen sich die Stämme und müssen miteinander leben. Darum ist es wichtig, so denke ich, dass unser Herzog seine Untertanen auch gleich behandelt, und – wenn Ihr mir dieses offene Wort verzeiht, dass unser aller Mutter, die heilige Kirche, alle ihre Kinder in gleicher Weise liebt.“ Alf schwieg erneut, er hatte viel gewagt mit diesen Worten, das war ihm bewusst. Nun war es am Bischof, zu antworten.
Gerold lehnte sich in dem hölzernen Sessel zurück, der sonst dem Hausherrn zustand, und legte beide Arme auf die seitlichen Lehnen: „Ihr seid mutig, und Ihr sprecht offen, Alf Faehling“, sagte er und betrachtete sein Gegenüber mit halbgeschlossenen Lidern. „Aber Ihr kennt Euch nicht aus in der großen Politik. Herzog Heinrich hat weitreichende Pläne, und die kosten Geld, viel Geld. Es ist Pflicht der Untertanen, dem Fürsten zu geben, was er fordert, und es ist Aufgabe des Fürsten, maßvoll zu sein. Solange die slawischen Stämme nicht endgültig von ihrem Götzendienst lassen, sehen auch die Fürsten keinen Grund, ihnen so gnädig zu sein wie ihren christlichen Untertanen. Nur denen, die im wahren Glauben leben, kann der Herzog auch Rechte verbriefen, besiegelt mit christlichen Eiden. Und was die Kirche betrifft: Muß nicht eine gute Mutter die ungehorsamen Kinder strafen, um sie auf den rechten Weg zu führen? Und sind nicht alle Kinder verpflichtet, für die Mutter zu sorgen? Der Zehnte ist ein göttliches Gebot, und das ist allen auferlegt, und Ungehorsam ist es, ihn zu verweigern.“
Gerold erhob sich, und Alf folgte ihm. Nein, dieser Bischof wird kein Missionar werden, er kennt sich nicht aus mit den Seelen, dachte er bedrückt. Er hat stets nur am Hofe der Mächtigen gelebt, wie soll er die Niedrigen verstehen! Ohne große Hoffnung strebte er am kommenden Sonntag dem Markt zu, wo sich viele Wenden versammelt hatten. Der Januar war bislang schneefrei geblieben, doch hatte der Frost den Boden hart werden lassen. So konnten Gemeinde wie Priester den Platz betreten, ohne im Schlamm zu versinken. Mit düsterer Miene verfolgten die meisten der slawischen Edlen die Messe, der Sinn der auf Latein vollzogenen Handlung blieb ihnen verschlossen. Und auch Gerolds Ansprache verstanden sie nur zu einem geringen Teil, denn er sprach deutsch und ließ auch nicht dolmetschen.
Als der Bischof geendet hatte, trat Pribislaw in die Mitte und trug noch einmal die Anliegen seiner Landsleute vor, schilderte die drückende Last der Abgaben, die sie an den Herzog, den Grafen und den Klerus im vergangenen Jahr entrichtet hatten, und forderte endlich, die Wenden nicht höher zu besteuern als die benachbarten sächsischen Gaue, denen mancherlei Privilegien gewährt wurden. Doch Gerold wies alle Forderungen zurück, verlangte dagegen, dass sich die Wagrier zunächst endgültig dem neuen und wahren Glauben öffnen sollten.
Pribislaw war ein geschickter Verhandler, und so fragte er zurück: „Sagt Ihr damit zu, dass wir in allen Stücken den Deutschen gleichgestellt werden, wenn wir Euren Glauben annehmen und uns taufen lassen?“ Aber das wollte und konnte der Bischof nicht, über die Abgabenpolitik des Herzogs hatte er nicht zu befinden, und so blieb auch sein Aufruf zur Taufe ungehört. Enttäuscht verließen die vielen Slawen den Platz, und enttäuscht ging auch Alf, obwohl er keine andere Antwort erwartet hatte. Doch ihm war bewusst, dass hier eine große Chance vertan war.
„Es ist geschehen, was ich befürchtet habe,“ sagte er zu Duscha, als er ins Haus zurückgekehrt war, „deine Landsleute haben nichts erreicht – und ich auch nicht. Dieser Gerold ist zuallererst ein Mann des Herzogs und dann erst der Bischof von Wagrien.“
*
Doch es sollte noch schlimmer kommen – auch für ihn selbst. Der Reichtum der jungen Stadt kam aus dem Fernhandel, von dem letztlich alle lebten – nicht nur die Mitglieder der Schwurgemeinschaft, sondern auch ihre Schiffsführer, die Schifferknechte, die Segel und Ruder bedienten und die Waren von den Schiffen trugen, die Schiffbauer und die vielen anderen Handwerker, die für die Großkaufleute arbeiteten, für die kleinen Händler, für alle Stadtbewohner und für viele, die aus den umliegenden Dörfern zum Markt kamen. Und aus diesem Reichtum zog Graf Adolf üppige Gewinne durch die verschiedenen Abgaben und Steuern, die es zu entrichten galt.
