Читать книгу Die Faehlings - eine Lübecker Familie - Eckhard Lange - Страница 18
ZWEITES BUCH - Erstes Kapitel: Januar 1204
ОглавлениеWenn es hochkommt, so sagt die heilige Schrift, währt ein Menschenleben achtzig Jahre, und bei Brun Wittentorp, erster Bürgermeister von Lubeke, hat sich die Schrift erfüllt: Er starb in seinem achtzigsten Lebensjahr, und die Bürger der Stadt betteten ihn in der Marienkirche zur letzten Ruhe, nahe dem Altar, dessen kostbare Geräte er einst gestiftet hatte. Die Basilika am Markt, vom Rat zum Ort seiner Gebete und zur Bewahrung seiner Urkunden bestimmt, war nahezu fertiggestellt, und sie hatte damit den bischöflichen Dom überflügelt, denn dort hatte man bisher nur den Chor errichtet, vom Langhaus standen gerade erst die Grundmauern, und von den Türmen nicht einmal diese. Und auch wenn der Papst dem Lübischen Bischof gerade erst bestätigt hatte, dass auch St. Marien unter seinem Patronat stand, so stritt doch der Rat weiterhin um das Recht, den Pfarrer der Marktkirche selbst zu wählen. Das alles aber hinderte Rat wie Bischof nicht daran, den Bürgermeister in seiner Kirche mit feierlichem Totenamt zu bestatten.
Im Anschluß an diese Zeremonie versammelten sich die Ratmänner, um ein neues Mitglied in den Rat zu berufen und vor allem den Nachfolger Bruns zu bestimmen. Auf den neuen Ratsmann einigte man sich rasch. Dietmar hatte den Schwiegervater seines Sohnes, Albertus Friese, vorgeschlagen, und das fand allgemeine Zustimmung, waren doch fast alle Mitglieder des Rates aus der Korporation der Gotlandfahrer gekommen. Seit kurzem jedoch reisten lübische Kaufleute auch weit in den Westen, hatten gemeinsam mit den Hamburgischen eine Hanse der Englandfahrer gegründet, und Albertus gehörte zu den Wagemutigen, die ihre Schiffe bis in die Themsemündung und nach London geführt hatten, um dort die begehrte Wolle zu erhandeln. Zweimal schon hatte er im Gildehaus der Kölner Fernhändler gewohnt, die vom König der Engländer allerlei Privilegien erhalten hatten und zögernd bereit waren, sie mit den Österlingen, den Kaufleuten aus dem Osten des Reiches, zu teilen. So schien es gut, einen im Rat zu haben, der diese neue Handelsroute kannte. Auch wenn Albertus eher ein Neubürger Lubekes war, denn sein Vater stammte, wie der Name verriet, aus dem Land der Friesen irgendwo dort an der Küste der Nordsee.
Schwieriger schien es, einen neuen Bürgermeister zu bestimmen, denn zwei Männer hatten sich in den vergangenen Jahren gleichermaßen um die Stadt verdient gemacht: Jannes von Soest und Dietmar Faehling. Jannes war der Ältere, und ihm gebührte der Vortritt, aber er war nun bereits über siebzig Jahre alt, kaum jünger also als der verstorbene Brun. Doch ehe es zum Streit der Parteigänger kommen konnte, bat Dietmar ums Wort und schlug seinen Schwager und väterlichen Freund zur Wahl vor. So wurde Jannes Bürgermeister von Lubeke, aber er wurde es nur für wenige Monate. Zwar war er noch rüstig und in Geschäften tätig, doch kurz nach seiner Wahl stürzte er auf dem Weg zum Hafen. Man trug ihn ins Haus zurück, aber er erhob sich nicht wieder von seinem Krankenlager, und im Spätsommer musste die Stadt von neuem einem Bürgermeister die letzte Ehre erweisen. So wurde Dietmar nun doch noch im gleichen Jahr zu seinem Nachfolger gewählt.
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Über dreißig Jahre bewohnten Dietmar und Katharina nun bereits den hölzernen Wohnturm, den sein Vater hatte errichten lassen. Das Gelände östlich davon hatte er an einen Schmied verpachtet, der die Werkstatt des Großvaters nutzte. Doch zwei Ereignisse kamen nun zusammen, die ihn zum Handeln zwangen: Einmal waren die Holzschindeln seines Daches weitgehend verrottet, eine grundlegende Reparatur musste unbedingt erfolgen; zum anderen hatte der Schmied die Pacht gekündigt, weil er an anderer Stelle ein eigenes Grundstück erworben hatte. Und nun war da noch ein dritter Grund: Der von König Waldemar als Stadtvogt bestellte Graf Albrecht hatte sich in der Burg einen großen Palas errichten lassen, ganz in Ziegel ausgeführt, mit einem großen Saal im unteren Geschoß. Dabei war der Graf nur selten in der Stadt, der König hatte ihm das gesamte nordelbische Gebiet übertragen, deshalb überließ der Vogt die Verwaltung Lubekes weitgehend dem Rat entsprechend den Privilegien, die auch Waldemar erneut bestätigt hatte. Einzig zu dem jährlichen Gerichtstag erschien er, oder wenn das Halsgericht über Tod und Leben zu entscheiden hatte. Wenn also der abwesende Vogt ein steinernes Haus besaß, um wie viel mehr war es da angebracht, daß auch der Bürgermeister in einem solchen Gebäude wohnte!
So kam es, dass Dietmar das alte Hallenhaus des Großvaters und auch Schmiede und Ställe abreißen ließ und unmittelbar an der Ecke der Alfstraat, zu Füßen des halbfertigen Kirchturms von St. Marien, einen steinernen Saalbau errichten ließ, der sich über einem zweischiffigen Keller erhob. So gewann er mehr Lagerraum und auch angemessene Räume für die Familie. Der große Saal im Erdgeschoß diente dabei vor allem dem Handel des Kaufmanns, hier konnte er gut geschützt seine Waren lagern und anbieten. Das obere Geschoß aber war nun groß genug, um in einzelne Räume geteilt zu werden. Fensteröffnungen, mit hölzernen Läden gut verschließbar, sorgten für genügend Licht, Kachelöfen an den Seiten für ausreichend Wärme in den kalten Wintermonaten. Einzig der Herd mit seiner offenen Feuerstelle blieb im unteren Geschoß. Und unter dem spitzen Giebel hatten nicht nur Waren Platz, sondern auch Kammern für das Gesinde, das Katharina zur Hand ging.
Zwar waren die beiden Töchter längst Ehefrauen angesehener Kaufleute, aber schließlich hatte auch der Sohn vor Jahren Johanna Wittentorp, die Enkelin des verstorbenen Bürgermeisters, geheiratet. Er könnte nun mit seinen beiden Kindern, Wigbert und Adelheid, ebenfalls in dieses Haus ziehen, bis er sich ein eigenes Heim errichten würde, vielleicht dort, wo jetzt noch der hölzerne Wohnturm stand.
Doch damit nicht genug: Das bescheidene Holzhaus, das dem Rat für seine Zusammenkünfte diente, schien ihm ebenfalls unangemessen, außerdem brauchte der lebhafte Tuchhandel, der sich inzwischen entwickelt hatte, eine große Halle möglichst dicht am Markt. Dietmar brachte einen entsprechenden Vorschlag in der nächsten Ratssitzung ein, und es wurde beschlossen, ein Gewandhaus auf der großen freien Marktfläche zu errichten, zwischen dem eigentlichen Markt und der Marienkirche, unmittelbar an der Breiten Straße, dem alten Handelsweg, der von der Mühlenbrücke zum Tor neben der Burg führte. Das Obergeschoß sollte den Ratssitzungen dienen, aber auch von den Bürgern als Festsaal genutzt werden, und außerdem konnte man eine Kammer abtrennen, damit dort ein Secretarius sein Schreibpult aufstellen konnte.