Jetzt aber war Streit entbrannt zwischen dem Herzog und seinem Lehnsmann, dem Grafen, denn Heinrichs Einnahmen in Bardowieck, das bislang Umschlagplatz aller Waren aus dem Norden gewesen war, sanken genauso rasch, wie Adolfs Gewinn in Lubeke stieg. Und als der Schauenburger sich weigerte, den Löwen zu entschädigen, an seinen Einnahmen zu beteiligen, spielte der Herzog seinen besten Trumpf aus: Als Sachwalter des Kaisers war er Herr über die Märkte im Sachsenland. So untersagte er den Fernhandel im Hafen von Lubeke, allein was die Bauern auf den Marktplatz brachten zum täglichen Bedarf, durfte nun noch verkauft werden.
Ratlos standen die Kaufleute zusammen. Wie sollten sie noch auf Handelsfahrt gehen, wenn der Verkauf in der Heimat verboten war? Noch hofften sie darauf, Graf Adolf als ihr Stadtherr würde einlenken, doch nichts geschah, Woche um Woche verging, ungenutzt lagen die Schiffe im Hafen. Die Schifferknechte hockten am Ufer, auch das Würfelspiel konnte ihnen die Langeweile nicht mehr vertreiben, Bierkrüge machten die Runde, Streit kam auf, Prügeleien, und hier und da griff einer zum Messer oder auch zu einem brennenden Scheit aus einem der Feuer, die überall am Ufer brannten.
Und so kam es, dass eines Tages eine Hütte in Flammen stand, dass die Funken übergriffen auf andere Häuser, und mit dem Wind wurde der Brand in die Straßen getragen. Viele Ledereimer voll Wasser mussten die Anwohner aus der Trave schöpfen, sie bildeten lange Ketten, um die Schilfdächer zu feuchten, die Feuersbrunst einzudämmen. Geschrei überall, Flucht vor den Flammen, verzweifelte Versuche, Hab und Gut zu bergen. Erst weit oberhalb, auf halber Höhe des Hügels, kam der Brand zum Stehen, doch manch stolzer Bau eines Kaufmanns war nur noch ein schwelender Trümmerhaufen.
Dietmar und Alf hatten Stunde um Stunde geholfen, den Feuersturm zu bekämpfen, auch die Frauen und Kinder reihten sich ein in die Ketten, Magdalene und Duscha waren ebenso rußgeschwärzt wie ihre Männer, als sie endlich erschöpft heimwärts gehen konnten. Der Brand war erloschen, aber viele Häuser der Händler lagen niedergebrannt. Und viele fragten sich jetzt: Lohnt es sich, sie neu zu errichten, wo doch der Handel an diesem Platz verboten, die Seefahrt eingestellt, jeder Gewinn unmöglich war?
Hinrich von Soest war es, der die Kaufleute zusammenrief, um zu beraten. Als erstes beschloß man, Hinrich zum Stadtvogt zu schicken und ihn um Fürsprache bei Graf Adolf zu bitten. Doch Reginald winkte ab: „Ihr wisst, dass mir das Schicksal dieser Stadt genau so sehr am Herzen liegt wie Euch, Hinrich. Doch der Graf ist aufs äußerste verbittert. Vor einer Woche hat der Herzog ohne Vorwarnung einen Trupp Bewaffneter nach Oldesloe geschickt, denn auch um die Saline dort gibt es Streit, und Heinrich ließ kurzerhand die Salzquellen zuschütten. Ihr werdet in Zukunft nun wieder im fernen Lüneburg einkaufen müssen, wenn Ihr Eure Heringe gesalzen von Gotland holen wollt.“ „Wir werden kein Salz mehr brauchen, wenn wir den Hering nicht verkaufen dürfen,“ sagte Heinrich bitter und erhob sich.