So wuchsen beiderseits von St. Marien zwei neue steinerne Häuser empor und zeugten davon, daß Lubeke zu einer angesehenen Stadt geworden war. Doch Dietmar hatte noch viel weitergehende Pläne. Der Rat hatte im Laufe der Jahre ein Grundstück nach dem anderen an neue Bürger vergeben, längst waren die Straßen zwischen Markt und Hafen von Kaufleuten besetzt, immer mehr Grundstücke dort hatten die Besitzer geteilt, Giebel reihte sich an Giebel. Aber auch östlich des Marktes war kaum noch Bauland vorhanden, denn der Zustrom von Handwerkern ließ nicht nach, und alle fanden ihr Auskommen in der Stadt. Selbst das Johanniskloster hatte einen Teil seiner Ländereien unten an der Wakenitz, wie man die Wochenitze inzwischen nannte, an Siedler verpachtet, hatte doch Graf Albrecht dem Abt mehrere Schenkungen außerhalb des Werders gemacht, so dass die Landwirtschaft des Klosters nun vor den Toren betrieben werden konnte.
Südlich vom Markt war ebenfalls eine Siedlung entstanden, so groß, dass in ihrer Mitte eine zweite Pfarrkirche, dem Apostel Petrus geweiht, errichtet worden war, und der Rest des Werders war Eigentum des Bischofs und des Domkapitels. Blieb also noch der Raum zwischen der alten Civitas-Grenze, an der einst Herzog Heinrich seine Mauer gezogen hatte, und der Burg ganz im Norden des Werders. Aber der Hügelrücken war nur schmal, denn an beiden Seiten dehnte sich die sumpfigen Niederungen von Trave und Wakenitz. Es war abzusehen, wann die Slawensiedlung unter der Burg, in der längst auch viele Deutsche wohnten, und die Marktsiedlung ganz zusammengewachsen waren.
Und Jahr um Jahr strebten neue Siedler nach Lubeke, um hier ihr Glück zu machen – der Frieden, den König Waldemar allen Ländern rings um die Ostsee gebracht hatte, ließ den Handel blühen, förderte das Handwerk, schuf Arbeitsplätze für Schifferknechte und Träger. Die Zeit ist nicht mehr fern, dachte Dietmar, in der der ganze Werder bebaut ist und die Stadt nicht mehr wachsen kann. Er hatte auch schon eine kühne Idee, doch dafür brauchte er die Zustimmung, die Förderung nicht nur des Vogtes, sondern des Stadtherrn selbst. Da traf es sich gut, dass König Waldemar noch für dieses Jahr seinen Besuch in Lubeke angekündigt hatte.
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Wie schon bei seinem ersten Besuch im Jahr zuvor wurde König Waldemar II. mit allen Ehren in Lubeke empfangen – vielleicht sogar noch um einiges freundlicher, denn es gab kaum jemand in der Stadt, der nicht spürte, dass man mit diesem Stadtherrn gut gewählt hatte. Unter seiner starken Hand herrschte Eintracht rings um die Ostsee, die slawischen Fürsten von Mecklenburg bis zu den Pommern hatten ihm den Lehnseid geleistet, und auch im fernen Baltikum galt sein Wort, war doch seine Mutter eine Fürstentochter aus Nowgorod. Auch hatte er all jene Privilegien, die die Kaufleute so dringend benötigten für einen freien Handel, mit dem Siegel des dänischen Reiches bestätigt. So ging Dietmar guten Mutes zur Burg, wo der König bei seinem Stadtvogt Wohnung genommen hatte.
Waldemar empfing den neuen Bürgermeister huldvoll, kannte er ihn doch aus den Verhandlungen der letzten Jahre bereits als aufrechten Mann und Freund der dänischen Herrschaft. Er ließ ihm einen Willkommenstrunk reichen und begann freundlich: „Nun, mein lieber Dietmar, wie mir Graf Albrecht gemeldet hat, seid Ihr vom Rat Lubekes in das Amt des Bürgermeisters berufen worden, und ich will nicht verhehlen, dass mich diese Wahl sehr erfreut hat, weiß ich bei Euch doch das Wohlergehen meiner Stadt in guten Händen. Und wie ich sehe, blüht und wächst Lubeke von Jahr zu Jahr.“
„Eure königliche Majestät, es ist vor allem Euch zu verdanken, dass unsere Stadt einen solchen Aufschwung genommen hat. Unter Eurem Schutz können unsere Schiffe das Meer ungehindert bereisen, und immer mehr neue Bürger strömen jetzt nach Lubeke, der freie Handel lockt nicht nur viele Kaufleute hierher, sondern auch die Höker und Handwerker, deren es bedarf, um alle zu versorgen. Fast alle Grundstücke, die der Rat dank seiner Privilegien in den Händen hat, sind bereits vergeben. Ihr habt selbst gesehen, wie eng die Häuser nun schon stehen.“
„Höre ich da nicht nur Stolz, sondern auch Sorge heraus, Dietmar Faehling?“ Der König war ein aufmerksamer Zuhörer, er kannte diese Art, wie Untertanen ihre Bitten einzukleiden pflegten. „Ihr habt recht, königliche Majestät, dieses rasche Wachstum bereitet uns auch Sorgen. Doch es gibt Möglichkeiten, ihnen zu wehren, wenn Eure Majestät meinen Plänen zustimmen würden.“ „Also nennt Eure Pläne, was der Stadt nützt, werden wir gerne unterstützen.“
Und so entwickelt Dietmar sein Vorhaben: Sowohl an der oberen wie an der unteren Trave breitet sich ein weites, versumpftes Gelände aus, denn dort tritt der Höhenrücken des Werders weit zurück, und die Straßen, die von der Breiten Straße abzweigen, sind in diesem Bereich nur kurz, enden bald am Hang, während jene, die durch das Kaufmannsviertel zum Hafen hinabführen, bis dicht an das Traveufer bebaut sind. „Könnten wir dieses Gelände trockenlegen, hätten wir für Jahre hinaus ausreichend Bauland, und außerdem würde das Bollwerk des Hafens sich um ein vielfaches verlängern lassen. Und das gilt auch für den Bereich jenseits unserer Brücke über die Trave, dort könnten die Prähme dann anlegen, die vor allem das Lüneburger Salz über die Stecknitz heranschaffen.“
Waldemar hatte mit wachsendem Interesse zugehört. In der Tat würde Lubeke so seine wichtige Rolle als Handelsstützpunkt im Süden seines Reiches weitaus besser wahrnehmen können – und für den König bedeutete das in erster Linie, damit würden sich auch seine Einnahmen aus dieser Stadt wesentlich steigern lassen. Doch er erkannte ebenso, welchen Aufwand ein solches Vorhaben kosten würde, und so fragte er zurück: „Das ist ein hochfahrender Plan, Bürgermeister, doch wie wollt Ihr ihn in die Tat umsetzen?“
„Es gibt zwei Dinge zu bedenken: Das eine ist – wir benötigen viele Hände für ein solches Werk, auch wenn wir es nur nach und nach verwirklichen. Das bedeutet Frondienst der Bürger über eine lange Zeit, und nur, wenn er die sonstige Arbeit in der Stadt nicht hindert, und wenn jeder einzelne sich auch einen Vorteil davon versprechen darf, wird er auch ohne großes Murren geleistet werden. Das zweite ist dies: Wir bauen dort auf dem Torf des Flusses, darum muß die Schicht darüber mächtig genug sein, um die Last auch von steinernen Häusern zu tragen. Wir werden viele Last Erdreich heranschaffen müssen, und nur ein kleiner Teil steht uns auf dem Stadthügel zur Verfügung – dort, wo nun immer häufiger Keller ausgehoben werden. Der weitaus größere Rest kann nur von den Feldern und Wiesen in der Umgebung stammen, und dazu würden wir die Zustimmung des Grafen Albrecht benötigen. Außerdem wird es nicht reichen, nur Erde aufzuschütten. Ich stelle mir vor, dass wir dort eine Art bodenlose Holzkisten versenken, dicht an dicht und miteinander verbunden, auch mehrfach übereinandergeschichtet, um den Boden stabil zu halten. Erst dann können wir diese Kisten verfüllen – übrigens auch mit allem Unrat, der in der Stadt anfällt und sowieso fortgeschafft werden müsste. Für die Kisten lässt sich sicher manche Bohle verwenden, die von den Holzhäusern stammt, die bald den Steinhäusern weichen werden. Dennoch werden wir kräftig Holz einschlagen müssen, und auch dafür brauchen wir weitere Schenkungen Eurer Majestät.“