„Es ist zwecklos, bei Graf Adolf vorstellig zu werden, mein Freund.“ Reginald stand ebenfalls auf, um den Kaufmann zur Tür zu geleiten. „Ich habe es bereits versucht und einen Boten geschickt, um Eure Lage hier in Lubeke zu schildern. Er konnte nichts ausrichten.“
Hinrich berichtete den anderen von diesem Gespräch, Ratlosigkeit breitete sich aus. Da meldete sich Alf zu Wort. Er war einer der Jüngsten in diesem Kreis und auch erst seit kurzem in den Rat der Fernhändler gewählt. „Unsere Stadt ist nahezu zur Hälfte niedergebrannt, und unser Hafen ist gesperrt. Lubeke hat keine Zukunft an einem Ort, wo Graf Adolf Herr ist. Ich sehe nur eine Lösung, und sie ist tiefgreifend: Wir müssen den Werder verlassen, dorthin, wo der Herzog selber Stadtherr sein kann.“ Erregtes Gemurmel erhob sich, Proteste wurden laut, aber auch Zustimmung. „Wie stellst du dir das vor?“ fragte Hinrich. „Wir sollten Gesandte zum Herzog schicken. Er mag uns einen neuen Platz anweisen für einen Hafen und die Stadt. Nur dann haben wir eine Chance.“
Es dauerte lange, bis die Gruppe zu einem Entschluß gekommen war, doch dann wurden Hinrich von Soest, der Kaufmann Brun Wittentorp und Alf Faehling bestimmt, zum Herzog zu reisen und ihm diese Bitte vorzutragen. Es gab keine andere Wahl.
*
Noch nie war Alf in einer solchen Stadt gewesen. Heinrichs Burg, der ganze Ort, die Kirchen – vieles war aus behauenem Stein errichtet, mit wunderbar glatten Wänden, sauber ausgestrichenen geraden Fugen, und die Dächer trugen Holzschindeln. Prächtiger konnten auch die Pfalzen von Kaiser Friedrich nicht aussehen, dachte er. Nach einigen Tagen des Wartens empfing sie der Herzog und hörte sich ihr Anliegen an. Es erschien Alf so, als ob der Löwe leise lächelte, doch konnte er diese Regung nicht deuten. „Wir werden eurer Bitte nachkommen,“ sagte er freundlich. „Rupert von Stade wird euch begleiten und euch einen Platz zuweisen, an dem ihr eine neue Stadt bauen könnt. Sie soll Löwenstadt heißen, denn der Löwe wird dort euer Stadtherr sein.“ Und er entließ die Sendboten huldvoll.
Was er danach mit Rupert besprach, erfuhren sie allerdings nicht: „Weist ihnen irgendeinen Ort an, auf dem nicht die Hand des Grafen liegt, irgendwo an einem Wasser. Doch übereilt nichts, denn ich bin sicher, sie werden bald an den alten Ort zurückkehren. Der Werder ist der einzig günstige Platz, das hat der Graf mit gutem Auge erkannt. Aber Adolf mag sich noch so sträuben, sobald seine Kaufleute fortziehen, nützt er ihm nichts mehr. Ich werde ihm noch einmal ein günstiges Angebot machen, eine reiche Abfindung, und er wird einwilligen und mir den Platz überlassen. Dann werden die Leute mit Freuden zurückkehren, vor allem, wenn Ihr die Löwenstadt dort sucht, wo sie keine Zukunft haben werden.“ Und er lächelte wieder, das Lächeln des Siegers.
Und er sollte Recht behalten. Graf Adolf trat nach einigem Zögern den Werder an den Herzog ab. Was der Herzog ihm zahlte, war mehr, als er je an Einnahmen aus einer sterbenden Stadt herausziehen könnte. Es war Reginalds letzter Freundschaftsdienst für Hinrich von Soest gewesen, dass er ihm unverzüglich hierüber Nachricht gab. Wenig später verließ er die Burg, in der er noch kurz zuvor einen tiefen Brunnen gegraben und mit festen Bohlen versteift hatte, um einer möglichen Belagerung besser trotzen zu können. Nun würde ein anderer Stadtvogt werden, und Reginald kehrte zu Graf Adolf zurück, aber er ging nicht ohne Wehmut.
Also erschienen die Sendboten aus der Löwenstadt erneut bei Herzog Heinrich und baten darum, auf den Hügel Bucu zurückkehren zu dürfen, denn der neue Ort an der flachen Wochenitze war mit ihren Schiffen nicht mehr erreichbar, wenn sie voll beladen waren. Auch das erlaubte der Löwe gnädig. Und er stellte den Kaufleuten und den Bürgern großzügig Privilegien aus. Allen Anrainern des baltischen Meeres bot er freien Handel mit Lubeke, auch den Bewohnern der Stadt würde er Freiheiten gewähren, vor allem eine Schutzgarantie für ihren Handel mit Gotland. Nun, wo Lubeke ihm gehörte, brachte jede Förderung von Handel und Wandel auch höhere Gewinne für den Stadtherrn. Die Zahlung an Adolf würde sich rasch verzinsen. Das Spiel war geglückt.