„Ich sehe, Ihr habt alles bereits wohldurchdacht,“ sagte der König, „und wir werden das alles mit großem Wohlwollen prüfen. Doch seid Ihr sicher, Ihr könnt das Gelände wirklich trockenlegen?“ „Das wird uns gelingen, wenn wir zunächst einen Damm errichten, der es vor jedem Hochwasser schützt, damit es dahinter austrocknen kann, ehe wir mit dem Aufschütten beginnen. Das mag ein paar Jahre dauern, und wir werden uns in Geduld fassen müssen, aber der Gewinn für die Stadt wird alle Mühe aufwiegen.“
Der König erhob sich. „Nun gut, Dietmar Faehling. Ich werde die nötigen Anweisungen geben. Graf Albrecht soll Euch bei allen Plänen unterstützen. Doch die eigentliche Arbeit bleibt Euch und dem Rat der Stadt, und Ihr werdet damit nicht nur Freunde gewinnen. Aber Ihr habt recht: Lubeke braucht dieses Wachstum, und spätere Geschlechter werden es Euch danken.“
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Der König sollte Recht behalten: Schon in der nächsten Ratssitzung, in der Dietmar seine Pläne erläuterte, erhob sich Widerspruch. Zwar sahen alle die Vorteile, die diese Landgewinnung bringen würde, doch fürchteten einige Ratmänner die Belastungen, die damit für alle Bürger verbunden waren, auch wenn Dietmar versprach, dass die Arbeiten nur jeweils an einem Wochentag ausgeführt würden, damit niemand in seinen Geschäften geschädigt werden könne. Dennoch war die Mehrheit für das Vorhaben.
Lauter wurde der Protest schon auf der nächsten Bursprake, die wie jedes Jahr am Tage Petri Stuhlfeier stattfand. Dies war der Termin, an dem die Ratmänner ihre jährlichen Ämter antraten, während die anderen für die nächsten zwölf Monate von ihren Pflichten entbunden waren und zur ersten Handelsfahrt aufbrechen konnten. Bevor also die winterliche Ruhe zu Ende ging, versammelten sich alle Bürger auf dem Markt. Bürger war allerdings nur, wer ein Grundstück in der Stadt sein eigen nennen konnte, dort seinen festen Wohnsitz hatte und durch feierlichen Eid der Schwurgemeinschaft der Stadtbewohner beigetreten war. An diesem 22. Februar des Jahres 1205 also trug Bürgermeister Dietmar Faehling seinen Plan vor und rief alle zur Mitarbeit auf. Die meisten Fernhändler hatten keine Einwände, konnten sie doch die erwarteten Arbeiten durch einige Knechte erledigen lassen. Viele Handwerker jedoch befürchteten, dass sie selbst oder doch ihre Gesellen viele Arbeitstage verlieren würden. Ablehnende Rufe wurden laut, einer stellte die Frage, welchen Gewinn denn der einzelne davon hätte, andere hielten das ganze Vorhaben für undurchführbar.
Dietmar gab sich alle Mühe, die Kritiker zu überzeugen, doch er hatte wenig Erfolg. Böse Zungen zischelten, der Bürgermeister wolle sich nur selbst ein Denkmal damit setzen, andere argwöhnten sogar, er würde an den neugeschaffenen Grundstücken persönlich verdienen. Doch letztlich blieb aller Protest zwecklos, der Rat hatte so beschlossen, und es war keine Angelegenheit, die der Zustimmung der Bürger bedurfte, zumal der König selbst hinter dem Plan stand. Aber der neue Bürgermeister hatte dabei einiges von seinem Ansehen verloren, das er bislang überall in der Stadt genossen hatte. Sein Sohn Reinhold, der in der Menge stand, spürte das deutlich, und es schmerzte ihn für seinen Vater, der doch nichts als der Stadt Bestes im Sinn hatte. Trotz allen Murrens – am 1. März begannen die Arbeiten an dem geplanten Damm, und alle, die dazu verpflichtet waren, erschienen mit Hacken und hölzernen Schaufeln vor der Stadtmauer, dort, wo die Grundstücke der Mengstraße endeten, um die ersten Entwässerungsgräben auszuheben, die den Straßen später ihren Namen geben sollten: 'fossa', wie der gelehrte Chronist schrieb, oder einfach 'grove', wie die Ungebildeten sagten.